(1) Diese Verordnung gilt

a) für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten;

b) sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, antreten, es sei denn, sie haben in diesem Drittstaat Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten.

(2) Absatz 1 gilt unter der Bedingung, dass die Fluggäste

a) über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen und – außer im Fall einer Annullierung gemäß Artikel 5 – sich wie vorgegeben und zu der zuvor schriftlich (einschließlich auf elektronischem Wege) von dem Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler angegebenen Zeit zur Abfertigung einfinden oder, falls keine Zeit angegeben wurde, spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung einfinden oder

b) von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen von einem Flug, für den sie eine Buchung besaßen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes hierfür.

(3) Diese Verordnung gilt nicht für Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist. Sie gilt jedoch für Fluggäste mit Flugscheinen, die im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen ausgegeben wurden.

(4) Diese Verordnung gilt nur für Fluggäste, die von Motorluftfahrzeugen mit festen Tragflächen befördert werden.

(5) Diese Verordnung gilt für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die Beförderungen für Fluggäste im Sinne der Absätze 1 und 2 erbringen. Erfüllt ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung, so wird davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht.

(6) Diese Verordnung lässt die aufgrund der Richtlinie 90/314/EWG bestehenden Fluggastrechte unberührt. Diese Verordnung gilt nicht für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird.

I. Absatz 1

   Die Fluggastrechte-Verordnung erfasst alle Luftfahrtunternehmen (also Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ebenso wie Non-EU-carrier), mit denen der Fluggast seinen Flug (gleichgültig, ob Hin- oder Rückflug) auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaates antritt. Darüber hinaus werden alle Flüge von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft von einem Drittstaat zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaates erfasst. Nicht anwendbar ist die Verordnung somit auf Flüge einer Nicht-EU-Fluggesellschaft (z.B. Emirates Airlines) von einem Flughafen eines Nicht-EU-Landes (z.B. Dubai) zu einem Flughafen der Gemeinschaft (z.B. Frankfurt) oder von einem Nicht-EU-Flughafen (z.B. Chicago) zu einem anderen Nicht-EU-Flughafen (z.B. Miami). Die Verordnung erfasst somit alle Flüge

– die in der EU beginnen ohne Rücksicht, ob das Luftfahrtunternehmen seinen Sitz in der EU hat,

– von „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ mit Sitz in der Europäischen Union aus Drittstaaten in das Gebiet der Europäischen Union, sofern im Drittstaat noch keine Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erbracht wurden (Art. 3 Abs. 1 und 2 VO). Weil der Flughafen Basel-Mulhouse auf französischem Gebiet liegt, hat das AG Hannover (Urt. v. 28.03.2014 – 562 C 9420)  die Verordnung auf einen Flug von Boa Vista nach Basel angewendet.

   Streitig ist, ob ein schweizerisches Luftfahrtunternehmen wie ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft oder ein Drittland-Unternehmen zu behandeln ist. Das Zivilgericht Basel-Stadt hat im Urt. v. 15.05.2012 – V. 2012.213 (BJM 2013, 79 ff.) die Ansicht vertreten, dass die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auf die Luftverkehrsverbindungen zwischen der EU und der Schweiz beschränkt sei. Zu einem Flug von Stuttgart über Zürich nach Istanbul hat OLG Stuttgart (Urt. v. 10.09.2008 – 9 U 38/08) die Anwendbarkeit der Fluggastrechte-Verordnung abgelehnt, während das AG Frankfurt a. M. (Urt. v. 28.06.2007 – 29 C 370/07-46) die Verordnung auf einen Flug von Lissabon über Genf nach München, der Teil eines Rundfluges war, angewendet hat (so auch LG Korneuburg, Urt. v. 15.07.2014 – 21 R 106/14g, Rra 2015, 101  für einen Flug von São Paulo über Zürich nach Wien). Diese Entscheidung wird man aber im Lichte des Urteils des EuGH in der Rechtsache Schenkel ./. Emirates Airlines (Urt. v. 10.07.2008, Rs. C-173/07, Slg. 2008 I-5237 = RRa 2008, 237 = NJW 2008, 2697 = EuZW 2008, 569) nicht mehr vertreten können, weil der EuGH die Betrachtung des Rundfluges ausgeschlossen hat. Ausführlich dazu Kost, ASDA-Bulletin 144/2012, 22 ff.; Burckhardt, ASDA-Bulletin 145/2013, S. 74 ff. Siehe dazu auch die ausführliche und informative Begründung des BGH im Vorlagebeschluss vom 09.04.2013 (X ZR 105/12, RRa 2013, 183 = TranspR 2013, 307). Zum Luftfahrtabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft von 1999 (SR 0.748.127.192.68) siehe auch Dettling-Ott, in: Thürer/Weber/Portmann/Kellerhals, Bilaterale Verträge  I & II, Schweiz – EU (Zürich 2007), Rn. 41 und 58). Gemäß Beschluss Nr. 1/2006 des Luftverkehrsausschusses Gemeinschaft / Schweiz vom 18.10.2006 wurde das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Luftverkehr dahin geändert, dass auch die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen gilt (ABl. EU Nr. L 298 vom 27.10.2006, S. 23 f. (Siehe dazu LG Korneuburg, Urt.  v. 15.07.2014 – 21 R 106/14g, RRa 2015,101). Mit Beschluss Nr. 1/2014 des gemischten Luftverkehrsausschusses Europäische Union und Schweiz vom 09.07.2014 (ABl. EU Nr. L 212 vom 18.07.2014, S. 21 f.) wurde im Anhang zum Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz unter Nr. 7 die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 aufgelistet.

3      Anspruchsberechtigt ist der Fluggast. Das ist jeder, der als Flugzeuginsasse nicht zur Besatzung zählt. Zum Begriff ausführlich: Art. 2, Rn. 28. Wer den Flug bezahlt hat (z.B. der Arbeitgeber des Reisenden) ist nicht entscheidend (so auch Führich, Reiserecht [7. Aufl. 2015], § 38 Rn. 28.

     Auch einem Kleinkind, das zum Zeitpunkt des Fluges 16 Monate alt war, steht ein Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung von Art. 7 Abs. 1 lit. a VO zu, wenn ein (u.U. auch geringer) Kindertarif entrichtet wurde. Auf die Reservierung eines Sitzplatzes kommt es insoweit nicht an; es kommt auch nicht darauf an, ob das Kind einen eigenen Sitzplatz hatte (LG Stuttgart, Urt. v. 07.11.2012 − 13 S 95/12, RRa 2013, 130). Daher hat auch ein unter 1 Jahr altes Kind einen Anspruch auf Ausgleichszahlung (AG Düsseldorf, Urt. v. 30.06.2011 – 40 C 1745/11).

