I. Allgemeines

1    Am 17.02.2005 ist unter der Bezeichnung Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ein neues Regelwerk in Kraft getreten, das die Rechte von Fluggästen im europäischen – und eingeschränkt auch im internationalen – Luftverkehr verbessern soll. Es hat die bisherige Verordnung (EWG) Nr. 295/91 über Ausgleichszahlungen bei Nichtbeförderungen im Linienflugverkehr vom 04.02.1991 (sog. Überbuchungs-Verordnung) abgelöst. Die neue Verordnung, die in jedem Mitgliedstaat unmittelbar verbindlich ist und unmittelbar gilt (Art. 19 VO), regelt aber nicht nur – wie bisher ihre Vorgängerin – wie bisher ihre Vorgängerin – die Folgen der Nichtbeförderung infolge Überbuchung eines Fluges (BGH, Urt. v. 23.04.2009 – X ZR 78/08, RRa 2009, 239 = NJW 2009, 274), sondern auch die Fälle der Nichtbeförderung aus anderen Gründen sowie die Fälle der Verspätung und der Annullierung eines Fluges. (Zum Vergleich der Rechte von Fluggästen mit denen von Passagieren anderer Beförderungsmittel siehe Bollweg, RRa 2010, 106; Tonner, RRa 2013, 206).

2        Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ist ein Mosaikstein in einem „System von Passagierrechten“, das sich zusammen mit dem Montrealer Übereinkommen, das selbst integraler Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung geworden ist (EuGH, Urt. v. 10.01.2006, Rs. C-344/04 – IATA und ELFAA, Rn. 35 und 36, Slg 2006 I-403 = RRa 2006, 127 = NJW 2006, 351 = EuZW 2006, 112), und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 n.F. gebildet hat. Auch wenn jedes dieser Rechtsinstrumente selbständig neben den anderen steht (anders früher Schmid, ZLW 2005, 373 ff.; NJW 2006, 1841), kann bei der Auslegung eines Begriffs geprüft werden, ob und wie sich andere in dem Bereich einschlägige Rechtsinstrumente auf die Auslegung dieses Begriffs auswirken können (so z.B. zur Auslegung des Begriffs „Flug“: EuGH, a.a.O., Rn. 42).

 2a     Weil die Verordnung selbstständig neben dem Montrealer Übereinkommen steht, schließen die in der Fluggastrechte-Verordnung getroffenen Regelungen als solche nicht aus, dass Fluggäste, denen ein Schaden entsteht, der einen Ausgleichsanspruch auslöst, auch unter den im Montrealer Übereinkommen vorgesehenen Voraussetzungen (Art. 19, 22 MÜ) Klage auf Ersatz dieses Schadens erheben können (EuGH, Urt. v. 10.01.2006, Rs. C-344/04 – IATA u.a. ./. Department of Transport, Slg. I-403 = RRa 2006, 127 = NJW 2006, 351). Es ist einem Gericht daher möglich, ein Luftfahrtunternehmen zum Ersatz des einem Fluggast wegen der Nichterfüllung des Luftbeförderungsvertrages entstandenen Schadens auch auf einer anderen Rechtsgrundlage als der der Fluggastrechte-Verordnung zu verurteilen, so z.B. unter den Voraussetzungen des Montrealer Übereinkommens oder des nationalen Rechts (EuGH, Urt. v. 13.10.2011, Rs. C-83/10 – Sousa Rodríguez ./. Air France, RRa 2011, 282 = NJW 2011, 3776; im Anschluss daran: BGHS 5.1.2016 – 16 C 233/15d, RRa 2016, 98).

3       Die Fluggastrechte-Verordnung ist in jedem Mitgliedsstaat unmittelbar geltendes Recht, aber nicht nur in der Fassung des Verordnungstextes. Da allein der EuGH nach Art. 267 Abs. 1 AEUV das Recht hat, endgültig über die Wirksamkeit und die Frage, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite eine Vorschrift eines Sekundarrechtsakts seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre zu entscheiden, ist die Verordnung in der Fassung anzuwenden, wie sie der EuGH durch seine Rechtsprechung gestaltet hat (so auch LG Düsseldorf, Urt. vom 13.12.2013 – 22 S 232/12, RRa 2014, 208). Die Urteile des EuGH wirken nicht nur inter partes; sie haben über das Ausgangsverfahren hinausgehende (faktische) Bindungswirkung (sog. erga-omnes-Wirkung) für alle Spruchkörper des gesamten Binnenmarktes (so auch: Staudinger, RRa 2010, 10 (11); LG Stuttgart, Urt. v. 20.04.2011 – 13 S 227/10, RRa 2011, 234; Urt. v. 07.11.2012 – 13 S 95/12, RRa 2013, 131). Da die Missachtung durch ein nationales Gericht einen Verstoß gegen Europa- und Verfassungsrecht darstellt, ist ein nationales Gericht an einer abweichenden Entscheidung unter Zugrundelegung einer andere Rechtsauffassung zur Auslegung der Verordnung gehindert (so zutreffend: LG Düsseldorf, a.a.O.).

4       Soweit eine Rechtsfrage im Rahmen der Anwendung von Unionsrecht ungeklärt ist, hat jedes letztinstanzlich entscheidende Gericht im Zweifel die Frage dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsersuchens vorzulegen (Art. 267 AEUV). Das gilt ausnahmsweise nur dann nicht, wenn die Anwendung des Gemeinschaftsrechts und die Antwort des EuGH im Hinblick auf seine bisherige Judikatur derart offensichtlich ist, dass sich die richtige Auslegung der Norm allen Gerichten in allen Mitgliedstaaten praktisch aufdrängen muss, also kein Raum mehr für vernünftige Zweifel besteht. In diesem Fall ist das letztinstanzlich entscheidende nationale Gericht von der Vorlageverpflichtung befreit (sog. acte-clair-Theorie). Davon ist aber nicht auszugehen, wenn unterschiedliche Auffassungen in der Rechtsprechung oder der Literatur vertreten werden.

5       Der EuGH hat mehrfach entschieden, dass die Gerichte die Vorschriften eines Sekundarrechtsakts in der Auslegung des EuGH auch auf Rechtsverhältnisse anwenden können und müssen, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen (EuGH, Urt. v. 03.10.2002, Rs. C‑347/00 – Barreira Pérez, Slg. 2002, I‑8191, Rn. 44; EuGH, Urt. v. 17.02. 2005, Rs. C‑453/02 – Linneweber und Akritidis, und C‑462/02, Slg. 2005, I‑1131, Rn. 41; EuGH; Urt. v. 23.10.2012 – verb. Rs. C‑581/10 – Nelson ./. Lufthansa und C‑629/10 – TUI u.a. ./. CAA, Rn. 88 ff., RRa 2012, 272 = NJW 2013, 671). In Einzelfällen kann sich der EuGH aber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtssicherheit (dazu: EuGH, Urt. v. 06.03.2007, Rs. C‑292/04 – Meilicke u. a., Slg. 2007 I‑1835, Rn. 37) veranlasst sehen, die für jeden Betroffenen bestehende Möglichkeit zu beschränken, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen (EuGH, Urt. v. 23.05.2000, Rs. C‑104/98 – Buchner u. a., Slg. 2000, I‑3625, Rn. 39, EuGH, Urt. v. 17.02. 2005, Rs. C‑453/02 – Linneweber und Akritidis, Slg. 2005, I‑1131, Rn. 42; EuGH; Urt. v. 23.10.2012, verb. Rs. C‑581/10 – Nelson ./. Lufthansa und C‑629/10 – TUI u.a. ./. CAA, Rn. 88, RRa 2012, 272 = NJW 2013, 671). In diesem Fall hat der Gerichtshof jedoch im Urteil selbst einen einheitlichen Zeitpunkt festzulegen, von dem an die von ihm gegebene Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts wirksam werden soll.

6       Die Fluggastrechte-Verordnung legt lediglich Mindestrechte fest, bei denen es sich um gesetzliche Ansprüche handelt; vertragliche Beziehungen zwischen Fluggast und Luftfahrtunternehmen müssen nicht bestehen. Es ist aber kein umfassendes Regelwerk, das Ausgleichszahlungen für alle Fälle vorsieht, in denen der Fluggast nicht befördert wird. Ob ein Luftfahrtunternehmen eine weitere Einstandspflicht trifft, bleibt einer Überprüfung nach dem nationalen Vertragsrecht vorbehalten (BGH, RRa 2009, 239; EuGH, Urt. v. 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 – Nelson ./. Lufthansa und C-629/10 – The Queen ./. Civil Aviation Authority, RRa 2012, 272 = NJW 2013, 671; ebenso Schuster, RRa 2014, 2 ff.)

