(1) Jeder Mitgliedstaat benennt eine Stelle, die für die Durchsetzung dieser Verordnung in Bezug auf Flüge von in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Flughäfen und Flüge von einem Drittland zu diesen Flughäfen zuständig ist. Gegebenenfalls ergreift diese Stelle die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Fluggastrechte gewahrt werden. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission mit, welche Stelle gemäß diesem Absatz benannt worden ist.
(2) Unbeschadet des Artikels 12 kann jeder Fluggast bei einer gemäß Absatz 1 benannten Stelle oder einer sonstigen von einem Mitgliedstaat benannten zuständigen Stelle Beschwerde wegen eines behaupteten Verstoßes gegen diese Verordnung erheben, der auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats begangen wurde oder einen Flug von einem Drittstaat zu einem Flughafen in diesem Gebiet betrifft.
(3) Die von den Mitgliedstaaten für Verstöße gegen diese Verordnung festgelegten Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.
1 Art. 16 VO verpflichtet jeden Mitgliedstaat, eine „Stelle“ einzurichten, die für die „Durchsetzung“ der Rechte Fluggästen bei Nichtbeförderung, Annullierung und Verspätung zuständig ist und zwar für alle Flüge, die von einem Flughafen im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates abgehen, und für solche, die – aus einem Drittland kommend – auf einem dieser Flughäfen landen.
2 Die Durchsetzungs- und Beschwerdestellen haben zwei Aufgaben: Zum einen sollen sie dafür Sorge tragen, dass die Fluggastrechte gewahrt und damit „durchgesetzt“ werden. Darüber hinaus sollen sie nach Art. 16 Abs. 2 VO aber auch für Beschwerden (Anzeigen) von Fluggästen wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen diese Verordnung zuständig sein. Diese Stellen werden daher als „Durchsetzungs- und Beschwerdestelle“ bezeichnet. In Deutschland ist das Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben betraut (§ 63d LuftVZO).
3 Mit dem Wort „Durchsetzung“ ist aber nicht gemeint, dass die Durchsetzungsstelle zivilrechtliche Ansprüche eines Fluggastes (z. B. Ausgleichs- und Erstattungsansprüche) gegen das Luftfahrtunternehmen durchsetzt. Das ist Aufgabe der Gerichte oder der Schlichtungsstellen. Das Luftfahrt-Bundesamt soll – wie jede andere nationale Durchsetzungs- und Beschwerdestelle – daher „nur“ dafür sorgen, dass die Luftfahrtunternehmen die Regelungen der Fluggastrechte-Verord- nung rechtskonform beachten und ihren darin niedergelegten Verpflichtungen (Zahlung von Ausgleichsleistungen, Betreuungspflichten, Unterstützungspflichten) nachkommen (so auch Hausmann, Europäische Fluggastrechte, S. 515, m.w.N. in Fn. 27 ff.).
3a Der EuGH hat in seinem Urteil vom 17.03.2016 (verb. Rs. C‑145/15 – Ruijssenaars u.a. ./. Staatssecretaris van Infrastructuur en Milieu und C‑146/15 – Dees-Erf ./. Staatssecretaris van Infrastructuur en Milieu, RRa 2016, 123) die Ansicht vertreten, dass eine für die Durchsetzung der Verordnung zuständige nationale Stelle, die mit der Bearbeitung einer individuellen Beschwerde eines Fluggasts befasst ist, nicht verpflichtet ist, Durchsetzungsmaßnahmen gegen ein Luftfahrtunternehmen zu erlassen, um es dazu anzuhalten, die dem Fluggast nach dieser Verordnung zustehende Ausgleichsleistung zu zahlen. Er folgte insoweit dem Schlussantrag des Generalanwalts Bott vom 14.01.2016, stellte aber auch ausdrücklich fest, dass die Mitgliedstaaten angesichts der Ziele der Verordnung und des Handlungsspielraums, über den sie bei der Zuweisung der Zuständigkeiten, die sie den Stellen übertragen möchten, verfügen, die Möglichkeit haben, zum Ausgleich eines unzureichenden Schutzes der Fluggastrechte die Stelle zu ermächtigen, Maßnahmen auf individuelle Beschwerden hin zu ergreifen.
