Artikel 3 – Anwendungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt

a) für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten;

b) sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, antreten, es sei denn, sie haben in diesem Drittstaat Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten.

(2) Absatz 1 gilt unter der Bedingung, dass die Fluggäste

a) über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen und – außer im Fall einer Annullierung gemäß Artikel 5 – sich wie vorgegeben und zu der zuvor schriftlich (einschließlich auf elektronischem Wege) von dem Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler angegebenen Zeit zur Abfertigung einfinden oder, falls keine Zeit angegeben wurde, spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung einfinden oder

b) von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen von einem Flug, für den sie eine Buchung besaßen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes hierfür.

(3) Diese Verordnung gilt nicht für Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist. Sie gilt jedoch für Fluggäste mit Flugscheinen, die im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen ausgegeben wurden.

(4) Diese Verordnung gilt nur für Fluggäste, die von Motorluftfahrzeugen mit festen Tragflächen befördert werden.

(5) Diese Verordnung gilt für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die Beförderungen für Fluggäste im Sinne der Absätze 1 und 2 erbringen. Erfüllt ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung, so wird davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht.

(6) Diese Verordnung lässt die aufgrund der Richtlinie 90/314/EWG bestehenden Fluggastrechte unberührt. Diese Verordnung gilt nicht für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird.

I. Absatz 1

   Die Fluggastrechte-Verordnung erfasst alle Luftfahrtunternehmen (also Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ebenso wie Non-EU-carrier), mit denen der Fluggast seinen Flug (gleichgültig, ob Hin- oder Rückflug) auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaates antritt. Darüber hinaus werden alle Flüge von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft von einem Drittstaat zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaates erfasst. Nicht anwendbar ist die Verordnung somit auf Flüge einer Nicht-EU-Fluggesellschaft (z.B. Emirates Airlines) von einem Flughafen eines Nicht-EU-Landes (z.B. Dubai) zu einem Flughafen der Gemeinschaft (z.B. Frankfurt) oder von einem Nicht-EU-Flughafen (z.B. Chicago) zu einem anderen Nicht-EU-Flughafen (z.B. Miami). Die Verordnung erfasst somit alle Flüge

– die in der EU beginnen ohne Rücksicht, ob das Luftfahrtunternehmen seinen Sitz in der EU hat,

– von „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ mit Sitz in der Europäischen Union aus Drittstaaten in das Gebiet der Europäischen Union, sofern im Drittstaat noch keine Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erbracht wurden (Art. 3 Abs. 1 und 2 VO). Weil der Flughafen Basel-Mulhouse auf französischem Gebiet liegt, hat das AG Hannover (Urt. v. 28.03.2014 – 562 C 9420)  die Verordnung auf einen Flug von Boa Vista nach Basel angewendet.

   Streitig ist, ob ein schweizerisches Luftfahrtunternehmen wie ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft oder ein Drittland-Unternehmen zu behandeln ist. Das Zivilgericht Basel-Stadt hat im Urt. v. 15.05.2012 – V. 2012.213 (BJM 2013, 79 ff.) die Ansicht vertreten, dass die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auf die Luftverkehrsverbindungen zwischen der EU und der Schweiz beschränkt sei. Zu einem Flug von Stuttgart über Zürich nach Istanbul hat OLG Stuttgart (Urt. v. 10.09.2008 – 9 U 38/08) die Anwendbarkeit der Fluggastrechte-Verordnung abgelehnt, während das AG Frankfurt a. M. (Urt. v. 28.06.2007 – 29 C 370/07-46) die Verordnung auf einen Flug von Lissabon über Genf nach München, der Teil eines Rundfluges war, angewendet hat (so auch LG Korneuburg, Urt. v. 15.07.2014 – 21 R 106/14g, Rra 2015, 101  für einen Flug von São Paulo über Zürich nach Wien). Diese Entscheidung wird man aber im Lichte des Urteils des EuGH in der Rechtsache Schenkel ./. Emirates Airlines (Urt. v. 10.07.2008, Rs. C-173/07, Slg. 2008 I-5237 = RRa 2008, 237 = NJW 2008, 2697 = EuZW 2008, 569) nicht mehr vertreten können, weil der EuGH die Betrachtung des Rundfluges ausgeschlossen hat. Ausführlich dazu Kost, ASDA-Bulletin 144/2012, 22 ff.; Burckhardt, ASDA-Bulletin 145/2013, S. 74 ff. Siehe dazu auch die ausführliche und informative Begründung des BGH im Vorlagebeschluss vom 09.04.2013 (X ZR 105/12, RRa 2013, 183 = TranspR 2013, 307). Zum Luftfahrtabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft von 1999 (SR 0.748.127.192.68) siehe auch Dettling-Ott, in: Thürer/Weber/Portmann/Kellerhals, Bilaterale Verträge  I & II, Schweiz – EU (Zürich 2007), Rn. 41 und 58). Gemäß Beschluss Nr. 1/2006 des Luftverkehrsausschusses Gemeinschaft / Schweiz vom 18.10.2006 wurde das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Luftverkehr dahin geändert, dass auch die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen gilt (ABl. EU Nr. L 298 vom 27.10.2006, S. 23 f. (Siehe dazu LG Korneuburg, Urt.  v. 15.07.2014 – 21 R 106/14g, RRa 2015,101). Mit Beschluss Nr. 1/2014 des gemischten Luftverkehrsausschusses Europäische Union und Schweiz vom 09.07.2014 (ABl. EU Nr. L 212 vom 18.07.2014, S. 21 f.) wurde im Anhang zum Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz unter Nr. 7 die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 aufgelistet.

3      Anspruchsberechtigt ist der Fluggast. Das ist jeder, der als Flugzeuginsasse nicht zur Besatzung zählt. Zum Begriff ausführlich: Art. 2, Rn. 28. Wer den Flug bezahlt hat (z.B. der Arbeitgeber des Reisenden) ist nicht entscheidend (so auch Führich, Reiserecht [7. Aufl. 2015], § 38 Rn. 28.