7    Nichtbeförderungen, Annullierungen sowie große Verspätungen von Flügen sind für Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten. Absicht der Kommission war es, diese Unannehmlichkeiten zu verringern (siehe Erwägungsgrund (12 VO). Die Verordnung zielt darauf ab, nicht nur ein hohes Schutzniveau für Fluggästesicherzustellen, sondern auch, es zu erhöhen. Diese Zielrichtung wurde u.a. in den Erwägungsgründen 1 und 4 VO ausdrücklich verankert und muss bei der Auslegung und Anwendung der Verordnung beachtet werden. Die Interessen der Luftfahrtunternehmen werden dagegen nicht ausdrücklich erwähnt; doch wird in Erwägungsgrund 4 VO deutlich gemacht, dass mit dem Schutz der Fluggäste auch erreicht werden soll, dass die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in einem liberalisierten Markt harmonisierten Bedingungen unterliegt, was letztlich einem fairen Wettbewerb dient. Die weiteren Interessen der Luftfahrtunternehmen haben aber – wenn auch nicht immer auf den ersten Blick sichtbar – in den einzelnen Vorschriften, insbesondere bei den Entlastungsgründen (Art. 5 Abs. 3 VO) erkennbar Berücksichtigung gefunden.

8     Um das hohe Schutzniveau für die Fluggäste sicherzustellen, hat der europäische Gesetzgeber bestimmt, dass die Verpflichtungen gegenüber Fluggästen gemäß dieser Verordnung – und damit umgekehrt die Rechte der Fluggäste – nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden dürfen (Art. 15 Abs. 1 VO). Wird dennoch eine abweichende oder restriktive Bestimmung bei einem Fluggast angewendet oder wird der Fluggast nicht ordnungsgemäß über seine Rechte unterrichtet und hat er aus diesem Grund einer Ausgleichsleistung zugestimmt, die unter der in dieser Verordnung vorgesehenen Leistung liegt, so ist der Fluggast weiterhin berechtigt, die erforderlichen Schritte bei den zuständigen Gerichten oder Stellen zu unternehmen, um eine zusätzliche Ausgleichsleistung zu erhalten (Art. 15 Abs. 2 VO).

9     Dass die Verordnung kein abschließendes Regelwerk ist, ergibt sich schon aus ihrem eigenen Wortlaut (Art. 1 Abs. 1), wonach nur „Mindestrechte für Fluggäste“ festgelegt werden sollen. Das ist aber keine Mindeststandardklausel wie sie in verschiedenen verbraucherrechtlichen EU-Richtlinien zu finden ist. Da die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 in jedem Mitgliedstaat unmittelbar gilt, kann ein Mitgliedsstaat daher den in der Verordnung festgelegten Standard des Verbraucherschutzes durch Änderungen (z.B. die Anhebung der Höhe der Ausgleichsleistungen) zwar erhöhen, nicht aber absenken (so schon Tonner, in: Gebauer/Wiedmann, Kap. 15, Art.1 Rn. 23). So verstanden sind mit dem Begriff „Mindestrechte“ nur die Rechte gemeint, die Luftfahrtunternehmen ihren Passagieren in jedem Fall gewähren müssen; zugunsten des Fluggastes können sie aber weitergehende Rechte einräumen (so auch Tonner, a.a.O.).

10    Es fragt sich aber, ob die Bestimmungen der Verordnung mit Art. 29 S. 2 des Montrealer Übereinkommens kollidieren oder harmonieren. Diese Frage stellt sich zwar nicht, soweit es sich um Ansprüche von Fluggästen annullierter Flüge und um Fluggäste handelt, denen die Beförderung verweigert wurde, weil diese Sachverhalte im Montrealer Übereinkommen nicht geregelt sind. Anders verhält es sich bei der Verspätung: Kritiker der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 sehen einen Konflikt, weil nach ihrer Meinung die Verspätung und ihre Rechtsfolge (Ersatz des materiellen Schadens) bereits in Art. 19 MÜ abschließend geregelt sind (vgl. für viele: Müller-Rostin, NZV 2007, 221, 225; Hobe/Müller Rostin/Recker,ZLW 2010, 152 ff. m.w.N.).). Dies hat der EuGH in der sog. Sturgeon-Entscheidung (19.11.2009, Rs. C-402/0, verb. mit Rs. C-432/07 – Böck u.a. ./. Air France, Slg. 2009 I-10923 = RRa 2009, 262 = NKW 2010, 43 = ZLW 2010, 75) anders gesehen und diese Rechtsansicht im 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 – Nelson ./. Lufthansa und C-629/10 – TUI ./. CAA, RRa 2012, 272 = NJW 2013, 671) bestätigt. Denn die Fluggastrechte-Verordnung will nur die Folgen einer Verlängerung der Reisezeit und die Unannehmlichkeiten regeln, die durch einen verspäteten Abflug oder eine ungeplante Zwischenlandung entstehen und zu einer verspäteten Ankunft am Endziel führen. Eine Konkurrenz mit dem Schadenersatzanspruch aus Art. 19 MÜ ist daher von vorneherein ausgeschlossen (so auch Janköster S. 323; Reuschle Art. 19, Rn. 67).

11   Der Anspruch auf eine Betreuungsleistung nach Art. 6 i.V.m. Art. 9 VO ist kein (pauschalierter) Schadensersatzanspruch; es gibt daher keine Kollision mit Art. 19 MÜ.

12   Die Rechtsnatur des Ausgleichsanspruches ist dagegen nicht eindeutig geklärt.

13   Sieht man darin einen Strafschadensersatzanspruch, wie er im angloamerikanischen Recht als punitive damage bekannt ist (dazu Müller, punitive damages und deutsches Recht [2000]), so stellt sich die Frage, ob er als solcher – da im deutschen Recht ein Fremdkörper – gegen das Grundgesetz verstößt. Als Strafschadensersatzanspruch könnte die Ausgleichsleistung aber nur angesehen werden, wenn die Festsetzung der Höhe des Anspruchs in das Ermessen des Gerichts gestellt und damit ein besonders verwerfliches Verhalten des Luftfahrtunternehmen zur Abschreckung geahndet werden könnte (so zutreffend: Staudinger/Schmidt-Bendun NJW 2004, 1897 (1899)). Die Höhe der Ausgleichsleistung ist aber in Art. 7 VO – nach Flugentfernungen gestaffelt – festgelegt; ein richterliches Ermessen ist somit ausgeschlossen. Es fehlt also schon ein typisches Merkmal des Strafschadensersatzanspruches.

14    Ein Abschreckungsgedanke schlägt sich aber in der Regelung selbst nicht nieder; nur die Höhe der Sanktionen gegen die Luftfahrtunternehmen, die gegen die Verordnung verstoßen, sollen abschreckend sein (siehe Erwägungsgrund 21). Da ihm also die wesentlichen Merkmale eines Strafschadensersatzanspruches fehlen, kann der Ausgleichsanspruch nach Art. 7 VO auch nicht als solcher bewertet werden.

15    Art. 12 Abs. 1 S. 2 VO bestimmt, dass eine gezahlte Ausgleichsleistung auf einen weiter gehenden Schadensersatzanspruch angerechnet werden kann. Somit ist der Anspruch auf Ausgleichsleistung jedenfalls kein Anspruch sui generis, sondern ein Schadensersatzanspruch. Da der europäische Gesetzgeber aber die Höhe des Ausgleichs nicht in ein Verhältnis zu einem konkret entstandenen Schaden setzt, sondern pauschale Beträge festsetzt, wurde der Anspruch in der Literatur lange Zeit als pauschalierter (Mindest-)Schadensersatzanspruch angesehen (vgl. für viele: Führich, Reiserecht, Rn. 1048; ders., MDR 7/2007, Beilage, S. 8; Peterhoff, TranspR 2007, 130, 106; Schmid, RRa 2004, 198, 202, ders., ZLW  2005, 373, 379; Staudinger/Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897, (1899); Tonner, NJW 2006, 1854, (1856); Weise/Schubert, TranspR 2006, 340, 343; LG Frankfurt, Urt. v. 13.10.2006 – 3-2 O 51/06, RRa 2007, 82; AG Erding, Urt. v. 15.11.2006, RRa 2007, 85; AG Dortmund, Urt. v. 04.03.2008, RRa 2008, 188; AG Frankfurt, Urt. v. 07.10.2010, RRa 2011, 140. Wegen anderer Ansichten siehe Hausmann, Europäische Fluggastrechte [2012], S. 358).