4 Geschieht dies nicht, wird ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen das betreffende Luftfahrtunternehmen eingeleitet. Das Luftfahrt- Bundesamt kann nach § 63d Nr. 2 LuftVZO vom Luftfahrtunternehmen die für die Wahrnehmung seiner Aufgaben notwendigen Auskünfte verlangen und Überprüfungen der Luftfahrzeuge und des Unternehmens durchführen.
5 Bei nachgewiesenen Verstößen gegen die Verordnung werden die vom Staat festzulegenden Sanktionen verhängt. (Wegen der Arten in den einzelnen Mitgliedstaaten siehe Hausmann, a.a.O., S. 515). Ihm stehen dazu die üblichen Zwangsmittel zur Verfügung, insbesondere die Festsetzung von Bußgeldern. Der Begriff der „Sanktionen“ bezeichnet Maßnahmen, die als Reaktion auf Verstöße ergriffen werden, die die Stelle in Ausübung ihrer allgemeinen Aufsicht aufdeckt, und nicht verwaltungsrechtliche Durchsetzungsmaßnahmen, die in jedem Einzelfall zu ergreifen sind (EuGH, Urt. v. 17.3.2016 – C-145/15, C-146/15).
6 Art. 16 Abs. 3 VO bestimmt ausdrücklich, dass diese Sanktionen, insbesondere Bußgelder, „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen. Das kann nur über hohe Bußgelder erreicht werden, weil nur diese Luftfahrtunternehmen einerseits abschrecken und davon abhalten können, die Regelungen der Fluggastrechte-Verordnung zu ignorieren und andererseits einen wirtschaftlichen Anreiz schaffen , die Verpflichtungen aus der Verordnung zu erfüllen (so auch Hausmann, Europäische Fluggastrechte, S. 515). Wenn ein Luftfahrtunternehmen z.B. einen nicht gut ausgelasteten Flug annulliert und mit einem anderen Flug zusammenlegt und somit erhebliche Kosten erspart, muss der kaufmännische Anreiz, auch in Zukunft so zu verfahren, unterbunden werden. Dies kann aber mit einem Bußgeld in Höhe nur eines Bruchteils der Ersparnis nicht erreicht werden; daher muss das Bußgeld höher sein als die Kosten, die bei Einhaltung der Verpflichtungen aus der Verordnung entstünden (so auch Hausmann, a.a.O., S. 515 f.). Allenfalls bei dem ersten Verstoß kann ein niedrigeres Bußgeld in Betracht kommen. Entgegen der Ansicht von Müller-Rostin (a.a.O.) sind dabei nicht „die Interessen der Beteiligten (Fluggäste und Luftfahrtunternehmen) angemessen zu berücksichtigen“. Es ist allein auf das Interesse des Staates daran, dass die Gesetze eingehalten werden, abzustellen.
7 Auf eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen hat die Bundesregierung mitgeteilt, dass seit dem Jahr 2005 insgesamt 1.716 Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet worden seien; in nur 37 Fällen sei ein Bußgeld verhängt worden; dieses habe zwischen 1.000 und 4.000 EUR gelegen. Deutsche Luftfahrtunternehmen hätten im Jahr 2010 neun Bußgeldbescheide erhalten. Auf die weitere schriftliche Frage stellte die Bundesregierung fest, dass das Luftfahrtbundesamt im Jahre 2011 bei 1.787 Beschwerden von Fluggästen nunmehr in 219 Fällen ein Bußgeld verhängt habe, das bis zu 25.000 EUR betrug. Insgesamt wurden dadurch 2,3 Millionen Euro Einnahmen generiert. Das bedeutet, dass die durchschnittliche Höhe der Bußgelder auf ca. 10.600 EUR angestiegen ist (zitiert nach: Mehr und höhere Bussgelder gegen Airlines) Einen Überblick über das Verhalten der Durchsetzungsstellen in anderen Mitgliedstaaten gibt Hausmann (a.a.O., S. 316).
