a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten, b) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 angeboten und im Fall einer anderweitigen Beförderung, wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit des neuen Fluges erst am Tag nach der planmäßigen Abflugzeit des annullierten Fluges liegt, Unter-stützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben b) und c) angeboten und c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn, i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder
ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmä-ßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder
iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen. (2) Wenn die Fluggäste über die Annullierung unterrichtet werden, erhalten sie Angaben zu einer möglichen anderweitigen Beförderung. (3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. (4) Die Beweislast dafür, ob und wann der Fluggast über die Annullierung des Fluges unterrichtet wurde, trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen.
I. Die Annullierung
1. Begriff
1 Aus der Angabe „annulliert“ oder „verspätet“ auf der Anzeigetafel eines Flughafens oder entsprechenden Angaben des Abfertigungspersonals des Luftfahrtunternehmens oder seiner Leute kann nach Ansicht des EuGH (Urt. v. 19.11.2009, verb. Rs. C-402/07 – Sturgeon ./. Condor und C-432/07 – Böck und Lepuschitz ./. Air France, Rn. 32, 34, Slg I-10923 = RRa 2009, 282 = NJW 2010, 43 = EuZW 2009, 890) grundsätzlich nicht auf das Vorliegen einer Verspätung oder einer Annullierung eines Fluges geschlossen werden. Ausschlaggebend ist grundsätzlich auch nicht, dass den Fluggästen ihr Gepäck wieder ausgehändigt wird oder dass sie neue Bordkarten erhalten. Diese Umstände stehen nämlich in keinem Zusammenhang mit den objektiven Merkmalen des Fluges als solchen. Sie können Fehlbeurteilungen oder Faktoren zuzuschreiben sein, die auf dem entsprechenden Flughafen vorherrschen, oder angesichts der Wartezeit und der Notwendigkeit, dass die betroffenen Fluggäste eine Nacht im Hotel verbringen, geboten sein.
2 Unerheblich ist auch, ob die Zusammensetzung der Gruppe von Fluggästen, die ursprünglich gebucht hatte, mit der der später beförderten Gruppe im Wesentlichen übereinstimmt. Denn in dem Maße, in dem sich die Verspätung gegenüber der ursprünglich geplanten Abflugzeit verlängert, kann die Zahl der Fluggäste, die die erste dieser Gruppen bilden, abnehmen, weil einige Fluggäste eine ihnen angebotene Umbuchung auf einen anderen Flug angenommen und andere Fluggäste aus persönlichen Gründen darauf verzichtet haben, den verspäteten Flug zu nehmen. Umgekehrt ist das Luftfahrtunternehmen – soweit für den ursprünglich geplanten Flug Plätze freigeworden sind – durch nichts daran gehindert, vor dem Abheben des Flugzeugs, dessen Flug verspätet ist, zusätzliche Fluggäste aufzunehmen.
3 Für die Frage, ob ein Flug annulliert ist, muss auf die Definition in Art. 2 lit. l VO abgestellt werden. Danach ist von einer Annullierung auszugehen, wenn ein geplanter Flug, für den zumindest ein Platz reserviert war, nicht durchgeführt wird. Daraus folgt, dass annullierte und verspätete Flüge insoweit zwei klar getrennte Kategorien von Flügen darstellen. Ein Flug, der entsprechend der ursprünglichen Planung durchgeführt wird, kann – auch wenn sich die tatsächliche Abflugzeit gegenüber der planmäßigen Abflugzeit verzögert – nicht als „annullierter Flug“ qualifiziert werden (EuGH, a.a.O., Rn. 32, 34). Wenn sich aber die Abflugzeit des geplanten Fluges gegenüber der ursprünglich geplanten Abflugzeit verzögert und der Flug deshalb auf einen anderen Flug verlegt wird, d. h., wenn die Planung des ursprünglichen Fluges aufgegeben wird und die Fluggäste dieses Fluges zu den Fluggästen eines anderen, ebenfalls geplanten Fluges stoßen, kann grundsätzlich von einer Annullierung ausgegangen werden, und zwar unabhängig von dem Flug, für den die so umgebuchten Fluggäste gebucht hatten (EuGH, a.a.O., Rn. 35 f.).
4 Der EuGH hat aber mit Urteil vom 13.10.2011 in der Rs. C-83/10 − Sousa Rodriguez u.a. ./. Air France (RRa 2011, 282) klargestellt, dass der Begriff „Annullierung“ auch den Fall, dass ein Flugzeug zwar pünktlich startet, aber anschließend zum Ausgangsflughafen zurückkehren muss und die Passagiere auf andere Flüge umgebucht werden, umfasst (so schon LG Hamburg, Urt. v. 25.02.2011 − 332 S 104/10, NJW-RR 2011, 852. Vgl. dazu überdies das Vorabentscheidungsersuchen des LG Frankfurt, Beschl. v. 03.03.2011 − 2-24 S 108/10, RRa 2011, 133). Diese Ansicht ist nun herrschende Meinung (vgl. für viele: LG Darmstadt, Urt. v. 18.04.2012 – 7 S 216/11, RRa 2012, 231 = BeckRS 2012, 11456).
5 Bei der Unterscheidung zwischen „Verspätung“ und „Annullierung“ stellt der BGH (Urt. v. 14.10.2008 − X ZR 15/08, RRa 2009, 43) auf die äußeren Umstände und nicht auf die tatsächliche subjektive Absicht des Luftfahrtunternehmens bzw. der für dieses handelnden Personen ab. Allein die Tatsache, dass sämtliche Fluggäste das Flugzeug wieder verlassen mussten, das Gepäck wieder ausgehändigt wurde, die Flugnummer gewechselt und jene schließlich mit neuen Bordkarten im Flugzeug einer anderen Fluggesellschaft befördert wurden, genüge nicht, um zwingend eine Annullierung anzunehmen. Vgl. die weiteren Nachweise bei Staudinger/Schürmann, NJW 2009, 2788, 2793, Fn. 111 zur Differenzierung nach der „Verzögerungszeit“.
6 Bietet ein Luftfahrtunternehmen seinem Kunden eine Umbuchung an, kommt dem Angebot nach einer Entscheidung des LG Berlin (Urt. v. 20.08.2009 − 57 S 44/07, RRa 2009, 291) eine Indizwirkung für eine vollständige Aufgabe der Flugdurchführung zu (ebenso BGH, Urt. v. 14.10.2008 − X ZR 15/08, RRa 2009, 43, 45). Etwas anderes gilt dann, wenn das Luftfahrtunternehmen lediglich eine Umbuchungsmöglichkeit anbietet, ohne zwingend auf diese zu verweisen. Dass die Anzeigetafel den betreffenden Flug als „cancelled“ ausweise, bedeute zudem nicht die Absicht zur Aufgabe des Fluges. Wird den bereits abgefertigten Passagieren, die das Flugzeug wieder verlassen müssen, das Gepäck wieder ausgehändigt, ohne dass eine Information darüber erfolgt, ob ein anderer Flug stattfindet, ist nach zutreffender Meinung des AG Schöneberg darin eine konkludente Information über die Annullierung des Fluges zu sehen (Urt. v. 21.09.2005 – 5a C 92/05).
7 Das LG Köln (Urt. v. 19.03.2008 − 10 S 391/06, RRa 2008, 141) hat entschieden, dass ein Flug, der nicht durchgeführt wird, auch dann annulliert ist, wenn der Luftfahrtunternehmer den Passagier auf einen anderen Flug umbucht und der Fluggast mit diesem anderen Flug nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abfliegt und sein Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit erreicht. Einem Fluggast steht ein (weiterer) Anspruch auf eine Ausgleichsleistung zu, wenn auch der dem Fluggast angebotene und bestätigte Alternativ-Flug annulliert wird (AG Frankfurt a. M., Urt. v. 16.05.2013 – 31 C 3349/12-78, RRa 2014, 47 = BeckRS 2014, 140408).
7a Die Überbuchung eines Fluges durch einen Reiseveranstalter ist kein „vertretbarer Grund“ i.S.d. Art. 2 lit. j VO (AG Rüsselsheim, Urt. v. 16.07.2014 – 3 C 1447/14-36)
8 Nach AG Bremen (Urt. v. 22.11.2012 – 9 C 0270/12) entsteht der Ausgleichsanspruch auch, wenn der Fluggast auf dem (verspäteten) Flug tatsächlich nicht befördert wurde.
9 Zur rechtlichen Bewertung der Vorverlegung eines Fluges als Annullierung oder Nichtbeförderung siehe Art. 2 Rn. 21a.
II. Die rechtzeitige Information
10 Wird ein Flug kurzfristig annulliert, muss das Luftfahrtunternehmen dem Fluggast eine Ausgleichsleistung zahlen und Unterstützungs- und Betreuungsleistungen erbringen. Davon ist es nur befreit, wenn der Fluggast über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit informiert wurde. Geschieht dies erst in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der geplanten Abflugzeit, ist ihm ein Angebot zur anderweitigen Beförderung zu unterbreiten, das es ihm ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und sein Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen. Erfolgt die Information dagegen erst weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit, muss das Luftfahrtunternehmen dem Fluggast mit der Information ein Angebot zur anderweitigen Beförderung unterbreiten, das es ihm ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und sein Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.
11 Ein Fluggast ist über die Annullierung eines Fluges nicht rechtzeitig unterrichtet worden, wenn das Luftfahrtunternehmen zwar den Reiseveranstalter bzw. den Reisemittler rechtzeitig unterrichtet hat, letzterer die Information aber nicht oder erst nach Ablauf der in Art. 5 Abs. 1 lit. c VO genannten Zeiträume weitergegeben hat (so zutreffend LG Frankfurt, Urt. v. 01.09.2011 − 2-24 S 92/11, RRa 2012, 93). Das hat das LG Frankfurt, Urt. v. 01.09.2011 − 2-24 S 92/11, RRa 2012, 93) so entschieden mit der zutreffenden Begründung, dass der Reiseveranstalter kein Empfangsvertreter und Wissensvertreter des Fluggastes ist (a.A. ohne nähere Begründung: AG Rüsselsheim, Urt. v. 18.05.206 – 3 C 3043/15-31). Das Luftfahrtunternehmen muss sich den Fehler des Reiseveranstalters zurechnen lassen, kann aber u.U. bei diesem Regress nehmen.
12 Da es sich bei dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 lit. c VO um einen Ausnahmetatbestand zur bestehenden Pflicht zur Zahlung einer Ausgleichsleistung handelt und die Vorschrift daher eng auszulegen ist (EuGH, Urt. v. 22.12.2008, Rs. C-549/07 – Wallentin-Herrmann. /. Alitalia, Rn. 20, Slg 2008 I-11061 = RRa 2009, 35 = NJW 2009, 347 = EuZW 2009, 111 = NZV 2009, 435 mAnm Müller-Rostin, NZV 2009, 430 ff.; ebenso: BGH, Urt. v. 14.10.2010 – Xa ZR 15/10, Rn. 28, RRa 2011, 33 = NJW-RR 2011, 355), trägt das Luftfahrtunternehmen die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Information des Fluggastes rechtzeitig erfolgt ist (AG Rüsselsheim, Urt. v. 27.06.2012 – 3 2655/11-36, RRa 2012, 295 = BeckRS 2013, 00244). Wird die Information per SMS gesendet, muss das Luftfahrtunternehmen darlegen und beweisen, dass die Mitteilung so in den Empfangsbereich des Fluggastes gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit hatte, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (AG Frankfurt, Urt. v. 09.10.2006 – 32 C 1788/06-84, RRa 2007, 134).
III. Die Entlastungsgründe bei Annullierungen und großen Verspätungen
A. Der „außergewöhnliche Umstand“
13 Bei der Annullierung eines Fluges soll sich der Luftfahrtunternehmer entlasten können, wenn „außergewöhnliche Umstände“ (Art. 5 Abs. 3 VO) vorliegen. Sicher hat der europäische Gesetzgeber – anders als für Nichtbeförderungen in Art. 2 VO – bewusst die Worte „unvertretbarer Grund“ nicht gewählt, so dass es bei Annullierungen und Verspätungen auf ein Vertretenmüssen nicht ankommt.
14 Seit dem Urteil des EuGH vom 19.11.2009 in der Rechtssache Sturgeon ./. Condor (Rs. C-408/07, Slg I-10923 = RRa 2009, 282) gilt Art. 5 Abs. 3 VO auch, wenn Ansprüche auf Ausgleichsleistungen infolge großer Verspätungen i.S.d. Art. 6 VO geltend gemacht werden.
15 Art. 5 Abs. 3 VO bezieht sich allein auf die Ausgleichsleistungen nach Art. 7 VO und gilt nicht für Unterstützungs- und Betreuungsleistungen. Der EuGH hat entschieden, dass ein Luftfahrtunternehmen bei Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen nur von seiner Pflicht zur Zahlung einer Ausgleichsleistung nach Art. 7 VO entbunden ist und demzufolge seine Betreuungspflicht nach Art. 9 VO bestehen bleibt ( 31.1.2013, Rs. 12/11 – McDonagh ./. Ryanair, RRa 2013, 81 = NJW 2013, 921 = ZLW 2013, 273, Rn.39; OGH, 03.7.2013 – 7 Ob 65/13d, RRa 2013, 256 = ecolex 2013,960 = ZVR 2014, 71 mAnm. Huber ZVR 2014, 126; siehe auch 12.5.2011 − Eglītis und Ratnieks, Rs. C-294/10, Rn.23 und 24, RRa 2011, 125; so auch zuvor: OLG Koblenz, 11.1.2008 – 10 U 385/07, RRa 2008, 181 f.; AG Rüsselsheim 11.1.2011 – 3 C 1698/10-32, RRa 2011, 93 f. = NJW-RR 2011, 560 f.; AG Rüsselsheim 21.12.2011 – 3 C 229/11-36, RRa 2012, 95 = LSK 2012, 160675; AG Frankfurt a.M. 1.6.2011 – 29 C 2320/10-21, RRa 2012, 32 = LSK 2012, 390063.; AG Nürnberg 14.9.2011 – 18 C 6053/11, RRa 2011, 297 f.; Staudinger/ Schmidt-Bendun VersR 2004, 971; Führich Reiserecht [6. Aufl.], Rn.1030). Zur Kritik an der Entscheidung des EuGH bzgl. einer möglichen Missachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots aufgrund der fehlenden zeitlichen oder finanziellen Beschränkung der Betreuungspflicht s. Staudinger EuZW 2013, 227; Staudinger/Krüger NJW 2013, 913, 916; Müller-Rostin euvr 2013, 138, 147; ders. TranspR 2013, 329, 332.
16 Die Verordnung lässt offen, was genau unter einem „außergewöhnlichen Umstand“ zu verstehen ist. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung den Begriff „außergewöhnlich“ und nicht „ungewöhnlich“ verwendet. Darüber hinaus muss bei der Auslegung des Begriffs „außergewöhnlicher Umstand“ dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Art. 5 Abs. 1 VO den Grundsatz aufstellt, dass Fluggäste bei Annullierung (und: Verspätung) Anspruch auf Ausgleichsleistungen haben und deshalb Abs. 3, der die Voraussetzungen festlegt, unter denen das ausführende Luftfahrtunternehmen von der Zahlung des entsprechenden Ausgleichs befreit ist, als Ausnahme vom Grundsatz anzusehen ist. Daher ist diese Ausnahmebestimmung eng auszulegen (nach Ansicht des EuGH (Urt. v. 22.12.2008, C-549/07 – Wallentin-Herman ./. Alitalia, Rn. 19, RRa 2009, 35, 38).
17 Der Erwägungsgrund 14 VO, der bei der Interpretation mit heranzuziehen ist, nennt in der nicht abschließenden Aufzählung Sachverhalte, die nicht zwingend als „außergewöhnliche Umstände“ angesehen werden können. Das LG Korneuburg (25.08.2015 – 22 R 43/15b) hat zutreffend darauf hingewiesen, dass diese nur „Hinweischarakter“ haben und „der (damalige) Gemeinschaftsgesetzgeber die genannten Vorkommnisse nicht selbst als „außergewöhnliche Umstände angesehen hat, sondern nur ausdrücken wollte, dass sie solche eintreten lassen können.“ Daraus folge, dass „nicht alle Umstände, die mit solchen Vorkommnissen einhergehen, unbedingt Gründe für eine Befreiung von der in Art. 5 Abs. 1 lit. c VO niedergelegten Ausgleichsplicht darstellen“. Daher obliege es demjenigen, der sich darauf beruft, darüber hinaus zu behaupten und den Nachweis zu führen, dass die Annullierung (oder Verspätung) sich jedenfalls nicht durch der Situation angepasste Maßnahmen hätte vermeiden lassen.
17a Alle aufgezählten Ereignisse zeichnen sich dadurch aus, dass sie außerhalb des Gewöhnlichen liegen und das ist mehr als dass sie etwa nur „ungewöhnlich“ oder „unerwartet“ sein müssen.
18 Der EuGH hat in der Entscheidung McDonagh ./. Ryanair (Urt. v. 31.01.2013, Rs. 12/11, RRa 2013, 81 = NJW 2013, 921 = EuZW 2013, 223 = ZLW 2013, 273) hervorgehoben, dass der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wörtlich auf Umstände „abseits des Gewöhnlichen“ abstellt. Im Zusammenhang mit dem Luftverkehr bezeichnet er ein Vorkommnis, das der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens nicht innewohnt und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist (so schon EuGH, Urt. v. 22.12.2007, Rs. 459/07 − Wallentin-Hermann ./. Alitalia, Rn. 23, Slg I-11061 = RRa 2009, 35 = VuR 2009, 225 = ZLW 2009, 295; bestätigt im Urt. v. 17.09.2015, Rs. C-257/14 – van der Lans ./. KLM, RRa 2015, 287 = NJW 2015, 3427). Daher werden alle Umstände erfasst, die das Luftfahrtunternehmen nicht kontrollieren kann, welcher Natur und Schwere sie auch sein mögen. Zu berücksichtigen ist aber auch – so der EuGH (a.a.O., Rn. 31) – dass aus den Erwägungsgründen eindeutig hervorgehe, dass die Verordnung ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherstellen und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen Rechnung tragen soll, da die Annullierung eines Fluges den Fluggästen große Unannehmlichkeiten bereitet. Folgerichtig hat der BGH festgestellt, dass der Gesetzgeber nicht jedes unvermeidbare Ereignis genügen lassen wollte, sondern nur solche, die aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen (Urt. v. 21.08.2012 – X ZR 146/11, Rn. 15 f., unveröff.). Für die Qualifizierung der Umstände als außergewöhnlich ist somit maßgeblich, dass sie sich von denjenigen Ereignissen unterscheiden, mit denen typischerweise bei der Durchführung eines einzelnen Flugs gerechnet werden muss (so auch Schuster, RRa 2014, 2 ff.).
18a Das Kriterium der Beherrschbarkeit muss danach bemessen werden, ob der betreffende Vorgang unmittelbar in den betrieblichen Ablauf der Fluggesellschaft fällt (so auch: AG Frankfurt a.M. 03.02.2010 – 29 C 2088/09, RRa 2010, 289 = NJW-RR 2010, 1360 = BeckRS 2010, 11001; 14.04.2011 – 29 C 2034/10-21).
19 D er BGH (21.08.2012 – X ZR 138/11, Rn 18, RRa 2012, 288 f.) hat klargestellt, dass die vom EuGH für technische Defekte entwickelten Maßstäbe auch bei anderen Vorkommnissen anzulegen sind.
20 Der EuGH hat in der Ryanair-Entscheidung (31.01.2013, Rs. C-12/11, RRa 2013, 81 = NJW 2013, 921 = EuZW 2013, 223 = ZLW 2013, 273) in Rn. 31 ausdrücklich die Ansicht vertreten, die Verordnung enthalte keinen Hinweis darauf, dass über die in Art. 5 Abs. 3 VO genannten außergewöhnlichen Umstände hinaus eine gesonderte Kategorie von „besonders außergewöhnlichen“ Ereignissen anerkannt würde, die ein Luftfahrtunternehmen von allen Verpflichtungen aus der Verordnung einschließlich der Unterstützungs- und Betreuungsleistungen freistellen würde. Eine solche Auslegung liefe nicht nur der Bedeutung des Begriffs im gewöhnlichen Sprachgebrauch entgegen, sondern auch den Zielen des Regelwerks zuwider. Es gibt daher keine „besonders außergewöhnlichen Umstände“ (EuGH, Rs. 12/11 – McDonagh, aaO., Rn. 32; kritisch zu dieser Entscheidung Staudinger, EuZW 2013, 227).
21 Ein „außergewöhnlicher Umstand“ muss objektiv vorgelegen haben; der bloße Verdacht, ein solcher hätte eintreten können, reicht nicht. Ein Luftfahrtunternehmen kann sich daher nicht darauf berufen, es habe einen Fluggast allein deshalb nicht zu einem Umsteigeflughafen befördert, weil es davon ausgegangen sei, dass der Anschlussflug „mit großer Wahrscheinlichkeit“ ausfallen würde und der Fluggast deshalb am Umsteigeflughafen „stranden“ würde (AG Hamburg, Urt. v. 04.10.2013 – 20a C 206/12, RRa 2014, 94, BeckRS 2014, 08343).