     Auch einem Kleinkind, das zum Zeitpunkt des Fluges 16 Monate alt war, steht ein Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung von Art. 7 Abs. 1 lit. a VO zu, wenn ein (u.U. auch geringer) Kindertarif entrichtet wurde. Auf die Reservierung eines Sitzplatzes kommt es insoweit nicht an; es kommt auch nicht darauf an, ob das Kind einen eigenen Sitzplatz hatte (LG Stuttgart, Urt. v. 07.11.2012 − 13 S 95/12, RRa 2013, 130). Daher hat auch ein unter 1 Jahr altes Kind einen Anspruch auf Ausgleichszahlung (AG Düsseldorf, Urt. v. 30.06.2011 – 40 C 1745/11).

5     Der Begriff „Flug“ (Art. 3 Abs. 1 lit. a VO) wird in Art. 2 VO nicht definiert. Zur Auslegung des Begriffs „Flug“ wurde zunächst auf das Montrealer Übereinkommen (MÜ) zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28.05.1999 (ABl. EG 2001 L 194 39) als dem wichtigsten internationalen Übereinkommen im System der Passagierrechte und auf den dortigen Begriff „Rundflug“ (Art. 1 Abs. 3 MÜ) zurückgegriffen. Als „Rundflug“, also als einziger einheitlicher Flug, gilt die Gesamtheit aller Teilflüge (z.B. von Frankfurt über Paris nach San Francisco, sodann zurück über Paris nach Frankfurt). Dabei ist völlig unerheblich, wie oft oder wie lange der Rundflug unterbrochen wird oder welche oder wie viele Code-Share- oder sonstige Partner-Fluggesellschaften des Luftfahrtunternehmens, mit dem der Rundflug vertraglich vereinbart wurde, zur tatsächlichen Ausführung der Teilflüge einsetzt. Entscheidend ist nach der Betrachtungsweise des Montrealer Übereinkommens lediglich, dass alle einzelnen Flugabschnitte zusammenhängend als einheitliche Beförderung gebucht werden. Das LG Korneuburg (08.09.2014 – 21 R 36/14p, RRa 2015, 100) hat auch einen im Rahmen einer Flugpauschalreise gebuchten Flug von Montego Bay nach Wien mit Zwischenlandung in Frankfurt zutreffend als einheitlich gebuchten Flug betrachtet.

   Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Fluggastrechte-Verordnung ist der Begriff „Flug“ in der Fluggastrechte-Verordnung jedoch nicht mit „Flugreise“ oder „Rundflug“ gleichzusetzen (EuGH, Urt. v. 10.07.2008, Rs. C-173/07 – Emirates Airlines ./. Schenkel, RRa 2008, 237 f.). Vielmehr stehen Fluggäste, die von einem Flughafen eines Drittstaates zu einem Flug- Flughafen der Gemeinschaft abfliegen wollen, nur dann unter dem Schutz der Verordnung, wenn das ausführende Luftfahrt-unternehmen eine gültige Betriebserlaubnis eines Mitgliedsstaates hat (Art. 2 lit. c VO). Es ging dort um einen Flug von Düsseldorf über Dubai nach Manila und zurück mit Emirates Airlines. Der Rückflug war annulliert worden, ohne dass der EuGH Ansprüche aus der Verordnung anerkannt hätte. Der BGH (Urt. v. 30.04.2009 – Xa ZR 78/08, RRa 2009, 239 f.) hat sich dem angeschlossen: „Flug“ im Sinne der Verordnung sei auch bei einem einheitlichen Beförderungsvertrag über Hin- und Rückflüge lediglich die einzelne „Einheit“ einer Luftbeförderung, die von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, das die entsprechende Route festlegt. Der BGH ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen: Für einen Anspruch aus der Verordnung auf Ausgleichsleistung genügt es nicht, dass ein Fluggast nicht mit dem gebuchten Flug befördert wird. Es ist auch erforderlich, dass dem – rechtzeitig zur Abfertigung für den Flug erschienenen und am Abfluggate anwesenden – Fluggast der Einstieg in die Maschine verwehrt wird. Ist aber der Zubringerflug verspätet und wird deswegen der Anschlussflug nicht erreicht, führt dies nach dieser Rechtsmeinung zu einem Anspruchsverlust, weil der Fluggast nicht rechtzeitig am Flugsteig für den Anschlussflug erschienen ist.

7      Nach Ansicht des BGH (Urt. v. 28.05.2009 – Xa ZR 113/08, RRa 2009, 242 f.) muss bei einem zusammengesetzten Flug in die USA der Anschlussflug separat als inneramerikanischer Flug angesehen werden, der eben nicht „auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaates“ angeboten worden sei; demzufolge habe der Fluggast keinen Anspruch auf eine Ausgleichsleistung (so auch: LG Korneuburg, urt. v. – 21 R 10/15s; a.A. Schmid, Die Nichtbeförderung von Fluggästen im Lichte der neueren Rechtsprechung des BGH, NJW 2009, 2724 f.). Ebenso hat das LG Darmstadt (Urt. v. 20.05.2015 – 7 S 185/14, RRa 2016, 16) für den umgekehrten Fall entschieden: Auf einen Zubringerflug außerhalb der Europäischen Union (z.B. von San José nach Panama City) soll die Verordnung auch dann nicht anwendbar sein, wenn er zusammen mit dem Anschlussflug im Rahmen einer einheitlichen Flugbuchung bei einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft gebucht wurde, das den Anschlussflug in einen Mitgliedstaat durchführt (Urt. v. 20.5.2015 – 7 S 185/14).

8     Wird ein echter „Direkt-Flug“ (zum Begriff: Schmid, RRa 2005, 146 f) nur von einem Luftfahrtunternehmen unter einer einheitlichen Flugnummer durchgeführt und erfolgt eine Zwischenlandung allein aus „technischen“ Gründen (z.B. Tankstopp oder eine Landung aus zollrechtlichen Gründen), nicht aber zum Zu- oder Ausstieg von Passagieren,so ist als Flug i.S.v. Art. 3 VO die Luftbeförderung über die gesamte Strecke (z.B. Frankfurt – Dubai – Bangkok; bei einem Rundflug: Frankfurt – Dubai – Bangkok – Dubai – Frankfurt) zu verstehen, so dass für die Anwendbarkeit der Verordnung der Flug an dem Flughafen angetreten wird, auf dem der erste Zustieg erfolgt ist (also im Beispiel Frankfurt).

