a) der binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zu-rückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist, gegebenenfalls in Verbindung mit einem Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt, b) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder c) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Flug-gastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze. (2) Absatz 1 Buchstabe a) gilt auch für Fluggäste, deren Flüge Bestandteil einer Pauschalreise sind, mit Ausnahme des Anspruchs auf Erstattung, sofern dieser sich aus der Richtlinie 90/314/EWG ergibt. (3) Befinden sich an einem Ort, in einer Stadt oder Region mehrere Flughäfen und bietet ein ausführendes Luftfahrtunternehmen einem Fluggast einen Flug zu einem anderen als dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen an, so trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen die Kosten für die Beförderung des Fluggastes von dem anderen Flughafen entweder zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit dem Fluggast vereinbarten Zielort.
1 Art. 8 VO gibt dem Fluggast eine Wahlrecht auf verschiedene Unterstützungsleistungen, die er vom ausführenden Luftfahrtunternehmen beanspruchen kann.
2 Ansprüche auf Betreuungsleistungen entstehen
- im Falle der Nichtbeförderung, Art. 4 Abs. 3 VO,
- bei einer Flugannullierung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. a VO und
- im Falle der großen Verspätung mit mindestens 5 Stunden, Art. 6 Abs. 1 lit. i – iii, Abs. 2 VO.
3 Die Ausgleichsansprüche des Art. 7 Abs. 1 VO (250 EUR bei Flügen über eine Entfernung von 1.500 km oder weniger; 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1.500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1.500 km und 3.500 km; 600 EUR bei allen sonstigen Flügen) können um 50 % gekürzt werden, wenn den Fluggästen gemäß Art. 8 VO eine anderweitige Beförderung zu ihrem Endziel mit einem Alternativflug angeboten wird, dessen Ankunftszeit bei allen Flügen über eine Entfernung von 1.500 km oder weniger nicht später als 2 Stunden oder
- bei allen innergemeinschaftlichen Flügen bei einer Entfernung von mehr als 1.500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1.500 km und 3.500 km nicht später als 3 Stunden oder
- bei allen sonstigen Flügen nicht später als 4 Stunden
nach der planmäßigen Ankunftszeit des ursprünglich gebuchten Fluges liegt (Art. 7 Abs. 2 VO).
4 Der Fluggast kann die vollständige Erstattung der Flugscheinkosten für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte zu dem Preis verlangen, zu dem der Flugschein erworben wurde, Gleiches gilt für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist. Dieser Anspruch besteht gegebenenfalls in Verbindung mit einem Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt (Art. 8 Abs. 1 lit. a VO).
5 Wählt der Fluggast diese Möglichkeit, wird der Luftbeförderungsvertrag im Ergebnis rückabgewickelt, soweit er noch nicht erfüllt ist bzw. soweit die Erfüllung des Luftbeförderungsvertrages ihren Zweck verfehlt hat. Dies bedarf einer ausdrücklichen Erklärung des Fluggastes, die im Ergebnis das ausführende Luftfahrtunternehmen aus seiner Pflicht entlässt, sich um eine anderweitige Beförderung zum Endziel zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder um eine anderweitige Beförderung zum Endziel zu bemühen und diese darzustellen.
6 Entscheidet sich der Fluggast also für den Rücktritt und die Erstattung der Flugscheinkosten, verzichtet er auf die übrigen Wahlrechte, bekommt zwar binnen 7 Tagen die Flugscheinkosten auf den üblichen Zahlungswegen zurück (Art. 7 Abs. 3 VO), ist aber bezüglich einer Rückbeförderung oder Weiterbeförderung oder auch der sonstigen Betreuungsleistungen des Art. 9 VO, auf sich allein gestellt.
7 Ein Fluggast übt deshalb bei Rückforderung des Flugpreises sein Wahlrecht nach Art. 8 VO im Zweifel nur dann rechtswirksam aus, wenn er zuvor auf die Rechtsfolgen seines Handelns, insbesondere den hierin liegenden Verzicht auch auf weitergehende Schadensersatzansprüche, ausdrücklich hingewiesen wurde (AG Bremen, Urt. v. 04.08. 2011 – 9 C 135/11, Rn 23, NJW-RR 2012, 378 f. = juris).
8 Auch wenn der Fluggast die Erstattung der Flugscheinkosten wählt, hat er immer noch den Anspruch gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen auf einen Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist.