22 Setzt ein Luftfahrtunternehmen nach dem Wegfall eines außergewöhnlichen Umstandes (z.B. ein generelles Flugverbot wegen Aschewolke, Sperrung eines Flughafens) einen neuen Startzeitpunkt fest und wird der Flug danach aufgrund eines anderen Umstandes (z.B. technischen Problems) erneut verspätet oder annulliert, ist als Ursache der Verspätung auf das zweite Ereignis abzustellen (AG Rüsselsheim, Urt. v. 25.07.2012 – 3 C 1132/12-36, RRa 2012, 234 f.; diese Rspr. wurde bestätigt durch LG Darmstadt).
23 Viele (wenn auch nicht alle) Ereignisse sind sicherheitsrelevant. Gemäß der RL 2003/42/EG vom 13.06.2003 über die Meldung von Ereignissen in der Zivilluftfahrt (ABl. 2003 EG Nr. L 167, 23) sind Betreiber oder Führer eines in Deutschland eingetragenen turbinengetriebenen Luftfahrzeugs oder eines gewerbsmäßig betriebenen Luftfahrzeugs mit einer höchstzulässigen Startmasse von mindestens 5,7 t. oder mehr, verpflichtet, sicherheitsrelevante Ereignisse dem Luftfahrt-Bundesamt zu melden (§ 5b Abs. 1 LuftVO); die zu meldenden Ereignisse ergeben sich aus den Anlagen 6 und 7 zur LuftVO. Dazu zählen u.a. ein rechtswidriger Eingriff in den Luftverkehr (einschließlich Bombendrohung oder Entführung), Schwierigkeiten bei der Kontrolle betrunkener, gewalttätiger oder sich Anordnungen widersetzender Fluggäste, aber auch Brand, Explosion, Rauch oder giftige oder schädliche Gase an Bord, erhebliche Verletzungen von Fluggästen oder Besatzungsmitgliedern, Blitz- oder Hagel- oder Vogelschlag, der zu Schäden am Luftfahrzeug oder zum Ausfall oder zu Störungen wesentlicher Funktionen geführt hat. Ein Luftfahrtunternehmen, das sich wegen eines solchen Ereignisses auf einen außergewöhnlichen Umstand beruft, muss vortragen, wann die Beschädigung an dem Fluggerät festgestellt wurde, sowie wann welche Maßnahmen durchgeführt wurde, um das Flugzeug schnellstmöglich wieder instand zu setzen. Zudem muss es (jedenfalls dann, wenn ein solches Ereignis bestritten wird) im Rahmen eines schlüssigen gerichtlichen Vortrages eine Meldung an das Luftfahrt-Bundesamt (oder die jeweilige nationale Behörde) und das Luftfahrtunternehmen vorlegen.
23a Ein außergewöhnlicher Umstand muss kausal gewesen sein für die Annullierung, Verspätung oder Nichtbeförderung. Wenn ein Luftfahrtunternehmen seinen Flugplan infolge eines außergewöhnlichen Umstandes (hier: Streik des Sicherheitspersonals) „umorganisiert“ hat, beruht die Annullierung / große Verspätung / Nichtbeförderung eines nachfolgenden, umorganisierten Fluges nicht mehr kausal auf dem Streik, sondern auf einer unternehmerischen Entscheidung, auch wenn diese mittelbar durch einen außergewöhnlichen Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO bedingt worden ist (so zutreffend: LG Frankfurt, Urt. v. 29.10.2015 – 2-24 S 68/15, RRa 2016, 19; ebenso: AG Hannover 20.05.2016 – 511 C 11581/15. Siehe auch: Sendmeyer NJW 2011, 808 [811]).
23b Beruft sich ein Luftfahrtunternehmen vorgerichtlich auf einen „außergewöhnlichen Umstand“ gemäß Art 5 Abs. 3 VO, ohne diesen jedoch konkret zu benennen, hat ein Fluggast gegen dieses einen Anspruch auf Erteilung der Auskunft, aus welchem Grund sich der Flug verspätet hat, wenn es dem Fluggast nicht möglich ist, die Information über den abstrakt behaupteten außergewöhnlichen Umstand auf andere Weise als durch das Luftfahrtunternehmen zu erhalten (AG Rüsselsheim, Urt. v. 20.01.2015 -3 C 3644/14-31, RRa 2015, 87).
Einzelne außergewöhnliche Umstände im Spiegel der Judikatur
1. Technische Probleme
a. Grundsätzliches
24 Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des HG Wien hat der EuGH in seinem Urteil vom 22.12.2008 (Rs. C-549/07 − Wallentin-Hermann ./. Alitalia, Slg 2008 I-11061 = RRa 2009, 35 = VuR 2009, 225 = ZLW 2009, 295; bestätigt im Urt. v. 17.09.2015, Rs. C-257/14 – van der Lans ./. KLM, RRa 2015, 287 = NJW 2015, 3427) klargestellt, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt. Dieser Ansicht ist der BGH (12.11.2009 – Xa ZR 76/07, RRa 2010, 34 = NJW 2010, 1070, Rn 2; bestätigt 21.08.2012 – X ZR 138/11, Rn, 16 ff., RRa 2012, 288 [290] und X ZR 146/11, openJur 2012, 123859) gefolgt: Es können daher nur solche Vorkommnisse als „außergewöhnliche Umstände“ qualifiziert werden, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind. (EuGH, a.a.O., Rn. 23 ff.; siehe dazu Bartlik, RRa 2009, 272; Schmid, RRa 2009, 1). Das wäre z. B. der Fall, wenn der Hersteller von Flugzeugen, aus denen die Flotte des betroffenen Luftfahrtunternehmens besteht, oder eine zuständige Behörde entdeckte, dass die bereits in Betrieb genommenen Luftfahrzeuge mit einem versteckten Fabrikationsfehler behaftet sind, der die Flugsicherheit beeinträchtigt. Gleiches würde bei durch Sabotageakte oder terroristische Handlungen verursachten Schäden an den Flugzeugen gelten (EuGH, a.a.O. Rn. 26).
25 Der BGH hat diese Rechtsprechung nicht nur aufgegriffen, sondern zugleich klargestellt, dass ein Fabrikationsfehler nur dann außerhalb des Rahmens der normalen Betriebstätigkeit des Luftverkehrsunternehmens liegt, wenn nicht nur ein einzelnes Flugzeug, sondern die gesamte oder ein wesentlicher Teil der Flotte des Luftverkehrsunternehmens betroffen ist (Urt. v. 21.08.2012 – X ZR 138/11, Rn. 16 ff., RRa 2012, 288, 290 und X ZR 146/11, Rn. 17 f., unveröff.; im Anschluss daran auch: AG Frankfurt, Urt. v. 18.10.2013 – 30 C 1848/12-47; LG Baden-Baden, Urt. v. 28.06.2013 -1 S 47/12, RRa 2014, 31; LG Darmstadt, Urt. v. 16.04.2014 – 7 S 161/13, RRa 2014, 137 = BeckRS 2014, 12185). Außerhalb des Rahmens der normalen Betriebstätigkeit eines Luftverkehrsunternehmens liegt es auch, wenn beispielsweise die technischen Einrichtungen eines Flughafens versagen und davon nicht nur ein einzelnes Flugzeug betroffen ist, sondern der gesamte über einen Flughafen abgewickelte Luftverkehr oder die gesamte Flotte eines Luftverkehrsunternehmens (BGH, a.a.O.).
26 Die Behebung eines technischen Problems, das auf die fehlerhafte Wartung eines Luftfahrzeuges zurückzuführen ist, ist nach Ansicht des EuGH (EuGH, a.a.O., Rn. 24) als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens anzusehen. Folglich können technische Probleme (in Österreich: „technische Gebrechen“), die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen oder infolge einer unterbliebenen Wartung auftreten, keine „außergewöhnlichen Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 darstellen. (EuGH, a.a.O., Rn. 24). Auch aus der Häufigkeit der bei einem Luftfahrtunternehmen festgestellten technischen Probleme oder aus dem Umstand, dass ein Luftfahrtunternehmen die gesetzlichen Mindesterfordernisse an Wartungsarbeiten befolgt habe, ließe sich nicht ohne Weiteres auf einen außergewöhnlichen Umstand und die Anstrengung aller zumutbaren Maßnahmen schließen (EuGH, a.a.O. Leitsätze 2 und 3; ebenso: BGH, Urt. v. 12.11.2009 – Xa ZR 76/07, RRa 2010, 34 = NJW 2010, 1070 = ZLW 2012, 427, Rn. 23; vgl. dazu auch Kober-Dehm/Meier-Beck, RRa 2010, 250, (254 f.)). Wenn eine notwendige Reparatur oder Serviceleistung ohne Notwendigkeit nicht rechtzeitig durchgeführt wird, liegt kein außergewöhnlicher Umstand vor (LG Korneuburg, Urt. v. 21.11.2013 – 21 R 223/13m).
27 In Fortführung der Begriffsbestimmung der außergewöhnlichen Umstände durch den EuGH im vorgenannten Urteil erklärte das AG Köln (Urt. v. 10.03.2010 − 132 C 304/07, RRa 2010, 230 = ZLW 2011, 151), dass nicht nur solche technischen Probleme, die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen oder infolge einer unterbliebenen Wartung auftreten, als „außergewöhnliche Umstände“ ausscheiden, sondern auch solche, die bei Instandhaltungsarbeiten nicht zum Vorschein kämen, z.B. ein unerwartet eingetretener Strömungsabriss an einem Triebwerk (sog. engine stall).
28 Das LG Darmstadt stellte in seinem Urteil vom 20.07.2011 (7 S 46/11, RRa 2011, 236 = BeckRS 2011, 24162) fest, dass für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände unabhängig von der Kategorisierung als „technischer Defekt“ oder „unerwarteter Sicherheitsmangel“ maßgeblich sei, ob das zugrundeliegende Geschehen ein typisches und in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit vorkommendes Ereignis darstelle oder ob es der Beherrschbarkeit der Fluggesellschaft völlig entzogen sei. So dürfe aus der Seltenheit eines derartigen Defekts und/oder aus dem zeitlichen bzw. logistischen Aufwand zur Mangelbeseitigung nicht ohne Weiteres auf eine Entlastung des Luftfahrtunternehmens geschlossen werden. (So bereits auch LG Darmstadt, 06.06.2010 − 7 S 200/08, RRa 2010, 275 = ZLW 2010, 658 = BeckRS 2010, 15322; AG Rüsselsheim, Urt. v. 10.08.2010 − 3 C 1528/09-32, RRa 2010, 290; AG Rüsselsheim, Urt. v. 11.08.2010 − 3 C 774/10-31, RRa 2010, 290 = ZLW 2010, 660 [Defekt im Kompressor eines Triebwerks]).
29 Nach Ansicht des LG Düsseldorf (Urt. v. 07.05.2009 − 22 S 215/08, RRa 2009, 186) beurteilt sich die Frage der Beherrschbarkeit eines technischen Problems nach Verantwortungs- und Risikosphären und nicht nach der subjektiven Vorwerfbarkeit oder Vermeidbarkeit eines technischen Defekts. Ein Triebwerkschaden liege demnach im direkten Einfluss- und Organisationsbereich des Luftfahrtunternehmens.
30 Das AG Frankfurt (Urt. v. 07.10.2010 − 29 C 1351/10-46, RRa 2011, 140) konkretisierte Art. 5 Abs. 3 VO dahingehend, dass auch technische Defekte, die nur gelegentlich auftreten könnten, keinen außergewöhnlichen Umstand begründen. Dies gelte auch dann, wenn alle vorgeschriebenen Wartungsarbeiten frist- und ordnungsgemäß ausgeführt worden seien.
Fallbeispiele aus der Praxis
31 Der plötzliche Austritt von Hydrauliköl an der Verschlusskappe des Hauptfahrwerks stellt lediglich einen Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens dar (LG Stuttgart, Urt. v. 20.04.2011 − 13 S 227/10, RRa 2011, 234; AG Nürtingen, Urt. v. 27.09.2010 – 11 C 1219/11; AG Rüsselsheim, Urt. v. 28.05.2010 − 3 C 390/10-35 und Urt. v. 27.08.2010 − 3 C 517/10-35, RRa 2010, 290, wonach ein Problem mit dem Ölfilter eines Triebwerks keinen außergewöhnlichen Umstand begründet). Gleiches gilt für einen schadhaften Dichtungsring an der Tanköffnung (LG Korneuburg 11.03.2014 – 21 R 287/13y, RRa 2015, 157) oder einen Defekt in der Kerosinzufuhr zu einem Triebwerk und einen Fehler im elektronischen System (HG Wien 13.03.2010 − 60 R 114/06d, RRa 2010, 238). Löst sich die Notrutsche aus unerklärlichen Gründen, scheidet die Anwendung des Art. 5 Abs. 3 VO gleichermaßen aus (AG Rüsselsheim 20.07.2010 − 3 C 1316/09-32, RRa 2010, 290). Ein durch unreines Kerosin verstopfter Kerosinfilter stellt auch dann keinen „außergewöhnlichen Umstand“ dar, wenn der Treibstoff von einem Dritten geliefert wird (AG Rüsselsheim 18.04.2013 – 3 c 2265/12-39, RRa 2014, 50). Auch ein defektes Ventil an der Kraftstoffpumpe ist kein außergewöhnlicher Umstand (UK Court of Appeal 11.062014 B2/2013/3277/CCRTF – Jet2 vs. Huzar): „Ein schadhafter Dichtungsring an der Tanköffnung ist kein „außergewöhnlicher Umstand“.
32 Der Defekt des Reverse Flow Check Controllers ist kein außergewöhnlicher Umstand (AG Rüsselsheim 20.04.2012 – 3 C 2273/11-37, RRa 2012, 189). Zum Defekt eines Sensors, der zum Einfahren des Fahrwerks benötigt wird, siehe LG Berlin 07.02.2008 − 57 S 26/07, RRa 2008, 89. Auch der Defekt des bordseitigen Wetterradars ist kein „außergewöhnlicher Umstand“ (AG Rüsselsheim 27.02.2012 – 3 C 2644/11-33; ebenso AG Emden 27.01.2010 – 5 C 197/09, RRa 2010, 135). Gleiches gilt für eine beschädigte Scheibe des Cockpitfensters (LG Korneuburg 15.07.2014 – 21 R 106/14g, RRa 2015, 101 = juris; BG Schwechat 07.01.2015 – 1 C 199/14x).
33 Nicht als außergewöhnlicher Umstand angesehen wurden auch: eine Kraftstoffleckage (AG Köln, Urt. v. 09.04.2010 − 124 C 407/09; AG Hannover, Urt. v. 22.01.2014 – 526 C 7704/12), ein Fehler der Höhenrudersteuerung (LG Köln 21.09.2011 − 13 S 123/11); der Defekt der Höhenruderanzeige (AG Rüsselsheim, Urt. v. 23.11.2011 – 3 C 1552/ 11-36, RRa 2012, 26; der Schaden am Stabilisator (Höhen- oder Seitenflosse) zur Trimmung des Flugzeuges (BG Schwechat, Urt. v. 19.01.2015 – 1 C 294/14t); ein Hydraulikleck an der Höhenrudersteuerung (AG Rüsselsheim, Urt. v. 25.03.2011 − 3 C 289/11) oder ein defekter Flow Sensor mit der Folge der Überhitzung im Cockpit (AG Düsseldorf, Urt. v. 23.07.2011 − 37 C 3495/11), ein geplatzter Hydraulikschlauch (LG Darmstadt, Urt. v. 03.11.2010 – 7 S 29/09), ein Defekt in der Kerosinzufuhr (HG Wien, Urt. vom 16.03.2010 − 60 R 114/60), ein Defekt der Benzinpumpe (AG Frankfurt 27.06.2013 – 30 C 1055/13-29, BeckRS 2014, 23444; ein sich nicht schließender Fahrwerksschacht (LG Frankfurt 6.2.2012 – 2-24 O 219/11, RRa 2012, 125); ein defektes Triebwerksteil im Reverse Flow Check Controller (AG Rüsselsheim 3 C 2562/11) etc. Das gilt auch für die Verstopfung von Toiletten durch Fluggäste, da ein Luftfahrtunternehmen angehalten ist, sich auf unsachgemäßes Verhalten von Fluggästen einzurichten (AG Rüsselsheim, Urt. v. 12.09.2011 – 3 C 1047/11; AG Köln, Urt. v. 09.12.2011 − 145 C 15/11).
34 Auch der Ausfall zweier unabhängig voneinander arbeitender Motoren, die die Funktion eines Ventils steuern (AG Rüsselsheim, Urt. v. 31.05.2010 − 3 C 146/10, RRa 2011, 55) als auch für die Anzeige eines Ventildefekts durch den Bord-Computer (AG Rüsselsheim, Urt. v. 19.07.2010 − 3 C 257/10-35, RRa 2011, 56). Auch der Ausfall eines Wetterradargeräts in einem Flugzeug ist ebenso wenig ein außergewöhnlicher Umstand (AG Emden, Urt. v. 27.01.2010 − 5 C 197/09, RRa 2010, 135), wie ein Defekt am Kurzwellenfunkgerät (AG Rüsselsheim, Urt. v. 17.04.2013 – 3 C 3319/12-36).
35 Es gibt keine wartungsfreien Bauteile mit unbegrenzter Lebensdauer (so auch: LG Darmstadt, Urt. v. 16.06.2010, ZLW 2010, 658; LG Darmstadt, Urt. v. 29.10.2008 – 7 S 200/08, NJW-RR 2009, 858; AG Rüsselsheim, Urt. v. 19.08.2010 – 3 C 1528/09-32, RRa 2010, 290;). Das gilt insbesondere für bewegliche Bauteile, die einem Verschleiß unterliegen. Auch wenn ein derartiger Defekt selten auftritt oder wenn der zeitliche bzw. logistische Aufwand zur Beseitigung dieses Mangels, vor dessen Behebung offenbar aus zwingenden Sicherheitsgründen nicht gestartet werden durfte, erheblich sein sollte, entlastet das den Luftfrachtführer nach Art. 5 Abs. 3 VO nicht (LG Darmstadt, Urt. v. 01.12.2010 – 7 S 66/10, RRa 2011, 89 = BeckRS 2011, 08685, 20.07.2011 – 7 S 46/11, RRa 2011, 236, 237 = BeckRS 2011, 08685). Das gilt auch, wenn alle vorgeschriebenen Wartungsarbeiten frist- und ordnungsgemäß ausgeführt wurden (AG Frankfurt, Urt. v. 07.10.2010 – 29 C 1352/10-46, RRa 2011, 140, (142) = juris). Auch die fehlende Verpflichtung, die defekten Teile einer ständigen Wartung und Kontrolle zu unterziehen, rechtfertigen nicht die Annahme eines „außergewöhnlichen Umstandes“ i.S.v. Art. 5 Abs. 3 VO (AG Rüsselsheim, 11.08.2010 – 3 C 774/10-31, RRa 2010, 290 = ZLW 2010, 660 = BeckRS2010, 32250; 10.8.2010 – 3 C 1528/09-32, RRa 2010, 290).
36 Der Ausfall oder die Fehlanzeige eines Geschwindigkeitsanzeigers (air speed indicator, Fahrtmesser) ist ein technisches Problem, das der Risikosphäre des Luftfahrtunternehmens zuzurechnen ist. Dies gilt auch dann, wenn der Ausfall durch eine Biene im zur Berechnung der Geschwindigkeit des Flugzeugs verwendeten Staurohr (Pitot-Rohr) verursacht wurde. Denn diese Ursache ist durch Abdecken des Staurohrs während der Bodenzeit des Flugzeuges beherrschbar (a.A. AG Rüsselsheim, Urt. v. 24.07.2013 – 3 C 2159/12-36, RRa 2014, 43; offen gelassen: AG Rüsselsheim, Urt. v. 30.08.2013 – 3 C 1483/13-37; AG Düsseldorf, Urt. v. 27.09.2013 – 36 C 6837/13, RRa 2014, 42).
37 Rauch und giftige Dämpfe in der Kabine oder im Cockpit stellen keinen außergewöhnlichen Umstand dar. Sie sind bloße Folge eines technischen Problems (AG Rüsselsheim, Urt. v. 04.04.2013 – 3 C 327/13-34).
38 Löst ein Fluggast während der Bodenzeit eines Flugzeuges ohne Anweisungen des Bordpersonals die Notrutsche aus, liegt nach Ansicht des AG Rüsselsheim (Urt. v. 11.07.2011 – 3 C 497/12-36) und des AG Hamburg (Urt. v. 18.09.2013 – 22a C 214/12) ein außergewöhnlicher Umstand vor (a.A. AG Rüsselsheim, Urt. v. 20.07.2010 – 3 C 1316/09-32, RRa 2010, 290). Doch muss das Luftfahrtunternehmen darlegen, ob es hinreichende Maßnahmen (z.B. Positionierung eines Flugbegleiters an den Notausstiegstüren bzw. -fenstern) getroffen hat, um das zu vermeiden. Löst dagegen ein Besatzungsmitglied durch einen Fehler bei der Öffnung einer Flugzeugtür eine Rutsche aus, liegt kein außergewöhnlicher Umstand vor.
39 Das Fehlen eines qualifizierten Mechanikers an dem Ort, wo ein reparaturbedürftiges Flugzeug steht, ist kein außergewöhnlicher Umstand (AG Rüsselsheim, Urt. v. 11.06.2013 – 3 C 387/10-35, RRa 2010, 290).