8 Die Entscheidung des Luftfahrt-Bundesamtes in einem Ordnungs- widrigkeitenverfahren hat auf das Zivilgerichtsverfahren wegen des- selben Sachverhaltes keinen unmittelbaren Einfluss. Das Gericht kann sich aber die fachliche Beurteilung der Durchsetzungs- und Beschwerdestelle zu Eigen machen.
9 Nach Abs. 2 kann jeder Fluggast bei einer gemäß Absatz 1 benannten Durchsetzungsstelle oder einer sonstigen von einem Mitgliedstaat benannten zuständigen Stelle Beschwerde wegen eines behaupteten Verstoßes gegen diese Verordnung erheben, der auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats begangen wurde oder einen Flug von einem Drittstaat zu einem Flughafen in diesem Gebiet betrifft. Der EuGH (17.3.2016, Rs. C-145/15, Rs. C-146/15) ist der Ansicht, dass unter diesem Begriff „Beschwerde“ eher Hinweise zu verstehen sind, die zur ordnungsgemäßen Anwendung der Verordnung im Allgemeinen beitragen sollen, ohne dass die Stelle verpflichtet wäre, aufgrund solcher Beschwerden tätig zu werden, um das Recht jedes einzelnen Fluggastes auf Erhalt einer Ausgleichsleistung zu gewährleisten (Urt. v. 17.3.2016, Rs. C-145/15, Rs. C-146/15).
(1) Die Verpflichtungen gegenüber Fluggästen gemäß dieser Verordnung dürfen – insbesondere durch abweichende oder restriktive Bestimmungen im Beförderungsvertrag – nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
(2) Wird dennoch eine abweichende oder restriktive Bestimmung bei einem Fluggast angewandt oder wird der Fluggast nicht ordnungsgemäß über seine Rechte unterrichtet und hat er aus diesem Grund einer Ausgleichsleistung zugestimmt, die unter der in dieser Verordnung vorgesehenen Leistung liegt, so ist der Fluggast weiterhin berechtigt, die erforderlichen Schritte bei den zuständigen Gerichten oder Stellen zu unternehmen, um eine zusätzliche Ausgleichsleistung zu erhalten.
1 Die Verordnung stellt in Art. 15 VO sicher, dass die Verpflichtungen aus der Verordnung gegenüber Fluggästen durch Regelungen im (Luftbeförderungs-)Vertrag nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden dürfen. Auch dies steht im Einklang mit Erwägungsgrund 1 VO, wonach die Verordnung darauf abzielt, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen.
2 Für den grundsätzlichen Ausschluss einer Rechtsbeschränkung ist es gleichgültig, ob sich diese aus einem ausformulierten Vertrag ergibt oder etwa aus Allgemeinen Beförderungsbedingungen, die zum Gegenstand des Vertrages mit dem Fluggast gemacht werden. Entsprechend fallen Änderungsvorbehalte in der Reisebestätigung oder im Preisteil des Kataloges eines Reiseveranstalters, welche auch die Rechte des Reisenden aus der Verordnung einschränken, unter das Verbot der Rechtsbeschränkung gemäß Art. 15 Abs. 1 VO.