16   Der Anspruch gemäß Art. 7 VO i.V.m. Art. 4 und 5 VO wird aber in der deutschen Amtssprache nicht als „Schadensersatz“, sondern (bewusst!) als „Ausgleichsleistung“ bezeichnet: Die Leistung soll etwas ausgleichen. Mit dieser Wortwahl sollte offensichtlich – klarer als in der englischen Sprache – deutlich gemacht werden, dass mit der Zahlung der Ausgleichsleistung etwas anderes ausgeglichen werden soll als ein materieller Schaden. Dieses Verständnis hat der EuGH in seinem Urteil vom 19.11.2009 (verb. Rs. C-402/07 – Sturgeon ./. Condor und C-432 – Böck u.a. ./. Air France, Rn. 44, Slg 2009 I-10923 = RRa 2009, 282 = NJW 2010, 43 = ZLW 2010, 75) bestätigt: Er hat darauf hingewiesen, , „dass die Verordnung Nr. 261/2004 darauf abzielt, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste unabhängig davon sicherzustellen, ob sie von einer Nichtbeförderung oder von einer Annullierung oder großen Verspätung eines Fluges betroffen sind, da sie alle von vergleichbaren Ärgernissen und großen Unannehmlichkeiten in Verbindung mit dem Luftverkehr betroffen sind“.

17   In der Rs. 402/07 – Sturgeon hat der EuGH in Rn. 52 und 61 deutlich gemacht, dass eine Unannehmlichkeit wie ein Zeitverlust nicht als „Schaden …, der durch Verspätung … entsteht“ i.S.d. Art. 19 MÜ qualifiziert werden kann und daher vom Geltungsbereich des Art. 29 MÜ nicht erfasst wird (so auch schon EuGH, Urt. v. 10.01.2006, Rs. C-344/04 – IATA und ELFAA (Slg 2006 I-403 = RRa 2006, 127 NJW 2006, 351 = EuZW 2006, 112).

18    In der Entscheidung vom 23.10.2012 (verb. Rs. C-581/10 – Nelson ./. Lufthansa und C-629/10 – TUI u.a. . /. CAA, RRa 2012, 272 = NJW 2013, 671) hat der Gerichtshof unter Verweis auf sein IATA-Urteil (Rs. C-344/04, → Rn. 17) betont, dass die Ausgleichsleistung wegen einer Verspätung eine Kompensation für den Zeitverlust und Unannehmlichkeiten ist. Ein Zeitverlust ist aber – so der EuGH – kein infolge der Verspätung entstandener Schaden, sondern „stellt – wie andere Begleiterscheinungen der Fälle von Nichtbeförderung, Flugannullierung oder großer Verspätung, zu denen etwa ein Mangel an Komfort oder der Umstand gehört, vorübergehend nicht über normalerweise verfügbare Kommunikationsmittel zu verfügen – eine Unannehmlichkeit dar.“ (Rn. 51). Somit könne der mit der Verspätung eines Fluges verbundene Zeitverlust, der eine Unannehmlichkeit i.S.d. Verordnung (EG) Nr. 261/2004 darstellt, nicht als „Schaden …, der durch Verspätung … entsteht“ i.S.v. Art. 19 MÜ qualifiziert werden, und nicht in den Anwendungsbereich des Art. 29 MÜ fallen. Die Ausgleichsleistung muss daher so angesehen werden, dass mit ihr (wenigstens überwiegend) immaterielle Schäden ausgeglichen werden sollen. Damit stellt sich – jedenfalls bei Anwendung deutschen Rechts – die Frage, ob eine Anrechnung auf einen materiellen Schadensersatzanspruch überhaupt möglich ist. (Siehe dazu den Vorlagebeschluss des BGH vom 30.07.2012 – X ZR 111/12, RRa 2013, 233 = openJur.)

II. Die Grundstruktur der Verordnung

19    Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen hat nicht mehr – wie bisher unter Geltung der Verordnung (EG) Nr. 295/91 – nur für den Fall der Nichtbeförderung wegen Überbuchung (Art. 4 VO), sondern jetzt auch für sonstige Nichtbeförderungen sowie für den Fall der Annullierung eines Fluges (Art. 5 VO) bestimmte Ausgleichs-, Unterstützungs- und Betreuungsleistungen zu erbringen, sofern es sich nicht entlasten kann (Art. 5 Abs. 3 VO). Diese Ansprüche des Fluggastes können weder eingeschränkt noch ausgeschlossen werden (Art. 15 VO).

20    Bei der Verspätung eines Fluges (Art. 6 VO) sind nach dem Wortlaut der Verordnung nur Unterstützungs- und Betreuungsleistungen anzubieten (Art. 9 VO), die nach Entfernungskilometern gestaffelt sind, wenn sich der Abflug um zwei und mehr Stunden verzögert; eine Ausgleichleistung ist in diesen Fällen nach dem Wortlaut der Verordnung nicht vorgesehen. Auf Vorlage des BGH einerseits und des HG Wien andererseits hat der EuGH in seinem bahnbrechenden „Sturgeon-Urteil“ (verb. Rs. C-402/07 – Sturgeon ./. Condor und C-432//07 – Böck u.a. ./. Air France, Slg 2009 I-10923 = RRa 2009, 282) entschieden, dass – entgegen dem Wortlaut der Verordnung – Fluggästen auch bei einer großen Verspätung Ausgleichsansprüche in analoger Anwendung des Art. 7 Abs. 1 VO zustehen, sofern sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden erreichen und somit einen Zeitverlust von mindestens drei Stunden erleiden. Anders als die Generalanwältin, die einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gesehen hat, wurden vom Gerichtshof  die Rechtsfolgen einer Annullierung  primär rechtskonform auf den Tatbestand einer großen Verspätung entsprechend angewendet.

21   Und noch eine wesentliche Neuerung hat die Verordnung gebracht: Sie gilt nun auch für Nicht-Linienflüge, d. h. auch für Flugdienste im sog. Ferienflugverkehr, insbesondere für Luftbeförderungen, die als Teilleistung im Rahmen einer Pauschalreise durchgeführt werden.

 III. Die in der Verordnung nicht geregelten Rechtsprobleme

 1. Die Aktiv- und Passivlegitimation

22    Grundsätzlich ist der Fluggast, der befördert worden ist bzw. oder befördert werden sollte, Inhaber des Ausgleichsanspruchs und damit aktivlegitimiert. Ungeklärt und streitig ist aber, ob das auch gilt, wenn der Fluggast den Flugschein nicht bezahlt hat. Diese Frage stellt sich, wenn der Fluggast als Arbeitnehmer oder Beauftragter im Rahmen einer Dienstreise befördert wurde und der Flugschein von seinem Arbeitgeber oder Auftraggeber für einen Mitarbeiter oder Auftragnehmer gekauft und bezahlt wurde. Das AG Emden hat entschieden, dass Ausgleichsansprüche nach Art. 7 VO und Erstattungsansprüche nur dann dem Fluggast zustünden, wenn dieser selbst Vertragspartner der ausführenden Fluggesellschaft sei. Buche der Arbeitgeber das Ticket, sei der geschäftsreisende Arbeitnehmer lediglich Dritter und nicht anspruchsberechtigt (Urt. v. 27.01.2010 – 5 C 197/09, RRa 2010, 135 mAnm Schmid RRa 2010, 136; siehe dazu auch Brecke ZLW 2012, 358 ff.).

23    Dem kann nicht gefolgt werden, weil es nicht darauf ankommt, dass der Fluggast Vertragspartner des ausführenden Luftfahrtunternehmens ist oder nicht; auf vertragliche Beziehungen stellt die Verordnung nicht ab (so auch LG Köln, Urt. v. 09.04.2013 – 11 S 241/12, RRa 2014, 34). Entscheidend ist, dass er „Fluggast“ ist und die Unannehmlichkeiten der Nichtbeförderung, Verspätung oder Flugannullierung zu erdulden hatte. (Ausführlich dazu Brecke, ZLW 2012, 358 ff. und Schmid, RRa 2012, 136 f sowie LG Köln, a.a.O.).

24    Macht daher ein Mitarbeiter oder Auftragnehmer, der im Rahmen einer Geschäftsreise nicht oder verspätet befördert worden ist, gegenüber dem Luftfahrtunternehmen selbst keine Ansprüche geltend, ist das Unternehmen, das den Flug gebucht und bezahlt hat, gleichwohl nicht berechtigt, diese Ansprüche aus eigenem Recht gegenüber dem Luftfahrtunternehmen geltend zu machen; es bedarf der Abtretung der Ansprüche (so auch Brecke, a.a.O.).