40 Wird ein auf dem Flughafengelände herumliegender Gegenstand (z.B. eine Schraube) vom Triebwerk angesaugt, soll der dadurch entstandene Schaden am Triebwerk nach Ansicht des AG Rüsselsheim (Urt. v. 09.07.2013 – 3 C 2910/12-32; LG Darmstadt, Urt. v. 23.07.2014 – 7 S 126/13, RRa 2015, 73) einen außergewöhnlichen Umstand darstellen, weil das als „Eingriff von außen“ dem Luftfahrtunternehmen nicht zuzurechnen sei. Die Sauberkeit der Startbahn liege im Verantwortungsbereich des Flughafenbetreibers. Leider hat das Gericht sich nicht mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass ein Flughafenbetreiber aufgrund des mit dem Luftfahrtunternehmen geschlossenen Flughafennutzungsvertrages verpflichtet ist, den Flughafen, insbesondere aber die Start- und Landebahnen in einem betriebssicheren Zustand zu halten. Ob ein etwaiges Verschulden des Vertragspartners und Leistungsträgers (§ 278 BGB) zum typischen Risiko beim Betrieb eines Luftfahrtunternehmens gehört, ist in Deutschland bislang nicht höchstrichterlich entschieden worden. Siehe dazu aber in Österreich: OGH, TranspR 2013, 128. Allerdings fällt die Beschädigung eines Triebwerks durch eine auf dem Vorfeld liegende Plastikfolie als normaler Geschehensablauf in den Verantwortungsbereich eines Luftfahrtunternehmens, ist also kein außergewöhnlicher Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO (AG Rüsselsheim, Urt. v. 31.10.2013 – 3 C 2715/13-38).
40a Wenn eine notwendige Reparatur oder Serviceleistung ohne Notwendigkeit nicht rechtzeitig durchgeführt wird, liegt kein außergewöhnlicher Umstand vor (LG Korneuburg, Urt. v. 21.11.2013 – 21 R 223/13m).
2. Wetterbedingungen
41 Zunächst ist festzustellen, dass „widrige Wetterbedingungen“ für sich noch nicht als „außergewöhnliche Umstände“ anzusehen sind, sondern bloß zu solchen führen können (LG Innsbruck, 18.07.2014 – 3 R 214/14p; ebenso LG Korneuburg 25.08.2015 – 22 R 34/15h; BG HS 21.03.2016 – 16 C 296/15v, RRa 2016, 199). Sie stellen somitnur einen Hinweis auf das mögliche Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen dar (BG Schwechat, Urt. v. 11.06.2015 – 16 C 813/14a). Deswegen ist ein solcher Vortrag, auf die sich Luftfahrtunternehmen zu ihrer Entlastung gerne ohne nähere Substantiierung berufen, nicht geeignet für eine Entlastung nach Art. 5 Abs. 3 VO (ebenso LG Innsbruck, aaO.; BG Schwechat, aaO.). Nach zutreffender Ansicht des AG Frankfurt (Urt. v. 15.05.2013 – 29 C 1954/11-21, RRa 2014, 49 und 261 = LSK 2014, 140410) stellen Wetterbedingungen nur dann einen „außergewöhnlichen Umstand“ dar, wenn sie aus den üblichen und zu erwartenden Abläufen des Luftverkehrs herausragen. Dabei ist von „widrigen Wetterbedingungen“ erst dann auszugehen, wenn diese geeignet gewesen sind, den Luftverkehr oder die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftverkehrsunternehmen ganz oder teilweise zum Erliegen zu bringen (AG Frankfurt, a.a.O.; BG HS, Urt. v. 21.03.2016 – 16 C 296/15v).
41a Gewitter zählen zu Vorkommnissen, die häufig bei oder im Vorfeld eines Fluges auftreten und mit denen ein Flugunternehmen stets rechnen muss. Es handelt sich deshalb nicht um ein außergewöhnliches Wetterphänomen. Dass ein Gewitter gegebenenfalls der planmäßigen Durchführung eines Fluges entgegenstehen kann, macht es aber noch nicht zu einem außergewöhnlichen Umstand, weil einem Luftfahrtunternehmen auch die unvermeidbaren Hindernisse für die planmäßige Durchführungen eines Fluges seiner Risikosphäre zugewiesen werden, die nicht aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen ( so zutreffend AG Köln, Urt. v. 17.02.2016 – 114 C 208/15). Beruft sich ein Luftfahrtunternehmen darauf, dass die Betankung des Flugzeuges wegen Brand- und Explosionsgefahr nicht vorgenommen oder unterbrochen werden musste und das Flugzeug deshalb nicht rechtzeitig abgefertigt werden konnte, muss es vortragen, wie lange das Gewitter andauerte und warum eine Betankung keinesfalls möglich war. Dabei muss vorgetragen werden, ob eine Betankung grundsätzlich nicht möglich war oder eine solche nur an fehlenden organisatorischen Vorkehrungen scheiterte (so zutr. AG Köln aaO).
41b Beruft sich ein Luftfahrtunternehmen darauf, dass ein Flug annulliert werden musste, weil das Flugzeug beim Landeanflug durch Hagelschlag beschädigt worden ist, ist die bloße Vorlage einer behördlichen Bescheinigung (z.B. der Austro Control oder eines Flugsicherungsunternehmens) über die Wetterbedingungen am Flugtag auch dann kein geeignetes Beweismittel, wenn daraus hervorgeht, dass es zur fraglichen Zeit gehagelt hat. Das BG Schwechat (Urt. v. 08.10.2015 – 18 C294/15v) begründet das damit, dass Flugzeuge in der Regel auch bei Niederschlägen aller Art starten und landen können und Hagelschlag nicht stets Schäden an Flugzeugen verursacht, die zu deren Fluguntauglichkeit führen. Das ist zutreffend. Ob ein Flugzeug nach Durchzug eines Hagelgebietes noch eingesetzt werden kann, kann nur durch Begutachtung von Sachverständigen festgestellt werden.
41c Ist der Luftraum über dem Start- oder Zielflughafen gesperrt (z.B. wegen Kontamination durch Vulkanasche), so ist darin ein außergewöhnlicher Umstand zu sehen, wenn der Zielflughafen nur über den gesperrten Luftraum erreicht werden kann (so für Sperrung wegen Gewitters: LG Korneuburg, Urt. v. 03.02.2015 – 21 R 384/14i). Anders ist es aber zu beurteilen, wenn der gesperrte Luftraum umflogen und der Zielflughafen so erreicht werden kann. Gleiches gilt, wenn ein Flughafen voll gesperrt wird. Wenn die Start- und Anflugfrequenz auf einem Flughafen wegen Nebels vorübergehend reduziert wurde, muss ein Luftfahrtunternehmen konkret darlegen, welche Auswirkungen die Lande- und Startbeschränkungen wegen Nebels auf den annullierten oder verspäteten Flug gehabt haben (AG Frankfurt, Urt. v. 31.08.2006 – 30 C 1370/06-25, RRa 2007, 42)
42 Herrscht am Startflughafen starker Regen, starker Schneefall oder ein schweres Unwetter, was kein sicheres Anfliegen des Flugzeuges erlaubt, können außergewöhnliche Umstände vorliegen (AG Hamburg, Urt. v. 28.02.2006 – 11B C 329/05; LG Frankfurt a. M., Urt. v. 14.03.201 – 2-24 S 110/13, ZLW 2014, 506; BG Schwechat, Urt. v. 07.10.2011 – 4 C 454/11i-13); grundsätzlich unerheblich ist es, ob der Annullierungsgrund möglicherweise bei Abwarten entfallen wäre, sofern nicht von vornherein mit einem kurzfristigen Wegfall des Hindernisses zuverlässig gerechnet werden konnte (OLG Koblenz, Urt. v. 11.01.2008, RRa 2008, 181 = VersR 2009, 569). So vertritt das BG Schwechat (Urt. v. 12.09.2011 – 1 C 326/12) die zutreffende Ansicht, dass „starker Regen“ für sich allein kein außergewöhnlicher Umstand ist. Auch Schneefall und tiefe Temperaturen stellen im November in Mitteleuropa aber keinen außergewöhnlichen Umstand dar, da zu dieser Zeit mit Winterwetter zu rechnen ist (BG Schwechat, 12.10.2012 – 4 C 580/11v-10, RRa 2012, 101; BG HS, Urt. v. 21.03.2016 – 16 C 296/15v).
42a Starke Schneefälle, die zur Schließung eines Flughafens führen, stellen kein beherrschbares Risiko dar (AG Rostock, Urt. v. 03.11.2011 – 47 C 240/10). Auch bei Wetterbedingungen, die den Luftverkehr oder die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftverkehrsunternehmen ganz oder teilweise zum Erliegen bringen (z.B. Vulkanasche im Luftraum), kann von einem außergewöhnlichen Umstand gesprochen werden (AG Frankfurt, Urt. v. 15.05.2013 – 29 C 1954/11-21, RRa 2014, 49).
43 Auch ein Sandsturm am Start- oder Zielflughafen kommt als außergewöhnlicher Umstand in Betracht (AG Hamburg 01.11. 2013 – 23a C 157/13; 10.01.2014 – 36a C 251/13, RRa 2014, 255 = BeckRS 2014,18888; LG Innsbruck 18.07.2014 – 3 R 214/14p). Ist einem Luftfahrtunternehmen aber zwei Tage vor der Durchführung eines Fluges bekannt, dass über einem Zielflughafen des Vorfluges ein Sandsturm erwartet wird, kann von einem plötzlich aufgetretenen Ereignis nicht gesprochen werden (LG Innsbruck aaO).
43a Gleiches gilt für starke Winde auf einem Flughafen. Doch ist es nicht ausreichend, sich pauschal auf „starke Winde“ zu berufen. Ein Luftfahrtunternehmen muss nachprüfbar darlegen, welche konkreten Windverhältnisse zum Zeitpunkt des geplanten Starts oder der geplanten Landung geherrscht haben und bei welchen Seiten- oder Rückenwind-Komponenten der konkret eingesetzte Flugzeugtyp nach den Herstellervorgaben nicht mehr betrieben werden darf (so auch AG Frankfurt, Urt. v.16.03.2016 – 29 C 2878/14-21).
43b Auch wenn sich ein Luftfahrtunternehmen auf „extremen Gegenwind“ als mögliche Ursache für eine Flugverspätung beruft, muss es konkrete Angaben dazu machen; die bloße Behauptung reicht nicht (AG Hannover, Urt. v. 06.12.2012 – 552 C 7701/12, RRa 2013, 143 = BeckRS 2013, 102127).
43c Entscheidet ein Pilot, dass eine Landung des Flugzeuges wegen schlechte Wetterbedingungen zu gefährlich ist, kann dies wegen § 3 Abs. 1 LuftVO (nautische Entscheidungsgewalt) von einem Gericht nur eingeschränkt auf grobe Fehler überprüft werden (vgl. AG Geldern, Urteil vom 3.8.2011 – 4 C 242/09, RRa 2012, 35 = BeckRS 2011, 20576; offen lassend: AG Frankfurt a.M. 16.3.2016 – 29 C 2878/14-21). Doch muss das Luftfahrtunternehmen in einem solchen Fall hinreichende Anknüpfungstatsachen vortragen, damit das Gericht die Entscheidung des Piloten ggf. auf grobe Fehler durch ein Sachverständigengutachten überprüfen lassen kann (AG Geldern aaO; AG Frankfurt a.M. aaO).
44 Nebel am Zielflughafen ist ein außergewöhnlicher Umstand, wenn alle Luftfahrtunternehmen gleichermaßen von diesen Umständen betroffen sind (BG Schwechat 28.09.2011 – 4 C 612/11z-14, RRa 2012, 254) und alle Flüge zu diesem Zielflughafen umgeleitet werden (LG Korneuburg 15.03.2012 – 21 R 332/11p, RRa 2012, 250 = juris). Wenn aber ein Luftfahrzeug des Luftfahrtunternehmens, das sich wegen Nebels am Flughafen auf „außergewöhnliche Umstände“ berufen will, nur mit den Mindest-Instrumenten ausgerüstet ist und ein Pilot daher allein deshalb nicht landen kann, weil er mit diesen Instrumenten nur bei einer Mindestsicht von 400 m in einer Entscheidungshöhe von 30 m (100 ft.; sog. CAT II), landen darf, dann ist kein „außerordentlicher Umstand“ anzunehmen, weil sich der Industriestandard inzwischen auf eine Ausrüstung für die höhere Allwetter-Betriebsstufe der Kategorie (CAT) III a oder sogar CAT III b mit weit niedrigeren Betriebsbedingungen etabliert hat. Es gibt zwar keine Pflicht für einen Luftfahrtunternehmer, seine Flugzeuge über den Mindeststandard auf dem Niveau des Industriestandards auszurüsten. Wenn er aber ein solchermaßen nicht optimal ausgerüstetes Flugzeug zu Flugplätzen einsetzt, auf denen die Sichtwetterbedingungen zu bestimmten Tageszeiten bekanntermaßen kritisch sind, wirkt sich das lediglich auf das auf seiner kaufmännischen Entscheidung basierende unternehmerische Risiko aus. Daher kann in Fällen, in denen bei nicht optimalen Sichtwetterbedingungen am Zielflughafen ein solchermaßen schlecht ausgerüstetes Flugzeug nicht landen kann, andere, besser ausgerüstete Flugzeuge aber gleichwohl, nicht von einem „außerordentlichen Umstand“ gesprochen werden (so schon Schmid, ZLW 2005, 373, 378; ebenso Sendmeyer, NJW 2011, 808, 811 f.; wohl auch Müller-Rostin, euvr 2013, 1, (13)); jedenfalls aber ist es keiner, der nicht durch zumutbare Maßnahmen hätte vermieden werden können. Muss ein Flug deshalb annulliert werden, bleibt das Luftfahrtunternehmen zur Zahlung von Ausgleichsleistungen verpflichtet; es kann sich nicht darauf berufen, dass der Flughafen nicht angeflogen werden konnte. Denn subjektives Unvermögen ist nicht zu berücksichtigen!
45 Aber auch dann reicht der Umstand, dass das für den Flug vorgesehene Flugzeug wegen schlechten Wetters bereits den vorherigen Flug nicht antreten konnte und deshalb für den annullierten Flug nicht zur Verfügung stand, nach Ansicht des BGH (Urt. v. 14.10.2010 – Xa ZR 15/10, RRa 2011, 33 = NJW-RR 2011, 355) für eine Entlastung nach Art. 5 Abs. 3 VO nicht aus.
46 Ein Blitzschlag kann ein außergewöhnlicher Umstand sein. Ist dieser jedoch am Vortag eingetreten und entdeckt worden, so kann dieser regelmäßig nicht Flugverspätungen oder Flugausfälle am nachfolgenden Tag entschuldigen (so auch AG Erding 23.07.2013 – 3 C 719/12, RRa 2013, 31; AG Königs Wusterhausen 17.02.2016 – 4 C 1942/15, RRa 2016, 138, BeckRS 2016, 11220 = juris; LG Korneuburg 25.08.2015 – 22 R 34/15b). Zudem weist das LG Korneuburg (a.a.O.) zutreffend darauf hin, dass ein Blitzschlag für das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes „lediglich indikativ ist und das Luftfahrtunternehmen weiter vortragen muss, dass trotz dieses Vorfalles mit zumutbaren (konkretisierten) Maßnahmen eines Annullierung nicht zu vermeiden war).“ (so bereits: OGH 3.7.2013 – 7 Ob 65/13d, RRa 2013, 256 = ecolex 2013,960 = ZVR 2014, 71 mAnm. Huber ZVR 2014, 126.
46a Beruht eine Verspätung eines Fluges von A nach B auf der betriebswirtschaftlichen Entscheidung des Luftfahrtunternehmens, das planmäßig für den Flug vorgesehene Flugzeug für einen Flug von A nach C einzusetzen, weil das dafür ursprünglich vorgesehene Flugzeug nach einem Blitzschlag repariert werden musste, liegt nach zutreffender Ansicht des AG Frankfurt a.M. (11.2.2015 – 29 C 3128/14-21, RRa 2016, 31 = BeckRS 2016, 10458) liegt kein außergewöhnlicher Umstand vor.
46b Führen Schlechtwetterbedingungen zur Reduzierung der im Normalbetrieb üblichen An und Abflugrate auf einem Flughafen durch die Flugsicherungsunternehmen, so kann ein außergewöhnlicher Umstand bei den Flügen, die daraufhin annulliert werden müssen gegeben sein.
3. Beschädigungen des Flugzeugs durch Dritte
47 In die Sphäre eines Luftfahrtunternehmens fällt es schließlich auch, wenn es durch Bedienstete des Flughafens zur Beschädigung bei Be- und Entladevorgängen kommt, da solche Ereignisse Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens sind (OLG Frankfurt a.M. 15.11.2011 − 16 U 39/11, Rn. 63, NJW-RR 2012, 374 = MDR 2012, 235; LG Darmstadt 26.3.2010 – 7 S 201/09; AG Frankfurt a.M. 5.11.2009 – 32 C 1379/09-41; RRa 2010,103; AG Frankfurt a.M. 3.2.2010 – 29 C 2088/09, RRa 2010, 289 = NJW-RR 2010, 1360; AG Rüsselsheim 27.7.2012 – 3 C 468/12-37, RRa 2012, 233 = BeckRS 2012, 21693; Woitkewitsch MDR 2012, 193, 194; Bosch/Lorz NZV 2013, 105, 109; aA AG Frankfurt a.M. 14.4.2011 − 29 C 2034/10-21, RRa 2011, 191). Dient ein Treppenfahrzeug und dessen Heranfahren an das Flugzeug dem Ein- und Aussteigen der Fluggäste, ist die Kollision dem normalen, in die Risikosphäre der Fluggesellschaft fallenden Flugbetrieb zuzurechnen (EuGH Beschl. v. 14.11.2014, Rs. C-394/14 – Siewert ./. Condor, RRa 2015, 15 = EuZW 2015, 75 = BeckRS 2014, 82441; zuvor schon: AG Rüsselsheim 12.12.2012 – 3 C 581/12-31, RRa 2013, 192 = BeckRS 2013, 03431; AG Frankfurt a.M. 10.4.2014 – 30 C 3491/13-25, RRa 2014, 252 = BeckRS 2014, 430756; aA AG Köln 24.9.2013 – 146 C 38/13; AG Nürtingen 5.6.2014 – 12 C 530/14). Denn dabei verwirklicht sich ein typisches, der Sphäre des Luftfahrtunternehmens zuzurechnendes Unternehmerrisiko, für die Bereitstellung eines einsatzfähigen Fluggerätes verantwortlich zu sein. Das Luftfahrtunternehmen muss sich dabei das Verhalten des Führers des Treppenfahrzeuges gemäß § 278 BGB zurechnen lassen, weil der Einsatz des Treppenfahrzeuges der (dem Passagier geschuldeten) Abfertigung des Flugzeuges dient und damit Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens und von ihm zu beherrschen ist. Die Beschädigung eines Flugzeuges auf dem Rollfeld durch ein Schleppfahrzeug ist kein außergewöhnlicher Umstand (AG Rüsselsheim 27.7.2012 – 3 C 468/12-37, RRa 2012, 233 = BeckRS 2012, 21693). Auch eine Beschädigung während eines Flugzeugschlepps durch das Personal eines Flughafenunternehmers von einer Werft oder Abstellposition zum Gate ist der Risikosphäre eines Luftfahrtunternehmens zuzurechnen (siehe dazu auch AG Bremen 29.12.2011 – 9 C 91/11, BeckRS 2012, 02233). Deshalb ist nach zutreffender Ansicht des AG Köln (9.1.2015 – 144 C 198/14) die Beschädigung der Frachtluke eines Flugzeuges durch ein Gepäckfahrzeug kein außergewöhnlicher Umstand
47a Das Beliefern eines Flugzeugs durch eine Catering-Firma gehört zur normalen betrieblichen Tätigkeit einer Fluggesellschaft. Wenn hier- bei Fehler geschehen, ist das Teil des normalen Flugbetriebs. Dabei ist es unerheblich, wer die betrieblichen Aufgaben im Einzelnen für das ausführende Luftfahrtunternehmen erbringt oder ob dieses die Aufgaben selbst übernommen hat (AG Köln, Urt. v. 12.05.2014 – 142 C 600/13, NJW-RR 2014, 1277 = BeckRS 2014, 06322).
48 Das AG Rüsselheim hat dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob Eingriffe von eigenverantwortlich handelnden Dritten, die solche Aufgaben übertragen bekommen haben, die zum Betrieb eines Luftfahrtunternehmens gehören, als „außergewöhnliche Umstände“ i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO zu bewerten sind. Am 14.11.2014 hat der EuGH in der Rs. C-394/14 – Siewert ./. Condor (RRa 2015, 15 = EuZW 2015, 75) entschieden, dass ein Vorkommnis wie die Kollision eines Treppenfahrzeugs eines Flughafens mit einem Flugzeug nicht als „außergewöhnlicher Umstand“ qualifiziert werden kann.
48a Auch die Beschädigung eines Flugzeuges durch ein nicht ausreichend gesichertes Bodenfahrzeug, das sich in der Nähe eines geparkten Flugzeugs befindet und durch den Turbinenstrahl eines anderen Flugzeugs (Jet blast) so bewegt wird, dass es mit dem geparkten Flugzeug kollidiert, liegt nicht außerhalb dessen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Damit kann bei solchen Schäden kein „außergewöhnlicher Umstand“ gegeben sein (LG Frankfurt, Urt. v. 25.06.2015 – 2-24 S 51/15, Rra 2016, 191 = juris).