3 Auch eine Haftungsbegrenzung in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen des Luftfahrtunternehmens ist unwirksam, da sie dem Fluggast die Mindestrechte der Verordnung nehmen will (Art. 15 VO, § 134 BGB). Denn die Mindestrechte der Verordnung sind zwingendes Recht und haben als Unionsrecht Anwendungsvorrang. Wird eine Bestimmung der Verordnung nicht angewendet oder der Fluggast nicht ordnungsgemäß über seine Rechte unterrichtet (Art. 14 VO), und hat er aus diesem Grund einer Ausgleichsleistung zugestimmt, die unter dem Standard der Verordnung liegt, bleibt dem Fluggast nach Art. 15 Abs. 2 VO ein Anspruch auf eine zusätzliche Ausgleichszahlung (so auch: Führich, Reiserecht [6. Aufl.], Rn 1058).
4 Flugzeiten, die in der Reisebestätigung angegeben werden, werden zum Vertragsbestandteil. Änderungsvorbehalte in der Reisebestätigung oder im Preisteil des Kataloges hinsichtlich der Flugzeiten sind auch unter Berücksichtigung der Interessen des Reiseveranstalters für den Reisenden nicht zumutbar, weil sie dem Reiseveranstalter die Mög- lichkeit geben, die Flüge beliebig zu verlegen. Sie schränken zudem die Rechte des Reisenden aus der Verordnung ein und fallen damit unter das Verbot von Art. 15 Abs. 1 VO (BGH, Urt. v. 10.12.2013 – X ZR 24/13); zuvor schon: AG Köln, Urt. v. 23.11.2010 − 134 C 140/10, RRa 2011, 96 f.; OLG Celle, Urt. v. 07.02.2013 – 11 U 82/12).
5 Da die Verordnung keine Regelung zur Frage der Verjährung der dort normierten Ansprüche auf Ausgleichszahlung trifft, beträgt die Verjährungsfrist 3 Jahre (§§ 195, 199 BGB), gerechnet ab dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entsteht (BGH, Urt. v. 10.12.2009 − Xa ZR 61/09, RRa 2010, 90 f. = NJW 2010, 1526 = ZLW 2010, 421; a.A. noch in der Vorinstanz: LG Darmstadt, Urt. v. 24.04.2009 – 7 S 260/08, mit krit. Anm. Staudinger, RRa 2009, 193 ff.). Diese Rechtsauffassung hat der EuGH aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des Audiencia Provincial de Barcelona (Spanien) am 22.11.2012 bestätigt und dahingehend entschieden, dass − im Hinblick auf die Frist für die Geltendmachung von Ansprüchen – nicht Art. 35 MÜ (zweijährige Ausschlussfrist) herangezogen werden kann, sondern das jeweils ergänzend anwendbare nationale Recht gilt (Rs. C-139/11 – Moré ./. KLM, RRa 2013, 17 = NJW 2013, 365 = EuZW 2013, 156 = ZLW 2013, 503). Entgegenstehende Klauseln in Allgemeinen Beförderungsbedingungen von Fluggesellschaften, die Einschränkungen vorsehen, wonach „gerichtliche Klagen innerhalb von 2 Jahren, beginnend mit dem Tag der Ankunft des Flugzeugs oder an dem Tag, an dem das Flugzeug hätte ankommen sollen, erhoben werden müssen“, mit der Folge, dass das Klagerecht auf Schadensersatz erlöschen soll, sind unwirksam. Die Verordnung trifft keine Regelungen zur AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle im Bereich des Verjährungsrechts und steht der Anwendbarkeit des einschlägigen nationalen Rechts insoweit nicht entgegen, so dass nach Art. 15 VO Verjährungsregeln aus Allgemeinen Beförderungsbedingungen, die Ansprüche des Fluggastes aus der Verordnung einschränken würden, unwirksam sind (AG Bremen, Urt. v. 22.11.2012 − 9 C 0270/12, RRa 2013, 89, 91).
6 Zur Frage der Anwendbarkeit der kurzen Verjährungsfrist des § 651g BGB auf Beförderungen, die im Rahmen einer Flugpauschalreise durchgeführt werden, siehe Vorbemerkungen, Rn. 36 ff.