25   Treten Reisende ihre Ansprüchen aus der Verordnung an den Reiseveranstalter ab, und macht dieser die Ansprüche für die Reisenden geltend, ist das als zulässige Nebenleistung i.S.d. § 5 Abs. 1 RDG anzusehen (LG Frankfurt, Urt. v. 8.11.2013 – 2-24 O 117/13).

 2. Die Passivlegitimation

26      Die Ansprüche aus Art. 7 VO richten sich nach dem Wortlaut der Verordnung (Art. 5 und 6 VO) ausschließlich gegen das „ausführende Luftfahrtunternehmen“ (so auch: BGH Beschl 11.3.2008, RRa 2008, 175 = NJW 2008, 2119 ff.; BGH 26.11.2009 – Xa ZR 132, RRa 2010, 85 = NVZ 2010, 137 ff.). Nach der Legaldefinition in Art. 2 lit. b) VO ist „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ ein Luftfahrtunternehmen, „das im Rahmen eines Vertrags oder im Namen einer anderen Person einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt“. Die Auslegung nach Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck ergibt, dass es für die Einordnung eines Unternehmens als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ iSd Verordnung maßgeblich auf den Auftritt vor Ort nach außen gegenüber dem Kunden ankommt.

26a     Nach Erwägungsgrund 7 VO sollen die Verpflichtungen aus der Verordnung dem Unternehmen obliegen, „das einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt, und zwar unabhängig davon, ob der Flug mit einem eigenen Flugzeug oder mit einem mit oder ohne Besatzung gemieteten Luftfahrzeug oder in sonstiger Form durchgeführt wird.“ Nach zutreffender Ansicht des AG Rüsselsheim (30.07.2014 – 3 C 5696/13-33, RRa 2015, 84 = BeckRS 2016, 07165) wird „aus dieser Formulierung das Bestreben des Verordnungsgebers erkennbar, dem aus Sicht der Flug- gäste ausführenden Unternehmen Einwendungen aufgrund interner rechtlicher und für den Fluggast nicht erkennbarer Strukturen und Vereinbarungen von vornherein zu versagen. So sollen sich die gegenüber dem Fluggast auftretenden Unternehmen nicht darauf berufen können, sie hätten Flugzeug und Besatzung tatsächlich lediglich gemietet oder aufgrund interner Vereinbarungen „sonstiger Form“ tatsächlich den Flug gar nicht ausgeführt. Die Unterscheidung zwischen der Durchführung nach außen gegenüber dem Kunden und der Durchführungsabwicklung nach innen ist in Erwägungsgrund 7 VO gut erkennbar angelegt.“

26b    Zu berücksichtigen ist bei der Auslegung auch, dass dem Regelungskonzept der Verordnung von dem Gedanken getragen ist, dass das bei der Flugabwicklung präsente Unternehmen in der Regel am besten in der Lage ist, die Verpflichtungen der Verordnung zu erfüllen. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die von der Verordnung vorgesehenen Unterstützungsleistungen tatsächlich vor Ort effektiv erfüllt werden. Aus diesem Grund werden nach dem Wortlaut allein dem ausführenden Luftfahrtunternehmen die Pflichten auferlegt (so zutreffend: BGH, Beschl. v. 11.03.2008, RRa 2008, 175 = NJW 2008, 2119 ff.; BGH, NVZ 2010, 137 ff.; AG Rüsselsheim, Urt. v. 30.7.2014 – 3 C 5696/13-33; RRa 2015, 84 = BeckRS 2014, 07165). Das ausführende Luftfahrtunternehmen wird aber dadurch nicht einseitig belastet, weil es gemäß Art. 13 VO bei seinen (internen) Vertragspartnern nach Maßgabe der jeweiligen Vereinbarung Rückgriff nehmen und sich schadlos halten kann (BGH, a.a.O.; AG Rüsselsheim, a.a.O.)

26c     Passivlegitimiert ist also nicht das Luftfahrtunternehmen, das den Luftbeförderungsvertrag mit dem Reisenden geschlossen hat (BGH, Beschl. v. 11.03.2008, RRa 2008, 175 = NJW 2008, 2119 ff., sondern allein das Luftfahrtunternehmen, das den Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt hat (Art. 2 lit. b VO). Dieses Unternehmen kann allerdings im Einzelfall identisch sein mit dem vertragsschließenden Luftfahrtunternehmen.

27     Führt ein zu 100% einem Mutterunternehmen gehörendes, aber rechtlich selbstständiges Tochterunternehmen einen Flug durch, ist nach Ansicht des AG Bremen (Urt. v. 10.10.2011 − 16 C 89/11, RRa 2012, 22 mit zust. Anm. Hoffmann/Maurer RRa 2012, 23) das Mutterunternehmen „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ i.S.d. Verordnung, weil es hinsichtlich der Durchführung der übertragenen Flüge unter Berücksichtigung des Innenverhältnisses faktisch Einfluss ausübe. Dies gilt nach Ansicht des AG Hannover (Urt. v. 06.12.2012 – 452 C 5686/12, RRa 2014, 56) jedenfalls dann, wenn bei einer Umsteigeverbindung (z.B. Hannover – Paris – Havanna) auf dem Flugschein als „Luftfahrtunternehmen“ für beide Flüge nur das Mutterunternehmen angegeben wird.

27a    Wenn ein Luftfahrtunternehmen einen unter dem ihm zugewiesenen IATA-Airline-Code (z.B. LH für Lufthansa oder DE für Condor) verkauft und das auch auf der Buchungsbestätigung so (ohne einen aufklärenden Hinweis) angibt, ist es als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ auch dann anzusehen, wenn es den Flug aufgrund einer internen Absprache von einem anderen Luftfahrtunternehmen durchführen lässt. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich dabei um ein selbständiges, aber zum Konzern gehörendes Luftfahrtunternehmen handelt (so auch AG Rüsselsheim, Urt. v. 30.7.2014 – 3 C 5696/13-33, RRa 2015, 84 = BeckRS 2016, 01765 für die Durchführung eines Condor-Fluges durch das zum Thomas-Cook- Konzern gehörende Luftfahrtunternehmen Thomas Cook Airline UK).

28    Im Falle des Code-Sharing-Fluges ist nur dasjenige Luftfahrtunternehmen, das den Flug tatsächlich durchführt oder nach den Angaben in der Buchungsbestätigung oder im Flugschein ausführen sollte, ausführendes Luftfahrtunternehmen im Sinne des Art. 2 lit. b VO und damit im Falle der Annullierung des Fluges zu Unterstützungsleistungen und Ausgleichsleistungen verpflichtet (BGH, Urt. v. 28. 05. 2009 – Xa ZR 113/08, RRa 2009, 242 = NJW 2009, 2743; 26.11.2009 – Xa ZR 132/08, RRa 2010 = NJW 2010, 1522, 85; LG Linz 24.2.2011 – 14 R 120/10f, RRa 2011, 156. Siehe dazu auch Kober-Dehm/Meier-Beck RRa 2010, 250 (251 f.); Schmid NJW 2007, 261 (267)).

29     Ungeklärt ist dagegen, wer passivlegitimiert ist, wenn ein Luftfahrtunternehmen, das planmäßig als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ vorgesehen war, kurzfristig durch ein anderes Luftfahrtunternehmen ersetzt wird. Zum Montrealer Übereinkommen hat das LG Darmstadt (Urt. v. 20. 1. 2010 – 7 S 136/09, ZLW 2010, 319 = TranspR 2010, 194 = BeckRS 2010, 12898) entschieden, dass das ersatzweise befördernde Luftfahrtunternehmen als „ausführender Luftfrachtführer“ anzusehen ist. Ob diese Rechtsansicht auch im Rahmen der sog. Fluggastrechte-Verordnung gelten kann, erscheint allerdings zweifelhaft, denn Art. 2 lit. b VO definiert das ausführende Luftfahrtunternehmen als dasjenige, „das (…) einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt“. Daraus ist abzuleiten, dass nicht das ersatzweise den Flug durchführende Luftfahrtunternehmen als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ angesehen werden muss, sondern nur dasjenige, das den Flug durchführen sollte, aber nicht durchgeführt hat.