9     Wird dagegen ein Flug, der unter einer bestimmten Flugnummer begonnen wurde, planmäßig unterbrochen und nach dem Umsteigen der Passagiere in ein anderes Flugzeug unter einer anderen Flugnummer fortgesetzt (z.B. AF 1523 von München nach Paris und AF 332 von Paris nach Boston), soll zwischen Flugunterbrechungen, die nur dem sofortigen Umsteigen dienen und solchen, bei denen der Weiterflug erst später erfolgt, unterschieden werden (AG Berlin-Mitte, Urt. v. 14.12.2005 − 11 C 2006/05, RRa 2006, 89 f). Bei einem unmittelbar erfolgenden Anschlussflug durch dasselbe EU-Luftfahrtunternehmen hat ein Fluggast im Fall einer Annullierung oder großen Verspätung bzw. einer Nichtbeförderung am Umsteigeflughafen auch dann einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung, wenn sowohl der Umsteigeflughafen als auch der letzte Zielort außerhalb des Gebietes der Europäischen Union liegt (LG Frankfurt, Urt. v. 26.03.2013 – 2 -24S 16/13, RRa 2013, 187 = BeckRS 2013, 13948). Erfolgt der Weiterflug durch ein Luftfahrtunternehmen eines Drittstaates, so soll bei Versäumen des Anschlussfluges nach Ansicht des LG Korneuburg (Urt. v. 19.06.2015 – 21 R 10/15s) der Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nur bestehen, wenn der Anschlussflug zu oder von einem Flughafen im Gebiet der Europäischen Union durchgeführt wird (so auch AG Köln, Urt. v. 13.01.2014 – 118 C 377/13) Das Gericht beruft sich dabei auf Art. 6a des Vorschlages der Kommission zur Neufassung der Fluggastrechte-Verordnung. Das ist nicht überzeugend, weil diese Regelung lediglich in einer Entwurfsfassung der Kommission niedergelegt ist und keinen rechtsverbindlichen Charakter hat. Es ist auch unklar, ob die Kommission damit (nur) eine gefestigte Rechtsmeinung wiedergeben oder ein Korrektur des bestehenden Rechts vornehmen will . So folgt denn auch ein Spruchkörper des untergeordneten BG Schwechat dieser Ansicht im Urteil vom 08.01.2016 – 4 C 540/15t zu Recht nicht, sondern schließt sich dem HG Wien (1 R 136/15v, RRa 2016, 48) an, wonach bei einem einheitlich gebuchten Beförderungsvertrag auch bei einer Zwischenlandung (gleich, ob im Gebiet der Europäischen Union oder außerhalb) ein einheitlicher Flug vorliegt, so dass das Bestehen eines Ausgleichsanspruches lediglich von der Verspätung am Endziel anhängig ist. Diese Auffassung wird inzwischen auch von deiner anderen Kammer des LG Korneuburg geteilt (Urt. v. 22.01.2016 – 22 R 141/15p).

10     Nach anderer Auffassung hat ein Reisender Anspruch auf Ausgleichszahlung auch, wenn er am Ort der Zwischenlandung nicht (weiter-)befördert wurde (AG Rüsselsheim, Urt. v. 06.01.2006 – 3 C 1127/05-35, RRa 2006, 92 f; AG Frankfurt, Urt. v. 17.07.1995 – 31 C 3236/94-23, RRa 1996, 205 f., bestätigt von LG Frankfurt, Urt. v. 19.06.1996 – 2/1 S 406/95; Führich, NJW 1997, 1044, 1045 Fn. 19; Schmid, Rechtsprechung zum Charterflug, [1997], S. 59 f.).

11     Dass der Fluggast auch auf einem Nicht-EU-Flughafen nicht schutzlos bleiben soll, zeigt etwa die Regelung des Art. 8 Abs. 1 lit. a) VO, der auf „nicht zurückgelegte Flugabschnitte“ abstellt und dem Fluggast ein Recht auf Rückbeförderung zum ersten Abflugort zubilligt.

12     Auch wenn nach Auffassung des EuGH von getrennten Flügen bei einem einheitlich gebuchten Hin- und Rückflug auszugehen ist, bleibt unentschieden, ob es sich um einen oder mehrere Flüge handelt, wenn das Endziel (Art. 2 lit. h VO) des Hinflugs oder des Rückflugs nicht unmittelbar oder mit Zwischenlandungen, sondern nur mit einem Umsteigen in das Fluggerät eines anderen Luftfahrtunternehmens erreicht wird (Führich, Reiserecht, [7. Aufl. 2015], § 38 Rn.23;; Kummer, DAR 2009, 121 f.; Schmid, NJW 2009, 2724 f.; Tonner, VuR 2009, 209 f.; AG Frankfurt, Urt. v. 21.12.2007 − 32 C 1003/07-22, RRa 2008, 146 m. krit. Anm. Schmid RRa 2008, 147).

13     Besteht eine Flugreise aus zwei oder mehreren Flügen, die jeweils von einer Fluggesellschaft unter einer bestimmten Flugnummer für eine bestimmte Route angeboten werden, ist die Anwendbarkeit der Verordnung für jeden Flug gesondert zu prüfen. Dies gilt auch dann, wenn die Flüge von derselben Fluggesellschaft durchgeführt werden und als Anschlussverbindung gemeinsam gebucht werden können (Bestätigung von BGH, Urt. v. 28.05.2009 – Xa ZR 113/08, RRa 2009, 242 f.). Der Begriff des „Fluges“ ist aus dem Sinn und Zweck der Verordnung und insbesondere aus denjenigen Vorschriften zu entwickeln, die sich dieses Begriffs bedienen. Die Verordnung bezieht sich auf die (Gesamtheit der) Fluggäste eines Fluges, der von einem bestimmten Luftverkehrsunternehmen auf einer bestimmten Flugroute ausgeführt wird und mit dem die Fluggäste von einem Flughafen A zu einem Flughafen B befördert werden (BGH, Urt. v. 13.11.2012 – X ZR 12/12, RRa 2013, 19 m. Anm. Schmid RRa 2013, 21; zu den vielfältigen Variationen zusammengesetzter Flüge und deren Begrifflichkeiten: Hausmann S. 108 ff.).