5     Der Begriff „Flug“ (Art. 3 Abs. 1 lit. a VO) wird in Art. 2 VO nicht definiert. Zur Auslegung des Begriffs „Flug“ wurde zunächst auf das Montrealer Übereinkommen (MÜ) zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28.05.1999 (ABl. EG 2001 L 194 39) als dem wichtigsten internationalen Übereinkommen im System der Passagierrechte und auf den dortigen Begriff „Rundflug“ (Art. 1 Abs. 3 MÜ) zurückgegriffen. Als „Rundflug“, also als einziger einheitlicher Flug, gilt die Gesamtheit aller Teilflüge (z.B. von Frankfurt über Paris nach San Francisco, sodann zurück über Paris nach Frankfurt). Dabei ist völlig unerheblich, wie oft oder wie lange der Rundflug unterbrochen wird oder welche oder wie viele Code-Share- oder sonstige Partner-Fluggesellschaften des Luftfahrtunternehmens, mit dem der Rundflug vertraglich vereinbart wurde, zur tatsächlichen Ausführung der Teilflüge einsetzt. Entscheidend ist nach der Betrachtungsweise des Montrealer Übereinkommens lediglich, dass alle einzelnen Flugabschnitte zusammenhängend als einheitliche Beförderung gebucht werden. Das LG Korneuburg (08.09.2014 – 21 R 36/14p, RRa 2015, 100) hat auch einen im Rahmen einer Flugpauschalreise gebuchten Flug von Montego Bay nach Wien mit Zwischenlandung in Frankfurt zutreffend als einheitlich gebuchten Flug betrachtet.

   Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Fluggastrechte-Verordnung ist der Begriff „Flug“ in der Fluggastrechte-Verordnung jedoch nicht mit „Flugreise“ oder „Rundflug“ gleichzusetzen (EuGH, Urt. v. 10.07.2008, Rs. C-173/07 – Emirates Airlines ./. Schenkel, RRa 2008, 237 f.). Vielmehr stehen Fluggäste, die von einem Flughafen eines Drittstaates zu einem Flug- Flughafen der Gemeinschaft abfliegen wollen, nur dann unter dem Schutz der Verordnung, wenn das ausführende Luftfahrt-unternehmen eine gültige Betriebserlaubnis eines Mitgliedsstaates hat (Art. 2 lit. c VO). Es ging dort um einen Flug von Düsseldorf über Dubai nach Manila und zurück mit Emirates Airlines. Der Rückflug war annulliert worden, ohne dass der EuGH Ansprüche aus der Verordnung anerkannt hätte. Der BGH (Urt. v. 30.04.2009 – Xa ZR 78/08, RRa 2009, 239 f.) hat sich dem angeschlossen: „Flug“ im Sinne der Verordnung sei auch bei einem einheitlichen Beförderungsvertrag über Hin- und Rückflüge lediglich die einzelne „Einheit“ einer Luftbeförderung, die von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, das die entsprechende Route festlegt. Der BGH ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen: Für einen Anspruch aus der Verordnung auf Ausgleichsleistung genügt es nicht, dass ein Fluggast nicht mit dem gebuchten Flug befördert wird. Es ist auch erforderlich, dass dem – rechtzeitig zur Abfertigung für den Flug erschienenen und am Abfluggate anwesenden – Fluggast der Einstieg in die Maschine verwehrt wird. Ist aber der Zubringerflug verspätet und wird deswegen der Anschlussflug nicht erreicht, führt dies nach dieser Rechtsmeinung zu einem Anspruchsverlust, weil der Fluggast nicht rechtzeitig am Flugsteig für den Anschlussflug erschienen ist.

7      Nach Ansicht des BGH (Urt. v. 28.05.2009 – Xa ZR 113/08, RRa 2009, 242 f.) muss bei einem zusammengesetzten Flug in die USA der Anschlussflug separat als inneramerikanischer Flug angesehen werden, der eben nicht „auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaates“ angeboten worden sei; demzufolge habe der Fluggast keinen Anspruch auf eine Ausgleichsleistung (so auch: LG Korneuburg, urt. v. – 21 R 10/15s; a.A. Schmid, Die Nichtbeförderung von Fluggästen im Lichte der neueren Rechtsprechung des BGH, NJW 2009, 2724 f.). Ebenso hat das LG Darmstadt (Urt. v. 20.05.2015 – 7 S 185/14, RRa 2016, 16) für den umgekehrten Fall entschieden: Auf einen Zubringerflug außerhalb der Europäischen Union (z.B. von San José nach Panama City) soll die Verordnung auch dann nicht anwendbar sein, wenn er zusammen mit dem Anschlussflug im Rahmen einer einheitlichen Flugbuchung bei einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft gebucht wurde, das den Anschlussflug in einen Mitgliedstaat durchführt (Urt. v. 20.5.2015 – 7 S 185/14).

8     Wird ein echter „Direkt-Flug“ (zum Begriff: Schmid, RRa 2005, 146 f) nur von einem Luftfahrtunternehmen unter einer einheitlichen Flugnummer durchgeführt und erfolgt eine Zwischenlandung allein aus „technischen“ Gründen (z.B. Tankstopp oder eine Landung aus zollrechtlichen Gründen), nicht aber zum Zu- oder Ausstieg von Passagieren,so ist als Flug i.S.v. Art. 3 VO die Luftbeförderung über die gesamte Strecke (z.B. Frankfurt – Dubai – Bangkok; bei einem Rundflug: Frankfurt – Dubai – Bangkok – Dubai – Frankfurt) zu verstehen, so dass für die Anwendbarkeit der Verordnung der Flug an dem Flughafen angetreten wird, auf dem der erste Zustieg erfolgt ist (also im Beispiel Frankfurt).

9     Wird dagegen ein Flug, der unter einer bestimmten Flugnummer begonnen wurde, planmäßig unterbrochen und nach dem Umsteigen der Passagiere in ein anderes Flugzeug unter einer anderen Flugnummer fortgesetzt (z.B. AF 1523 von München nach Paris und AF 332 von Paris nach Boston), soll zwischen Flugunterbrechungen, die nur dem sofortigen Umsteigen dienen und solchen, bei denen der Weiterflug erst später erfolgt, unterschieden werden (AG Berlin-Mitte, Urt. v. 14.12.2005 − 11 C 2006/05, RRa 2006, 89 f). Bei einem unmittelbar erfolgenden Anschlussflug durch dasselbe EU-Luftfahrtunternehmen hat ein Fluggast im Fall einer Annullierung oder großen Verspätung bzw. einer Nichtbeförderung am Umsteigeflughafen auch dann einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung, wenn sowohl der Umsteigeflughafen als auch der letzte Zielort außerhalb des Gebietes der Europäischen Union liegt (LG Frankfurt, Urt. v. 26.03.2013 – 2 -24S 16/13, RRa 2013, 187 = BeckRS 2013, 13948). Erfolgt der Weiterflug durch ein Luftfahrtunternehmen eines Drittstaates, so soll bei Versäumen des Anschlussfluges nach Ansicht des LG Korneuburg (Urt. v. 19.06.2015 – 21 R 10/15s) der Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nur bestehen, wenn der Anschlussflug zu oder von einem Flughafen im Gebiet der Europäischen Union durchgeführt wird (so auch AG Köln, Urt. v. 13.01.2014 – 118 C 377/13) Das Gericht beruft sich dabei auf Art. 6a des Vorschlages der Kommission zur Neufassung der Fluggastrechte-Verordnung. Das ist nicht überzeugend, weil diese Regelung lediglich in einer Entwurfsfassung der Kommission niedergelegt ist und keinen rechtsverbindlichen Charakter hat. Es ist auch unklar, ob die Kommission damit (nur) eine gefestigte Rechtsmeinung wiedergeben oder ein Korrektur des bestehenden Rechts vornehmen will . So folgt denn auch ein Spruchkörper des untergeordneten BG Schwechat dieser Ansicht im Urteil vom 08.01.2016 – 4 C 540/15t zu Recht nicht, sondern schließt sich dem HG Wien (1 R 136/15v, RRa 2016, 48) an, wonach bei einem einheitlich gebuchten Beförderungsvertrag auch bei einer Zwischenlandung (gleich, ob im Gebiet der Europäischen Union oder außerhalb) ein einheitlicher Flug vorliegt, so dass das Bestehen eines Ausgleichsanspruches lediglich von der Verspätung am Endziel anhängig ist. Diese Auffassung wird inzwischen auch von deiner anderen Kammer des LG Korneuburg geteilt (Urt. v. 22.01.2016 – 22 R 141/15p).