30    Bei anderer Auslegung besteht die Gefahr, dass Passagierrechte bei Rückflügen in das Gebiet der Europäischen Union durch Manipulation verkürzt werden könnten. Wenn nämlich ein „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“, das den Flug durchzuführen beabsichtigt hat, ein nicht-europäisches Luftfahrtunternehmen einsetzt, hätte der Passagier plötzlich keine Rechte mehr, weil der Flug jetzt durch ein „Nicht-EU-Luftfahrtunternehmen“ von einem Startflughafen außerhalb des Gebietes der Europäischen Union (z.B. Antalya) in das Gebiet eines Mitgliedstaates durchgeführt würde. Die bloße Möglichkeit einer solchen „Manipulation“ steht nicht im Einklang mit dem Zweck der Verordnung, nämlich der Erhöhung des Schutzes der Passagiere. Wenn also ein Luftfahrtunternehmen A einen Flug durchführen sollte, wegen eines technischen Problems jedoch das Luftfahrtunternehmen B mit der ersatzweisen Durchführung beauftragt (sog. Subcharter), ändert das nichts daran, dass das Luftfahrtunternehmen A. „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ i.S.d. Verordnung ist (AG Frankfurt, Urt. v. 19.04. 2013 – 32 C 1916/12-18, RRa 2014, 104 L).

31    Schon im Jahr 2008 hat der BGH (Beschl. v. 11. 3. 2008 − X Z 49/07, RRa 2008, 175) klargestellt, dass ein Reiseveranstalter, der zwar „vertraglicher Luftfrachtführer“ i.S.d. Montrealer Übereinkommens sein kann, kein „ausführendes Luftfahrtunternehmen“i.S.d. Verordnung ist. Infolgedessen ist ein Reiseveranstalter für Ansprüche aus der Verordnung nicht passiv-legitimiert (so schon AG Düsseldorf, Urt. v. 27.03. 2007 − 230 C 16700/09, RRa 2008, 142 = BeckRS 2008, 13531; AG Oberhausen, Urt. v. 11.12.2006 – 35 c 2313/06, RRa 2007, 91); BGHS Wien, Urt. v. 23.04.2014 – 11 C 413/13k; ebenso: Keiler, ZVR 2011, 138).

32    Die Verordnung macht aber in ihrem Erwägungsgrund 7 klar, dass die durch sie geschaffenen Verpflichtungen, auch dem ausführenden Luftfahrtunternehmen obliegen, das den Flug durchzuführen beabsichtigt (hat) und zwar unabhängig davon , ob der Flug mit einem eigenen oder mit einem (mit oder ohne Besatzung) gemieteten Luftfahrzeug oder in anderer Form durchgeführt wird.

32a     Wenn das in Anspruch genommene Luftfahrtunternehmen im vorprozessual geführten Schriftverkehr mit dem Fluggast seine Einstandspflicht nicht sogleich mit dem Hinweis darauf abgelehnt hat, nicht ausführendes Luftfahrtunternehmen zu sein, erweckt es durch dieses Verhalten den Eindruck, es betrachte sich als das ausführende Luftfahrtunternehmen. Daher obliegt es ihm, das Gegenteil zu beweisen (LG Düsseldorf, Urt. vom 13.12.2013 – 22 S 232/12).

32b     Der Kläger kann das Luftfahrtunternehmen aber auch auf Ersatz des Schadens verklagen, der bei ihm dadurch eingetreten ist, dass er das Luftfahrtunternehmen aufgrund seines vorgerichtlichen Verhaltes als richtigen Anspruchsgegner für einen Anspruch aus der Fluggastrechte-Verordnung angesehen und dadurch unnütze Kosten aufgewendet hatte, die nicht  entstanden wären, wenn die Beklagte sofort offenbart hätte, dass sie nicht passivlegitimiert ist (LG Düsseldorf, a.a.O.)

3. Die Verjährung der Ansprüche

33     Der BGH (Urt. v. 10.12. 2009 − Xa ZR 61/09, RRa 2010, 90 = NJW 2010, 1521; so zuvor schon: Staudinger/Schmidt-Bendun, NJW 2004, NJW 2004, 1897, 200; Staudinger, NJW 2007, 3392 f.ders., RRa 2009, 195; Weise/Schubert, TranspR 2006, 340, 344) hat zutreffend entschieden, dass die Ausschlussfrist des Art. 35 Abs. 1 MÜ weder unmittelbar noch entsprechend für Ausgleichsansprüche nach der sog. Fluggastrechte-Verordnung herangezogen werden kann, weil die beiden Regelwerke inhaltlich unterschiedliche Ansprüche betreffen und nebeneinander stehen (a.A. noch LG Darmstadt, Urt. v. 24.04. 2009 − 7 S 260/08, RRa 2009,193 = BeckRS 2009, 27196 mit krit. Anm. Staudinger RRa 2009, 193).

34     Diese Rechtsauffassung hat der EuGH aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des Audiencia Provincial de Barcelona (Spanien) am 22.11.2012 bestätigt und dahingehend entschieden, dass − im Hinblick auf die Frist für die Geltendmachung von Ansprüchen – nicht Art. 35 MÜ (zweijährige Ausschlussfrist) herangezogen werden kann, sondern das jeweils ergänzend anwendbare nationale Recht gilt(Rs. C-139/11 – Moré ./. KLM, RRa 2013, 17 = NJW 2013, 365 = EuZW 2013, 156 = ZLW 2013, 503).

35     Bei Anwendung deutschen Rechts gilt für Ansprüche aus der Fluggastrechte-Verordnung daher die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB von drei Jahren,wenn ihnen die Annullierung eines durch Luftbeförderungsvertrag mit dem Luftfahrtunternehmen versprochenen Fluges zugrunde liegt (BGH, Urt. v. 10.12.2009 − Xa ZR 61/09, RRa 2010, 90 = NJW 2010, 1526 = ZLW 2009, 42; AG Frankfurt, Urt. v. 24.02.2014 – 29 C 3591/13/44; so schon: Führich, Sonderbeilage zu MDR 7/ 2007, 1 (14); Weise/ Schubert, TranspR 2006, 340, (344); A. Staudinger/ Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897, 1900). Daher ist eine Klausel in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen eines Luftfahrtunternehmens, mit der das Klagerecht des Fluggastes entsprechend Art. 35 Montrealer Übereinkommen auf 2 Jahre verkürzt werden soll, unwirksam (AG Bremen, Urt. v. 22.10.2012 – 9 C 0270/12; Staudinger/Bauer/Rüben, NJW 2013, 3762). Die Verjährungsfrist beginnt a) mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und b) der Gläubiger von den Umständen, die den Anspruch begründen, und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB).

36    Der BGH hat in seinem Urteil vom 10.12.2009 − Xa ZR 61/09, Rn.33, RRa 2010, 90 = NJW 2010, 1521) aber ausdrücklich offen gelassen, ob dies auch bei Annullierung eines Fluges gilt, der im Rahmen einer Pauschalreise durchgeführt wird oder ob dann die Verjährungsfrist aus § 651g Abs. 2 BGB Anwendung findet. In der Literatur wird das angenommen (siehe z.B. Staudinger/Schmidt-Bendun NJW 2004, 1897 (1900); Weise/Schubert TranspR 2006, 340 (344); Hausmann S. 502; aA Schmid/Hopperdietzel NJW 2009, 3085 (3086); AG Rüsselsheim 08.01.2014 – 3 C 3189/13-36, RRa 2014, 182 = BeckRS 2014, 16266). Dem kann nicht gefolgt werden. Zum einen ist die Annahme von Staudinger/Schmidt-Bendun (aaO), die Tatbestände der Annullierung, Nichtbeförderung und Verspätung würden „erst nach Abschluss des Reisevertrages erfüllt“, nicht zutreffend, weil bei einer Flugpauschalreise ein Reisevertrag erst mit Ankunft des Fluges am Zielort erfüllt ist. Zum anderen würden die Fluggäste, die den Flug direkt beim Luftfahrtunternehmen gebucht haben, gegenüber den Fluggästen, die den Flug im Rahmen einer Pauschalreise gebucht haben, privilegiert werden. Für diese Ungleichbehandlung gibt es aber keinen sachlich rechtfertigenden Grund. Der kann – entgegen Hausmann S. 503) auch nicht darin gesehen werden, dass es einen „Verstoß gegen das Reiserechtsregime“ darstellte, würden einzelne Leistungsstörungen im Rahmen der Pauschalreise anderen als den abschließenden Regelungen der §§ 651c ff. BGB unterworfen und „sich für die Beteiligten die Vorhersehbarkeit im Hinblick auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme erhöhte“, wenn sämtliche Rechte aus der Pauschalreise nach Ablauf von zwei Jahren (nach § 651m BGB ggf. schon nach einem Jahr!) ausgeschlossen wären.