4. Verspätete Abfertigung
49 Verspätungen bei der Abfertigung durch das Bodenpersonal fallen in den Risikobereich eines Luftfahrtunternehmens (AG Hannover 6.12.2012 – 522 C 7701/12, RRa 2013, 143 = BeckRS 2013, 10217). Das gilt insbesondere dann, wenn zu wenig Personal eingesetzt und zu wenige Schalter geöffnet wurden (AG Erding 05.7.2006 – 4 C 309/06, RRa 2007, 41 = BeckRS 2007, 08912). Zeichnet sich ab, dass innerhalb der verbleibenden Zeit bis zum Schluss der Abfertigung (Check-in-deadline) die noch wartenden Fluggäste nicht abgefertigt werden können, muss das Luftfahrtunternehmen dafür sorgen, dass weitere Schalter geöffnet und diese mit zusätzlichem Personal besetzt werden.
5. Flugsicherungsprobleme
50 Beruht die Verspätung darauf, dass das pünktlich gestartete Flugzeug wegen Überfüllung des Luftraums am Ankunftsflughafen zunächst keine Landeerlaubnis erhält und der Fluggast seinen Anschlussflug verpasst, geht nach Ansicht des BGH (13.11.2013 – X ZR 115/12, RRa 2014, 79 = NJW 2014, 859) die Verspätung auf „außergewöhnliche Umstände“ i. S. v. Art. 5 Abs. 3 VO zurück, die die Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen entfallen lassen. Das BG Schwechat (10.09.2012 – 1 C 944/11a; 28.11.2012 – 1 C 672/12b, RRa 2015, 102) vertritt dagegen die Ansicht, dass eine starke Belastung von Flughafeneinrichtungen oder des Luftraums ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht als „außergewöhnlicher Umstand“ angesehen werden kann.
51 Wird die geplante Abflugzeit verschoben, weil das Radargerät der Flugsicherung vorübergehend ausgefallen ist und wird für den verschobenen Start ein Abflugslot vergeben, der zu einer Landezeit während eines Nachtflugverbots am Zielflughafen führt, ist nach Ansicht des AG Erding (Urt. v. 18.04.2011 − 2 C 1053/11, RRa 2012, 31) von einem außergewöhnlichen Umstand auszugehen.
52 Verzögert sich der Abflug, weil kurz vor dem Start ein anderes Flugzeug auf der Startbahn verunglückt ist, kann ein außergewöhnlicher Umstand vorliegen (so AG Köln, Urt. v. 24.06.2013 – 131 C 89/12; BG Schwechat, Urt. v. 16.12.2015 – 18 C 491/15). Das kann aber nur dann gelten, wenn der Flughafen vollkommen gesperrt war, nicht aber, wenn der Flugbetrieb auf anderen Start- und Landebahnen weiter abgewickelt wurde. Das Luftfahrtunternehmen muss dann darlegen und beweisen, dass der Flug auf der gesperrten Start- und Landebahn hätte starten sollen und warum ein Start auf den anderen Bahnen nicht möglich war.
53 Führen Hinweise in einer „NOTAM“ (Notices to Airmen) zu einer Flugplanänderung, kann sich ein Luftfahrtunternehmen für eine daraus resultierende Verspätung nicht stets entlasten (VG Darmstadt, Urt. v. 23.04.2013 – 4 K 922/11.DA, RRa 2013, 246), Denn „NOTAM’s“, die vom Flugsicherungsunternehmen im Rahmen seines Flugberatungsdienstes herausgegeben werden, sind lediglich Hinweise für Luftfahrer über Errichtung, Zustand oder Änderung von Luftfahrtanlagen, Dienste, Verfahren oder über Gefahren, deren rechtzeitige Kenntnis für das betroffene Luftfahrtpersonal wesentlich ist (z.B. der Hinweis, dass auf dem Flughafen nicht getankt werden kann oder darf). Das Luftfahrtunternehmen bzw. der Luftfahrer muss dann entscheiden, welche Maßnahmen getroffen werden müssen. Da die Hinweise in der Regel mit zeitlichem Vorlauf erfolgen, bleibt genügend Zeit für organisatorische Maßnahmen, so dass es schon am Merkmal „außergewöhnlich“ scheitert.
53a Der Ausfall des Computersystems eines Flugsicherungsunternehmens liegt nicht im Einflussbereich eines Luftfahrtunternehmens und ist daher ein außergewöhnlicher Umstand (BG Schwechat, Urt. v. 21.11. 2014 – 1 C 150/14s13, best. v. LG Kornneuburg – 21 R 97/15k).
53b Die Slotvergabe liegt nicht im Einflussbereich eines Luftfahrtunternehmens. Wenn es daher zu einer Einschränkung des Flugverkehrskommt, auf Grund eines länger zurückliegenden Brandes im Terminal 3 des Flughafens in Rom, kann grundsätzlich vom Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände“ ausgegangen werden. Wenn aber einem Luftfahrtunternehmen Unregelmäßigkeiten im Flugbetrieb bereits Tage vor planmäßigem Abflug bekannt sind, so ist es ihm auch zumutbar, sich entsprechend zu informieren und (Organisations-)Maßnahmen für die rechtzeitige Beförderung der Fluggäste ans Endziel zu treffen (z.B. Umbuchung auf einen anderen Flug oder Ersatzbeförderung über einen anderen Umsteigeflughafen), um so eine rechtzeitige Beförderung an das Endziel sicherzustellen (BG Schwechat, Urt. v. 07.10.2015 – 1 C 399/15k). Welche Maßnahmen ergriffen wurden oder warum diese nicht getroffen werden konnten, muss das Luftfahrtunternehmen konkret vortragen (BG Schwechat, Urt. v. 11.06.2015 – 16 C 813/14a).
6. Nachtflugbeschränkungen (Nachtstart- und Nachtlandeverbote)
54 Ein auf einem Flughafen bestehendes Nachtflugverbot (präziser: Nachtflugbeschränkungen für bestimmte Flüge durch ein Nachtlande- und/oder Nachtstartverbot) kann schon begrifflich kein „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO sein, weil für die Qualifizierung der Umstände als „außergewöhnlich“ maßgeblich ist, dass sie sich von denjenigen Ereignissen unterscheiden, mit denen typischerweise bei der Durchführung eines einzelnen Fluges gerechnet werden muss (so auch Schuster RRa 2014, 2 ff.). Der Umstand der regelmäßigen Schließung eines Flughafens zu bestimmten Zeiten muss bzw. kann einem Luftfahrtunternehmen (z.B. z.B. durch Mitteilung im NOTAM) bekannt sein (LG Stuttgart 21.3.2012 – 13 S 93/11, NJW-RR 2013, 380 = BeckRS 2013, 03397; AG Frankfurt a.M. 2.8.2012 – 29 C 1297/12-46, BeckRS 2015, 14152; AG Rüsselsheim 29.6.2015 – 3 C 1047/15-42). Es ist daher vorhersehbar und liegt schon deswegen nicht „außerhalb des Gewöhnlichen“ (siehe dazu oben A III). Ein Luftfahrtunternehmen kann und muss solche Beschränkungen – ebenso wie z.B. dauerhafte oder vorübergehende Überflugverbote oder Verbote, in bestimmte Flugsperr- oder Flugbeschränkungsgebiete einzufliegen – bei der Flugplanung berücksichtigen. Ob ein außergewöhnlicher Umstand aus dem Verantwortungsbereich des Luftfahrtunternehmens kommt, ist unerheblich (so zutreffend: Schuster RRa 2014, 2 ff.)
55 Doch selbst wenn man im Nachtflugverbot einen „außergewöhnlichen Umstand“ sehen wollte (so z.B. LG Darmstadt 6.11.2013 – 7 S 74/13, BeckRS 2014, 23445; 18.12.2013 – 7 S 90/13, BeckRS 2014, 02323), muss ein Luftfahrtunternehmen vortragen, welche Maßnahmen es ergriffen hat, um zu vermeiden, dass ein Abflug sich so verspätet, dass ein Nachtflugverbot relevant werden kann (LG Stuttgart aaO →Rn. 54). Der Umstand, dass die Abflugzeit aufgrund von Problemen bei der Beladung des Flugzeugs vor dem Start in den Zeitraum des Nachtflugverbotes gerät, liegt allein im Risikobereich eines Luftfahrtunternehmens und ist daher kein außergewöhnlicher Umstand (AG Frankfurt a.M. 27.6.2013 – 30 C 1055/13-25, BeckRS 2014, 23444). Plant ein Luftfahrtunternehmen den Abflug nahe an einem für den Startflughafen bestehenden Nachtflugverbot, muss es eine (auf Erfahrungswerten basierende) realistische Zeitreserve einplanen und zudem durch erhöhte Anstrengungen Sorge dafür tragen, dass die Abfertigungsabläufe zeitlich eingehalten werden können. So muss es uU früher als üblich mit dem Einsteigen der Passagiere und dem Verladen des Gepäcks beginnen und sicherstellen, dass das Flugzeug ohne Verzögerungen aus der Parkposition abrollen kann (push back). Genügt es diesen Anforderungen nicht, kann es sich nicht entlasten, wenn es infolge des verzögerten Abrollens nicht mehr rechtzeitig am Startpunkt der Startbahn ankommt und ihm deswegen das Flugsicherungsunternehmen die Startfreigabe verweigert (so auch AG Frankfurt a.M. 8.2.2013 – 30 C 2290/12-47, RRa 2013, 190 = BeckRS 2013, 13954). Das AG Rüsselsheim indes hat diese Frage denselben Flug betreffend gegensätzlich entschieden. Im Urteil vom 27.9.2013 – 3 C 3617/12-37 (BeckRS 2014, 23446) hat es sich davon leiten lassen, dass trotz der unstreitigen Verspätung der Bodenabfertigung das Flugzeug hätte noch starten können, wenn sich nicht noch sechs andere Flugzeuge vor dem Fluggerät der Beklagten befunden hätten. Auch der erfolglose Versuch, eine Ausnahmegenehmigung für einen Start nach Eintritt des Nachtflugverbotes zu erhalten, wirke sich entlastend aus.
56 Verlässt ein Flugzeug seine Parkposition aber pünktlich, liegen weitere Verzögerungen nicht mehr in der Sphäre des Luftfahrtunternehmens. Erreicht das Flugzeug in einem solchen Fall den Startpunkt erst nach Eintritt eines Nachtflugverbotes, liegt ein außergewöhnlicher Umstand vor (AG München, Urt. v. 10.01.2014 – 212 C 11471/13).
57 Wenn man – entgegen hier vertretener Ansicht – ein Nachtflugverbot als außergewöhnlichen Umstand ansieht, muss das Luftfahrtunternehmen, das sich zu seiner Entlastung darauf beruft, vortragen und beweisen, dass allein das Nachtflugverbot kausal für die Annullierung oder große Verspätung des Fluges war und nur deshalb die geplante Ankunft am Endziel um mehr als 3 Stunden überschritten wurde und sich andere Gründe der Verzögerung (z. B. ein technisches Problem) letztlich nicht ausgewirkt haben (so AG Rüsselsheim 23.10.2013 – 3 C 729/13-36, BeckRS2014, 23447 = RRa 2014, 103 Ls.). Wird z.B. die geplante Abflugzeit verschoben, weil das Radargerät der Flugsicherung vorübergehend ausgefallen ist, und wird für den verschobenen Start ein Abflugslot vergeben, der zu einer Landezeit während eines Nachtflugverbots am Zielflughafen führt, ist nach Ansicht des AG Erding (18.4.2011 − 2 C 1053/11, RRa 2012, 31 = BeckRS 2012, 05649) von einem außergewöhnlichen Umstand auszugehen
58 In der Entscheidung vom 27.6.2013 – 30 C 1055/13-25 (BeckRS 2014, 23444) hat das AG Frankfurt a.M. die Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 3 VO zutreffend eng ausgelegt, um – entsprechend der Erwägungsgründe Nr. 1 und 2 9 ein hohes Schutzniveau der Fluggäste sicherzustellen. Der Umstand, dass die Abflugzeit aufgrund einer von dem Luftfahrtunternehmen zu vertretenden technischen Störung in den Zeitraum des Nachtflugverbotes rutschte, lag nach der Überzeugung des Gerichts allein in dessen Risikosphäre. Daneben ist die Verspätung vom Luftfahrtunternehmen trotz Nachtflugverbotes zu vertreten, da nur eine Zeitreserve vor Inkrafttreten des Flugverbotes von nur 75 Minuten eingeplant wurde.
59 Unterschiedlich werden auch die Fälle beurteilt, in denen ein Flugzeug den Luftraum über dem Zielflughafen mit einer Verspätung von weniger als drei Stunden erreicht hat oder hätte erreichen können, ihm aber eine Landegenehmigung wegen des bestehenden Nachtflugverbotes verweigert wurde. Mit Urteil vom 2.8.2012 hat das AG Frankfurt a.M. (29 C 297/12-46, juris = openJur) entschieden, dass das in Frankfurt a.M. vorherrschende Nachtflugverbot kein „außergewöhnlicher Umstand“ ist, der zur Entlastung des Luftfahrtunternehmens führen kann. Nach der Überzeugung des Gerichts beruht das Nachtflugverbot nicht auf einer plötzlichen und unvorhersehbaren Behördenentscheidung, sondern allein darauf, dass das Luftfahrtunternehmen infolge eines technischen Defektes die Landung nicht innerhalb des vorgesehenen Slots beabsichtigte. Hierbei hat das Amtsgericht auch gewürdigt, dass die geplante Landung lediglich 25 Minuten vor dem Inkrafttreten des Nachflugverbotes geplant worden war. Den Grund für die mehr als 3-stündige Verspätung der Landung hat das Amtsgericht somit allein im – aus unbekannten Gründen – verspäteten Start gesehen. Auch ein Spruchkörper des AG Rüsselsheim (27.11.2013 – 3 C 3394/13-31, BeckRS 2014, 23448) sieht das Nachflugverbot nicht als „außergewöhnlichen Umstand“ an, weil es „kein überraschendes und unabwendbares Ereignis darstellt, das vom Luftfahrtunternehmen weder vorhersehbar noch beherrschbar ist.“
60 Ein Teil der Spruchkörper des AG Rüsselsheim sieht dagegen im Bestehen des Nachtflugverbotes immer einen „außergewöhnlichen Umstand“, wenn allein deswegen der „haftungsfreie“ Zeitraum von drei Stunden überschritten bzw. eine Umleitung des Fluges zu einem anderen Flughafen ohne Nachtflugbeschränkungen vorgenommen wird (Urt. v. 23.10.2013 – 3C 729/13-36, BeckRS 2014, 23447; ebenso: AG Rüsselsheim 27.11.2013 – 3 C 3394/13-31, BeckRS 2014, 11430).
61 Nach zutreffender Auffassung ist aber in den Fällen, in denen das Nachtflugverbot eine Verspätung von über 3 Stunden verursacht, allein auf die Ausgangsursache abzustellen. Liegt für die Ausgangsursache kein entlastender Grund vor, kann das Bestehen eines Nachtflugverbots auch nicht als solches als „außergewöhnlicher Umstand“ angesehen werden. Diese Auffassung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH zur geringen Verspätung eines Zubringerfluges, die zur Folge hat, dass der Zubringerflug verpasst wird (BGH 7.5.2013 – X ZR 127/11, RRa 2013, 237 = NJW-RR 2013, 1065 = NZV 2013, 53). Auch eine Ursache, die – für sich betrachtet – keine Ansprüche nach der Verordnung nach sich zieht, kann, soweit sie eine große Verspätung am Endziel bedingt, nicht unberücksichtigt bleiben. Nur wenn ein Flug pünktlich abgefertigt wird bzw. pünktlich zum vom Nachtflugverbot bedrohten Flughafen startet, könnte über das Vorliegen eines „außergewöhnlichen Umstandes“ nachgedacht werden. Dieser könnte aber auch nur dann angenommen werden, wenn trotz pünktlichen Starts am Ausgangsflughafen eine außerhalb der Sphäre des Luftfahrtunternehmens liegende Verlängerung des Fluges eingetreten wäre, die das rechtzeitige Landen am Flughafen mit Nachtflugverbot verhindert hat. Davon ist auszugehen, wenn die Landebahn des Zielflughafens durch einen Unfall blockiert ist und das Flugzeug deswegen nicht vor dem Beginn des Nachtlandeverbotes am Endziel landen kann.
7. Fehlerhafte Sicherung eines Luftfahrzeuges
62 Das AG Frankfurt (Urt. v. 05.11.2009 − 32 C 1379/09-41, RRa 2010, 103 = ADAJUR Dok. Nr. 92942 Ls.) hat entschieden, dass ein Luftfahrtunternehmen sich nicht nach Art. 5 Abs. 3 VO entlasten kann, wenn ein Flugzeug in der Parkposition nicht durch Bremsklötze gesichert und deshalb beim Rückwärtsrollen beschädigt wurde.
8. Medizinischer Notfall
63 Ob die Erkrankung oder der Tod eines Fluggastes, der dazu führt, dass das Flugzeug umdrehen oder zwischenlanden muss, als ein außergewöhnlicher Umstand angesehen werden kann, ist umstritten. Der BGH hat in seinen „Streik-Urteilen“ (Urt. v. 21.08.2012 – X ZR 146/11, Rn. 15 f.; Urt. v. 21.08.2012 – X ZR 138/11, RRa 2012, 288, Rn. 10 und 13) festgestellt, dass der Gesetzgeber als „außergewöhnlichen Umstand“ nicht jedes unvermeidbare Ereignis genügen lassen wollte, sondern nur ein solches, das „nicht dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge entspricht“, d.h. „aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragt“. Aus diesem Blickwinkel könnte man Erkrankungen (z.B. Schlaganfälle, Herzinfarkte, Thrombosen o.ä.) und den Tod eines Fluggastes nicht als außergewöhnlichen Umstand ansehen, weil sie im Alltag des Luftverkehrs nicht selten sind. Sie ragen daher nicht aus den üblichen und zu erwartenden Abläufen des Luftverkehrs heraus, sondern sind Ereignisse, mit denen typischerweise bei der Durchführung eines einzelnen Fluges gerechnet werden muss und wird (offen gelassen: AG Düsseldorf 21.6.2013 – 43 C 6731/12, NRWE = BeckRS 2014, 08573). Deswegen werden die Flugzeugbesatzungen in regelmäßig wiederkehrenden Schulungen entsprechend ausgebildet. Doch hängt die Einordnung eines Ereignisses als „außergewöhnlich“ nicht von der Häufigkeit seines Auftretens in der täglichen Praxis des Flugverkehrs ab (so zutreffend BGH 24.9.2013 – X ZR 160/12, Rn.16, RRa 2014, 25 = NJW 2014, 861 = BeckRS 2013, 19683).
64 Dennoch ist bei einer Erkrankung oder Tod eines Fluggastes von Art. 5 Abs. 3 VO auszugehen. Nach der Rechtsprechung ist ein Ereignis immer dann ein „außergewöhnlicher Umstand“, wenn es auf ein Vorkommnis zurückgeht, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und aufgrund seiner Natur oder Ursache vom Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen ist (EuGH 22.12.2008, Rs. C-549/07 − Wallentin-Hermann ./. Alitalia, Rn.23, RRa 2009, 35 = NJW 2009, 347; 19.11.2009 C-402/07, NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 – Sturgeon u.a ./. Condor; 31.1.2013, Rs. C-12/11 – McDonagh ./. Ryanair, RRa 2013, 81 = NJW 2013, 921; BGH 24.9.2013 – X ZR 160/12, Rn.10, RRa 2014, 25 = NJW 2014, 861 = BeckRS 2013, 19683; EuGH 17.9.2015, Rs. C-257/14 – van der Lans ./. KLM, RRa 2015, 287 = NJW 2015, 3427). Eine Erkrankung oder der Tod eines Fluggastes, der dazu führt, dass das Flugzeug umdreht oder zwischenlandet, ist daher ein „außergewöhnlicher Umstand“ (AG Wedding 28.10.2010 – 2 C 115/10, RRa 2012, 38 = BeckRS 2012, 38; AG Frankfurt a.M. 1.3.2011 – 31 C 2177/10, RRa 2011, 144 = LSK 2011, 460187; LG Frankfurt a.M. 21.3.2014 – 2-24 S 160/13; Woitkewitsch MDR 2012, 193, 194; Bosch/Lorz NVZ 2013, 105, 107; aA AG Rüsselsheim 11.2.2011 – 3 C 2021/10-36). Auch ein Todesfall an Bord während des vorhergehenden Fluges entlastet ein Luftfahrtunternehmen (AG Frankfurt a.M. 01.3.2011). Das AG Düsseldorf (27.8.2015 – 40 C 287/15, RRa 2016 = BeckRS 2016, 05890) hat die plötzliche Erkrankung eines Passagiers (Herzinfarkt) während des Boardings und dessen nachfolgenden Tod an Bord des Flugzeugs als außergewöhnlichen Umstand iSd Art. 5 Abs. 3 VO angesehen. Wenn die Crew aufgrund eines solchen Vorfalls wegen der sich daraus ergebenden Überschreitung der höchstzulässigen Flugdienstzeit nicht weiterfliegen kann, kann dem Luftfahrtunternehmen nicht angelastet werden, dass eine Ersatz-Crew nicht zur Verfügung steht, wenn der Flughafen, an dem der außergewöhnliche Umstand eintritt, im Ausland liegt und nicht Heimatflughafen des Luftfahrtunternehmens ist (AG Düsseldorf aaO).