10     Nach anderer Auffassung hat ein Reisender Anspruch auf Ausgleichszahlung auch, wenn er am Ort der Zwischenlandung nicht (weiter-)befördert wurde (AG Rüsselsheim, Urt. v. 06.01.2006 – 3 C 1127/05-35, RRa 2006, 92 f; AG Frankfurt, Urt. v. 17.07.1995 – 31 C 3236/94-23, RRa 1996, 205 f., bestätigt von LG Frankfurt, Urt. v. 19.06.1996 – 2/1 S 406/95; Führich, NJW 1997, 1044, 1045 Fn. 19; Schmid, Rechtsprechung zum Charterflug, [1997], S. 59 f.).

11     Dass der Fluggast auch auf einem Nicht-EU-Flughafen nicht schutzlos bleiben soll, zeigt etwa die Regelung des Art. 8 Abs. 1 lit. a) VO, der auf „nicht zurückgelegte Flugabschnitte“ abstellt und dem Fluggast ein Recht auf Rückbeförderung zum ersten Abflugort zubilligt.

12     Auch wenn nach Auffassung des EuGH von getrennten Flügen bei einem einheitlich gebuchten Hin- und Rückflug auszugehen ist, bleibt unentschieden, ob es sich um einen oder mehrere Flüge handelt, wenn das Endziel (Art. 2 lit. h VO) des Hinflugs oder des Rückflugs nicht unmittelbar oder mit Zwischenlandungen, sondern nur mit einem Umsteigen in das Fluggerät eines anderen Luftfahrtunternehmens erreicht wird (Führich, Reiserecht, [7. Aufl. 2015], § 38 Rn.23;; Kummer, DAR 2009, 121 f.; Schmid, NJW 2009, 2724 f.; Tonner, VuR 2009, 209 f.; AG Frankfurt, Urt. v. 21.12.2007 − 32 C 1003/07-22, RRa 2008, 146 m. krit. Anm. Schmid RRa 2008, 147).

13     Besteht eine Flugreise aus zwei oder mehreren Flügen, die jeweils von einer Fluggesellschaft unter einer bestimmten Flugnummer für eine bestimmte Route angeboten werden, ist die Anwendbarkeit der Verordnung für jeden Flug gesondert zu prüfen. Dies gilt auch dann, wenn die Flüge von derselben Fluggesellschaft durchgeführt werden und als Anschlussverbindung gemeinsam gebucht werden können (Bestätigung von BGH, Urt. v. 28.05.2009 – Xa ZR 113/08, RRa 2009, 242 f.). Der Begriff des „Fluges“ ist aus dem Sinn und Zweck der Verordnung und insbesondere aus denjenigen Vorschriften zu entwickeln, die sich dieses Begriffs bedienen. Die Verordnung bezieht sich auf die (Gesamtheit der) Fluggäste eines Fluges, der von einem bestimmten Luftverkehrsunternehmen auf einer bestimmten Flugroute ausgeführt wird und mit dem die Fluggäste von einem Flughafen A zu einem Flughafen B befördert werden (BGH, Urt. v. 13.11.2012 – X ZR 12/12, RRa 2013, 19 m. Anm. Schmid RRa 2013, 21; zu den vielfältigen Variationen zusammengesetzter Flüge und deren Begrifflichkeiten: Hausmann S. 108 ff.).

II. Absatz 2

1. Bestätigte Buchung

14    Weitere Voraussetzung und Bedingung für die Anwendbarkeit der Verordnung ist, dass die Fluggäste über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen und – außer im Fall einer Annullierung gemäß Art. 5 VO – sich wie vorgegeben zu der zuvor schriftlich (einschließlich auf elektronischem Wege) von dem Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler angegebenen Zeit zur Abfertigung einfinden oder sich − falls keine Zeit angegeben wurde − spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung einfinden oder von einem Luftfahrtunternehmen oder einem Reiseunternehmen von einem Flug, für den sie eine Buchung besaßen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes hierfür (Art. 3 Abs. 2 lit. a und b VO). Das LG Köln (Beschl. v. 23.05.2014 – 11 S 374/13, RRa 2015, 78) hat zutreffend entschieden, dass Art. 3 Abs. 2 lit. a VO nur für den Fall der Geltendmachung von Ansprüchen wegen Nichtbeförderung gilt, weil es bei einer Flugannullierung keines Erscheinens zur Abfertigung mehr bedarf und bei einer großen Verspätung das verspätete Erscheinen dann ohne Relevanz ist, wenn der Fluggast dennoch zur Abfertigung angenommen worden ist.

15     Formale Voraussetzung für Ansprüche aus der Verordnung ist sodann eine vom ausführenden Luftfahrtunternehmen oder vertraglichen Luftfahrtunternehmen bzw. einem Reiseunternehmen „bestätigte Buchung“ für den betreffenden Flug (Art. 3 Abs. 2 lit. a VO). Diese liegt mit Übergabe einer Buchungsbestätigung bzw. bei Online-Buchung mit der zum Ausdrucken bereit gestellten verbindlichen Erklärung des ausführenden Luftfahrtunternehmens vor, die mittels OK-Vermerk und Buchungsnummer einen Anspruch auf die durch Flugnummer, Datum und Uhrzeit konkretisierte Beförderungsleistung dokumentiert. Das ist in der Regel der papierne oder elektronische Flugschein (siehe Legaldefinition in Art. 2 lit. f VO) oder eine Buchungsbestätigung eines Reiseveranstalters (so auch: LG Korneuburg, Ur. v. 15.04.2016 – 22 R 6/16m; a.A., aber unzutreffend: AG Frankfurt, Urt. v. 30.03.2015 – 30 C 2766/14-47, RRa 2016, 85 = BeckRS 2016, 0751)) oder eines IATA-Reisebüros (BG HS 29.06.2016 – 11 C 695/14h-10). Ausreichend ist aber auch jeder sonstige Beleg, aus dem sich verbindlich die vorgesehene Luftbeförderung mit einem bestimmten, typischerweise durch Flugnummer und Uhrzeit individualisierten, Flug ergibt (BGH, Urt. v. 17.3.2015 – X ZR 34/14, Rn. 23, RRa, 2015, 184 [187] = NJW 2015, 2181). Diesem Erfordernis entspricht auch ein vom Reisebüro ausgestellter Reiseplan. Es ist nicht erforderlich, dass die Buchung von der Fluggesellschaft selbst ausgestellt wird (LG Landshut, Urt. v. 18.05. 2015 – 12 S 2435/14, RRa 2016, 79). Auch wenn ein Fluggast auf der im Buchungssystem des Luftfahrtunternehmens hinterlegten Passagierliste des Luftfahrtunternehmens erscheint, ist von einer „bestätigten Buchung“ auszugehen (AG Frankfurt, Urt. v. 30.03.2015 – 30 C 2766/14-47, RRa 2016, 85).