II. Absatz 2

1. Bestätigte Buchung

14    Weitere Voraussetzung und Bedingung für die Anwendbarkeit der Verordnung ist, dass die Fluggäste über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen und – außer im Fall einer Annullierung gemäß Art. 5 VO – sich wie vorgegeben zu der zuvor schriftlich (einschließlich auf elektronischem Wege) von dem Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler angegebenen Zeit zur Abfertigung einfinden oder sich − falls keine Zeit angegeben wurde − spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung einfinden oder von einem Luftfahrtunternehmen oder einem Reiseunternehmen von einem Flug, für den sie eine Buchung besaßen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes hierfür (Art. 3 Abs. 2 lit. a und b VO). Das LG Köln (Beschl. v. 23.05.2014 – 11 S 374/13, RRa 2015, 78) hat zutreffend entschieden, dass Art. 3 Abs. 2 lit. a VO nur für den Fall der Geltendmachung von Ansprüchen wegen Nichtbeförderung gilt, weil es bei einer Flugannullierung keines Erscheinens zur Abfertigung mehr bedarf und bei einer großen Verspätung das verspätete Erscheinen dann ohne Relevanz ist, wenn der Fluggast dennoch zur Abfertigung angenommen worden ist.

15     Formale Voraussetzung für Ansprüche aus der Verordnung ist sodann eine vom ausführenden Luftfahrtunternehmen oder vertraglichen Luftfahrtunternehmen bzw. einem Reiseunternehmen „bestätigte Buchung“ für den betreffenden Flug (Art. 3 Abs. 2 lit. a VO). Diese liegt mit Übergabe einer Buchungsbestätigung bzw. bei Online-Buchung mit der zum Ausdrucken bereit gestellten verbindlichen Erklärung des ausführenden Luftfahrtunternehmens vor, die mittels OK-Vermerk und Buchungsnummer einen Anspruch auf die durch Flugnummer, Datum und Uhrzeit konkretisierte Beförderungsleistung dokumentiert. Das ist in der Regel der papierne oder elektronische Flugschein (siehe Legaldefinition in Art. 2 lit. f VO) oder eine Buchungsbestätigung eines Reiseveranstalters (so auch: LG Korneuburg, Ur. v. 15.04.2016 – 22 R 6/16m; a.A., aber unzutreffend: AG Frankfurt, Urt. v. 30.03.2015 – 30 C 2766/14-47, RRa 2016, 85 = BeckRS 2016, 0751)) oder eines IATA-Reisebüros (BG HS 29.06.2016 – 11 C 695/14h-10). Ausreichend ist aber auch jeder sonstige Beleg, aus dem sich verbindlich die vorgesehene Luftbeförderung mit einem bestimmten, typischerweise durch Flugnummer und Uhrzeit individualisierten, Flug ergibt (BGH, Urt. v. 17.3.2015 – X ZR 34/14, Rn. 23, RRa, 2015, 184 [187] = NJW 2015, 2181). Diesem Erfordernis entspricht auch ein vom Reisebüro ausgestellter Reiseplan. Es ist nicht erforderlich, dass die Buchung von der Fluggesellschaft selbst ausgestellt wird (LG Landshut, Urt. v. 18.05. 2015 – 12 S 2435/14, RRa 2016, 79). Auch wenn ein Fluggast auf der im Buchungssystem des Luftfahrtunternehmens hinterlegten Passagierliste des Luftfahrtunternehmens erscheint, ist von einer „bestätigten Buchung“ auszugehen (AG Frankfurt, Urt. v. 30.03.2015 – 30 C 2766/14-47, RRa 2016, 85).

15a       Das Tatbestandsmerkmal „bestätigte Buchung“ ist auch dann erfüllt, wenn der Fluggast zunächst im Besitz einer bestätigen Buchung war, diese aber durch das Luftfahrtunternehmen zu einem späteren Zeitpunkt wieder im Buchungssystem gelöscht oder dem Fluggast beim Check-in manuell entzogen wird (LG Düsseldorf, Urt. v. 25.09.2015 – 22 S 79/15, RRa 2016, 131 = NJW-RR 2016, 247).

16      Eine „bestätigte Buchung“ muss in einem Prozess nicht „vorgelegt“ werden; es ist ausreichend, wenn der Fluggast darlegt, dass eine bestätigte Buchung „vorliegt“ und der Flug wie angegeben angetreten wurde (h.M., vgl. für viele: AG Frankfurt a. M., Urt. v. 06.12.2012 – 31 C 2553-78, RRa 2013, 138). Ein Luftfahrtfahrtunternehmen kann im Prozess nicht mit Nichtwissen bestreiten, dass der Fluggast befördert wurde, da ihm die Beförderung des Fluggastes aus eigener Wahrnehmung bekannt ist oder sein kann. Ein Luftfahrtunternehmen führt bei jedem Check-in eine Identitätsprüfung seiner Fluggäste durch und muss daher anhand der Passagierliste wissen, wer eingecheckt hat bzw. auf dem Flug befördert wurde (AG Rüsselsheim, Urt. v. 11.04.2013 – 3 C 3406/12-36, RRa 2013, 134; AG Erding, Urt. v. 13.03.2013 – 3 C 2101/12, BeckRS 2013, 08430 = juris = DAR 2013, 275). Es hat daher die prozessualen Nachteile zu tragen, wenn es Passagierlisten ohne Not bereits 1 Jahr nach dem Flug eigenverantwortlich vernichtet (AG Rüsselsheim, Urt. v. 25.07.2012 – 3 C 1132/12-36, RRa 2012, 234 = BeckRS 2012, 21694.).