37     Der Anwendung des § 651g Abs. 2 BGB steht entgegen, dass diese Bestimmung nur die reisevertraglichen Gewährleistungsansprüche aus „§§ 651c bis § 651f“ BGB, nicht aber sonstige Ansprüche (wie z.B. einen Schadensersatzanspruch wegen Personenschadens oder einen Anspruch aus § 812 BGB) erfasst (so auch Führich Reiserecht [6. Aufl. 2010], Rn. 463 mwN; MüKoBGB/Tonner § 651g, Rn. 38, jeweils mwN). Da der Anspruch auf Ausgleichsleistung nach Art. 7 VO aber fraglos kein reisevertraglicher Gewährleistungsanspruch ist, kann die reisevertragliche Verjährungsfrist darauf nicht erstreckt werden (so auch: AG Rüsselsheim 8.1.2014 – 3 C 3189/13-36, RRa 2014, 16266 = BeckRS 2014, 16266; AG Frankfurt a.M. 24.02.2014 – 29 C 3591/13-44). Das LG Frankfurt a.M. (29.04.1998 – 2-1 S 45/96, NJW-RR 1998, 1589, 1590) hat zutreffend eine Analogie zu § 651g BGB jedenfalls dann verneint, wenn europäisches Sachrecht (und dazu zählt die Fluggastrechte-Verordnung) Anwendung findet.

38     Richtigerweise ist allein darauf abzustellen, welche Hauptpflichten das ausführende Luftfahrtunternehmen gegenüber dem Fluggast hatte. Das ist vor allem die Pflicht zur(sicheren und pünktlichen) Beförderung des Fluggastes. Dabei kann nicht entscheidend sein, ob sich diese Pflicht unmittelbar aus dem Luftbeförderungsvertrag (Werkvertrag i.S.d. § 635 ff. BGB) oder mittelbar aus dem Flugzeugbereitstellungsvertrag (sog. „Chartervertrag“)ergibt, der zwischen dem Luftfahrtunternehmen und dem Reiseveranstalter geschlossen wird und ein Vertrag zugunsten Dritter ist (BGH, Urt. vom 17.01.1985 − VII ZR 63/84, BGHZ 93, 271 = NJW 1985, 1457; BGH, Urt. v. 25.04.2006 − VI ZR 279/05), ergibt. Siehe dazu ausführlich:Gansfort, RRa 1994,2; Schmid, RRa 1994,7; Schwenk, RRa 1997,3 (9).

39     Für dieses Verständnis der tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhänge spricht schon Erwägungsgrund 5 der Verordnung, wonach der Schutz der Verordnung gerade nicht auf die Fluggäste im Linienflug (auf Basis eines Luftbeförderungsvertrages) beschränkt sein soll, sondern ausdrücklich auch die Fluggäste im Bedarfsluftverkehr, einschließlich der Flüge im Rahmen von Pauschalreisen (auf der Grundlage von Chartervertrag und Pauschalreisevertrag) erfasst, da es im Gebiet der Europäischen Union nur noch „Flugdienste“ gibt und die Unterscheidung zwischen Linienflugverkehr und Bedarfsluftverkehr auch in Drittstaaten an Bedeutung verliert. Folgerichtig haben nach Art. 8 VO alle Fluggäste Anspruch auf Unterstützungsleistung, gleich ob sie im Rahmen eines Pauschalreisevertrages oder aufgrund eines Luftbeförderungsvertrages befördert werden bzw. befördert werden sollten.

 4.    Die Gerichtszuständigkeit

40     Nicht geregelt hat die Verordnung, wo der Fluggast seine Rechte gerichtlich durchsetzen kann oder soll. Das war unproblematisch, solange das (höherrangige) Europäische Gerichtsstandsübereinkommen (EuGVÜ) noch in Kraft gewesen ist; dieses ist aber mit Wirkung vom 01.03.2002 in seinem Anwendungsgebiet zusammen mit dem sog. Lugano-Übereinkommen (LGVÜ) durch die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO oder „Brüssel I-VO, ABl. Nr. L 351 vom 20.12.2012, S. 1 – 32 abgekürzt), ersetzt worden, so dass eine eigene Gerichtsstandsregelung in der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 jetzt nicht mehr mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht kollidieren würde.

41     Die Gerichtsstandsregelung des Art. 33 des Montrealer Überein- kommens (MÜ) gilt nur, wenn Ansprüche aus diesem Übereinkommen geltend gemacht werden. Für Ansprüche, die aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 hergeleitet werden, gilt Art. 33 MÜ also nicht, auch nicht analog (so auch OLG München, Urt. v. 16.05.2007 – 20 U 164/07, RRa 2007, 182 = NJW 2007, 3214, LG Lübeck, Urt. v. 23.04.2010 – 14 S 264/09, RRa 2011,46).

42     Auf Ansprüche aus der Verordnung werden bei einer Inlandsbeförderung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland die Gerichtsstandsregelungen der Zivilprozessordnung (ZPO) angewendet, bei solchen innerhalb Österreichs diejenigen der österreichischen Zivilprozeßordnung (öZPO).

43     In anderen Fällen ist zu unterscheiden, ob das beklagte Luftfahrtunternehmen seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Drittstaat (d.h. einem Staat außerhalb der Europäischen Union) hat. Im ersten Falle kommt die Verordnung EuGVVO oder Brüssel I-VO zur Anwendung, im zweiten Falle sind es die Gerichtsstandsregelungen nach der Zivilprozessordnung (ZPO), soweit der Fall in Deutschland anhängig gemacht wird. Das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ) gilt noch im Verhältnis zu Dänemark. Im Verhältnis zur Schweiz und den EWR-Staaten (Norwegen, Island, Liechtenstein) sowie zu Polen ist ein im Wesentlichen inhaltsgleiches Übereinkommen, das Luganer Übereinkommen, anzuwenden.

44     Auf Vorlage des BGH (Beschl. v. 22.04.2008 – X ZR 76/07, RRa 2008, 177 = NJW 2008, 2121) musste sich der Europäische Gerichtshof mit der Frage des Gerichtstands befassen. Er vertrat die Meinung, dass ein Fluggast eines innergemeinschaftlichen Fluges mit einem  Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zur Durchsetzung seines Rechtsanspruchs auf einen Anspruch nach Art. 7 VO Klage entweder am allgemeinen oder am besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 lit. b VO 44/2001 (Brüssel I-VO) erheben kann, und zwar wahlweise beim Gericht des Abflugs- oder des Ankunftsorts (EuGH, Urt. v. 09.07.2009, Rs. C-204/08 − Rehder v. Air Baltic, Slg. 2009, I-6073 = RRa 2009, 234 = EuZW 2009, 569; vgl. auch die Anm. von Kummer, RRa 2009, 267, 268 f. zu den Schlussanträgen der Generalanwaltschaft sowie Mankowski, TranspR 2009, 303; Staudinger, RRa 2009, 219). Dieser Gerichtsstand gilt auch für einen Reiseveranstalter, wenn er zusammen mit dem Luftfahrtunternehmen  wegen eines verspäteten Rückfluges gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird (OLG Frankfurt, Urt. v. 30.07.2012 – 11 AR, 142/12, NJW-RR 2013, 59).

44a     Wenn also ein segmentierter Flug von einem einzigen Luftfahrtunternehmen ausgeführt wird, ist bei der Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit insgesamt auf die zurückgelegte Strecke abzustellen (ebenso: AG Frankfurt a.M., Urt. v. 27.11.2014 – 31 C 3804/13 -23, RRa 2015, 80). A.A. ist dagegen das LG Berlin, das die Ansicht vertritt, dass bei einem Flug von Santo Domingo über Paris nach Berlin, der insgesamt von einem Luftfahrtunternehmen ausgeführt wird, kein (internationaler) Gerichtsstand bei einem Gericht in Berlin gegeben ist, wenn der erste Flug verspätetet wird und der Fluggast den (nicht verspäteten) Anschlussflug von Paris nach Berlin nicht erreicht und deswegen mit großer Verspätung am Endziel ankommt (Urt. v. 02.12.2015 – 84 S 7/15). Das Gericht deutet aber an, dass die Rechtslage aber u.U. anders zu beurteilen wäre, wenn der Anschlussflug auf den Zubringerflug gewartet hätte und der Fluggast deswegen das Endziel Berlin erreicht.