15a       Das Tatbestandsmerkmal „bestätigte Buchung“ ist auch dann erfüllt, wenn der Fluggast zunächst im Besitz einer bestätigen Buchung war, diese aber durch das Luftfahrtunternehmen zu einem späteren Zeitpunkt wieder im Buchungssystem gelöscht oder dem Fluggast beim Check-in manuell entzogen wird (LG Düsseldorf, Urt. v. 25.09.2015 – 22 S 79/15, RRa 2016, 131 = NJW-RR 2016, 247).

16      Eine „bestätigte Buchung“ muss in einem Prozess nicht „vorgelegt“ werden; es ist ausreichend, wenn der Fluggast darlegt, dass eine bestätigte Buchung „vorliegt“ und der Flug wie angegeben angetreten wurde (h.M., vgl. für viele: AG Frankfurt a. M., Urt. v. 06.12.2012 – 31 C 2553-78, RRa 2013, 138). Ein Luftfahrtfahrtunternehmen kann im Prozess nicht mit Nichtwissen bestreiten, dass der Fluggast befördert wurde, da ihm die Beförderung des Fluggastes aus eigener Wahrnehmung bekannt ist oder sein kann. Ein Luftfahrtunternehmen führt bei jedem Check-in eine Identitätsprüfung seiner Fluggäste durch und muss daher anhand der Passagierliste wissen, wer eingecheckt hat bzw. auf dem Flug befördert wurde (AG Rüsselsheim, Urt. v. 11.04.2013 – 3 C 3406/12-36, RRa 2013, 134; AG Erding, Urt. v. 13.03.2013 – 3 C 2101/12, BeckRS 2013, 08430 = juris = DAR 2013, 275). Es hat daher die prozessualen Nachteile zu tragen, wenn es Passagierlisten ohne Not bereits 1 Jahr nach dem Flug eigenverantwortlich vernichtet (AG Rüsselsheim, Urt. v. 25.07.2012 – 3 C 1132/12-36, RRa 2012, 234 = BeckRS 2012, 21694.).

17       Es obliegt dem Luftfahrtunternehmen, qualifiziert zu bestreiten, dass für den Fluggast kein Flug bei ihm gebucht wurde und er deshalb nicht im Besitz einer bestätigten Buchung gewesen ist (AG Rüsselsheim, Urt. v. 23.11.2011 – 3 C 1552/11-36, RRa 2012, 26 = BeckRS 2012, 05647; AG Rüsselsheim, Urt. v. 11.04.2013 – 3 C 3406/12-35, RRa 2013, 134; Urt v. 17.04.2013 – 3 C 3319/12-36). Dem steht nicht entgegen, dass das Luftfahrtunternehmen lediglich über den Vor- und Nachnamen des Fluggastes verfügt. Auch wenn ein gebuchter Fluggast versehentlich eine unrichtige Buchungsnummer angegeben hat, liegt kein ausreichendes Bestreiten vor, wenn das Luftfahrtunternehmen behauptet, es läge „unter dieser Buchungsnummer“ keine Buchung für den Fluggast vor.

18   Es gibt keine Pflicht zur Vorlage von Buchungsunterlagen durch den Fluggast; es muss nur eine bestätigte Buchung v o r l i e g e n (AG Frankfurt a.M. 29.03.2012 − 31 C 2809/12-78, RRa 2012, 235 f.; 6.12.2012 − 31 C 2553/12-78; AG Rüsselsheim 20.04.2012 − 3 C 2273/11-37, RRa 2012, 189 = LSK 2012, 390512; 25.07.2012 − 3 C 1132/12-36, RRa 2012, 234 f.). Hat ein Luftfahrtunternehmen einen Fluggast unstreitig auf einem Flug im Rahmen einer Pauschalreise befördert, ist vom Bestehen einer bestätigten Buchung auszugehen (AG Frankfurt a.M. 8.02.2013 − 30 C 2290/12-47, RRa 2013, 190 = BeckRS 2013, 13954). Da Art. 3 VO lediglich fordert, dass ein Fluggast überhaupt über eine bestätigte Buchung für den Flug verfügt, ist nicht zwingend erforderlich, dass diese vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ausgestellt wurde (so zutreffend auch: AG Rüsselsheim 16.07.2014 – 3 C 1447/14-36); es reicht eine Buchungsbestätigung durch einen Reiseveranstalter (so auch AG Düsseldorf 02.03.2015 – 38 C 13103/14, RRa 2015, 135; LG Korneuburg 15.04.2016 – 22 R 6/16m). Daher ist für das Vorliegen einer bestätigten Buchung iSd Art. 3 Abs. 2 VO nicht erforderlich, dass der Fluggast in der Passagierliste des Luftfahrtunternehmens erscheint. (aA AG Frankfurt a.M. 20.03.2015 – 30 C 2766/14-47).

19    Der Vortrag eines Luftfahrtunternehmens, es sei ihm nicht bekannt, ob ihm oder dem Fluggast eine Buchung durch den Reiseveranstalter vorliegt, ist kein Bestreiten, dass ein Reiseveranstalter die Buchung bestätigt hat (AG Frankfurt, Urt. v. 28.11.2012 – 31 C 2125/12-17, RRa 2012, 26 f.).

2. Rechtzeitiges Erscheinen zur Abfertigung

20    Ein  Fluggast muss sich entweder zur angegebenen Zeit oder spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung einfinden. Für das rechtzeitige Erscheinen am Abfertigungsschalter ist Voraussetzung, dass die späteste Abfertigungszeit (Check-in-deadline) dem Fluggast vom Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler mitgeteilt wurde. Eine andere Vorgabe als die 45 Minuten muss dem Fluggast von dem Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler schriftlich mitgeteilt werden, d.h. (per Post, per Telefax oder auf elektronischem Wege). Die Möglichkeit der Information auf der Homepage des Luftfahrtunternehmens genügt nicht (AG Hannover, Urt. v. 07.11.2014 – 541 C 4432/14, RRa 2015, 83).

21    Wenn dem Fluggast keine Zeit angegeben wurde, muss er sich spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten (eventuell auch geänderten) Abflugzeit zur Abfertigung einfinden (Art. 3 Abs. 2 lit. a VO). Ein Fluggast hat sich „zur Abfertigung eingefunden“, wenn er sich am Schalter angestellt hat (BGHS Wien, Urt. v. 20.12.2007 – 16 C 513/07v-23, RRa 2008, 99). Ob der so rechtzeitig erschienene Fluggast auch abgefertigt wird (Aufgabe des Gepäcks und Übergabe der Bordkarte) kann er nicht steuern. Das kann allein das Luftfahrtunternehmen, indem es bestimmt, an wie vielen Schaltern ein Flug abgefertigt wird. Dieses hat die Aufgabe, den Abfertigungsablauf so einzurichten, dass jeder rechtzeitig erschienene Fluggast rechtzeitig abgefertigt werden kann (so auch AG Düsseldorf, Urt. v. 21.01.2006 – 41 C 12361/05). Wenn ein Luftfahrtunternehmen bzw. das von ihm mit der Abfertigung beauftragte Unternehmen (oft: der Flughafenbetreiber), das die zeitlichen Vorgaben und die Zahl der abzufertigenden Passagiere kennt oder kennen kann, zu wenige Schalter anmietet und bei Erkennen bzw. Erkennenkönnen des Planungsfehlers nicht zusätzliche Schalter öffnet, liegt ein typisches Organisationsverschulden vor – ein unternehmerisches Risiko, das nicht auf den Fluggast abgewälzt werden kann. Daher kann einem Fluggast, der sich in einer langen Warteschlange vor den Abfertigungsschaltern anstellt, das Verharren von Fluggästen in der Schlange bei fortschreitendem Zeitverlauf kein gravierendes Mitverschulden angelastet werden, wenn er nicht zuvor vom Luftfahrtunternehmen aufgefordert wurde, sich sofort an einem benannten Abfertigungsschaltern zu bevorzugten Abfertigung zu melden (a.A. aber AG Düsseldorf, Urt. v. 16.12.2014 – 42 C 9584/14, RRa 2016 26 m. abl. Anm Schmid RRa 2016, 27).