17       Es obliegt dem Luftfahrtunternehmen, qualifiziert zu bestreiten, dass für den Fluggast kein Flug bei ihm gebucht wurde und er deshalb nicht im Besitz einer bestätigten Buchung gewesen ist (AG Rüsselsheim, Urt. v. 23.11.2011 – 3 C 1552/11-36, RRa 2012, 26 = BeckRS 2012, 05647; AG Rüsselsheim, Urt. v. 11.04.2013 – 3 C 3406/12-35, RRa 2013, 134; Urt v. 17.04.2013 – 3 C 3319/12-36). Dem steht nicht entgegen, dass das Luftfahrtunternehmen lediglich über den Vor- und Nachnamen des Fluggastes verfügt. Auch wenn ein gebuchter Fluggast versehentlich eine unrichtige Buchungsnummer angegeben hat, liegt kein ausreichendes Bestreiten vor, wenn das Luftfahrtunternehmen behauptet, es läge „unter dieser Buchungsnummer“ keine Buchung für den Fluggast vor.

18   Es gibt keine Pflicht zur Vorlage von Buchungsunterlagen durch den Fluggast; es muss nur eine bestätigte Buchung v o r l i e g e n (AG Frankfurt a.M. 29.03.2012 − 31 C 2809/12-78, RRa 2012, 235 f.; 6.12.2012 − 31 C 2553/12-78; AG Rüsselsheim 20.04.2012 − 3 C 2273/11-37, RRa 2012, 189 = LSK 2012, 390512; 25.07.2012 − 3 C 1132/12-36, RRa 2012, 234 f.). Hat ein Luftfahrtunternehmen einen Fluggast unstreitig auf einem Flug im Rahmen einer Pauschalreise befördert, ist vom Bestehen einer bestätigten Buchung auszugehen (AG Frankfurt a.M. 8.02.2013 − 30 C 2290/12-47, RRa 2013, 190 = BeckRS 2013, 13954). Da Art. 3 VO lediglich fordert, dass ein Fluggast überhaupt über eine bestätigte Buchung für den Flug verfügt, ist nicht zwingend erforderlich, dass diese vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ausgestellt wurde (so zutreffend auch: AG Rüsselsheim 16.07.2014 – 3 C 1447/14-36); es reicht eine Buchungsbestätigung durch einen Reiseveranstalter (so auch AG Düsseldorf 02.03.2015 – 38 C 13103/14, RRa 2015, 135; LG Korneuburg 15.04.2016 – 22 R 6/16m). Daher ist für das Vorliegen einer bestätigten Buchung iSd Art. 3 Abs. 2 VO nicht erforderlich, dass der Fluggast in der Passagierliste des Luftfahrtunternehmens erscheint. (aA AG Frankfurt a.M. 20.03.2015 – 30 C 2766/14-47).

19    Der Vortrag eines Luftfahrtunternehmens, es sei ihm nicht bekannt, ob ihm oder dem Fluggast eine Buchung durch den Reiseveranstalter vorliegt, ist kein Bestreiten, dass ein Reiseveranstalter die Buchung bestätigt hat (AG Frankfurt, Urt. v. 28.11.2012 – 31 C 2125/12-17, RRa 2012, 26 f.).

2. Rechtzeitiges Erscheinen zur Abfertigung

20    Ein  Fluggast muss sich entweder zur angegebenen Zeit oder spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung einfinden. Für das rechtzeitige Erscheinen am Abfertigungsschalter ist Voraussetzung, dass die späteste Abfertigungszeit (Check-in-deadline) dem Fluggast vom Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler mitgeteilt wurde. Eine andere Vorgabe als die 45 Minuten muss dem Fluggast von dem Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler schriftlich mitgeteilt werden, d.h. (per Post, per Telefax oder auf elektronischem Wege). Die Möglichkeit der Information auf der Homepage des Luftfahrtunternehmens genügt nicht (AG Hannover, Urt. v. 07.11.2014 – 541 C 4432/14, RRa 2015, 83).

21    Wenn dem Fluggast keine Zeit angegeben wurde, muss er sich spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten (eventuell auch geänderten) Abflugzeit zur Abfertigung einfinden (Art. 3 Abs. 2 lit. a VO). Ein Fluggast hat sich „zur Abfertigung eingefunden“, wenn er sich am Schalter angestellt hat (BGHS Wien, Urt. v. 20.12.2007 – 16 C 513/07v-23, RRa 2008, 99). Ob der so rechtzeitig erschienene Fluggast auch abgefertigt wird (Aufgabe des Gepäcks und Übergabe der Bordkarte) kann er nicht steuern. Das kann allein das Luftfahrtunternehmen, indem es bestimmt, an wie vielen Schaltern ein Flug abgefertigt wird. Dieses hat die Aufgabe, den Abfertigungsablauf so einzurichten, dass jeder rechtzeitig erschienene Fluggast rechtzeitig abgefertigt werden kann (so auch AG Düsseldorf, Urt. v. 21.01.2006 – 41 C 12361/05). Wenn ein Luftfahrtunternehmen bzw. das von ihm mit der Abfertigung beauftragte Unternehmen (oft: der Flughafenbetreiber), das die zeitlichen Vorgaben und die Zahl der abzufertigenden Passagiere kennt oder kennen kann, zu wenige Schalter anmietet und bei Erkennen bzw. Erkennenkönnen des Planungsfehlers nicht zusätzliche Schalter öffnet, liegt ein typisches Organisationsverschulden vor – ein unternehmerisches Risiko, das nicht auf den Fluggast abgewälzt werden kann. Daher kann einem Fluggast, der sich in einer langen Warteschlange vor den Abfertigungsschaltern anstellt, das Verharren von Fluggästen in der Schlange bei fortschreitendem Zeitverlauf kein gravierendes Mitverschulden angelastet werden, wenn er nicht zuvor vom Luftfahrtunternehmen aufgefordert wurde, sich sofort an einem benannten Abfertigungsschaltern zu bevorzugten Abfertigung zu melden (a.A. aber AG Düsseldorf, Urt. v. 16.12.2014 – 42 C 9584/14, RRa 2016 26 m. abl. Anm Schmid RRa 2016, 27).

