Artikel 15 – Ausschluss der Rechtsbeschränkung
(2) Wird dennoch eine abweichende oder restriktive Bestimmung bei einem Fluggast angewandt oder wird der Fluggast nicht ordnungsgemäß über seine Rechte unterrichtet und hat er aus diesem Grund einer Ausgleichsleistung zugestimmt, die unter der in dieser Verordnung vorgesehenen Leistung liegt, so ist der Fluggast weiterhin berechtigt, die erforderlichen Schritte bei den zuständigen Gerichten oder Stellen zu unternehmen, um eine zusätzliche Ausgleichsleistung zu erhalten.
1 Die Verordnung stellt in Art. 15 VO sicher, dass die Verpflichtungen aus der Verordnung gegenüber Fluggästen durch Regelungen im (Luftbeförderungs-)Vertrag nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden dürfen. Auch dies steht im Einklang mit Erwägungsgrund 1 VO, wonach die Verordnung darauf abzielt, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen.
2 Für den grundsätzlichen Ausschluss einer Rechtsbeschränkung ist es gleichgültig, ob sich diese aus einem ausformulierten Vertrag ergibt oder etwa aus Allgemeinen Beförderungsbedingungen, die zum Gegenstand des Vertrages mit dem Fluggast gemacht werden. Entsprechend fallen Änderungsvorbehalte in der Reisebestätigung oder im Preisteil des Kataloges eines Reiseveranstalters, welche auch die Rechte des Reisenden aus der Verordnung einschränken, unter das Verbot der Rechtsbeschränkung gemäß Art. 15 Abs. 1 VO.
3 Auch eine Haftungsbegrenzung in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen des Luftfahrtunternehmens ist unwirksam, da sie dem Fluggast die Mindestrechte der Verordnung nehmen will (Art. 15 VO, § 134 BGB). Denn die Mindestrechte der Verordnung sind zwingendes Recht und haben als Unionsrecht Anwendungsvorrang. Wird eine Bestimmung der Verordnung nicht angewendet oder der Fluggast nicht ordnungsgemäß über seine Rechte unterrichtet (Art. 14 VO), und hat er aus diesem Grund einer Ausgleichsleistung zugestimmt, die unter dem Standard der Verordnung liegt, bleibt dem Fluggast nach Art. 15 Abs. 2 VO ein Anspruch auf eine zusätzliche Ausgleichszahlung (so auch: Führich, Reiserecht [6. Aufl.], Rn 1058).
4 Flugzeiten, die in der Reisebestätigung angegeben werden, werden zum Vertragsbestandteil. Änderungsvorbehalte in der Reisebestätigung oder im Preisteil des Kataloges hinsichtlich der Flugzeiten sind auch unter Berücksichtigung der Interessen des Reiseveranstalters für den Reisenden nicht zumutbar, weil sie dem Reiseveranstalter die Mög- lichkeit geben, die Flüge beliebig zu verlegen. Sie schränken zudem die Rechte des Reisenden aus der Verordnung ein und fallen damit unter das Verbot von Art. 15 Abs. 1 VO (BGH, Urt. v. 10.12.2013 – X ZR 24/13); zuvor schon: AG Köln, Urt. v. 23.11.2010 − 134 C 140/10, RRa 2011, 96 f.; OLG Celle, Urt. v. 07.02.2013 – 11 U 82/12).
5 Da die Verordnung keine Regelung zur Frage der Verjährung der dort normierten Ansprüche auf Ausgleichszahlung trifft, beträgt die Verjährungsfrist 3 Jahre (§§ 195, 199 BGB), gerechnet ab dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entsteht (BGH, Urt. v. 10.12.2009 − Xa ZR 61/09, RRa 2010, 90 f. = NJW 2010, 1526 = ZLW 2010, 421; a.A. noch in der Vorinstanz: LG Darmstadt, Urt. v. 24.04.2009 – 7 S 260/08, mit krit. Anm. Staudinger, RRa 2009, 193 ff.). Diese Rechtsauffassung hat der EuGH aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des Audiencia Provincial de Barcelona (Spanien) am 22.11.2012 bestätigt und dahingehend entschieden, dass − im Hinblick auf die Frist für die Geltendmachung von Ansprüchen – nicht Art. 35 MÜ (zweijährige Ausschlussfrist) herangezogen werden kann, sondern das jeweils ergänzend anwendbare nationale Recht gilt (Rs. C-139/11 – Moré ./. KLM, RRa 2013, 17 = NJW 2013, 365 = EuZW 2013, 156 = ZLW 2013, 503). Entgegenstehende Klauseln in Allgemeinen Beförderungsbedingungen von Fluggesellschaften, die Einschränkungen vorsehen, wonach „gerichtliche Klagen innerhalb von 2 Jahren, beginnend mit dem Tag der Ankunft des Flugzeugs oder an dem Tag, an dem das Flugzeug hätte ankommen sollen, erhoben werden müssen“, mit der Folge, dass das Klagerecht auf Schadensersatz erlöschen soll, sind unwirksam. Die Verordnung trifft keine Regelungen zur AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle im Bereich des Verjährungsrechts und steht der Anwendbarkeit des einschlägigen nationalen Rechts insoweit nicht entgegen, so dass nach Art. 15 VO Verjährungsregeln aus Allgemeinen Beförderungsbedingungen, die Ansprüche des Fluggastes aus der Verordnung einschränken würden, unwirksam sind (AG Bremen, Urt. v. 22.11.2012 − 9 C 0270/12, RRa 2013, 89, 91).
6 Zur Frage der Anwendbarkeit der kurzen Verjährungsfrist des § 651g BGB auf Beförderungen, die im Rahmen einer Flugpauschalreise durchgeführt werden, siehe Vorbemerkungen, Rn. 36 ff.