22     Eine Klausel in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen zum Check-in, die nicht auf das rechtzeitige Einfinden des zu befördernden Passagiers im Abfertigungsbereich des Luftfahrtunternehmens abstellt, sondern auf die rechtzeitige Abfertigung des Fluggastes („Besitz der Bordkarte“), ist gemäß § 307 BGB unwirksam (so auch AG Bremen, Urt. v.  26.07.2012 – 9 C 91/12, juris Rn. 21; Schmid, RRa 2016, 27).

23   Wird ein Fluggast erst zu einem Zeitpunkt abgefertigt, der weniger als 45 Minuten beträgt, weil die Abfertigung der Passagiere, die sich vor ihm angestellt haben, lange dauert, so ist dies unbeachtlich. Denn es ist Aufgabe des Luftfahrtunternehmens, den Abfertigungslauf so einzurichten, dass ein rechtzeitig vor Meldeschluss eintreffender Fluggast rechtzeitig abgefertigt werden kann (AG Düsseldorf 21.1.2006 – 41 C 12361/05, RRa 2006, 130 m. Anm. Themann RRa 2006, 131: Unnötige Förmelei, wenn Fluggast ohnehin von der Passagierliste gestrichen wurde). Es kann nicht verlangt werden, dass der Fluggast die „beim heutigen Flugverkehr üblicherweise auftretenden Wartezeiten“ berücksichtigt (so aber BGHS Wien, a.a.O.). Denn diese sind nicht nur von Flughafen zu Flughafen, sondern auch je nach Tageszeit unterschiedlich. Da diese Umstände aber einem Luftfahrtunternehmen bekannt sind, ist es dessen Aufgabe, solche Umstände bei der Angabe der Meldeschlusszeiten zu berücksichtigen. Dies dürfte in gleicher Weise für eine Verlängerung der Mindestumsteigezeit gelten, etwa wegen zu erwartender Abfertigungsschlangen bei den Sicherheitskontrollen.

24      Auch hat das Luftfahrtunternehmen vor Schließung des Abfertigungsschalters für einen bestimmten Flug noch fehlende Fluggäste des betreffenden Fluges aufzurufen, wenn sich vor dem Abfertigungsschalter immer noch eine Warteschlange befindet. Nach Ansicht des AG Charlottenburg, Urt. v. 21.04.2009 – 226 C 331/08, RRa 2009, 189 f.) soll den Fluggast ein Mitverschulden treffen, wenn er wegen einer Warteschlange absehbar nicht mehr rechtzeitig abgefertigt wird und sich nicht von sich aus meldet. Es liegt aber kein Fall der ausgleichspflichtigen Nichtbeförderung vor, wenn der Flugreisende infolge einer ihm nicht zugegangenen Flugzeitenänderung seinen Flug nicht erreicht, weil dieser um 3 Stunden vorverlegt wurde (AG Charlottenburg, Urt. v. 30.10.2009 – 207 C 290/09, RRa 2010, 38 = BeckRS 2010, 04889).

25      Art. 3 Abs. 2 VO bezieht sich ausschließlich auf den Check-in am Abfertigungsschalter und nicht auf das Erscheinen des Fluggastes am Flugsteig. Auch wenn dieser erst 30 Minuten vor Abflug am Check-in erscheint, aber noch abgefertigt wird, kann das Luftfahrtunternehmen ihm die Beförderung nicht verweigern und sich nicht mehr darauf berufen, dass er sich nicht 45 Minuten vor Abflug am Check-in eingefunden hat (LG Frankfurt, Urt. v. 25.03.2013 – 2-24 S 151/12).

26    Ein Fluggast, der bei einem bestimmten  Luftfahrtunternehmen einen so genannten Code-Share-Flug gebucht hat, muss ohne besonderen Hinweis nicht automatisch davon ausgehen, dass die Abfertigung seines Fluges nicht vom vertraglichen Luftfrachtführer, sondern von dessen Code-Share-Partner vorgenommen wird. Unterlässt es ein noch nicht durchabgefertigter Fluggast, nach Ankunft seines Zubringerfluges auf der Anzeigetafel am Flughafen nachzusehen, wo sein Anschlussflug abgefertigt wird, trifft ihn kein Mitverschulden, wenn er sich zunächst an einem Schalter des vertraglichen Luftfrachtführers anstellt und während der Wartezeit die Abfertigung des Fluges am Schalter des ausführenden Luftfrachtführers verpasst (OLG Frankfurt, Urt. v. 05.08.2005 – 19 U 57/05, RRa 2006, 34 f.; so schon: LG Frankfurt, Urt. v. 27.01.2005 – 2/26 O 416/03, RRa 2005, 133 f.).

26a     Nach Blankenburg (RRa 2013, 61, 67) kann als geklärt gelten, dass ein Erscheinen bis zum Abschluss des Boardings ausreicht, wenn zwei Flüge verschiedener Fluggesellschaften gemeinsam abgefertigt werden. Würden hingegen zwei eigenständige Flüge vorliegen, die der Fluggast selbst zusammengestellt hat, soll für die Anwendung des Art. 3 Abs. 2 VO ein Erscheinen bis zum Abschluss des Boardings nicht ausreichen; es bestehe dann für den 2. Flugabschnitt kein Ausgleichsanspruch. Liege jedoch eine Verspätung im ersten Flugabschnitt vor und erscheine der Fluggast für den 2. Flug noch rechtzeitig bis zum Abschluss des Boardings und wurden beide Flüge verschiedener Fluggesellschaften gemeinsam abgefertigt, könne gegenüber beiden Fluggesellschaften ein Ausgleichsanspruch geltend gemacht werden; beide Gesellschaften würden als Gesamtschuldner haften mit der Möglichkeit eines Innenausgleichs zwischen den beiden Fluggesellschaften gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB (Blankenburg, a.a.O., S. 69, auch zu der erheblichen Verspätung bei beiden Flugabschnitten).

26b     Wird der Reisende mit seinem Reisegepäck bereits am Abflugort des Zubringerfluges auch für den Anschlussflug abgefertigt, setzt eine Ausgleichszahlung wegen Nichtbeförderung auf dem Anschlussflug weder eine erneute Abfertigung am Umsteigeflughafen noch eine Ankunft 45 Minuten vor dem Abflug des Anschlussfluges voraus (BGH, Urt. v. 28.08.2012 – X ZR 128/11, RRa 2012, 285 f.).