65 Ein „außergewöhnlicher Umstand“ kann grundsätzlich auch dann angenommen werden, wenn der medizinische Notfall auf einem unmittelbar vorausgehenden Flug aufgetreten ist (AG Frankfurt a.M. 1.3.2011 − 31 C 2177/10-83, RRa 2011, 144; AG Wedding 28.10.2010 − 2 C 115/10, RRa 2012, 38 = BeckRS 2012, 05651; AG Geldern 28.11.2007 – 14 C 273/07, BeckRS 2007, 65119 = NJOZ 2008, 309; AG Rüsselsheim 11.4.2015 – 3 C 2273/13-33, RRa 2016, 88; Bosch/Lorz NZV 2013, 105,107; aA früher: Schmid RRa 2012, 2, 4). In diesem Fall muss das Luftfahrtunternehmen aber darlegen und beweisen, welche zumutbaren Maßnahmen es zur Vermeidung der Verspätung des folgenden Fluges getroffen hat (AG Düsseldorf 27.9.2013 – 36 C 6837/13, RRa 2014, 42 = BeckRS 2014, 04042; dazu unten unter B, →85 ff.). Wenn der Vorflug schon am vorangegangenen Tag wegen eines medizinischen Notfalls verspätet am Heimatflughafen des Luftfahrtunternehmens angekommen ist, der unmittelbar folgende Flug aber erst am nächsten Tag von dort stattfindet, ist im Rahmen des Art. 5 Abs. 3 VO zu prüfen, ob z.B. durch Umorganisation der Einsatzpläne die Verspätung des Folgefluges vermeidbar gewesen wäre. Das Luftfahrtunternehmen muss auch darlegen und beweisen, ob eine hinreichende Zeitreserve eingeplant worden ist und in welchem Umfang es Ersatz-Flugzeuge vorgehalten hat, die hätten eingesetzt werden können.
9. Fehlendes Enteisungsmittel
66 Ob die mangelnde Bevorratung von Enteisungsmitteln durch einen Bodenverkehrsdienstleister dem ausführenden Luftbeförderungsunternehmen zuzurechnen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Während das AG Königs Wusterhausen (3.5.2011 − 20 C 83/11, RRa 2011, 196 = BeckRS 2011, 20520) die Zurechnung in einem Fall bejaht (ebenso OGH 3.7.2013 − 7 Ob 65/13d, RRa 2013, 256 = ecolex 2013,960 = ZVR 2014, 71 mAnm. Huber ZVR 2014, 126; LG Köln 9.4.2013 – 11 S 241/12, RRa 2014, 34 = BeckRS 2014, 04026; BG Schwechat 12.10.2011 – 4 C 580/11 v-10, RRa 2012, 101; AG Frankfurt a.M. 11.11.2015 – 30 C 2806/15-87, RRa 2016, 136 = BeckRS 2015, 20325), verneint ein anderer Spruchkörper desselben Gerichts dies in einer vergleichbaren Fall- Konstellation (8.6.2011 − 9 C 113/11, NJW-RR 2012, 51 = RRa 2011, 241 m abl. Anm. Schmid RRa 2011, 244). Zur Begründung wird wenig überzeugend ausgeführt, das vom Flughafenbetreiber beauftragte Unternehmen sei kein Erfüllungsgehilfe des Luftfahrtunternehmens. Originäre Aufgabe eines Luftfahrtunternehmens ist es aber, das eingesetzte Fluggerät in technisch einwandfreiem und betriebssicherem Zustand zu halten (so auch: BG Schwechat 12.10.2012 – 4 C 580/11v-10, RRa 2012, 101; AG Frankfurt a.M. 9.5.2014 – 29 C 3587/13-44, RRa 2015, 33 = ADAJUR Dok. Nr. 107512; AG Frankfurt a.M. 22.5.2015 – 29 C 286/15-85, RRa 2015, 237 = ADAJUR Dok. Nr. 109423; BGHS 12.10.2015 – 16 C 194/15v-12, RRa 2016, 52; 2016, 157; AG Frankfurt a.M. 11.11.2015 – 30 C 2806/15-87, RRa 2016, 136 = BeckRS2016, 11206; AG Hannover 3.5.2016 – 446 C 7085/15). Dazu gehört die Pflicht im Winterbetrieb, bei bestimmten Wetterbedingungen dafür Sorge zu tragen, eine Eisbildung auf den Tragflächen und Triebwerkseinlässen zu verhindern.bzw. zu beseitigen. Wenn ein Luftfahrtunternehmen diese Aufgaben nicht selbst durchführt, sondern einem Dritten überträgt, so wird dieser im maßgeblichen Pflichtenkreis des Luftfahrtunternehmens tätig mit der Folge, dass Letzteres sich sowohl das Handeln und als auch das Unterlassen des beauftragten Abfertigers auch hinsichtlich der Durchführung der Maßnahmen einer rechtzeitigen (Ersatz-)Bestellung und Bevorratung von Enteisungsmittel vollumfänglich zurechnen lassen muss (ebenso: LG Köln 9.4.2013 – 11 S 241/12, RRa 2014, 34 = BeckRS 2014, 04026; BG Schwechat 12.10.2012 – 4 C 580/11v-10, RRa 2012, 101; AG Frankfurt a.M. 9.5.2014 – 29 C 3587/13-44, RRa 2015, 33 = ADAJUR Do. Nr. 107512; BGHS 12.10.2015 – 16 C 194/15v-12, RRa 2016, 52; aA LG Darmstadt 3.11.2010 – 7 S 58/10, BeckRS 2012, 16183; AG Frankfurt a.M. 17.7.2007 – 31 C 1093/07, juris; AG Hannover 3.5.2016 – 446 C 7085/15; Schmid RRa 2011, 244; Flöthmann ZfS 2012, 188 (192); Blankenburg RRa 2015, 162 (167)). Das OLG Brandenburg hat daher völlig zutreffend entschieden, dass es für einen Entschädigungsanspruch gegenüber der Fluggesellschaft unerheblich ist, ob die Beschaffung des Enteisungsmittels dem betroffenen Flughafen, der Fluggesellschaft selbst oder einem Dienstleister obliegt (19.11.2013 – 2 U 3/13, RRa 2014, 81 = BeckRS 2013, 20622). Eine Entlastung des Luftfahrtunternehmens kommt aber dann in Betracht, wenn das mit der Bevorratung beauftragte Unternehmen nachweisen kann, dass es sich frühzeitig um die notwendig gewordenen Nachlieferungen bemüht hat (so auch Sendmeyer NJW 2011, 808 (811)).
66a Engpässe beim Personal, die dazu führen, dass nicht die vorgesehene Anzahl von Flugzeugen in der vorgesehenen Zeit enteist werden kann, stellen keinen außergewöhnlichen Umstand dar. Denn die Fluggeräte technisch in einem flugbereiten Zustand zu halten, damit die Beförderung der Fluggäste zum vereinbarten Zeitpunkt möglich ist, liegt im alleinigen Verantwortungsbereich eines Luftfahrtunternehmens. Versäumnisse der Person (hier: der Flughafenbetreiber), die diese Aufgaben an ein Luftfahrtunternehmen delegiert hat, und die somit dessen Erfüllungsgehilfe ist, muss sich das Luftfahrtunternehmen zurechnen lassen (so zutreffend: AG Königs Wusterhausen 3.5.2011 – 20 C 83/11, RRa 2011, 196 = BeckRS 2011, 20520; BG Schwechat 12.10.2012 – 4 C 580/11v-10, RRa 2012, 101; ebenso: AG Frankfurt a.M. 9.5.2014 – 29 C 3587/13-44, RRa 2015, 33 = ADAJUR Dok. Nr. 107512; AG Hannover 3.5.2016 – 446 C 7085/15).
66b Da im Winterbetrieb die Enteisung eines Flugzeuges als üblicher und zu erwartender Ablauf in die Flugdurchführung mit einzuplanen ist, stellt nach Ansicht des BG HS (Urt. v. 12.10.2015 – 16 C 194-15v, RRa 2016, 52) eine Verzögerung bei der Enteisung keinen außergewöhnlichen Umstand dar (ebenso: AG Hannover, Urt-v. 03.05.2016 – 446 C 7085/15). Das muss jedenfalls für solche Verzögerungen gelten, die nach allgemeiner Erfahrung nicht auf dem jeweiligen Flughafen ungewöhnlich sind. Dabei sind die konkrete Verkehrszeit (Haupt-, Normal- oder Schwachverkehrszeit), die Zahl der in dieser Zeit abzufertigenden Flüge und die Leistungskapazität des Flughafens zu berücksichtigen.
10. Mangelhafte Schneeräumung
67 Hat die Annullierung oder Verspätung eines Fluges ihre Ursache in der mangelhaften Räumung der Rollwege und Start- und Landebahnen eines Flughafens durch den Flughafenbetreiber (z.B. weil zu wenige Räumfahrzeuge oder Personal vorgehalten wurden), so kann einem Luftfahrtunternehmen dies nicht zugerechnet werden. Zwar ist der Flughafenbetreiber einem Luftfahrtunternehmen, mit dem er einen Flughafennutzungsvertrag geschlossen hat, verpflichtet, einen betriebssicheren Flughafen zur Verfügung zu stellen (§ 45 LuftVZO) und entsprechende Ressourcen vorzuhalten (siehe dazu Schwenk/Giemulla, Handbuch des Luftverkehrsrechts [2005], S. 581), d.h. im Winter für eine ordnungsgemäße Befreiung der Bewegungsflächen von Eis und Schnee zu sorgen. Gleichwohl wird der Flughafenbetreiber bei dieser Tätigkeit nicht als „Leute“ des Luftfahrtunternehmens tätig, weil der Flughafenbetreiber beim Schneeräumen nicht in Ausführung einer ihm vom Luftfahrtunternehmen übertragenen Verrichtung handelt. Ein Luftfahrtunternehmen kann dem Betreiber eines Flughafens diese Aufgabe gar nicht (als originär eigene) übertragen, weil es (anders als bei der Enteisung eines Flugzeuges) nicht berechtigt ist, selbst die Schneeräumung vorzunehmen (so auch OGH 16.11.2012 – 6 Ob 131/12a, RRa 2013, 46 = Zak 2013, 41 = RdW 2013, 134 = ZVR 2013, 315; LG Köln 8.11.1979 – 15 O 75/78, VersR 1981, 90; aA OLG Wien 28.3.2012 – 5 R 227/11f, RRa 2012, 246 = juris). Zum Schutzbereich des Flughafennutzungsvertrages siehe auch RihS ZVR 2012, 141; Sigl, TranspR 2012, 349 und Tetzlaff, TranspR 2011, 134).
11. Der Ausfall von Besatzungsmitgliedern
68 Ungeklärt ist bislang, ob sich ein Luftfahrtunternehmen entlasten kann, wenn ein Flug annulliert werden musste oder nur mit großer Verspätung durchgeführt werden konnte, weil ein Besatzungsmitglied erkrankt ist. In der Regel berufen sich die Luftfahrtunternehmen darauf, dass ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt, weil die Erkrankung eines Mitarbeiters ein Fall „höherer Gewalt“ sei und es eine bestimmte Zeit dauere, bis ein anderes Besatzungsmitglied, das aus dem Heimatstaat des Luftfahrtunternehmens eingeflogen werden müsste, und es zudem erst nach Ablauf der anschließenden Ruhezeit eingesetzt werden könnte.
69 In der Rs. C-549/07 – Hermann ./. Alitalia hat der EuGH mit Urteil vom 22.12.2008 (Ls. 3, Rn.23 und Rn.38 ff., Slg. 2008 I-11061 = RRa 2009, 35 = NJW 2009, 347; bestätigt in der Rs. Böck u.a. ./. Air France, aaO und 17.9.2015, Rs. C-257/14 – van der Lans ./. KLM, RRa 2015, 287 = NJW 2015, 3427) entschieden, dass „ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind.“
70 Diese Überlegungen sind nicht auf die Fälle beschränkt, in denen ein Flug wegen eines technischen Problems annulliert werden muss oder nur mit großer Verspätung durchgeführt werden kann. Vielmehr lässt sich daraus ableiten, dass bei der Prüfung, ob ein „außergewöhnlicher Umstand“ vorliegt, also auch in anderen Fällen zu prüfen ist, ob die Annullierung oder große Verspätung auf ein Vorkommnis zurückgeht, das aufgrund seiner Natur oder Ursache Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist. So hat auch LG Darmstadt im Urteil vom 06.04.2011 − 7 S 122/11 (RRa 2011, 290 = BeckRS 2011, 28874) entschieden: „Es ist allein der betrieblichen Sphäre der Fluggesellschaft zuzurechnen, wenn ein bei ihr beschäftigter Mitarbeiter erkrankt und deshalb seine vorgesehenen Aufgaben nicht wahrnehmen kann. Die Erkrankung eines Crew-Mitgliedes ist daher kein „außergewöhnlicher Umstand“ und führt nicht nach Art. 5 Abs. 3 VO zum Wegfall der Leistungspflicht.“ (so auch: AG Frankfurt a.M. 20.5.2011 – 31 C 245/11-16, juris = ADAJUR Dok. Nr. 98523 (Ls.); AG Königs Wusterhausen 1.6.2012 – 9 C 138/12, RRa 2013, 193 = BeckRS 2013 13956; AG Rüsselsheim 17.9.2010 – 3 C 598/10 (31), RRa 2010, 278 = BeckRS 2011, 00386 [das Berufungsverfahren wurde beim LG Darmstadt unter dem Aktenzeichen 7 S 131/10 geführt und durch Vergleich beendet]; LG Düsseldorf 22.8.2014 – 22 S 31/14, RRa 2015, 125 = BeckRS 2015, 12082; HG Wien 18.6.2012 – 1 R 153/11p; LG Korneuburg 21 R 90/13b; AG Düsseldorf 14.8.2015 – 37 C 15236/14, RRa 2016, 196; siehe auch →Woitkewitsch MDR 2012, 193 (194); Bosch/Lorz NZV 2013, 105 (107)). Der BGH hat diese Frage bislang nicht entschieden: Im Urteil vom 18.2.2010 – Xa ZR 95/06 Rn. 16 (RRa 2010, 93 = NJW 2010, 2281) hatte er die Frage noch offen gelassen; im Revisionsverfahren (X ZR 92/14) zum vorerwähnten Urteil des LG Düsseldorf wurde die Klage vor der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
71 Dem Untergericht kamen dann aber wohl Zweifel, ob diese Rechtsprechung ausgewogen genug ist, denn in neueren Entscheidungen differenziert das AG Rüsselsheim danach, wo die Erkrankung eingetreten ist: Erkrankt das Besatzungsmitglied am Heimatflughafen, kann der Luftfahrtunternehmer ein anderes Besatzungsmitglied aus dem Bereitschaftsdienst einsetzen; in diesem Fall soll kein „außergewöhnlicher Umstand“ vorliegen. Erkrankt das Besatzungsmitglied aber während eines Umlaufs fernab vom Heimatflughafen, soll ein „außergewöhnlicher Umstand“ vorliegen. Das überzeugt nicht vollumfänglich, weil die Zuordnung eines Ereignisses zum unternehmerischen Risiko nicht davon abhängen kann, wo der Arbeitnehmer erkrankt. Wenn die Crew aufgrund des Eintritts eines außergewöhnlichen Umstandes und der sich daraus ergebenden Überschreitung der maximalen Flugdienstzeit nicht weiterfliegen kann, kann es dem Luftfahrtunternehmen nicht angelastet werden, dass eine Ersatz-Crew nicht zur Verfügung steht, wenn der Flughafen, an dem der außergewöhnliche Umstand eintritt, im Ausland liegt und nicht Heimatflughäfen des Luftfahrtunternehmens ist (so auch: AG Düsseldorf, Urt. v. 27.08.2015 – 40 C 287/15, RRa 2016, 25 = BeckRS 2016, 05890).
71a Das BG Schwechat (Urt. v. 23.09.2015 – 1 C 297/15h; best. v. LG Korneuburg, Urt. v. 09.02.2016 – 22 R 10/16z) vertritt die Ansicht, dass der Umstand, dass Piloten und Mitglieder der Kabinenbesatzungsmitglieder erkranken als „gewöhnliches Unternehmerrisiko“ anzusehen sei. Ein Luftfahrtunternehmer müsse daher Vorsorge treffen, dass für den Fall der Erkrankung eines Besatzungsmitgliedes Ersatz so rechtzeitig zur Verfügung steht, dass ein Flug unter drei Stunden Verspätung am Ziel ankommt. Das gelte auch für Einsätze, die nicht vom Heimatflughafen erfolgen.
71b Nach Auffassung des LG Düsseldorf (22.8.2014 – 22 S 31/14, RRa 2015, 125 = BeckRS 2015, 12082) liegt ein „außergewöhnlicher Umstand“ auch dann nicht vor, wenn ein Pilot aufgrund einer Lebensmittelvergiftung während eines Fluges erkrankt und der Flug deswegen zum Startflughafen zurückgeführt wird. Die zur Verspätung führende Erkrankung des Piloten während des Fluges ist nach dieser zutreffenden Ansicht mit einem technischen Problem vergleichbar (aA die Vorinstanz: AG Düsseldorf 19.2.2014 – 232 C 14479/13, openJur). Dieses Urteil lag dem BGH zur Überprüfung vor (X ZR 92/14); die Klage wurde aber vor der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
72 Das Vorstehende gilt auch, wenn ein Besatzungsmitglied aus anderen Gründen (Ermüdung, Genuss von Alkohol) nicht einsatzfähig ist.
73 Droht eine Überschreitung der maximalen Flugdienstzeit der Flugzeug-Besatzung (Piloten oder Flugbegleiter) aufgrund von Verzögerungen durch den Einbau von Einrichtungen zur Beförderung eines erkrankten oder verletzten Passagiers (z. B. einer Krankentrage [Stretcher] für den Liegendtransport eines Fluggastes), muss das Luftfahrtunternehmen nach Ansicht des LG Frankfurt a.M. (2.9.2011 − 2-24 S 47/11, RRa 2011, 238 = BeckRS 2011, 24163) eine Ersatz-Crew bereithalten. Die Erfordernis, einen kranken Passagier liegend zu transportieren, kommt in aller Regel nicht überraschend; vielmehr wird ein solcher Auftrag von einem Reiseveranstalter, einem Versicherungsunternehmer oder dem Passagier längere Zeit im Vorfeld eines Fluges erteilt. Wenn es dabei zu Zeitverzögerungen kommt, liegt dies in seinem organisatorischen Bereich ist ihm daher zuzurechnen.
74 Zutreffend hat das AG Frankfurt a.M. (03.06.2016 – 30 C 4307/15-71) entschieden, dass das Risiko, dass aufgrund geringfügiger Verzögerungen im Betriebsablauf die Crew-Dienstzeiten überschritten werden, in aller Regel innerhalb der betrieblichen Sphäre des Luftfahrtunternehmen liegt und sich nicht als ein von außerhalb kommender Umstand darstellt.
74a Beruft sich ein Luftfahrtunternehmen auf außergewöhnliche Umstände, weil die vorgesehene Besatzung nach einem verspäteten Vor-Flug eine Mindestruhezeit einhalten müsse, hat es nach einem Urteil des AG Hannover (31.1.2011 − 426 C 12868/10, RRa 2011, 144 = BeckRS 2011, 17049 = juris) darzulegen, warum keine Ersatz-Crew einsetzbar gewesen sei. (Ausführlich dazu mit Beispielen aus der Praxis: →Schmid RRa 2012, 2 (5)).
75 Im Übrigen ist einem verbreiteten Irrtum entgegenzutreten: Auch bei Ausfall eines Besatzungsmitgliedes muss grundsätzlich kein Flug annulliert werden. Da nach den gesetzlichen Bestimmungen (JAR-OPS 1.990 [b] [2]) bei Flugzeugen mit mehr als 19 Sitzplätzen ab jedem 50. Passagiersitzplatz 1 Flugbegleiter an Bord sein muss, um in einem Notfall das Flugzeug rasch und geordnet und damit sicher evakuieren zu können, kann der Flug durchgeführt werden, wenn so viele Passagiere aussteigen, dass für jeweils 50 der an Bord bleibenden Fluggäste ein Flugbegleiter an Bord ist. Fällt ein Flugbegleiter aus, kann der Flug dennoch durchgeführt werden, wenn so viele Fluggäste „abgeladen“ werden, dass für die verbleibenden die gesetzlich vorgeschriebene Zahl von Flugbegleitern zur Verfügung steht (siehe: JAR-OPS 1.990 [d]). (Siehe zu dieser Fallkonstellation: AG Düsseldorf 14.08.2015 – 37 C 15236/14, RRa 2016, 196 = juris).