22     Eine Klausel in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen zum Check-in, die nicht auf das rechtzeitige Einfinden des zu befördernden Passagiers im Abfertigungsbereich des Luftfahrtunternehmens abstellt, sondern auf die rechtzeitige Abfertigung des Fluggastes („Besitz der Bordkarte“), ist gemäß § 307 BGB unwirksam (so auch AG Bremen, Urt. v.  26.07.2012 – 9 C 91/12, juris Rn. 21; Schmid, RRa 2016, 27).

23   Wird ein Fluggast erst zu einem Zeitpunkt abgefertigt, der weniger als 45 Minuten beträgt, weil die Abfertigung der Passagiere, die sich vor ihm angestellt haben, lange dauert, so ist dies unbeachtlich. Denn es ist Aufgabe des Luftfahrtunternehmens, den Abfertigungslauf so einzurichten, dass ein rechtzeitig vor Meldeschluss eintreffender Fluggast rechtzeitig abgefertigt werden kann (AG Düsseldorf 21.1.2006 – 41 C 12361/05, RRa 2006, 130 m. Anm. Themann RRa 2006, 131: Unnötige Förmelei, wenn Fluggast ohnehin von der Passagierliste gestrichen wurde). Es kann nicht verlangt werden, dass der Fluggast die „beim heutigen Flugverkehr üblicherweise auftretenden Wartezeiten“ berücksichtigt (so aber BGHS Wien, a.a.O.). Denn diese sind nicht nur von Flughafen zu Flughafen, sondern auch je nach Tageszeit unterschiedlich. Da diese Umstände aber einem Luftfahrtunternehmen bekannt sind, ist es dessen Aufgabe, solche Umstände bei der Angabe der Meldeschlusszeiten zu berücksichtigen. Dies dürfte in gleicher Weise für eine Verlängerung der Mindestumsteigezeit gelten, etwa wegen zu erwartender Abfertigungsschlangen bei den Sicherheitskontrollen.

24      Auch hat das Luftfahrtunternehmen vor Schließung des Abfertigungsschalters für einen bestimmten Flug noch fehlende Fluggäste des betreffenden Fluges aufzurufen, wenn sich vor dem Abfertigungsschalter immer noch eine Warteschlange befindet. Nach Ansicht des AG Charlottenburg, Urt. v. 21.04.2009 – 226 C 331/08, RRa 2009, 189 f.) soll den Fluggast ein Mitverschulden treffen, wenn er wegen einer Warteschlange absehbar nicht mehr rechtzeitig abgefertigt wird und sich nicht von sich aus meldet. Es liegt aber kein Fall der ausgleichspflichtigen Nichtbeförderung vor, wenn der Flugreisende infolge einer ihm nicht zugegangenen Flugzeitenänderung seinen Flug nicht erreicht, weil dieser um 3 Stunden vorverlegt wurde (AG Charlottenburg, Urt. v. 30.10.2009 – 207 C 290/09, RRa 2010, 38 = BeckRS 2010, 04889).

25      Art. 3 Abs. 2 VO bezieht sich ausschließlich auf den Check-in am Abfertigungsschalter und nicht auf das Erscheinen des Fluggastes am Flugsteig. Auch wenn dieser erst 30 Minuten vor Abflug am Check-in erscheint, aber noch abgefertigt wird, kann das Luftfahrtunternehmen ihm die Beförderung nicht verweigern und sich nicht mehr darauf berufen, dass er sich nicht 45 Minuten vor Abflug am Check-in eingefunden hat (LG Frankfurt, Urt. v. 25.03.2013 – 2-24 S 151/12).

26    Ein Fluggast, der bei einem bestimmten  Luftfahrtunternehmen einen so genannten Code-Share-Flug gebucht hat, muss ohne besonderen Hinweis nicht automatisch davon ausgehen, dass die Abfertigung seines Fluges nicht vom vertraglichen Luftfrachtführer, sondern von dessen Code-Share-Partner vorgenommen wird. Unterlässt es ein noch nicht durchabgefertigter Fluggast, nach Ankunft seines Zubringerfluges auf der Anzeigetafel am Flughafen nachzusehen, wo sein Anschlussflug abgefertigt wird, trifft ihn kein Mitverschulden, wenn er sich zunächst an einem Schalter des vertraglichen Luftfrachtführers anstellt und während der Wartezeit die Abfertigung des Fluges am Schalter des ausführenden Luftfrachtführers verpasst (OLG Frankfurt, Urt. v. 05.08.2005 – 19 U 57/05, RRa 2006, 34 f.; so schon: LG Frankfurt, Urt. v. 27.01.2005 – 2/26 O 416/03, RRa 2005, 133 f.).

26a     Nach Blankenburg (RRa 2013, 61, 67) kann als geklärt gelten, dass ein Erscheinen bis zum Abschluss des Boardings ausreicht, wenn zwei Flüge verschiedener Fluggesellschaften gemeinsam abgefertigt werden. Würden hingegen zwei eigenständige Flüge vorliegen, die der Fluggast selbst zusammengestellt hat, soll für die Anwendung des Art. 3 Abs. 2 VO ein Erscheinen bis zum Abschluss des Boardings nicht ausreichen; es bestehe dann für den 2. Flugabschnitt kein Ausgleichsanspruch. Liege jedoch eine Verspätung im ersten Flugabschnitt vor und erscheine der Fluggast für den 2. Flug noch rechtzeitig bis zum Abschluss des Boardings und wurden beide Flüge verschiedener Fluggesellschaften gemeinsam abgefertigt, könne gegenüber beiden Fluggesellschaften ein Ausgleichsanspruch geltend gemacht werden; beide Gesellschaften würden als Gesamtschuldner haften mit der Möglichkeit eines Innenausgleichs zwischen den beiden Fluggesellschaften gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB (Blankenburg, a.a.O., S. 69, auch zu der erheblichen Verspätung bei beiden Flugabschnitten).