27    Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht verfügbar ist, haben nach Art. 3 Abs. 3 VO keine Rechte aus der Verordnung. Bei sprachlich-grammatikalischer Auslegung besteht kein Zweifel, dass Art. 3 Abs. 3 VO zwei Fallvarianten erfasst: Reisende, die kostenlos reisen und solchen die zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Der Relativsatz bezieht sich allein auf die 2. Variante (so auch Wahl, RRa 2013, 266 ff. AG Rüsselsheim, Urt. v. 29.10.2013 – 3 C 2404/13-32). Bei einer Flugpauschalreise kommt es nach Ansicht des LG Darmstadt (Urt. v. 19.02.2014 – 7 S 99/13, RRa 2014, 84 = BeckRS 2014, 08340) nicht darauf an, ob der Reiseveranstalter des Fluggastes einen Preis für die Luftbeförderung berechnet hat, sondern ob das Luftfahrtunternehmen den Fluggast kostenlos befördert hat.

28     Kostenlos Reisende sind mit Recht ausgeschlossen, weil es unbillig wäre, dass diese – wie vollzahlende Fluggäste – Ansprüche nach der Verordnung geltend machen könnten, während Reisende, die zu öffentlich nicht zugänglichen Sondertarifen, befördert werden, keine Ansprüche geltend machen können, obwohl sie immerhin einen Teil des vollen Tarifs gezahlt haben (so auch Wahl, a.a.O.). Deshalb hat nach zutreffender Ansicht des BGH (Urt. v. 17.03.2015 – X ZR 35/14, RRa 2015, 182) ein kostenlos befördertes Kleinkind auch dann keinen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 VO, wenn sich die Entgeltfreiheit aus einem für die Öffentlichkeit verfügbaren Tarif ergibt.

III. Absatz 3

29   Unter einem „reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist“, ist nicht schon jeder ungewöhnlich niedrige Preis eines Luftfahrtunternehmens zu verstehen, wie er insbesondere von den sog. „Billig-Fliegern“ angeboten wird (Art. 3 Abs. 3 VO). Gemeint sind Flüge, bei denen der Fluggast zu einem Sondertarif fliegt, der am freien Markt nicht erhältlich ist, so etwa Freiflüge oder Sondertarife für (aktive oder ehemalige) Mitarbeiter von Luftfahrtunternehmen oder Reiseveranstaltern. Solche Flüge sind in der Regel mit „ID“ (Industry Discount) oder „AD“ (Agent Discount) gekennzeichnet. Reist ein Reisebüro-Expedient z.B. auf Einladung eines Reiseveranstalters oder einer Fluggesellschaft im Rahmen eines Produktvorstellungsprogramms (Personal Education Program) zum „Null-Tarif“ (PEP-Tarif), so kann er im Fall einer Flugannullierung, Nichtbeförderung oder einer Verspätung keine Ansprüche aus der Verordnung herleiten. Die Tarife, die ein Luftfahrtunternehmen einem Reiseveranstalter für Flüge im Rahmen einer Flugpauschalreise zur Verfügung stellt, sind keine gegenüber einem „Normaltarif“ reduzierten Tarife. So hat auch das LG Darmstadt (Urt. v. 02.03.2011 – 7 S 95/10, RRa 2011, 135 f.; Urt. v. 18.12.2013 – 7 S 90/13) entschieden und dabei zutreffend festgestellt, dass jede andere Betrachtung zur Konsequenz hätte, „dass bei der Beförderung für Reiseveranstalter die meisten Passagiere zu einem reduzierten Tarif fliegen und damit aus dem Anwendungsbereich der Verordnung fallen würden.“ Dies sei aber erkennbar nicht das Ziel dieser Verordnung (vgl. Ziff. 5 der Erwägungsgründe).

30   Von diesen „Funktionsrabatten“ (so Hausmann, Europäische Fluggastrechte, S. 69) zu unterscheiden sind die zeitabhängigen Rabatte (z.B. ein Frühbucher-Rabatt“, „Last-minute-Angebote“) und die Rabatte, für die bestimmte persönliche Voraussetzungen (z.B. Alter, Gruppenzugehörigkeit) beim Fluggast vorliegen müssen, sofern sie für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Als „Öffentlichkeit“ kann nur die Gesamtheit von Personen gemeint sein, die außerhalb des Unternehmens der Fluggesellschaft stehen, nicht aber Mitarbeiter der betreffenden Fluggesellschaft oder auch von touristischen Unternehmen, mit denen das Luftfahrtunternehmen kooperiert. Diese sollen bei Einräumung von reduzierten Tarifen für ihre Flugreise nicht ihren Arbeitgeber bzw. das andere touristische Unternehmen mit der Forderung auf Ausgleichszahlung oder Einräumung von Betreuungsleistungen belasten können. Muss ein von einem Erwachsenen begleitetes Kleinkind unter 2 Jahren (Infant) nur 10% des Flugpreises bezahlen, liegt ein (zumindest mittelbar) öffentlich verfügbarer Tarif vor (so auch Hausmann, a.a.O., S. 66). Gleiches gilt für einen „Seniorentarif“ oder einen „Studententarif“ usw.

31     Fraglich ist, ob ein „Journalisten-Tarif“ ein Tarif ist, der „der Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Als „Öffentlichkeit“ kann nur die Gesamtheit von Personen gemeint sein, die außerhalb des Unternehmens der Fluggesellschaft steht, nicht aber Mitarbeiter der betreffenden Fluggesellschaft oder eines touristischen Unternehmens, mit denen das Luftfahrtunternehmen kooperiert. Der Journalistentarif steht allen Journalisten und damit der (wenn auch begrenzten) Öffentlichkeit zur Verfügung. Die Einräumung eines solchen Tarifs ist daher gleichzusetzen mit der Einräumung eines Kindertarifs, der zwar ebenfalls reduziert ist, aber der Öffentlichkeit (der „Gemeinschaft aller Kinder“) zur Verfügung steht (a.A. LG Frankfurt a. M.  06.06.2014 – 2 – 24 S 207/13). In diesem Verständnis kann der Ausschluss durch Art. 3 Abs. 3 VO nicht greifen. Das muss insbesondere dann gelten, wenn der Journalist zunächst einen nicht reduzierten „öffentlich zugänglichen“ Tarif bucht und das Luftfahrtunternehmen im Nachhinein prüft, ob ihm ein Teil des Tarifs erstattet oder erlassen wird.

32     Legt ein Reiseveranstalter einen vom Luftfahrtunternehmen angebotenen Tarif, der aber in den Reiseunterlagen nicht gesondert ausgewiesen wird und daher dem Reisenden nicht bekannt ist, dem Reisepreis zugrunde, handelt es sich nicht um einen reduzierten Tarif, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Denn der vom Reisenden über den Reiseveranstalter nur mittelbar an das befördernde Luftfahrtunternehmen gezahlte Flugpreis ist ein „öffentlich verfügbarer Tarif“ i.S.v. Art. 3 Abs. 3 VO (AG Düsseldorf, Urt. v. 28.09.2006 – 39 C 9179/06, RRa 2007, 38 f.; LG Darmstadt, Urt. v. 02.03.2011 – 7 S 95/10, RRa 2011, 135 f.; Urt. v. 18.12.2013 – 7 S 90/13). Auch ein vom Reiseveranstalter angebotener „Kindertarif“ ist „öffentlich verfügbar“, wenn er ein vergünstigter Tarif“ ist, der jedem Kind und damit für die Öffentlichkeit verfügbar ist (so auch für ein sechsmonatiges Kleinkind: LG Stuttgart, Urt. v. 07.11.2012 – 13 S 95/12, RRa 2013, 130 = NJW 2013, 380 = NZV 2013, 303; Wahl, RRa 2013, 262 ff.).