44b     Wird dagegen die Beförderung eines Fluggastes von einem Mitgliedstaat über einen anderen in einen dritten Mitgliedsstaat im Rahmen einer einheitlichen Buchung von zwei Luftfahrtunternehmen durchgeführt, ist nach Ansicht des LG Stuttgart (Urt. v. 10.12.2014 – 13 S 115/14, RRa 2015, 21, Rev. zugel.) bei großer Verspätung des zweiten Fluges für eine Klage auf Ausgleichsleistung nach Wahl des Klägers ausschließlich das Gericht des Abflugortes oder des Ankunftsortes des zweiten Fluges zuständig (ebenso: AG Frankfurt, a.a.O.; LG Bremen, Urt. vom 05.06.2015 – 3 S 315/14, NJW-RR 2015, 1402 = RRa 2016, 72). Der Ansicht des LG Stuttgart folgt auch das LG Frankfurt (Urt. vom 20.08.2015 – 2-24 S 31/15 – RRa 2016, 21) und hält für den Kläger, der das falsche, nämlich die erste Teilstrecke abfliegende Unternehmen verklagt hatte, den Trost bereit, dass es ihm die sog. Small-Claims-Verordnung (Verordnung [EG] Nr. 861/2007) ermögliche, Ansprüche gegen das zweite Unternehmen einfach, kostengünstig und schnell durchzuführen. Im Übrigen sei diese Entscheidung auch interessengerecht, da zum einen der buchende Kunde dann, wenn er keinen Direktflug auswählt, damit rechnen müsse, dass das vertragliche Luftfahrtunternehmen sich für Teilstrecken anderer Unternehmen bediene, während das ausführende Luftfahrtunternehmen lediglich Klagen an den Orten ausgesetzt sehen soll, die einen Bezug zu dem durchgeführten Flug aufwiesen.

45     Im Übrigen ist es herrschende Meinung, dass eine gerichtliche Zuständigkeit sowohl am Ort des Startflughafens als auch am Ort des Endziels gegeben ist, jedenfalls soweit mehrere Flugabschnitte durch dieselbe Fluggesellschaft durchgeführt werden. Blankenburg (RRa 2013, 61, 63) verweist auf die sich daraus ergebende Problematik, dass zwar die Zuständigkeit bejaht wird, jedoch im Anschluss die materielle Anwendbarkeit der Verordnung abgelehnt wird (wie LG Frankfurt, Urt. v. 05.01.2012 – 2-24 S 145/11, RRa 2012, 87, 89, bestätigt durch BGH, Urt. v. 13.11.2012 – X ZR 14/12 – ZLW 2013, 525). Die in diesem Zusammenhang oft zitierte Entscheidung des BGH aus dem November 2012 (Urt. v. 13.11.2012 − X ZR 12/12, Rn. 8, RRa 2013,19) ist nicht einschlägig, da die Zuständigkeit der Vorinstanzen in entsprechender Anwendung von § 39 ZPO bejaht worden ist, da sich das beklagte Unternehmen rügelos zur Sache eingelassen hatte.

46   Werden  Luftfahrtunternehmen mit Sitz außerhalb der Europäischen Union auf eine Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechte-Verordnung in Anspruch genommen, sind bei einem geplanten oder tatsächlichen Abflug von einem in Deutschland gelegenen Flugplatz die deutschen Gerichte zuständig. Die internationale Zuständigkeit ist in diesem Fall nicht nach der Brüssel I-Verordnung zu bestimmen, sondern nach den Zuständigkeitsregeln der Zivilprozessordnung; es gilt somit der Ort des besonderen Gerichtsstands des Erfüllungsortes (§ 29 Abs. 1 ZPO). Da sich der Anspruch auf Ausgleichszahlung aus Gemeinschaftsrecht ableitet und damit unabhängig von der der Beförderung zugrundeliegenden vertraglichen Beziehung besteht, ist die Frage, wo die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist, anhand von gemeinschaftsrechtlichen und nicht nach vertragsrechtlichen Maßstäben zu beantworten. Daher ist zur Bestimmung des Erfüllungsortes Art. 5 Nr. 1 lit. b, 2. – Brüssel I-VO heranzuziehen. Danach kann die Klage auf Ausgleichszahlung sowohl am Ort der vertragsgemäßen Leistungserbringung und damit am Abflugort (BGH, Urt. v. 18.01.2011 – X ZR 71/10, BGHZ 188, 85 = RRa 2011, 79 = NJW 2011, 2056) als auch am Ort der vertragsgemäßen Ankunft des Fluges erhoben werden (OLG Koblenz, Urt. v. 11.01.2008 − 10 U 385/07, RRa 2008, 181; LG Hannover, Urt. v. 18.01.2012 – 14 S 52/11, RRa 2012, 185 m. krit. Anm. Staudinger; Zivilgericht Basel-Stadt, Urt. v. 20.06.2011, RRa 2011, 286, das dementsprechend, da auch der schweizerische Sektor des Flughafens „Basel-Mulhouse-Freiburg“ auf französischem Hoheitsgebiet liegt und sich der Abflugort und damit der Erfüllungsort auf französischem Boden befindet, französisches Recht für anwendbar erklärt und nicht ein schweizerisches, sondern ein französisches Gericht für zuständig erklärt.). Bei einem einheitlich gebuchten Direktflug (z.B. von New York über Amsterdam nach Berlin) ist auch der Zielflughafen (im Beispiel: Berlin) Erfüllungsort der geschuldeten Beförderungsleistung (so auch: AG Wedding, Urt. v. 27.06.2011 – 19 C 84/11). Ausführlich zum Erfüllungsortsgerichtstand: Staudinger, RRa 2009, 219 ff.  Zur internationalen Zuständigkeit und Anwendbarkeit der Fluggastrechte-Verordnung bei Zwischenlandungen siehe Staudinger, RRa 2010, 154, ff.).

47     Aus Sicht des Verbrauchers wäre es wünschenswert, wenn er einen Gerichtsstand bei dem Gericht hätte, in dessen Gerichtsbezirk er seinen ständigen Wohnsitz begründet hat. Ein solcher Gerichtstand würde aber mit der Gerichtsstandsregelung des Art. 33 MÜ, das höherrangiges Recht darstellt, kollidieren, weshalb auch Art. 15 Abs. 1 Brüssel I-VO für Beförderungsverträge nicht gilt (siehe dazu Tonner, Die EU-Flugastrechte-Verordnung und das Montrealer Übereinkommen, VuR 2001, 203, 205).

48     Da aber Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft auch in einem Mitgliedstaat tätig werden können, in dem sie nicht ihren Sitz haben, ist es für einen Fluggast wenig komfortabel, wenn er diese Unternehmen an ihrem Unternehmenssitz verklagen muss. Sicher ist einem deutschen Fluggast auch eine Klage in Dublin, London oder an anderen Orten im europäischen Ausland zumutbar, doch schreckt das viele Verbraucher ab. Angesichts der oft recht niedrigen Streitwerte ist der Aufwand einer Klage im Ausland zu groß, zumal die Klageschrift übersetzt werden muss. Unter dem Gesichtspunkt eines vernünftigen Verbraucherschutzes sollte daher von einem ausländischen Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, das Flugdienste zu, von oder in einem anderen Mitgliedstaat anbietet, verlangt werden, dass es eine Niederlassung in dem Mitgliedsstaat begründet, zu, aus oder in dem es Flugdienste anbietet. Will man das nicht oder hat das Luftfahrtunternehmen eine solche Niederlassung nicht begründet, könnte alternativ oder ersatzweise ein Gerichtsstand am Abgangs- oder Bestimmungsort des Fluges in Betracht gezogen und in der Fluggastrechte-Verordnung festgeschrieben werden.

48a     Auf einer Flugreise von D über E nach F, bei dem die erste Teilstrecke vom Luftfahrtunternehmen A, die zweite vom Luftfahrtunternehmen B durchgeführt wird, ist bei einer Klage gegen das Unternehmen A wegen Verspätung des ersten Fluges am Ankunftsort F der nachfolgenden Teilstrecke ist nach Ansicht des LG Frankfurt (Urt. v. 20.08.2015 – 2-24 S 31/15) kein internationaler Gerichtsstand begründet.

48b     Ebenso haben bei einem vergleichbaren Sachverhalt das AG Nürtingen (Urt. v. 16.06.2014 – 11 C 6/14) und das LG Stuttgart Urt. v. 10.12.2014 – 13 S 115/14, RRa 2015, 21) entschieden. Der Kläger hatte bei der Fluggesellschaft A unter deren Flugnummern eine Flugverbindung von Stuttgart über Paris nach Helsinki gebucht. Die Beförderung von Paris nach Helsinki erfolgte im Wege des Code-Sharing durch F. Der Flug auf dieser zweiten Teilstrecke hatte eine Verspätung von mehr als drei Stunden. Das LG Stuttgart hat in diesem Fall lediglich einen Gerichtsstand am Abflug- oder Ankunftsort des zweiten Fluges bejaht.