9 Die anderen Wahlrechte des Fluggastes (Art. 8 Abs. 1 lit. b und c VO) betreffen die anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt bzw. auf eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze. Von „vergleichbaren Bedingungen“ kann man nach Ansicht des LG Köln (Urt. v. 09.04.2013 – 11 S 241/12, RRa 2014, 34) bei einer Beförderung mittels Bahn statt Flugzeug nicht ausgehen.
10 In der Literatur wird die Ansicht vertreten, der Begriff „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ sei so auszulegen, dass sich das Luftfahrtunternehmen auf die Grenzen seiner eigenen Kapazität berufen kann und damit eine Begrenzung auf den nächsten verfügbaren, eigenen Platz des Luftfahrtunternehmens enthält (Führich, Reiserecht [6. Aufl.] Rn. 1049; Lienhard, GPR 2004, 259, 263). Dem kann nicht zugestimmt werden, weil dies im Widerspruch zu dem die Verordnung tragenden Gedanken der Sicherung und Erhöhung des Schutzstandards für Fluggäste stünde.
11 Denn auch bei Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes (z.B. Fluglotsenstreik) trifft ein Luftfahrtunternehmen die Obliegenheit zur Sicherstellung der frühestmöglichen Rückbeförderung der Fluggäste. Das Luftfahrtunternehmen ist grundsätzlich zum Schadensersatz (nicht aber zur Ausgleichszahlung) verpflichtet, wenn der Fluggast in Eigenregie die Beförderung zum Zielort organisieren muss, weil die vom Luftfahrtunternehmen angebotene Alternativ-Beförderung erst zu einem unangemessen späteren Zeitpunkt erfolgt wäre; denn das Luftfahrtunternehmen ist bei einer Flugannullierung gehalten, die Beförderungsverpflichtung notfalls durch Inanspruchnahme von Leistungen Dritter, insbesondere anderer Fluglinien, zeitnah zu erfüllen (AG Bremen, Urt. v. 04.08.2011 – 9 C 135/11, NJW-RR 2012, 378 f.). Ein Luftfahrtunternehmen, das sich bei einem Fluglotsenstreik entlasten will, muss daher vortragen, in welcher Form es sich bemüht hat, den Fluggast zum frühestmöglichen Zeitpunkt zum Endziel zu befördern (so auch AG Hannover, Urt. v. 26.11.2014 – 506 C 3954/14, RRa 2015, 36).
12 So wird auch vertreten, der Anspruch aus Art. 8 Abs. 1 lit. b oder c VO stelle keinen Schadensersatzanspruch, sondern eine verschuldens- unabhängige Unterstützungsleistung (im Sinne des Fortbestehens der ursprünglichen Leistungsverpflichtung) dar und beschränke sich auf eine „anderweitige Beförderung“ durch das betroffene Luftfahrtunternehmen „vorbehaltlich verfügbarer Plätze“, nicht aber durch ein anderes Luftfahrtunternehmen, geschweige denn eine „sonstige Beförderungsart“ (z.B. Mietwagen oder Bahn) bzw. die Unterbringung in einem Hotelzimmer (LG Potsdam, Urt. v. 27.10.2010 – 13 S 89/10, RRa 2011, 87 f.). Diese Entscheidung lässt sich mit dem klaren Wortlaut der Vorschrift nicht in Einklang bringen, der gerade keine solche Beschränkung auf eigene Flugdienste vorsieht. Ein solch einschränkendes Verständnis würde auch dem Zweck der Verordnung, ein hohes Schutzniveau der Fluggäste zu erreichen (Erwägungsgrund 1) und Ärgernisse und Unannehmlichkeiten für Fluggäste zu verringern (Erwägungsgrund 12), ausdrücklich widersprechen.