33    Nach zutreffender Ansicht von Hausmann (a.a.O., S. 67) gilt das Vorstehende auch für eine (selbst organisierte) Reisegruppe, für die ein Luftfahrtunternehmen eine Gruppenermäßigung (Gruppen-Tarif) anbietet. Es gibt keinen sachlichen Grund, diese Reisegruppe anders zu behandeln als eine von einem Reiseveranstalter gebildete „Reisegruppe“, um für den einzelnen Reisenden eine Ermäßigung des Beförderungsentgeltes zu erreichen

34    Auch mengenrabattierte Flugpreise, die ein Luftfahrtunternehmen einem Unternehmen anbietet, das in einem bestimmten Zeitraum ein Mindestvolumen von Flügen für ihre geschäftsreisenden Mitarbeiter bucht            („Corporate Discounts“, CD), sind vom Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 3 nicht erfasst (ebenso: Hausmann, a.a.O., S. 68; wohl auch: Haanappel, ZLW 2005, 22, 23).

35   Nach Art. 3 Abs. 4 VO gilt die Verordnung nur für Fluggäste, die von Motorluftfahrzeugen mit festen Tragflächen befördert werden.

36   Die Verordnung gilt nach Art. 3 Abs. 5 VO für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die Beförderung für Fluggäste im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und 2 VO erbringen. Erfüllt ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung, so wird davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht.

37   Die Verordnung verpflichtet somit zu Ausgleichszahlungen und Unterstützungsleistungen nicht das  Luftfahrtunternehmen, das die konkrete Luftbeförderung vertraglich schuldet, sondern ausschließlich dasjenige, welches den konkreten Flug durchführt oder durchführen sollte, auf dem der Fluggast nicht befördert wird oder sonst von einer Flugunregelmäßigkeit betroffen ist. Welche vertragliche Konstruktion dem Fluggeschehen zugrunde liegt, ist nicht maßgebend. So gilt die Verordnung sowohl für Fluggäste, die den Flug beim Luftfahrtunternehmen gebucht haben als auch für  Reisende, deren Flug Teil einer Flugpauschalreise nach Maßgabe des Pauschalreiserechts ist(§§ 651a ff. BGB und Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie (EU) 2015/2302 vom 25.11.2015 , ABl. EU 2015 L 326, 1).

38    Gleich, ob der Fluggast einen sog. Nur-Flug gebucht hat oder im Rahmen einer Flugpauschalreise befördert wird, richtet er also seine Ansprüche gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen, auch wenn keine Vertragsbeziehung zwischen ihm und diesem Luftfahrtunternehmen besteht. Das Gleiche gilt, wenn das ursprünglich vorgesehene Luftfahrtunternehmen den Flug nicht durchführen kann und ein anderes Luftfahrtunternehmen mit der Luftbeförderung beauftragt. Ebenso im Falle eines Code-Share-Fluges, wenn das vertraglich verpflichtete Luftfahrtunternehmen planmäßig und wie mit seinem Code-Share-Partner abgesprochen, bei einem Rundflug (z.B. von Frankfurt über New York nach Miami und zurück) dem Fluggast zwar für jeden Flugabschnitt ein Ticket ausstellt, selbst aber lediglich von Frankfurt nach New York und zurück fliegt, für die inneramerikanischen Flüge aber unter seiner Flugnummer einen seiner US-amerikanischen Code-Share-Partner fliegen lässt. Siehe hierzu: BGH, Urt. v. 26.11.2009 – Xa ZR 132/08, RRa 2010, 85 f. = NJW 2008, 2119: Im Fall des Code-Sharing ist nur dasjenige Flugunternehmen, das den Flug tatsächlich durchführt, ausführendes Luftfahrtunternehmen im Sinne von Art. 2 lit. b VO und damit im Falle der Annullierung des Fluges zu Unterstützungsleistungen und Ausgleichleistungen verpflichtet (so schon: AG Frankfurt, Urt. v. 15.06.2007 – 31 C 739/07-23, RRa 2008, 48 f.).

39    Zum „ausführenden Luftfahrtunternehmen“ siehe Art. 2 VO  Rn. 3 sowie BGH, Beschl. v. 11.03.2008 – X ZR 49/07, RRa 2008, 175 f. = NJW 2008, 2119 f. = DAR 2008, 467 f., Führich, LMK 2008, 266064 (Heft 9/2008); AG Oberhausen, Urt. v. 11.12.2006 − 35 C 2313/06, RRa 2007, 91 f., mAnm. Führich, RRa 2007, 58 f.

39a   Die Tatsache, dass eine bestimmte Fluggesellschaft „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ war, ist eine für den Fluggast günstige, weil anspruchsbegründende Tatsache, für das der Fluggast als Kläger im Zivilprozess die volle Darlegungs- und Beweislast trägt. Etwas anderes gilt nach zutreffender Ansicht des LG Düsseldorf (Urt. v. 13.12.2014 – 22 S 234/12 RRa 2014, 208 = BeckRS 2014, 17370 = juris), wenn sich das beklagte Luftfahrtunternehmen im Nachgang zur gescheiterten Beförderung wie das ausführende Luftfahrtunternehmen verhält, indem es sich mit der Abwehr der vom Fluggast geltend gemachten Ansprüche befasst hat. In diesem Fall muss das in Anspruch genommene Luftfahrtunternehmen beweisen, dass es nicht „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ war.

40    Art. 3 Abs. 3 VO findet nur bei einer Direktbuchung Anwendung. Legt ein Reiseveranstalter einen vom Luftfahrtunternehmen angebotenen, dem Reisenden aber nicht bekannten Flugtarif zugrunde, handelt es sich nicht um einen reduzierten Tarif, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist (LG Darmstadt, Urt. v. 02.03.2011 − 7 S 95/10, RRa 2011, 134 f.).

41   Der Fluggast eines Fluges, aber auch der Reisende einer Flugpauschalreise macht seine Ansprüche nach der Verordnung ausschließlich beim ausführenden Luftfahrtunternehmen geltend, auch wenn keine Vertragsbeziehungen zwischen ihm und dem Luftfahrtunternehmen bestehen. Der Reiseveranstalter einer Flugpauschalreise ist zwar nach dem Montrealer Übereinkommen vertraglicher Luftfrachtführer, jedoch nicht Schuldner im Rahmen der Verordnung (BGH, Beschl. v. 11.03.2008 – X ZR 49/07, RRa 2008, 175 f. = NJW 2008, 2119). Nach Erwägungsgrund 7 der Verordnung obliegen die Verpflichtungen aus der Verordnung nur dem ausführenden Luftfahrtunternehmen. Dieses ist in Art. 2 lit. b VO definiert. Die Reiseunternehmen sind nach Art. 2 lit. d VO ausdrücklich mit dem Zusatz „mit Ausnahme von Luftfahrtunternehmen“ definiert. Der Wortlaut in Art. 3 Abs. 5, Art. 4 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 1 lit. c VO ist klar und eindeutig, so dass auch eine analoge Anwendung der Verordnung auf Reiseveranstalter ausgeschlossen ist, da keine unbeabsichtigte Regelungslücke vorliegt.