26b     Wird der Reisende mit seinem Reisegepäck bereits am Abflugort des Zubringerfluges auch für den Anschlussflug abgefertigt, setzt eine Ausgleichszahlung wegen Nichtbeförderung auf dem Anschlussflug weder eine erneute Abfertigung am Umsteigeflughafen noch eine Ankunft 45 Minuten vor dem Abflug des Anschlussfluges voraus (BGH, Urt. v. 28.08.2012 – X ZR 128/11, RRa 2012, 285 f.).

27    Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht verfügbar ist, haben nach Art. 3 Abs. 3 VO keine Rechte aus der Verordnung. Bei sprachlich-grammatikalischer Auslegung besteht kein Zweifel, dass Art. 3 Abs. 3 VO zwei Fallvarianten erfasst: Reisende, die kostenlos reisen und solchen die zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Der Relativsatz bezieht sich allein auf die 2. Variante (so auch Wahl, RRa 2013, 266 ff. AG Rüsselsheim, Urt. v. 29.10.2013 – 3 C 2404/13-32). Bei einer Flugpauschalreise kommt es nach Ansicht des LG Darmstadt (Urt. v. 19.02.2014 – 7 S 99/13, RRa 2014, 84 = BeckRS 2014, 08340) nicht darauf an, ob der Reiseveranstalter des Fluggastes einen Preis für die Luftbeförderung berechnet hat, sondern ob das Luftfahrtunternehmen den Fluggast kostenlos befördert hat.

28     Kostenlos Reisende sind mit Recht ausgeschlossen, weil es unbillig wäre, dass diese – wie vollzahlende Fluggäste – Ansprüche nach der Verordnung geltend machen könnten, während Reisende, die zu öffentlich nicht zugänglichen Sondertarifen, befördert werden, keine Ansprüche geltend machen können, obwohl sie immerhin einen Teil des vollen Tarifs gezahlt haben (so auch Wahl, a.a.O.). Deshalb hat nach zutreffender Ansicht des BGH (Urt. v. 17.03.2015 – X ZR 35/14, RRa 2015, 182) ein kostenlos befördertes Kleinkind auch dann keinen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 VO, wenn sich die Entgeltfreiheit aus einem für die Öffentlichkeit verfügbaren Tarif ergibt.

III. Absatz 3

29   Unter einem „reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist“, ist nicht schon jeder ungewöhnlich niedrige Preis eines Luftfahrtunternehmens zu verstehen, wie er insbesondere von den sog. „Billig-Fliegern“ angeboten wird (Art. 3 Abs. 3 VO). Gemeint sind Flüge, bei denen der Fluggast zu einem Sondertarif fliegt, der am freien Markt nicht erhältlich ist, so etwa Freiflüge oder Sondertarife für (aktive oder ehemalige) Mitarbeiter von Luftfahrtunternehmen oder Reiseveranstaltern. Solche Flüge sind in der Regel mit „ID“ (Industry Discount) oder „AD“ (Agent Discount) gekennzeichnet. Reist ein Reisebüro-Expedient z.B. auf Einladung eines Reiseveranstalters oder einer Fluggesellschaft im Rahmen eines Produktvorstellungsprogramms (Personal Education Program) zum „Null-Tarif“ (PEP-Tarif), so kann er im Fall einer Flugannullierung, Nichtbeförderung oder einer Verspätung keine Ansprüche aus der Verordnung herleiten. Die Tarife, die ein Luftfahrtunternehmen einem Reiseveranstalter für Flüge im Rahmen einer Flugpauschalreise zur Verfügung stellt, sind keine gegenüber einem „Normaltarif“ reduzierten Tarife. So hat auch das LG Darmstadt (Urt. v. 02.03.2011 – 7 S 95/10, RRa 2011, 135 f.; Urt. v. 18.12.2013 – 7 S 90/13) entschieden und dabei zutreffend festgestellt, dass jede andere Betrachtung zur Konsequenz hätte, „dass bei der Beförderung für Reiseveranstalter die meisten Passagiere zu einem reduzierten Tarif fliegen und damit aus dem Anwendungsbereich der Verordnung fallen würden.“ Dies sei aber erkennbar nicht das Ziel dieser Verordnung (vgl. Ziff. 5 der Erwägungsgründe).

30   Von diesen „Funktionsrabatten“ (so Hausmann, Europäische Fluggastrechte, S. 69) zu unterscheiden sind die zeitabhängigen Rabatte (z.B. ein Frühbucher-Rabatt“, „Last-minute-Angebote“) und die Rabatte, für die bestimmte persönliche Voraussetzungen (z.B. Alter, Gruppenzugehörigkeit) beim Fluggast vorliegen müssen, sofern sie für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Als „Öffentlichkeit“ kann nur die Gesamtheit von Personen gemeint sein, die außerhalb des Unternehmens der Fluggesellschaft stehen, nicht aber Mitarbeiter der betreffenden Fluggesellschaft oder auch von touristischen Unternehmen, mit denen das Luftfahrtunternehmen kooperiert. Diese sollen bei Einräumung von reduzierten Tarifen für ihre Flugreise nicht ihren Arbeitgeber bzw. das andere touristische Unternehmen mit der Forderung auf Ausgleichszahlung oder Einräumung von Betreuungsleistungen belasten können. Muss ein von einem Erwachsenen begleitetes Kleinkind unter 2 Jahren (Infant) nur 10% des Flugpreises bezahlen, liegt ein (zumindest mittelbar) öffentlich verfügbarer Tarif vor (so auch Hausmann, a.a.O., S. 66). Gleiches gilt für einen „Seniorentarif“ oder einen „Studententarif“ usw.