75a Es gehört auch zum betrieblichen Risiko eines Luftfahrtunternehmens, dass Besatzungsmitglieder den Flugdienst mit Verspätung antreten (so auch BGHS 12.10.2015 – 16 C 194/15v, RRa 2016, 52). Dies gilt auch, wenn die Besatzungsmitglieder auf einem Flughafen eingesetzt werden, auf dem keine eigenen Crews vorgehalten werden, diesen Einsatzort rechtzeitig erreichen. Wenn eine Besatzung auf dem Weg von der Heimat-Basis zum Einsatzort in einen Verkehrsstau gerät, kann sich ein Luftfahrtunternehmen regelmäßig nicht entlasten. Dies gilt insbesondere dann, wenn für die Beförderung, die in die Flugdienstzeit fällt, keine ausreichende Zeitreserve eingeplant wurde. Eine solche ist daran zu bemessen, wie „staugefährdet“ ein Transport auf der Strecke ist. Ist von einer Staugefährdung auszugehen, muss das Luftfahrtunternehmen darlegen, warum nicht eine Anreise am Vortag geplant wurde.
75b Wenn ein Fluggast den Anweisungen der Besatzung nicht Folge leistet, randaliert und grundsätzlich ernstzunehmende Drohungen ausspricht, liegt nach Ansicht des AG Frankfurt (Urt. v. 08.06.2016 – 31 C 397/16-17) hinsichtlich der durch eine Sicherheitslandung verursachten Verspätung des Fluges ein außergewöhnlicher Umstand vor. Es stellt sich die Frage, ob solche Störungen im Flugumlauf (z.B. eine Ausweichlandung) nicht schon deswegen nicht außergewöhnlich sind, weil Störungen im Flugumlauf (z.B. eine Ausweichlandung) sich grundsätzlich innerhalb des normalen Betriebsablaufes bewegen ( so zutreffend AG Frankfurt a.M. 22.04.2016 – 30 C 11/15-71).. Jedenfalls kommt eine Entlastung wegen eines „außergewöhnlichen Umstandes“ aber dann nicht in Betracht, wenn sich nicht schon vor oder beim Einsteigen das Boden- oder Bordpersonal hätte erkennen können, dass der Fluggast aggressiv ist oder werden könnte.
12. Streik
76 Im Erwägungsgrund 14 VO wird u.a. der „den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigende Streik“ als außergewöhnlicher Umstand erwähnt. Es steht außer Zweifel, dass Streiks des Personals des Luftfahrtunternehmens Ausgleichsansprüche auslösen können. Teilweise wurde in der Literatur die Meinung vertreten, dass sich nur ein externer Streik entlastend auswirke (Bartlik RRa 2009, 272, 278; Schmid NJW 2006, 1841, (1843, dort Fn. 36); Staudinger RRa 2006, 254; Staudinger/Schürmann NJW 2010, 2771 (2775 f.)). Demgegenüber wollen andere auch bei Arbeitsniederlegung des Personals des mit der Flugdurchführung beauftragten Luftfahrtunternehmens einen außergewöhnlichen Umstand annehmen (AG Köln 4.8.2009 − 133 C 191/09, NRWE = openJur; Makiol/Harke ZLW 2008, 696; unklar: Führich RRa 2010, 57). Erwägungsgrund 14 VO unterscheidet aber nicht zwischen betriebsinternen und betriebsfremden Arbeitskampfmaßnahmen.
77 Im Urteil vom 21.08.2012 (X ZR 138/11, BGHZ 194, 258 = RRa 2012, 288 = NJW 2013, 374 =ZLW 2013, 128) hat der BGH entschieden, dass bei einem Streik „außergewöhnliche Umstände“ i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO vorliegen, wenn eine Gewerkschaft im Rahmen einer Tarifauseinandersetzung die Piloten eines Luftverkehrsunternehmens zur Arbeitsniederlegung aufruft und das bestreikte Luftverkehrsunternehmen Flüge annulliert, um den Flugplan an die zu erwartenden Auswirkungen des Streikaufrufs anzupassen. In einer solchen Situation hat ein Luftverkehrsunternehmen allerdings die Pflicht, den Betriebsablauf möglichst schon im Vorfeld entsprechend zu reorganisieren. Nach Ansicht des BGH hat es dabei aber „darauf hinzuwirken, dass die Beeinträchtigung für die Gesamtheit der Fluggäste möglichst gering ausfällt und dass nach dem Wegfall der Beeinträchtigungen möglichst schnell wieder der Normalbetrieb aufgenommen werden kann. Schöpft das Luftverkehrsunternehmen unter Einhaltung dieser Anforderungen die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen in dem gebotenen Umfang aus, kann die Nichtdurchführung eines einzelnen Fluges in der Regel nicht allein deshalb als vermeidbar angesehen werden, weil stattdessen ein anderer Flug hätte annulliert werden können.“ Angesichts der komplexen Entscheidungssituation, bei der eine Vielzahl von Flügen sowie deren Verknüpfung untereinander zu berücksichtigen ist, billigt der BGH dem Luftverkehrsunternehmen einen Spielraum bei der Beurteilung der zweckmäßigen Maßnahmen zu.
78 Das hat dazu geführt, dass in der Öffentlichkeit der irrige Eindruck entstanden ist, ein Luftfahrtunternehmen könne sich bei der Annullierung oder Verspätung eines Fluges aufgrund eines Streiks per se darauf berufen, dass ein „außergewöhnlicher Umstand“ vorgelegen habe und es deshalb von der Pflicht zur Zahlung der Ausgleichsleistung befreit sei. Das HG Wien hat in seinem Urt. v. 28.08.2013 – 1 R 266/12g, RRa 2013, 294) völlig zu Recht entschieden, dass ein Luftfahrtunternehmen zu seiner Entlastung konkret zu behaupten und zu beweisen habe, dass und warum es ihm auch unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel offensichtlich nicht möglich war, ohne nicht tragbare Opfer den „außergewöhnlichen Umstand“ zu vermeiden, der zur Annullierung des Fluges geführt hat. (Siehe dazu ausführlich unten unter C).
79 Nach zutreffender Ansicht des West London County Court (Urt. v. 17.04.2009 − Rigby ./. Iberia) stellt ein wilder Streik am Flughafen einen außergewöhnlichen Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO dar, der das Luftfahrtunternehmen zur Ablehnung der geforderten Ausgleichszahlungen berechtigt. Gleiches gilt bei einem durch Streik bedingten Funktionsausfall am Zielflughafen (AG Frankfurt, Urt. v. 13.06.2013 − 29 C 2918/12-19, RRa 2013, 285) sowie für Streikmaßnahmen von Mitarbeitern der Vorfeldaufsicht und -kontrolle sind (AG Rüsselsheim, Urt. v. 27.11.2013 – 3 C 305/13-31, RRa 2014, 146 = BeckRS 2014,12193).
79a Können Fluggäste wegen eines Streiks des Personals der Sicherheitskontrolle auf einem Flughafen nicht rechtzeitig am Flugsteig sein, hat das Luftfahrtunternehmen dafür nicht einzustehen. Da die Sicherheitskontrolle Aufgabe der Bundespolizei ist, kann ein Luftfahrtunternehmen die Kontrollen nicht durch eigenes Personal durchführen lassen (so auch: AG Hamburg 09.05.2014 – 36a C 462/13, RRa 2014, 249 = BeckRS 2014, 18885).
79b Auch bei Streik der Fluglotsen kann sich ein Luftfahrtunternehmen auf Art. 5 Abs. 3 VO berufen (AG Königs Wusterhausen 31.1.2011 – 4 C 308/10, RRa 2011, 240 = BeckRS 2011, 21454). Gleiches gilt für Streikmaßnahmen von Mitarbeitern der Vorfeldaufsicht und Vorfeldkontrolle (AG Rüsselsheim 27.11.2013 – 3 C 305/13-31, RRa 2014, 146 = BeckRS 2014, 12193).
80 Das AG Hamburg (4.10.2013 – 20a C 206/12, RRa 2014, 94 = BeckRS 2014, 08343) hat zutreffend Zweifel geäußert, ob Art. 5 Abs. 3 VO bei einer Nichtbeförderung angewendet werden könne, und zugleich ausgeführt, dass selbst wenn man das bejahte, ein außergewöhnlicher Umstand nicht angenommen werden könne, wenn das Luftfahrtunternehmen einen Fluggast nicht zu einem Anschlussflug befördert, weil es davon ausging, dass der Anschlussflug wegen eines möglichen Streiks mit großer Wahrscheinlichkeit ausfallen werde.
13. Schäden durch Tiere: Vogelschlag und Bienen
81 Bei einem Schaden am Flugzeug durch einen Vogelschlag kommt nach Ansicht des BGH (24.9.2013 – X ZR 129/12, BeckRS 2013, 19627 und X ZR 160/12, RRa 2014, 25 = NJW 2014, 861 = BeckRS 2013, 19683) eine Entlastung nach Art. 5 Abs. 3 VO in Betracht (so auch schon: LG Frankfurt a.M. Beschl 10.11.2010 – 2-24 S 143/10; LG Frankfurt a.M. 29.11.2012 – 2-24 S 111/12, RRa 2013, 85 = BeckRS 2013, 07398; LG Hamburg 13.1.2012 – 318 S 98/11, RRa 2012, 187 = BeckRS 2012, 17511 = juris; LG Düsseldorf 8.8.2008, – 22 S 378/07, NRWE = juris; LG Darmstadt 1.8.2007 – 21 S 263/06, RRa 2008, 88 = BeckRS 2008, 04227; LG Darmstadt 1.12.2010; LG Darmstadt 24.7.2013 – 7 S 242/12, RRa 2014, 29 = BeckRS 2013, 13226; LG Hannover 18.1.2012 – 14 S 52/11, RRa 2012,185 = BeckRS 2012, 02954; AG Leipzig, 7.7.2010 – 109 C 7651/09, BeckRS 2010, 17165, AG Rüsselsheim 26.10.2010 – 3 C 1400/09; AG Bremen 29.12.2011 – 9 C 91/11 Rn.17, BeckRS 2012, 02233; Müller-Rostin, NZV 2009, 432). Nach Ansicht des BGH handelt es sich dabei um ein von außen einwirkendes Ereignis, das für das Luftfahrtunternehmen nicht vorhersehbar und nicht beherrschbar ist. Dabei ist der BGH aber erkennbar davon ausgegangen, „das Beschädigungen an Flugzeugen durch Vogelschlag g e l e g e n t l i c h vorkommen“ (24.9.2013 – X ZR 160/12, Rn.16, RRa 2014, 25 = NJW 2014, 861 = BeckRS 2013, 19683). Es ist daher zweifelhaft, ob ein Vogelschlag auch dann ein außergewöhnlicher Umstand ist, wenn die Anflug- oder Abflugroute zu und von einem Flughafen über ein bekanntes Vogelbrutgebiet führt.
82 Das AG Frankfurt hat die Ansicht vertreten, dass eine Beschädigung eines Triebwerkes durch einen Vogelschlag kein außergewöhnlicher, sondern vielmehr ein beim Betrieb eines Flugzeugs durchaus vorkommender, geradezu typischer Umstand sei, da Vögel den Luftraum ebenso wie Flugzeuge nützen (Urt. v. 13.3.2013 – 29 C 811/11-21, RRa 2013, 187 = LSK 2013, 341069 = juris; siehe auch AG Hamburg, Urt. v. 05.04.2011 – 22a C 215/10; KG, Urt. v. 30.04.2009 – 8 U 15/09, zit. nach juris; siehe auch Bartlik, RRa 2009, 278). Derselben Auffassung war ein Richter des Manchester County Court in dem Rechtstreit Tomothy Ash v. Thomas Cook Airlines; in seinem Urteil vom 28.04.2015 führte er aus: „ For my part I observe that the word used is ‘extraordinary’ rather than ‘unexpected’, ‘unforeseeable’, ‘unusual’ or even ‘rare’. ‘Extraordinary’, to me, connotes something beyond unusual. Bird strikes happen every day, in fact many times a day, and would hardly be worthy of comment but for the delay which they cause.” (Quelle: The Telegraph vom 29.04.2015). Da dieses Argument nicht von der Hand zu weisen ist, ist es bedauerlich, dass der BGH diese Rechtsfrage nicht dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hat. Am 12.8.2015 hat das AG Frankfurt a.M. (29 C 1224/13-21, RRa 2016, 103) beschlossen, die Sache selbst dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Daraufhin hat das Luftfahrtunternehmen die Forderung anerkannt. Aufgrund der erneuten Vorlage dieser Rechtsfrage durch ein Bezirksgericht in Prag (ABl. EU 2015 C 414, 12) hat der Generalanwalt Bot inzwischen dem EuGH am 28.7.2016 in der Rechtsache C-315/15 – Pešková und Peška ./. Travel Service empfohlen zu entscheiden, dass ein Vogelschlag kein „außergewöhnlicher Umstand“ iSd Art. 5 Abs. 3 VO ist, weil ein Vogelschlag nach seiner Ansicht zum gewöhnlichen Betriebsrisiko eines Luftfahrtunternehmens gehöre (ECLI:EU:C: 2016:623).
82a Ein Luftfahrtunternehmen, das sich auf einen Vogelschlag als außergewöhnlichen Umstand beruft, muss substantiiert vortragen und beweisen, wann der Vogelschlag eingetreten ist; die bloße Behauptung, der Vogelschlag sei „offensichtlich“ beim Landeanflug des Vorfluges aufgetreten, ist nicht ausreichend (AG Frankfurt, Urt. v. 17.01.2014 – 30 C 2462/13-68, RRa 2014, 254 = LSK 2015, 460512).
83 Nach Auskunft des DAVVL e. V. ereignen sich die meisten Vogelschläge in niedrigen Flughöhen 0 – 240 m über Grund (siehe Drucks. 16/2642 des Bayerischen LT vom 11.12.2009). Es handelt sich dabei um ein Ereignis, das in Europa meldepflichtig ist (RL 2003/42/EG vom 13.6.2003 über die Meldung von Ereignissen in der Zivilluftfahrt, ABl. EG 2003 L 167, 23). Siehe dazu oben → Rn.18. Wird der Vogelschlag vom Luftfahrtunternehmen bestritten, kann von ihm verlangt werden, dass es die Meldung an die zuständige Luftfahrtbehörde vorlegt.
84 Nach Meinung des AG Düsseldorf (27.9.2013 – 36 C 6837/13, RRa 2014, 42 = BeckRS 2014, 04042) kann eine Biene im Staurohr als außergewöhnlicher Umstand gelten; jedoch ist das Luftfahrtunternehmen darlegungspflichtig, welche „zumutbaren Maßnahmen“ ergriffen wurden. Gleiches gilt, wenn ein Flugzeug desinfiziert werden muss, weil sich eine Maus oder Ratte an Bord geschlichen hat. Weil Nagetiere z.B. das Gummi von Kabelisolationen und Silikonschläuchen annagen könnten, wodurch blankliegende Metallverbindungen zu Kurzschlüssen an den Leitungen und Kabelbrände auslösen könnten, müssen sie nach internationalen Sicherheitsbestimmungen entweder gefangen oder getötet werden. Daher hat das AG Düsseldorf (8.10.2014 – 47 C 17099/13, BeckRS 2015,17181 = juris) entschieden, dass der Umstand, dass ein Nagetier an Bord eines Flugzeuges gelangt, zwar ein unvorhersehbares und nicht beherrschbares Ereignis ist. Ob das Ereignis aber wirklich „außergewöhnlich“ ist, muss zumindest bei einigen Flughäfen dieser Welt in Zweifel gezogen werden. Das BG Schwechat (20.1.2015 – 18 C 514/14w-13) vertritt die Ansicht, dass die Anwesenheit eines Nagetieres an Bord eines Flugzeuges „auf jedem Fall in der Sphäre des Luftfahrtunternehmens angesiedelt und nicht unbeeinflussbar auf höhere Gewalt oder Einwirkung durch Dritte zurückzuführen ist.“ Derartige Vorkommnisse begründeten daher keinen außergewöhnlichen Umstand
14. Sicherheitslandung wegen Gefährdung der Flugsicherheit
84a Wird ein Vorflug unplanmäßig auf einem Ausweichflughafen unterbrochen, weil nach Turbulenzen infolge einer Gewitterfront in der Kabine Brandgeruch festgestellt wurde, stellt eine solche Sicherheitslandung nach Ansicht des LG Darmstadt (6.11.2013 – 7 S 208/12, NJW-RR 2014, 435 = BeckRS 2014, 01044) einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO dar. Führt ein Flugzeug auf Anweisung der Bundespolizei eine Zwischenlandung durch, weil sich an Bord des Flugzeuges ein nicht sicherheitsüberprüfter Koffer befindet, liegt nach Ansicht des AG Hannover (30.9.2013 – 532 C 7883/12, RRa 2014, 151 = LSK 2014, 360340) kein „außergewöhnlicher Umstand“ vor.
15. Aggressive Fluggäste
84b Wird aufgrund eines unkontrollierbaren und aggressiven Verhaltens eines Fluggastes an Bord eines Luftfahrzeuges eine Zwischenlandung (Sicherheitslandung) erforderlich, so liegt in der Regel ein „außergewöhnlicher Umstand“ vor, so dass ein Luftfahrtunternehmen sich entlasten kann, wenn sich der Flug dadurch verspätet (AG Frankfurt a.M. 8.6.2016 – 31 C 397/16-17). Das gilt auch, wenn durch die Zwischenlandung das Endziel nicht mehr erreicht werden kann, weil die gesetzlich vorgeschriebene (nicht: tarifvertraglich vereinbarte) maximal zulässige Flugdienstzeit überschritten werden würde und die Besatzung daher erst eine Mindest-Ruhezeit nehmen muss (so auch AG Frankfurt a.M. 18.11.2014 – 30 C 1066/14-32, RRa 2015, 239 = ADAJUR Do. Nr. 109409; AG Frankfurt a.M. 08.6.2016 – 31 C 397/16 -17). Ein „außergewöhnlicher Umstand“ liegt aber nicht vor, wenn für das Luftfahrtunternehmen oder seine Bediensteten bzw. Auftragnehmer vor oder beim Einsteigen des Fluggastes erkennbar war, dass dieser bereits stark angetrunken ist und als „unruly passenger“ ein Risiko für die Flugsicherheit darstellen könnte. In solchen Fällen ist vorhersehbar (und daher nicht außergewöhnlich), dass eine Sicherheitslandung notwendig werden könnte.
16. Zu knappe Umkehrzeit
84c Nach Ansicht des BG Schwechat (Urt. v. 17.06.2013 – 1 C 344/12t-23) muss ein Luftfahrtunternehmen bei der Umlaufplanung einen ausreichenden Zeitpuffer zwischen Ankunft des Vorfluges und einem Anschlussflug planen. Es ist es ihm bei einer Umlaufkette zumutbar, die Flüge so zu koordinieren, dass eine geringfügige Verspätung eines Vorfluges nicht dazu führt, dass auch der Folgeflug verspätet abfliegt, mit der Folge, dass dessen in einem einheitlichen Buchungsvorgang gebuchter Anschlussflug verpasst wird. Plant ein Luftfahrtunternehmen für die Bodenzeit zwischen Ankunft und Wiederabflug (Umdrehzeit, Turnaround time) nur 45 Minuten, obwohl die Mindestumdrehzeit 40 Minuten beträgt, nimmt es billigend in Kauf, dass selbst bei einer geringen Verspätung des Vorfluges der Folgeflug verspätet und kann sich deswegen nicht auf „außergewöhnliche Umstände“ berufen.
17. Verzögerung durch Sicherheitskontrollen
84d Die Sicherheitskontrolle auf Flughäfen (Durchsuchung von Personen und Gepäck) nach § 5 LuftSiG ist eine hoheitliche Aufgabe und gehört daher nicht zu den Aufgaben eines Luftfahrtunternehmens oder des Flughafenbetreibers, sondern ist allein Aufgabe der Polizei (in der Bundesrepublik Deutschland ist sie hoheitliche Pflichtaufgabe der Bundespolizei). Die Kontrolle kann zwar von der zuständigen Polizei (in Deutschland: Bundespolizei) auf einen Dritten (privaten Sicherheitsdienst) übertragen werden, die Luftfahrtunternehmen und Flughafenbetreiber dürfen sie aber nicht eigenständig durchführen und können die Maßnahmen auch nicht beeinflussen. Daher zählen die mit der Aufgabe beauftragten Personen nicht zu den „Leuten des Luftfrachtführers iSd.Art.19 S. 2 MÜ (OGH , Urt.v, 16.11.2012 – 6 Ob 131/12a, RRa 2013, 46; BG Schwechat, Urt. v. 07.07.2014 – 1 4 C 189/14y, best. v. LG Korneuburg, Urt. v. 12.03.2015 – 21 R 343/14k). Verpasst ein Fluggast durch die Dauer der Sicherheitskontrolle seinen Flug, ist das dem Luftfahrtunternehmen nicht zuzurechnen, so dass das Luftfahrtunternehmen grundsätzlich entlastet ist, wenn der Fluggast nicht befördert wird (so auch LG Korneuburg, a.a.O.; AG Schwechat, Urt. v. 30.10.2015 – 18 C 373/15m). Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn eine Luftfahrtunternehmen, das einem Flugreisenden eine Umsteigeverbindung zu seinem Endziel anbietet, die Umsteigezeit ohne ausreichende Berücksichtigung der zur Verkehrszeit üblichen Dauer der Sicherheitskontrolle berechnet und angibt (siehe dazu oben → Rn. 79a).