42    Schon der Titel der Verordnung „über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen…“ bezeichnet deutlich den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung und damit den Anspruchsberechtigten, nämlich eben den „Fluggast“. Ist der Fluggast aber Arbeitnehmer auf Dienstreise, soll dessen Anspruchsberechtigung fraglich sein. Wenn der betroffene Flug vom Arbeitgeber für die Dienstreise gebucht und bezahlt wurde, soll der Anspruch nur dem Arbeitgeber zustehen (so AG Emden, Urt. v. 27.01.2010 am 10.7.2008 − 5 C 197/06, RRa 2010, 135 mAnm. Schmid RRA 2010, 136). Dem ist das Berufungsgericht jedoch nicht gefolgt: Das LG Aurich hat hierzu in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, der „Fluggast“ sei der zentrale Begriff der Verhandlung. Der Kontext der Verordnung verwendet den Begriff „Fluggast“ an vielen Stellen, so z.B. bezüglich des Schutzes für „Fluggäste, die einen Flug antreten“ (Erwägungsgrund 6), in Bezug auf „Fluggäste, die nicht befördert werden“ (Erwägungsgrund 10) oder in Bezug auf die „Betreuung von Fluggästen“ (Erwägungsgrund 18).

43      In keiner ihrer Regelungen stellt die Verordnung aber als Anspruchsvoraussetzung auf eine Vertragsbeziehung des Fluggastes mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen ab. Eine juristische Person kann weder einen Flug antreten noch von einer Annullierung betroffen sein oder betreut werden. Anspruchsinhaber ist vielmehr derjenige, der den Anspruch auf Beförderung (aufgrund eines Vertrages, den er nicht notwendiger Weise selbst geschlossen haben muss) hat. Dies ist beim Vertrag zugunsten Dritter (zwischen Arbeitgeber und Fluggesellschaft) ausdrücklich der begünstigte „Dritte“, also der dienstreisende Mitarbeiter als Fluggast (Degott, Geschäftsreise effektiv, Ausgabe 6/Juni 2010, S. 1 f.; ders. SR-TOUR, Heft 05/2010, S. 16 f. Siehe dazu auch Brecke, ZLW 2012, 358 ff. und Schmid, RRa 2012, 136 f.).

44   Gegebenenfalls kann das ausführende Luftfahrtunternehmen nach Art. 13 VO wegen geleisteter Unterstützungs- und Ausgleichsleistungen beim Reiseveranstalter Regress nehmen. Jedoch ist Anspruchsgegner  des Fluggastes im Rahmen der Verordnung lediglich das den Flug ausführende Luftfahrtunternehmen und nicht der vertragliche Luftfrachtführer, also weder das den Flugschein ausstellende Luftfahrtunternehmen noch der Reiseveranstalter. Ein Reisender soll somit nach Ansicht des LG Darmstadt (Urt. v. 12.07.2006 – 21 S 20/06, RRa 2006,228).keinen Anspruch auf Ausgleichszahlung wegen Nichtbeförderung haben, wenn nicht das ausführende Luftfahrtunternehmen, sondern der Reiseveranstalter ihn auf einen anderen Flug umbucht (anders noch: AG Rüsselsheim, Urt. v. 06.01.2006 – 3 C 1127/05-33, RRa 2006,93) .

45 

Es ist gleichwohl strittig, ob die Verordnung auch auf eine Umbuchung anzuwenden ist, die nicht durch das ausführende Luftfahrtunternehmen, sondern allein durch das Reiseunternehmen veranlasst worden ist. Diese Frage hat der BGH (Beschl 07.10.2008 – X ZR 96/06, RRa 2009, 89 f., Besprechung Führich LMK 2009, 273370) dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das Verfahren ist beim EuGH als Rechtssache C-525/08 – Bienek ./. Condor) geführt (ABl. EG 2009 C 55, 8), dann aber wieder aus dem Register gestrichen worden. Das AG Rüsselsheim (06.01.2006 – 3 C 1127/05-35, RRa 2006, 92) hatte in der ersten Instanz zutreffend entschieden, dass auch die Umbuchung des Fluggastes auf einen anderen Flug durch den Reiseveranstalter einen Anspruch auf Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechte-Verordnung begründet (ebenso: AG Bremen 14.12. 2010 – 18 C 73/10, NJW-RR 2011, 853 = RRa 2014, 97 = BeckRS 2011, 00768; AG Düsseldorf 10.10.2013 – 23 C 6252/13, NJW-RR 2014, 437 = BeckRS 2014, 01002). (ebenso: AG Düsseldorf, Urt. v. 10.10.2013 – 23 C 6252/13, NJW-RR 2014, 437).

46         Die Verordnung lässt nach Abs. 6 S. 1 die aufgrund der RL 90/314/EWG (jetzt: RL (EU) 2015/2302) und §§ 651a ff. BGB bestehenden Fluggastrechte unberührt. Die Verordnung gilt nicht für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird (Abs. 6 S. 2 VO).

47      Die Verordnung schafft somit keine vertraglichen Rechte des Fluggastes gegen sein vertragliches Luftfahrtunternehmen. Sie gewährt vielmehr gesetzliche Ansprüche als Mindestrechte gegen das den Flug tatsächlich ausführende Luftfahrtunternehmen unabhängig davon, ob den Fluggästen tatsächlich ein Schaden entstanden ist (BGH, Urt. v. 30.04.2009 – Xa ZR 78/08, RRa 2009, 239 = NJW 2009, 2740 = BeckRS 2009, 20181). Die Verordnung enthält also kein umfassendes Regelwerk für sämtliche Fluggastrechte, wenn ein Fluggast nicht oder verspätet befördert wird. Vielmehr werden nur gesetzliche, außervertragliche Mindestrechte bei Nichtbeförderung, Annullierung oder großer Ankunftsverspätung geschaffen (Führich, Reiserecht §38 Rn. 1).

46         Die Verordnung lässt nach Abs. 6 S. 1 die aufgrund der Richtlinie 90/314/EWG (jetzt: Richtlinie (EU) 2015/2302) und §§ 651a ff. BGB bestehenden Fluggastrechte unberührt. Die Verordnung gilt nicht für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird (Abs. 6 S. 2 VO).

48   Gemäß Art. 3 Abs.1 lit. b VO ist die Anwendung der VO ausgeschlossen, wenn der Fluggast an einem in einem sog. Drittstaat gelegenen Abflugsort bereits Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten hat. Insoweit ist erforderlich, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen konkret vorträgt, welche einzelnen Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen dieser Fluggast empfangen hat. Es genügt nicht, pauschal auf „Verpflegung“ und „Hotelunterbringung“ aller Passagiere zu verweisen. Denn die konkret erbrachten Unterstützungsleistungen müssen ihrem Umfang nach mit der dem einzelnen Fluggast zu leistenden Ausgleichsleistung vergleichbar sein, um diese zu ersetzen (AG Bremen, Urt. v. 29.11.2013 – 2 C 0049/13, RRa 2014,207).