13 Jedenfalls bestehen die Ansprüche des Fluggastes auf Unterstützungsleistungen nach Art. 8 VO, ohne dass es darauf ankäme, ob das ausführende Luftfahrtunternehmen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO nachweisen könnte, dass die Annullierung, Nichtbeförderung oder Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Denn: Art. 5 Abs. 3 VO kann weder unmittelbar noch analog auf Unterstützungs- und Betreuungsleistungen der Art. 8 und 9 VO angewendet werden (EuGH 31.1.2013, Rs C-12/11 – McDonagh ./. Ryanair, RRa 2013, 81 f. = NJW 2013, 921 = EuZW 2013, 223 = ZLW 2013, 373). So zuvor schon: AG Rüsselsheim 11.1.2011 – 3 C 1698/10-32, RRa 2011, 93 f. = NJW-RR 2011, 560 f.; AG Rüsselsheim 21.12.2011 – 3 C 229/11-36, RRa 2012, 95 = LSK 2012, 160675; AG Frankfurt a.M. 1.6.2011 – 29 C 2320/10-21, RRa 2012, 32 (33 ) = LSK 2012, 390063).
14 Die Ersatzbeförderungspflicht des ausführenden Luftfahrtunternehmens bezieht sich für die anderweitige Beförderung zum Endziel nach Art. 8 Abs. 3 VO auch auf nahegelegene Flughäfen. Insoweit gilt: Der Ausschlussgrund des Art. 5 Abs. 3 VO bezieht sich nach seinem ausdrücklichen Wortlaut nur auf Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 VO und nicht auf Unterstützungsleistungen gemäß Art. 8 VO, so dass die Ansprüche gemäß Art. 8 VO vom ausführenden Luftfahrtunternehmen verschuldensunabhängig und ohne Exkulpationsmöglichkeit zu leisten sind. Erfolgt der Transport zu einem anderen als zu dem vereinbarten Zielflughafen mit einem anderen Transportmittel als einem Flugzeug, gilt Art. 8 Abs. 3 VO gleichermaßen (AG Frankfurt, Urt. v. 01.06.2011 – 29 C 2320/10-21, RRa 2012, 32 (33 ) = LSK 2012, 390063).
15 Was den Anspruch auf vollständige Erstattung der Flugscheinkosten (Art. 8 Abs. 1 lit. a VO) angeht, ergibt sich nach Art. 8 Abs. 2 VO eine Modifizierung, falls der Flug Teil einer Flugpauschalreise gewesen ist. Insoweit gilt der Vorrang der Gewährleistungs- und Schadensersatzrechte aus Reisevertrag gemäß §§ 651a ff. BGB, mit denen die in der Verordnung erwähnte Pauschalreise-Richtlinie 90/314/EWG in deutsches Zivilrecht umgesetzt worden ist. Diese Modifizierung bezieht sich aber nur auf die Erstattung von Ticket-Kosten und kommt nicht zum Tragen, wenn der Fluggast etwa die anderweitige Beförderung mittels Ersatzflug wählt oder in Bezug auf den Anspruch auf Ersatzbeförderung mit Bahn, Bus oder Schiff.
16 In der Literatur wird vertreten, die Erheblichkeitsschwelle von 5 Stunden bei Rücktritt wegen Verspätung (Art. 6 Abs. 1, iii VO) sei grundsätzlich auch im Rahmen von Art. 8 VO zu berücksichtigen (Führich, Reiserecht [6. Aufl.], Rn. 1049, 1002 f.), obwohl Art. 6 VO doch diese Erheblichkeitsschwelle von 5 Stunden lediglich für den Fall der Verspätung vorgibt.
17 Die Unterstützungs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Fall der erheblichen Verspätung eines Fluges i.S.d. Art. 6 VO stellen standardisierte sofortige Maßnahmen zur Wiedergutmachung des Schadens dar, der mit den Unannehmlichkeiten verbunden ist, die Ver- spätungen bei der Beförderung von Fluggästen zur Folge haben (EuGH, Urt. v. 10.01.2006, Rs. C-344/04 – IATA und ELFAA ./. Depart- ment of Transport, Rn. 43, Slg. 2006, I-403 = RRa 2006,127 = NJW 2006, 351 = EuZW 2006, 112; EuGH, Urt. v. 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 – Sturgeon ./. Condor und C-432/07 – Böck und Lepuschitz ./. Air France, Rn. 51 f., Slg. 2009, I-10923 = RRa 2009, 282 = NJW 2010, 43 = EuZW 2009, 890).
18 Die in Art. 8 VO statuierten Ansprüche dürfen durch die Luftfahrtunternehmen weder beschränkt noch ausgeschlossen werden; sie sind zwingendes Recht (Art. 15 Abs. 1 VO). Bei Verstößen kann der Reisende Schadensersatzansprüche geltend machen (Art. 15 Abs. 2 VO).