18. Abflugverzögerung durch Behörden
84e Beruft sich ein Luftfahrtunternehmen zur Entlastung nach Art. 5 Abs. 3 VO darauf, dass eine Zoll- oder Einwanderungsbehörde Behörde den Abflug verzögert habe, so reicht die Vorlage eines Auszuges aus dem „Flugprotokoll“ des betriebseigenen Systems nicht aus, weil dies lediglich als Parteivortrag zu werten und deshalb kein ausreichender Beweis ist (AG Frankfurt 12.07.2016 – 30 C 779/16-45). Ist einem Luftfahrtunternehmen bekannt, dass es auf bestimmten Flughäfen häufiger zu Verzögerungen bei der Flugfreigabe durch die Behörden kommt, darf sie ihre Anschlussflüge zeitlich nicht derart eng planen, dass es notgedrungen immer wieder mal zum Verpassen der Anschlussflüge kommt (AG Frankfurt aaO).
19. Gepäckentladung wegen Nichterscheinens eines eingecheckten Passagiers
84f Der Umstand, dass ein Passagier nicht zum Boarding erscheint und sein Gepäck wieder ausgeladen werden muss, ist kein „außergewöhnlicher Umstand“. Vielmehr handelt es sich bei diesem Vorgang um einen gewöhnlichen und häufig vorkommenden Umstand, der üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann (so auch: BG HS, Urt, v. 12.10.2015 – 16 C 194-15v; AG Frankfurt, Urt. v. 09.03.2016 – 29 C 1685/15 -21).
20. Umbuchung eines Fluggastes
84g Eine Umbuchung durch den Reiseveranstalter ist kein „außerge- wöhnlicher Umstand“ i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO, weil sie kein unvermeidbares Ereignis ist, das aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragt (BGH, Urt. v. 21.08.2012 – X ZR 146/11, juris = openJur).
B. Eintritt der „außergewöhnlichen Umstände“ auf einem Vorflug
85 Auch wenn ein Ereignis als „außergewöhnlicher Umstand“ zu bewerten ist, stellt sich die Frage, ob nur Ereignisse und Umstände berücksichtigt werden können, die während des vom Fluggast gebuchten Fluges eingetreten sind oder ob auch solche berücksichtigt werden dürfen, die sich auf einen vorangegangenen Flug beziehen. Im letzteren Fall stellt sich die weitere Frage, wie viele solcher Vorflüge noch herangezogen werden können. Das AG Rüsselsheim hat aber mit weiterem Beschluss vom 16.10.2013 (3 C 1933/12-32) die Frage dem EuGH erneut zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der EuGH hat das Vorabentscheidungsverfahren als Rechtssache C-575/13 – Etzold u.a ./. Condor geführt, bis es wieder aus dem Register gestrichen wurde, weil auch in diesem Rechtsstreit das beklagte Luftfahrtunternehmen die Forderung dann doch anerkannt hat, um eine bindende höchstrichterliche Entscheidung zu vermeiden.
86 Unklare Begriffe in unionsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften, die eine Einschränkung der Verbraucherrechte darstellen, sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH eng auszulegen (10.03.2005, Rs. C-336/03 − easyCar, Slg. 2005, I-1947, Rn 21; 10.01.2006, Rs. C-344/04 − IATA und ELFAA, Rn 76, RRa 2006, 127 = NJW 2006, 351; 22.12.2008, Rs. C-549/07 − Wallentin-Hermann ./. Alitalia, Rn 16 ff., Slg. 2008 I-11061 = RRa 2009, 35 = NJW 2009, 347). Um eine solche Bestimmung handelt es sich bei Art. 5 Abs. 3 VO, weil sie die Rechte der Fluggäste einschränkt. In diesem Verständnis muss gefordert werden, dass der außergewöhnliche Umstand mit dem konkreten Flug in einem engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen muss (so auch: AG Geldern 28.11.2007 − 14 C 273/07; LG Düsseldorf 22.08.2014 – 22 S 31/14, RRa 2015, 125 = BeckRS 2015, 12082; aA AG Wedding 28.10.2010 − 2 C 115/10). Je größer der Zeitabstand zwischen beidem ist, desto höhere organisatorische Anforderungen sind an das Fluggastunternehmen zu stellen, das versuchen muss, die Verspätung durch zumutbare Maßnahmen zu vermeiden (so auch: AG Königs Wusterhausen 17.02.2016 – 4 C 1942/15).
86a Wenn sich also der außergewöhnliche Umstand auf dem unmittelbaren Vorflug ereignet hat, ist er zu berücksichtigen. In keinem Fall aber kann er berücksichtigt werden, wenn er auf einem Flug vor dem unmittelbaren Vorflug eingetreten und entdeckt worden ist (so AG Rüsselsheim 2.12.2012 − 3 C 855/12-37; 27.11.2013 – 3 C 3304/13-31; allerdings ist dies nicht h.M. aller Spruchkörper dieses Gerichts). Das gilt erst Recht, wenn der außergewöhnliche Umstand jedoch am Vortag eingetreten und entdeckt worden ist (AG Königs Wusterhausen 17.2.2016 – 4 C 1942/15, RRa 2016, 138 = BeckRS 2016, 11220). Noch weiter geht das AG Düsseldorf (27.9.2013 – 36 C 6837/13, RRa 2014, 42 = BeckRS 2014, 04042), das die Ansicht vertritt, Störungen im vorangegangenen Flugbetrieb seien grundsätzlich dem Luftfahrtunternehmen zuzurechnen (so auch AG Hamburg 08.1.2015 – 20a C 219/14, RRa 2015, 241 = BeckRS 2015, 09460). Ist ein Ereignis auf einem Vorflug erfolgt, muss das Luftfahrtunternehmen daher auch konkret vortragen, welche Maßnahmen es ergriffen hat, um die Verspätungen der nachfolgenden Flüge zu vermeiden bzw. weswegen ihm derartige Maßnahmen nicht zumutbar waren. Dabei muss es insbesondere auch darlegen, welche Zeitreserve zwischen dem Vorflug bzw. den Vorflügen und dem streitgegenständlichen Flug bestand und inwieweit es Verspätungen aufgrund derartiger außergewöhnlicher Umstände in seinem Flugumlauf eingeplant und berücksichtigt hat (so auch: AG Erding 26.1.2012 – 5 C 1252/12; 23.7.2012 – 3 C 719/12, RRa 2013, 31 = BeckRS 2013, 03515; AG Hannover 30.9.2013 – 532 C 7883/12, RRa 2014, 151 = LSK 2014, 360340; AG Köln 12.5.2014 – 142 C 600/13, NJW-RR 2014, 1277). Da es im Organisationsbereich der Fluggesellschaft liegt, an einem Tag etwa eintretende Defekte (ob diese rein technisch sind oder auf außergewöhnliche Umstände zurückgehen) an einzelnen Flugzeugen der Flotte einzuplanen und jederzeit für angemessenen Ersatz zumindest für nachfolgende Tage sorgen zu können (AG Königs Wusterhausen 17.2.2016 – 4 C 1942/15, RRa 2016, 138 = BeckRS 2016, 11220). Daher muss ein Luftfahrtunternehmen, das sich entlasten will, darlegen und ggf. beweisen, in welchem Umfang es Ersatz-Flugzeuge vorgehalten hat, die hätten eingesetzt werden können. Falls das Luftfahrtunternehmen keine Ersatzflugzeuge vorhält, muss es darlegen, welche Maßnahmen es bei Ausfall eines Flugzeuges geplant hat. Wegen der zahlreichen Möglichkeiten, zumutbare Maßnahmen (z.B. durch eine Umplanung der Flugzeugumläufe und/oder der Umbuchung von Fluggästen auf andere Flüge) zu ergreifen, wird die Entlastung in der Regel nicht gelingen, z.B. wenn der Vorflug schon am vorangegangenen Tag verspätet am Heimatflughafen des Luftfahrtunternehmens angekommen ist, der unmittelbar folgende Flug aber erst am nächsten Tag stattfindet.
86b Hat sich ein Vogelschlag auf einem Vorflug ereignet, muss ein Luftfahrtunternehmen vortragen, ob es nicht angesichts der Zeitspanne zwischen der Landung des für den streitgegenständlichen Flug vorgesehenen Fluggeräts am Abend zuvor und dem geplanten Abflug am nächsten Morgen möglich gewesen wäre, das Fluggerät noch rechtzeitig zu reparieren oder eine Ersatzflugzeug vom Heimatflughafen der Beklagten zum Abgangsflughafen einzufliegen (AG Frankfurt a.M. 17.1.2014 – 30 C 2462/13-68, RRa 2014, 254 = LSK 2014, 4300758 = ADAJUR Dok. Nr. 106346).
87 Nicht entlasten kann sich ein Luftfahrtunternehmen, wenn der Grund für eine Verspätung in der Organisationsentscheidung liegt. Bei vielen Luftfahrtunternehmen werden die Flüge in sog. Umlaufverfahren durchgeführt (Flugketten). Entscheidet ein Luftfahrtunternehmen, das für einen bestimmten Flug vorgesehene Flugzeug, das schon die Vorflüge mit erheblicher Verspätung durchgeführt hat, wie geplant weiter einzusetzen und sieht es davon ab, ein Ersatzflugzeug einzusetzen, mit dem der pünktliche Abflug möglich gewesen wäre, so beruht die Verspätung der folgenden Flüge allein auf einer unternehmerischen Entscheidung mit den Folgen der Verspätung, die Passagiere sämtlicher Flüge des Umlaufs zu belasten, statt die folgenden Flüge mit einem Ersatzflugzeug pünktlich auszuführen. In diesem Fall liegt kein „außergewöhnlicher Umstand“ vor. Mit Blick auf die in den Erwägungsgründen Nr. 1 bis 4 zur Verordnung hervorgehobene Zielsetzung, die Rechte der Fluggäste zu stärken, hat es das LG Hannover (18.1.2012- 14 S 52/11, RRa 2012, 185 = BeckRS 2012, 02954) bei einem vergleichbaren Sachverhalt zu Recht nicht akzeptiert, dass das Luftfahrtunternehmen nur mit Blick auf den allein in seiner Organisation und Ablaufplanung angelegten Entscheidungskonflikt entlastet wird (ihm folgend: AG Rüsselsheim 5.7.2013 – 3 C 145/13-37, BeckRS 2014, 17980). Mit Recht hat das AG Köln (12.5.2014 – 142 C 600/13, NJW-RR 2014, 1277) entschieden, dass ein Luftfahrtunternehmen, das ein Fluggerät auf mehreren Flugstrecken hintereinander in einem engen Zeitplan eingesetzt, damit das Risiko bewusst in Kauf nimmt, dass sich die Verzögerung eines Vorfluges auch auf die nachfolgenden Flüge auswirkt. Dieses Risiko, das in der Risikosphäre des durchführenden Luftfahrtunternehmens liegt, kann aber nicht auf die Passagiere abgewälzt werden.
C. Die zumutbaren Maßnahmen
1. Allgemeines
88 Aber auch wenn ein »außergewöhnlicher Umstand« vorgelegen hat, ist ein Luftfahrtunternehmen noch nicht entlastet. Es muss vielmehr nach Art. 5 Abs. 3 VO darlegen und beweisen, dass sich die Annullierung oder Verspätung auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (OGH 3.7.2013 – 7 Ob 65/13d, RRa 2013, 256 = ecolex 2013,960 = ZVR 2014, 71 mAnm. Huber ZVR 2014, 126). Dabei kommt es nicht darauf an, dass die außergewöhnlichen Umstände vermieden werden (was ein Mensch nicht leisten kann), sondern deren Folgen (so zutreffend BGH 14.10.2010 – Xa ZR 15/10, Rn.26, RRa 2011, 33 = NJW-RR 2011, 355; BGH 24.9.2013 – X ZR 160/12, Rn.21, RRa 2014, 25 = NJW 2014, 861 = BeckRS 2013, 19683; ebenso: Schuster, RRa 2014, 2 ff.). Einige Gerichte (z.B. LG Dortmund 10.1.2013 – 11 S 31/12; LG Köln 26.2.2013 – 11 S 511/11; AG Hannover 1.2.2013 – 517 C 11149/12; AG Bremen 29.12.2011 – 9 C 91/11, BeckRS 2012, 02233; AG Rüsselsheim Beschl. v. 9.7.2014 – 3 C 3969/14-36, RRa 2016, 39). vertreten die Ansicht, dass nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 VO und Erwägungsgrund 14 der Verordnung abzuleiten ist, dass nur solche Maßnahmen zu ergreifen sind, die der Vermeidung der außergewöhnlichen Umstände, nicht aber deren Folgen dienen. Das AG Rüsselsheim (aaO) hat daher die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
89 Damit ein Gericht beurteilen kann, ob alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden sind, bedarf es eines konkreten und substantiierten Vortrags des Luftfahrtunternehmens, (1) aufgrund welcher Umstände es zu der sehr großen Verspätung gekommen ist, (2) welche Auswirkungen dies auf die nachfolgend geplanten Flüge gehabt hat und (3) welche Möglichkeiten zur Verfügung standen, um diese Folgen zu verhindern.
90 Welche Maßnahmen einem ausführenden Luftfahrtunternehmen zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer erheblichen Verspätung oder der Annullierung eines Flugs führen, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls (BGH 24.9.2013 – X ZR160/12, Rn.20, RRa 2014 , 25 = NJW 2014, 861 = BeckRS 2013, 19683; LG Frankfurt a.M. 26.9.2014 – 2-24 S 13/14, RRa 2015, 75; so auch Schuster RRa 2014, 2 ff.).
91 Damit das angerufene Gericht, insbesondere aber der Tatrichter diese beurteilen kann, muss das Luftfahrtunternehmen darlegen, welche anderen personellen, materiellen und finanziellen Mittel ihm zur Verfügung standen, um den Flug zum geplanten Zeitpunkt durchzuführen und aus welchen Gründen es ihm gegebenenfalls nicht zumutbar war, auf diese Ressourcen zurückzugreifen (BGH 14.10.2010 – Xa ZR 15/10, RRa 2011, 33 f. = NJW 2011, 355; 21.8.2012 – X ZR 138/11, BGHZ 194, 258 = RRa 2012, 288 = NJW 2013, 374; 21.8.2012 – X ZR 146/12, Rn.21, openJur). Das Luftverkehrsunternehmen muss nach Ansicht des BGH darlegen, aufgrund welcher Umstände es zur Annullierung oder Verspätung gekommen ist, welche Auswirkungen dies ggf. auf die nachfolgend geplanten Flüge gehabt hat und welche Möglichkeiten ihm zur Verfügung standen, um „diese Folgen“ (nicht: die außergewöhnlichen Umstände!) zu vermeiden. Ferner hat das Luftfahrtunternehmen zu beweisen, dass es ihm auch unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel nicht möglich gewesen wäre – ohne angesichts der Kapazitäten des Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer – die „außergewöhnlichen Umstände“ zu vermeiden, mit denen es konfrontiert war und die zur Annullierung oder zur Verspätung des Fluges geführt haben (BGH aaO; ebenso: LG Hannover 18.1.2012 – 14 S 52/11, RRa 2012, 185 = BeckRS 2012, 02954) und aus welchen Gründen es ihm nicht möglich und/oder zumutbar war, auf diese Ressourcen zurückzugreifen (AG Paderborn 15.3.2012 – 50 C 254/11, juris; AG Rüsselsheim 05.072013 – 3 C 145/13-37; LG Korneuburg 25.8.2015 – 22 R 34/15b).
92 Im Hinblick auf die Anforderungen an die Vermeidung außergewöhnlicher Umstände betonte der EuGH (12.5.2011 (Rs. C-294/10 − Eglitis u. Ratnieks ./. Latvijas Republikas Ekonomikas ministrija, RRa 2011, 125 = NJW 2011, 2865; ihm folgend LG Frankfurt a.M. 2.9.2011 − 2-24 S 47/11, RRa 2011, 238 = BeckRS 2011, 24163 und BGH 24.9.2013 – X ZR 160/12, RRa 2014, 25 = NJW 2014, 861 = BeckRS 2013, 19683), dass ein Luftfahrtunternehmen die mit dem Eintritt von außergewöhnlichen Umständen verbundene Möglichkeit von Verspätungen bei der Flugplanung angemessen berücksichtigen und entsprechende Vorkehrungen treffen muss. Daher habe das Luftbeförderungsunternehmen eine gewisse Zeitreserve vorzusehen, um den Flug insgesamt möglichst bald nach dem Wegfall der außergewöhnlichen Umstände durchführen zu können. Der EuGH wies zwar darauf hin, dass daraus nicht geschlossen werden könne, dass Luftfahrtunternehmen allgemein und undifferenziert eine Mindest-Zeitreserve einplanen müssten, die für sämtliche Luftfahrtunternehmen unterschiedslos in allen Situationen des Eintritts außergewöhnlicher Umstände gelte; doch bleibt ein Luftfahrtunternehmen grundsätzlich verpflichtet, Zeitreserven einzuplanen. Das muss insbesondere für solche Flüge gelten, bei denen in der Vergangenheit bereits häufiger Probleme mit der Einhaltung der von der Flugplanung zugrundgelegten Flugzeiten oder Flugdienstzeiten gegeben hat. Im Urteil vom 24.09.2013 – X ZR160/12 (BeckRS 2013, 19683) hat der BGH klargestellt, dass ein Luftfahrtunternehmen bei Störungen seines Flugplanes dartun und beweisen muss, dass es „angemessen vorbereitet ist und die im Personenluftverkehr üblichen Vorkehrungen getroffen hat, um auf solche Störungen reagieren und die Annullierung oder erhebliche Verspätung eines hiervon betroffenen Fluges wenn möglich vermeiden zu können“ (Rn. 21).
93 Wird ein Flug annulliert, muss das Luftfahrtunternehmen darlegen und beweisen, welche Maßnahmen es getroffen oder zu treffen versucht hat, um dem Fluggast eine zumutbare anderweitige Beförderung unter vergleichbaren Reisebedingungen zum Endziel zu verschaffen (vgl. Art. 8 Abs. 1 lit. b und c VO i.V.m. Erwägungsgrund 12). Dabei darf es aber nicht nur die Möglichkeit der Ersatzbeförderung auf eigenen Flügen (oder solchen eines Partner-Unternehmens) betrachten, sondern muss auch prüfen, ob eine Umbuchung auf einen Flug eines anderen Luftfahrtunternehmens, der durchgeführt wird, möglich ist (so auch AG Bremen 4.8.2011 – 9 C 135/11, juris Rn.23; siehe dazu auch OGH 3.7.2013 – 7 Ob 65/13d, RRa 2013, 256= ecolex 2013,960 = ZVR 2014, 71 mAnm. Huber ZVR 2014, 126 ; aA BGH 12.6.2014 – X ZR 104/13 und X ZR 121/13, RRa 2014, 293 = NJW 2014, 3303 = BeckRS 2014, 21109; LG Frankfurt a.M. 26.9.2014 – 2-24 S 13/14). Nur so kann der Zweck und das Ziel der Verordnung (siehe Erwägungsgrund 4: Erhöhung des Schutzstandards) erreicht werden. Aus diesem Grund muss ein Luftfahrtunternehmen auch den Einsatz eines eigenen Ersatzflugzeuges oder die Anmietung eines Ersatzflugzeuges mit fremder Besatzung (sog. Subcharter) prüfen (so auch LG Frankfurt a.M. 26.9.2014 – 2-24 S 13/14; AG Frankfurt a.M. 4.7.2014 – 30 C 3971/13-68, RRa 2016, 36 = BeckRS 2016, 10461; LG Korneuburg 25.8.2015 – 22 R 34/15b; aA LG Darmstadt 24.7.2013 – 7 S 242/12, RRa 2014, 29 = BeckRS 2013, 13226 ohne nähere Begründung); es ist nicht ausreichend, wenn das Luftfahrtunternehmen wartet, bis irgendwann ein anderes Flugzeug aus der eigenen Flotte zur Verfügung steht.
93a Das LG Korneuburg (25.8.2015 – 22 R 34/15b) hat entschieden, dass die Behauptung, eine Ersatzflugzeug habe nicht zur Verfügung gestellt werden können, dass während der Hochsaison ein andere Flugzeug ohnehin nicht unter zwei Stunden für den geplanten Flug bereitgestellt hätte werden können und ohnedies eine Umbuchung der Passagiere zum Zielort erfolgt sei, kein zur Entlastung ausreichender Vortrag sei.
94 Das Vorstehende gilt entsprechend, wenn sich nach vernünftiger Einschätzung eines objektiven Dritten abzeichnet, dass sich der Start des Fluges erheblich verspäten und es deswegen absehbar zu einer erheblich großen Ankunftsverspätung kommen wird.
94a Beruft sich ein Luftfahrtunternehmen auf widrige Wetterbedingungen und daraus resultierende Steuerungsmaßnahmen eines Flughafenunternehmers oder des Flugsicherungsunternehmens, so muss es konkret vortragen, „welche Maßnahmen zur schnellstmöglichen Weiterreise erwogen bzw. ergriffen worden sind und warum ggf. derartige Maßnahmen von vorneherein aussichtslos und damit ggf. sinnlos gewesen wären“ (so auch BG Schwechat, Urt. v. 11.06.2016 – 16 C 813/14a).