48c     Anders als die Vorinstanzen ist der BGH der Ansicht, dass bei diesem Sachverhalt ein Gerichtsstand ebenso am Abflugort der ersten Teilstrecke, also am Flughafen Stuttgart, eröffnet sei. Zum einen dürfte eine Klage auf Ausgleichszahlung auch dann im Gerichtsstand des der Luftbeförderung zugrundeliegenden Vertrags erhoben werden können, wenn das nach der Fluggastrechte-Verordnung verpflichtete ausführende Luftfahrtunternehmen nicht zugleich der Vertragspartner des Fluggastes ist. Dafür spricht bereits, dass die Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung eine vertragliche Grundlage der Beförderungsleistung voraussetzen. Zum anderen dürfe bei einer nach dem Vertrag mehrgliedrigen Flugverbindung ohne nennenswerten Aufenthalt auf den Umsteigeflughäfen der Abflugort der ersten Teilstrecke auch dann als zuständigkeitsbegründender Erfüllungsort anzusehen sein, wenn die Klageansprüche aus Ereignissen auf einer anderen Teilstrecke resultieren. Dies entspräche einer konsequenten Anknüpfung an die vertragliche Grundlage der Beförderungsleistung. Dem ist zuzustimmen. Folgerichtig hat der BGH beschlossen, die Rechtsfrage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen (Beschl. v. 18.08.2015 – X ZR 2/15, RRa 2015, 297).

49     Für ein schweizerisches Luftfahrtunternehmen, das (wie die Swiss International Airlines) im Kanton Basel-Stadt seinen Sitz hat, ist nach Art. 2 Abs. 1 des Lugano-Übereinkommens das Zivilgericht Basel-Stadt zuständig. Wenn aber ein nicht schweizerisches Luftfahrtunternehmen bei einem Flug von oder nach Basel am Erfüllungsort (Ort des Abflugs oder der Ankunft) verklagt werden soll, ist dieses Gericht nicht zuständig, weil sich der Flughafen Basel-Mulhouse-Fribourg samt seinem Schweizer Sektor auf französischem Staatsgebiet befindet. Bei einem Flug von Basel zu einem deutschen Verkehrsflughafen oder umgekehrt wäre eine Klage daher bei dem zuständigen französischen oder deutschen Gericht zu erheben (Zivilgericht Basel-Stadt, Urt. v. 20.06.2011, Baseler Juristische Mitteilungen (BJM) 2012, 98 ff. = ASDA-Bulletin 145/2013, 81 ff; vgl. dazu auch AG Hannover, Urt. v. 28.03.2014 – 562 C 9420). Ausführlich dazu Burckhardt, ASDA-Bulletin 145/2013, S.74 ff. und Kost, ASDA-Bulletin 144/2012, 22 ff. Siehe dazu auch die ausführliche und informativer Begründung des BGH im Vorlagebeschluss vom 09.04.2013 (X ZR 105/12, RRa 2013, 183 = TranspR 2013, 307); siehe auch die Zusammenfassung bei: Hausmann, Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen. Verordnung (EG) Nr. 261/ 2004, 2012).

49a   Nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. vom 19.05.2015 – XI ZR 27/14, NJW 2015, 2667) und des EuGH (Urt. vom 27.02.2014, Rs. C-1/13 – Cartier parfums – lunettes SAS ./. Ziegler u.a., Rn 36 m.w.N.) kann die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte auch nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO durch rügelose Einlassung begründet werden. Dies ist immer dann der Fall, wenn die beklagte Partei es unterlässt, bereits im Klageerwiderungsschriftsatz eine entsprechende Rüge zu erheben. Nachträgliche Rügen, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, genügen nicht, um die so begründete internationale Zuständigkeit zu beseitigen. Etwas anderes gilt, wenn außerhalb des Geltungsbereichs des Art. 26 EuGVVO die rügelose Einlassung auf der Grundlage von § 39 ZPO angenommen werden soll. Hier kann die beklagte Partei die Rüge so lange erheben, als sie noch nicht mündlich zur Hauptsache verhandelt hat.

5.    Schwierigkeiten bei der Klagezustellung

50    Es sollte den Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft auch aufgegeben werden, in jedem Mitgliedsstaat, zu, von oder in dem es Flugdienste anbietet, einen Repräsentanten zu benennen, an den rechtswirksam Klagen zugestellt werden können. Wenn gleichzeitig zur Pflicht gemacht würde, dass dieser Repräsentant entweder Angehöriger des Mitgliedstaates ist, jedenfalls aber dessen Sprache beherrschen muss, wäre die Zustellung einer Klage in der Amtssprache des angerufenen Gerichts sehr viel leichter möglich.

51     Ob ein ausländisches Luftfahrtunternehmen berechtigt ist, nach Art. 8 der EuZustVO (Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten) berechtigt ist, die Annahme zu verweigern, wenn die Klage in deutscher Sprache abgefasst ist, wird teilweise bezweifelt. Das AG Erding hat entschieden, dass ein ausländisches Luftfahrtunternehmen nicht berechtigt sei, die Annahme einer ihm zugestellten Klageschrift, die in deutscher Sprache abgefasst und der keine Übersetzung beigefügt ist, zu verweigern, wenn es ihm aufgrund der im gesamten Unternehmen faktisch vorhandenen Sprachkenntnisse möglich ist, die deutsche Sprache hinreichend zu verstehen (Versäumnisurt. v. 05.12.2013 – 4 C 1702/134, RRa 2014, 183). Ob im Einzelfall tatsächlich von ausreichenden Sprachkenntnissen ausgegangen werden kann, dürfte schwierig darzulegen sein. Die Entscheidung des EuGH (Urt. v. 08.05.2008 – C 14/07 – NJW 2008, 1721), ergangen auf eine Vorlage durch den BGH (Beschl. vom 21.12.2006 – VII ZR 164/05 – NJW 2007, 775) läßt die Frage offen, auf wessen Sprachkenntnisse bei juristischen Personen abzustellen ist. Das OLG Frankfurt (Beschl. v. 1.7.2014 – 6 U 104/14, GRUR-RR 2015, 183) hat die Ansicht vertreten, dass selbst das Vorhalten deutschsprachigen Personals auf einer in Deutschland stattfindenden Messe nicht die Annahme rechtfertigt, dass auch das für die Entgegennahme von Zustellungen im Heimatland eingesetzte Personal der deutschen Sprache mächtig ist. Es kann daher nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass bei einem international tätigen Luftfahrtunternehmen die insoweit erforderlichen Sprachkenntnisse vorhanden sind, weswegen es sich empfiehlt, jeweils eine Übersetzung der Klageschrift in die Landessprache beizufügen.

51a   Nach der zutreffenden Ansicht des AG Erding ist ein ausländisches Luftfahrtunternehmen nicht berechtigt, die Annahme einer ihm zugestellten Klageschrift, die in deutscher Sprache abgefasst und der keine Übersetzung beigefügt ist, zu verweigern, wenn es ihm aufgrund der im gesamten Unternehmen faktisch vorhandenen Sprachkenntnisse möglich ist, die deutsche Sprache hinreichend zu verstehen (Versäumnisurt. v. 05.12.2013 – 4 C 1702/134, RRa 2014, 183).

IV. Die Auslegung der Verordnung

52     Nach einem allgemeinen Auslegungsgrundsatz ist jeder Unionsrechtsakt (und damit auch die Fluggastrechte-Verordnung) so weit wie möglich in einer Weise auszulegen, die seine Gültigkeit nicht in Frage stellt und im Einklang mit dem gesamten Primärrecht steht (EuGH, Urt. v. 16. 09. 2010, Rs. C‑149/10 − Chatzi, Slg. 2010 I‑8489, Rn. 43; Urt. v. 31.01.2013, Rs. C 12/11 – McDonagh ./. Ryanair, RRa 2013, 81 = NJW 2013, 921 = EuZW 2013, 223 ). Dabei sind die Ziele des Rechtsakts, die in den Erwägungsgründen niedergelegt sind (hohes Schutzniveau für die Fluggäste), in den Vordergrund zu stellen.

53    Schließlich darf die Auslegung nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem Diskriminierungsverbot, dem Gleichheitsgrundsatz und den Art. 16 und 17 der Grundrechtscharta zuwiderlaufen (EuGH Urt. v. 31.01.2013, Rs. C 12/11 – McDonagh ./. Ryanair, Rn. 44, RRa 2013, 81 = NJW 2013, 921 = EuZW 2013, 223; EuGH, Urt. v. 10.01.2006, Rs. C‑344/04 − IATA und ELFAA, Slg. 2006, I‑403) 

54    Der deutsche Text der Verordnung ist keine bloße nicht-amtliche Übersetzung, sondern in einer Amtssprache der Europäischen Union verfasst und somit zunächst aus sich heraus auszulegen. Der Rechtsvergleich mit Texten anderer Amtssprachen kann allenfalls ergänzend betrachtet werden.