94b Trägt ein Luftfahrtunternehmen, das sich nach Art. 5 Abs. 3 VO entlasten will, nicht (den vorstehenden Kriterien genügend) konkret vor, „kommt sie ihrer Behauptungspflicht nach Art. 5 Abs. 3 VO nicht nach“ (so zutreffend OGH 3.7.2013 – 7 Ob 65/13d, unter 3.3, RRa 2013, 256, 258 = ecolex 2013,960 = ZVR 2014, 71 mAnm. Huber ZVR 2014, 126).
95 Ungeklärt ist, ob unter „vergleichbaren Reisebedingungen“ die Beförderung in der gleichen Beförderungsklasse gemeint ist. Mit Blick auf Art, 10 VO wird man davon ausgehen müssen, dass sowohl eine Höherstufung (Upgrade) als auch eine Herabstufung (Downgrade) zu prüfen ist. Die Rechtsfolgen beider Maßnahmen sind in Art. 10 VO geregelt.
95a Ein Luftfahrtunternehmen kann sich nicht auf einen bestimmten „außergewöhnlichen Umstand“ (z.B. Vogelschlag) berufen, wenn es sich in der vorprozessualen Korrespondenz darauf nie bezogen hat, obwohl es insoweit aufgefordert wurde, den Entlastungsgrund zu konkretisieren (so auch AG Düsseldorf, Urt. v. 13.03.2014 – 22 C 374/14, RRa 2014, 146, BeckRS 2014, 12192).
95 b Wenn das Luftfahrtunternehmen konkret und umfangreich dargelegt und bewiesen hat, dass weder eine Umbuchung der Fluggäste auf andere Flüge (auch über Umsteigeverbindungen) noch die Beschaffung eines anderen Flugzeuges gleicher Größe (Subcharter) die Fluggäste nicht früher als tatsächlich erfolgt zum Endziel gebracht hätte (z.B. weil der streitgegenständliche Flug der letzte Abflug in den Abendstunden vor Schließung des Flughafens war) ist der Nachweis, dass es alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, erbracht (BG Schwechat, Urt. v. 11.12.2015 – 4 C 36615d). Ungeklärt ist aber noch die Frage, ob es einem Luftfahrtunternehmen, dass z.B. den Flugzeugtyp Boeing 747 (ca. 470 Sitzplätze) einsetzt, nur ein gleich großes Flugzeug anzuchartern versuchen muss, oder ob es auch – wenn solches nicht verfügbar ist – kleineres (z.B. eine Boeing 777 mit ca. 350 Sitzplätzen), aber verfügbares Flugzeug anchartern muss, um wenigstens einen Teil der gestundeten Fluggäste zeitnah weiter zu befördern. Letzteres erscheint zumutbar zu sein, wenn so das Ziel der Verordnung (Vermeidung von Unannehmlichkeiten für Fluggäste) so – wenn auch nicht für alle, aber immerhin wenigstens für einen Großteil der Fluggäste – erreicht werden kann.
2. Besonderheiten in Einzelfällen
96 Wenn einem Luftfahrtunternehmen bereits 2 Tage vor dem planmäßigen Abflug eines Fluges bekannt wird, dass mit Unregelmäßigkeiten im Flugbetrieb zu rechnen ist, so hat es nach zutreffender Ansicht des BG Schwechat (Urt. v. 07.10,2015 – 1 C 399/15k) sich zu informieren und Organisationsmaßnahmen zu ergreifen, um möglichst sicherzustellen, dass die gebuchten Fluggäste rechtzeitig zum Endziel befördert werden können. Zu solchen Maßnahmen zählen nach Ansicht des Gerichts u.a. Umbuchungen der Fluggäste auf andere, verfügbare Flüge, u.U. auch über Umsteigeverbindungen, wobei nicht nur Flüge des eigenen Unternehmens, sondern auch solche anderer Luftfahrtunternehmen in Betracht zu ziehen sind.
96a Wenn ein Luftfahrtunternehmen schon zwei Tage vor dem plan- mäßigen Abflug von einem technischen Problem mit dem für den Umlauf vorgesehenen Flugzeug Kenntnis hatte, muss der Luftbeförderer darlegen, warum es nicht zumutbar war, ein anderes (eigenes oder ein gechartertes) Ersatzflugzeug einzusetzen (AG Rüsselsheim 24.2.2011 − 3 C 734/10-32, RRa 2011, 94 = BeckRS 2011, 08691) oder die Fluggäste auf andere Flüge, ggf. auch solche eines anderen Luftfahrtunternehmens, umbuchen.
97 Bei einem Streik muss ein Luftfahrtunternehmen nach Ansicht des BGH (11.7.2012 – X ZR 138/11, RRa 2012, 288 = NJW 2012, 2882) darüber hinaus konkret vortragen, welche Maßnahmen es ergriffen oder zu ergreifen versucht hat, damit die Beeinträchtigung durch die Streikmaßnahmen für die Gesamtheit der Fluggäste möglichst gering ausfällt und der Normalbetrieb nach dem Wegfall der Beeinträchtigungen möglichst schnell wieder aufgenommen werden kann (ebenso AG Frankfurt a.M. 25.1.2013 – 32 C 2371/12-72, RRa 2013, 136 = BeckRS 2013, 13954). Damit das angerufene Gericht beurteilen kann, warum es dem Luftfahrtunternehmen offensichtlich nicht möglich war, ohne nicht tragbare Opfer die Folgen des außergewöhnlichen Umstandes zu vermeiden, muss nach zutreffender Ansicht des HG Wien (28.8.2013 – 1 R 266/12g, RRa 2013, 294) ein Luftfahrtunternehmen konkret darlegen.
- wann es erstmals von dem geplanten Streik erfuhr,
- wann ihm bekannt war, welche Flüge davon betroffen waren,
- warum es aufgrund dieser Informationen weder in zeitlicher noch personeller Hinsicht die Möglichkeit hatte, darauf hinsichtlich des konkreten Fluges zu reagieren,
- welches Personal (z.B. Flugbegleiter, Piloten, Techniker, Bodenpersonal) in welchem Umfang − gemessen am insgesamt zur Verfügung stehenden Personal − streikte und daher für die Durchführung der vom Streik betroffenen Flüge nicht zur Verfügung stand,
- inwieweit der Streik nicht beherrschbar war und
- warum es ihm nicht möglich war, für den annullierten Flug betriebsintern oder extern einen Ersatzflug zu organisieren und woran die Bereitstellung eines solchen Fluges gescheitert ist.
98 Ein Luftfahrtunternehmen ist grundsätzlich auch verpflichtet, in bestimmten Umfang Ersatz-Flugzeuge vorzuhalten. Das hat die Generalanwältin Sharpston in den Schlussanträgen in der Rechtssache C-396/06 – Kramme gegen SAS, RRa 2007, 261 überzeugend dargelegt (ebenso: AG Hannover 5.1.2012 – 451 C 9817/11, RRa 2012, 132 = BeckRS 2012, 12572; aA AG Erding 1.12.2011 – 5 C 941/11, RRa 2012, 133 = BeckRS 2012, 12573; Hoffmann-Grambow RRa 2013, 213). Zwar ist nicht für jedes im Einsatz befindliche Flugzeug ein Reserve-Flugzeug vorzuhalten (so auch LG Hannover 18.1.2012 – 14 S 52/11, RRa 2012, 185 = BeckRS 2012, 02954) und auch nicht an j e d e m von einem Luftfahrtunternehmen regelmäßig angeflogenen Flugplatz (so auch Schuster RRa 2014, 2 ff.). Eine Pflicht zum Vorhalten von Ersatz-Flugzeugen in angemessenem Umfang ist aber anzunehmen an einem „Heimat-Flughafen“ (so wohl auch BGH 24.9.2013 – X ZR 160/12, Rn. 24, RRa 2014, 25 = NJW 2014, 861 = BeckRS 2013, 19683) und an operativ wichtigen Flughäfen, wie z.B. an einem für Umsteigeverbindungen genutzten „Drehkreuz“-Flughafen (ebenso: AG Frankfurt a.M. 7.8.2014 – 32 C 1652/14-84, BeckRS 2014, 23449; AG Hannover 3.9.2014 – 461 C 12846/13, RRa 2015, 39 = ADAJUR Dok. Nr. 107533).
98a Wenn ein Luftfahrtunternehmen aber aufgrund einer (zulässigen) betriebswirtschaftlichen Entscheidung keinerlei Vorsorge trifft, liegt es in seiner Risikosphäre, wenn es spontan kein Ersatz-Flugzeug auf dem Markt chartern kann. Eine Abwälzung dieses Risikos auf die Fluggäste ist nicht mit dem verbraucherschützenden Grundgedanken der Verordnung in Einklang zu bringen (so auch: AG Hannover 3.9.2014 – 461 C 12846/13, RRa 2015 = ADAJUR Dok. Nr. 107533). Der gegenteiligen Ansicht des BGH in den Urteilen vom 12.6.2014 (X ZR 104/13 und 121/13, RRa 2014, 293 = NJW 2014, 3303 ff) kann dagegen nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, dass diese Rechtsfrage dem EuGH hätte vorgelegt werden müssen (dazu: Schmid NJW 2014, 3279), können nicht die „Umstände des Einzelfalls“ entscheidend sein, welche Maßnahmen zumutbar sind. Die situationsbezogene Beurteilung führt dazu, dass Luftfahrtunternehmen keine Vorkehrungen treffen. Wenn dann ein außergewöhnlicher Umstand eintritt, der nicht nur ein Luftfahrtunternehmen betrifft, wird es dann aber häufig unmöglich sein, Ersatzflugzeuge anzumieten.
99 Es reicht daher nicht, wenn ein Luftfahrtunternehmen vorträgt, alle Flugzeuge seien entweder im Einsatz oder in der Überholung gewesen (BGH, Urt. v. 14.10.2010 – Xa ZR 15/10, RRa 2011, 33 = NJW-RR 2011, 3559). Es reicht auch nicht, wenn die Beklagte „Ersatz-Flugzeuge“ nur insofern „vorhält“, als sie ein anderes Flugzeug erst bereitstellt, wenn dieses von einem anderen Einsatz zurückkommt. Das ist kein „Vorhalten“! Ferner muss das Luftfahrtunternehmen vortragen, welche seiner Flugzeuge wo und inwieweit eingesetzt waren; soweit alle im Einsatz waren, muss darüber hinaus vorgetragen werden, warum es nicht möglich war, ein gechartertes Flugzeug einzusetzen (AG Rüsselsheim, Urt. v. 05.07.2013 – 3 C 145/13-37; BeckRS 2014, 12204).
100 Ob und wann sich eine Annullierung aufgrund von Wetterbedingungen durch zumutbare Maßnahmen vermeiden lässt, kann nicht pauschal, sondern nur nach vernünftigem Ermessen im Einzelfall entschieden werden. In einem Fall, den der BGH (25.3.2010 − Xa ZR 96/09, RRa 2010, 221 = NJW-RR 2010, 1641) zu entscheiden hatte, war nicht abzusehen gewesen, wie lange am Zielflughafen aufgetretener Nebel anhalten würde. Der BGH hat daher entschieden, dass eine Aufschiebung der Entscheidung, den Flug zu annullieren, keine zumutbare Maßnahme iSd Art. 5 Abs. 3 VO gewesen ist.
101 Der BGH hatte sich auch mit der Entlastung eines Luftfahrtunternehmens wegen schlechter Wetterbedingungen zu befassen. Er vertrat dabei die Ansicht, Art. 5 Abs. 3 VO sei als Ausnahmetatbestand eng auszulegen und dem Luftfahrtunternehmer obliege der Beweis, dass es ihm unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden personellen und sachlichen Mittel nicht möglich gewesen sei, eine Annullierung zu vermeiden (14.10.2010 − Xa ZR 15/10, RRa 2011, 33 = NJW-RR 2011, 355 = ZLW, 2012, 297). Der Umstand, dass das für den Flug vorgesehene Flugzeug wegen schlechten Wetters bereits den vorherigen Flug nicht antreten konnte und deshalb für den annullierten Flug nicht zur Verfügung stand, reicht für eine Entlastung nach Art. 5 Abs. 3 VO nicht aus (so bereits AG Geldern 20.2.2008 − 4 C 241/07, BeckRS 2008, 06721 = RRa 2008, 190 mAnm Schmid RRa 2008, 191). Es bedarf vielmehr des konkreten Vortrags dazu, aufgrund welcher Umstände es zu der Annullierung gekommen ist, welche Auswirkungen dies auf die nachfolgend geplanten Flüge gehabt hat und welche Möglichkeiten zur Verfügung standen, um diese Folgen zu verhindern. Dazu muss das Luftfahrtunternehmen darlegen, welche anderen personellen, materiellen und finanziellen Mittel ihm zur Verfügung standen, um den Flug zum geplanten Zeitpunkt durchzuführen und aus welchen Gründen es ihm gegebenenfalls nicht zumutbar war, auf diese Ressourcen zurückzugreifen. (BGH aaO, Rn. 25 f.; siehe dazu auch Schmid RRa 2012, 2 (5); 2012, 115).
102 Im Anschluss an diese Vorgaben hat das AG Frankfurt a.M. (15.5.2013 − 29 C 1954/11-21, RRa 2014, 49 und 261 = LSK 2014, 340730) entschieden, dass Wetterbedingungen jedenfalls dann keinen außergewöhnlichen Umstand iSd Art. 5 Abs. 3 VO darstellen, wenn sie nicht „außergewöhnlich“ sind, d.h. nicht aus den üblichen und verwertbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen. Von außergewöhnlichen, aus den üblichen und zu erwartenden Abläufen des Luftverkehrs herausragenden Wetterbedingungen sei erst dann auszugehen, wenn diese geeignet gewesen sind, den Luftverkehr oder die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftverkehrsunternehmen ganz oder teilweise zum Erliegen zu bringen.
103 Beruft sich ein Luftfahrtunternehmen auf „ungünstige Wetterbedingungen“ reicht kein pauschaler Vortrag wie z.B. „extremer Gegenwind“ (AG Hannover 6.12.2012 – 522 C 7701/12, RRa 2013, 143 = BeckRS 2013, 10217). Es muss zunächst konkrete Angaben machen, welche Bedingungen geherrscht haben (z.B. Startbahnzustand und sein Einfluss auf die Bremswirkung, Windstärke und -richtung, Angaben, bei welchem Rücken- oder Seitenwind der eingesetzte Flugzeugtyp noch betrieben werden darf, Stärke des Gegenwinds etc.) und welche Auswirkungen das auf den Flug hatte.
103 Beruft sich ein Luftfahrtunternehmen auf „ungünstige Wetterbedingungen“ reicht kein pauschaler Vortrag wie z.B. „extremer Gegenwind“ (AG Hannover 6.12.2012 – 522 C 7701/12, RRa 2013, 143 = BeckRS 2013, 10217). Es muss zunächst konkrete Angaben machen, welche Bedingungen geherrscht haben (z.B. Startbahnzustand und sein Einfluss auf die Bremswirkung, Windstärke und -richtung, Angaben, bei welchem Rücken- oder Seitenwind der eingesetzte Flugzeugtyp noch betrieben werden darf, Stärke des Gegenwinds etc.) und welche Auswirkungen das auf den Flug hatte.
104 Darüber hinaus muss es darlegen, dass trotz der ungünstigen Wetterbedingungen eine Annullierung oder Verspätung auch mit zumutbaren Maßnahmen nicht zu vermeiden war. Solche zumutbaren Maßnahmen können z.B. das Ausweichen auf einen nahegelegenen anderen Flughafens oder das Warten auf günstigere Wetterbedingungen sein (OGH 3.7.2013 – 7 Ob 65/13d, RRa 2013, 256 = ecolex 2013,960 = ZVR 2014, 71 mAnm. Huber ZVR 2014, 126; siehe dazu aber auch BGH 25.3.2010 − Xa ZR 96/09, RRa 2010, 221).
105 Nicht alle „zumutbaren Maßnahmen“ iSv Art. 5 Abs. 3 VO hat ein Luftfahrtunternehmen nach Ansicht des AG Düsseldorf (13.3.2008 − 232 C 3487/07, RRa 2008, 144 = BeckRS 2008, 13532) ergriffen, wenn es einen Flug zum Flughafen A annulliert, ohne geprüft zu haben, ob der Flug nicht zum in der Nähe gelegenen Flughafen B umgeleitet werden kann (so auch OGH 3.7.2013 – 7 Ob 65/13d unter 3.2, RRa 2013, 256; so auch Müller-Rostin euvr 2013, 1(13)).
106 Wenn man (rechtsirrig) davon ausgeht, dass die Erkrankung eines Mitarbeiters nicht zum generellen unternehmerischen Risiko gehört, kann dennoch bei einer Erkrankung eines Besatzungsmitgliedes außerhalb des Heimatflughafens nicht stets ein „außerordentlicher Umstand“ angenommen werden. Zu fragen ist in solchen Fällen immer auch, ob sich die Annullierung oder die große Verspätung eines Fluges hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (Art. 5 Abs. 3 VO). Der Fokus kann dabei nicht allein darauf gerichtet sein, dass das neue Besatzungsmitglied zeitaufwändig vom Heimatflughafen eingeflogen werden muss. Ist z.B. ein Besatzungsmitglied in Puerto Plata (Dominikanische Republik) erkrankt, muss also auch geprüft werden, ob ein Mitglied einer anderen Besatzung eingesetzt werden könnte, das zeitgleich die Ruhezeit in Puerto Plata verbringt und die gesetzlich vorgeschriebene Mindest-Ruhezeit bereits absolviert hat.
107 Zumutbar ist es sicher auch, auf ein ausgeruhtes Besatzungsmitglied in zumutbarer Nähe zurückzugreifen (so auch AG Rüsselsheim, Urt. v. 11.02.2001 – 3 C 2021/10-36). Nicht selten stehen gelegentlich Besatzungen anderer Flüge an den Zielorten zur Verfügung, z.B. wenn bestimmte Ziele von mehreren Abgangsflughäfen zeitgleich bedient werden. Diese einzusetzen ist zumutbar. Erst wenn das Luftfahrtunternehmen nachgewiesen hat, dass das nicht möglich war, kommt eine Entlastung nach Art. 5 Abs. 3 VO in Betracht. Dieser Maßstab muss auch gelten, wenn ein Besatzungsmitglied zwar nicht an seiner Heimat-Basis erkrankt, sondern auf einem Einsatzort in Deutschland, der in ein bis zwei Stunden erreichbar ist.
108 Zeichnet sich starker Schneefall am Flughafen ab, ist es nach zutreffender Ansicht des AG Frankfurt a.M. (8.11.2013 – 32 C 1488/13 – 41, RRa 2014, 184 = LSK 2014, 340730) einer Fluggesellschaft zumutbar, durch Anordnung von Bereitschaftsdiensten im Flughafenbereich Ersatz-Crews bzw. Ersatz-Piloten vorzuhalten, die im Falle von wetterbedingten Personalausfällen zeitnah eingesetzt werden können. Die bloße Behauptung, das sei unzumutbar, reicht nicht aus (so auch BG Schwechat 20.1.2015 – 1 C 578/13f).
109 Wenn man entgegen hier vertretener Ansicht die Überschreitung von Flugdienst- oder Ruhezeiten als außergewöhnlichen Umständen ansieht (ablehnend auch: AG Frankfurt, Urt. v. 03.06.2016 – 30 C 4307/15-71), so muss doch gefordert werden, dass das Luftfahrtunternehmen, diese Behauptung konkret und nachrechenbar belegen muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es neben Regelungen in Verordnungen (EU-OPS 1. oder 2. DV LuftBO) in vielen Luftfahrtunternehmen noch tarifvertragliche Regelwerke gibt, die in aller Regel die gesetzlichen Vorschriften zugunsten der Besatzungsmitglieder weiter einengen oder deren Rechte erweitern. Da es sich bei den Regelwerken um komplizierte Geflechte von Grundsätzen und Ausnahmen handelt und es keine fixe Flugdienstzeiten- oder Ruhezeitengrenze gibt und zudem Ausnahmen (Abweichungen durch den sog. Kommandanten-Entscheid) zugelassen wurden, muss ein Luftfahrtunternehmen, das sich entlasten will, also konkret vortragen und beweisen, aus welchem von mehreren gesetzlichen und tarifvertraglichen Regelwerken sich welche „ausgeschöpfte Flugdienstzeit“ und die „einzuhaltende Ruhezeit“ ergibt bzw. wie sich diese berechnet.
110 Der Umstand, dass die Abflugzeit aufgrund eines technischen Mangels oder Problems bei der Beladung des Flugzeugs vor dem Start in den Zeitraum des Nachtflugverbotes gerät, liegt allein im Risikobereich eines Luftfahrtunternehmens und ist daher kein außergewöhnlicher Umstand (so auch: AG Frankfurt, Urt. v. 27.06.2013 – 30 C 1055/13-25; AG Rüsselsheim – 3 C 1047/15-42). Plant ein Luftfahrtunternehmen eine Abflugzeit relativ kurz vor dem Einsetzen des Nachtflugverbotes, muss es alles Erforderliche tun, um sicherzustellen, dass bei diesem zeitkritischen Flug keinerlei Verzögerungen bei der Abfertigung oder beim Verlassen der Parkposition eintreten (so auch: AG Frankfurt a.M. 8.2.2013 – 30 C 2290/12-47, RRa 2013, 190 = Beck RS 2013, 13954).