31     Fraglich ist, ob ein „Journalisten-Tarif“ ein Tarif ist, der „der Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Als „Öffentlichkeit“ kann nur die Gesamtheit von Personen gemeint sein, die außerhalb des Unternehmens der Fluggesellschaft steht, nicht aber Mitarbeiter der betreffenden Fluggesellschaft oder eines touristischen Unternehmens, mit denen das Luftfahrtunternehmen kooperiert. Der Journalistentarif steht allen Journalisten und damit der (wenn auch begrenzten) Öffentlichkeit zur Verfügung. Die Einräumung eines solchen Tarifs ist daher gleichzusetzen mit der Einräumung eines Kindertarifs, der zwar ebenfalls reduziert ist, aber der Öffentlichkeit (der „Gemeinschaft aller Kinder“) zur Verfügung steht (a.A. LG Frankfurt a. M.  06.06.2014 – 2 – 24 S 207/13). In diesem Verständnis kann der Ausschluss durch Art. 3 Abs. 3 VO nicht greifen. Das muss insbesondere dann gelten, wenn der Journalist zunächst einen nicht reduzierten „öffentlich zugänglichen“ Tarif bucht und das Luftfahrtunternehmen im Nachhinein prüft, ob ihm ein Teil des Tarifs erstattet oder erlassen wird.

32     Legt ein Reiseveranstalter einen vom Luftfahrtunternehmen angebotenen Tarif, der aber in den Reiseunterlagen nicht gesondert ausgewiesen wird und daher dem Reisenden nicht bekannt ist, dem Reisepreis zugrunde, handelt es sich nicht um einen reduzierten Tarif, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Denn der vom Reisenden über den Reiseveranstalter nur mittelbar an das befördernde Luftfahrtunternehmen gezahlte Flugpreis ist ein „öffentlich verfügbarer Tarif“ i.S.v. Art. 3 Abs. 3 VO (AG Düsseldorf, Urt. v. 28.09.2006 – 39 C 9179/06, RRa 2007, 38 f.; LG Darmstadt, Urt. v. 02.03.2011 – 7 S 95/10, RRa 2011, 135 f.; Urt. v. 18.12.2013 – 7 S 90/13). Auch ein vom Reiseveranstalter angebotener „Kindertarif“ ist „öffentlich verfügbar“, wenn er ein vergünstigter Tarif“ ist, der jedem Kind und damit für die Öffentlichkeit verfügbar ist (so auch für ein sechsmonatiges Kleinkind: LG Stuttgart, Urt. v. 07.11.2012 – 13 S 95/12, RRa 2013, 130 = NJW 2013, 380 = NZV 2013, 303; Wahl, RRa 2013, 262 ff.).

33    Nach zutreffender Ansicht von Hausmann (a.a.O., S. 67) gilt das Vorstehende auch für eine (selbst organisierte) Reisegruppe, für die ein Luftfahrtunternehmen eine Gruppenermäßigung (Gruppen-Tarif) anbietet. Es gibt keinen sachlichen Grund, diese Reisegruppe anders zu behandeln als eine von einem Reiseveranstalter gebildete „Reisegruppe“, um für den einzelnen Reisenden eine Ermäßigung des Beförderungsentgeltes zu erreichen

34    Auch mengenrabattierte Flugpreise, die ein Luftfahrtunternehmen einem Unternehmen anbietet, das in einem bestimmten Zeitraum ein Mindestvolumen von Flügen für ihre geschäftsreisenden Mitarbeiter bucht            („Corporate Discounts“, CD), sind vom Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 3 nicht erfasst (ebenso: Hausmann, a.a.O., S. 68; wohl auch: Haanappel, ZLW 2005, 22, 23).

35   Nach Art. 3 Abs. 4 VO gilt die Verordnung nur für Fluggäste, die von Motorluftfahrzeugen mit festen Tragflächen befördert werden.

36   Die Verordnung gilt nach Art. 3 Abs. 5 VO für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die Beförderung für Fluggäste im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und 2 VO erbringen. Erfüllt ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung, so wird davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht.

37   Die Verordnung verpflichtet somit zu Ausgleichszahlungen und Unterstützungsleistungen nicht das  Luftfahrtunternehmen, das die konkrete Luftbeförderung vertraglich schuldet, sondern ausschließlich dasjenige, welches den konkreten Flug durchführt oder durchführen sollte, auf dem der Fluggast nicht befördert wird oder sonst von einer Flugunregelmäßigkeit betroffen ist. Welche vertragliche Konstruktion dem Fluggeschehen zugrunde liegt, ist nicht maßgebend. So gilt die Verordnung sowohl für Fluggäste, die den Flug beim Luftfahrtunternehmen gebucht haben als auch für  Reisende, deren Flug Teil einer Flugpauschalreise nach Maßgabe des Pauschalreiserechts ist(§§ 651a ff. BGB und Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie (EU) 2015/2302 vom 25.11.2015 , ABl. EU 2015 L 326, 1).

38    Gleich, ob der Fluggast einen sog. Nur-Flug gebucht hat oder im Rahmen einer Flugpauschalreise befördert wird, richtet er also seine Ansprüche gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen, auch wenn keine Vertragsbeziehung zwischen ihm und diesem Luftfahrtunternehmen besteht. Das Gleiche gilt, wenn das ursprünglich vorgesehene Luftfahrtunternehmen den Flug nicht durchführen kann und ein anderes Luftfahrtunternehmen mit der Luftbeförderung beauftragt. Ebenso im Falle eines Code-Share-Fluges, wenn das vertraglich verpflichtete Luftfahrtunternehmen planmäßig und wie mit seinem Code-Share-Partner abgesprochen, bei einem Rundflug (z.B. von Frankfurt über New York nach Miami und zurück) dem Fluggast zwar für jeden Flugabschnitt ein Ticket ausstellt, selbst aber lediglich von Frankfurt nach New York und zurück fliegt, für die inneramerikanischen Flüge aber unter seiner Flugnummer einen seiner US-amerikanischen Code-Share-Partner fliegen lässt. Siehe hierzu: BGH, Urt. v. 26.11.2009 – Xa ZR 132/08, RRa 2010, 85 f. = NJW 2008, 2119: Im Fall des Code-Sharing ist nur dasjenige Flugunternehmen, das den Flug tatsächlich durchführt, ausführendes Luftfahrtunternehmen im Sinne von Art. 2 lit. b VO und damit im Falle der Annullierung des Fluges zu Unterstützungsleistungen und Ausgleichleistungen verpflichtet (so schon: AG Frankfurt, Urt. v. 15.06.2007 – 31 C 739/07-23, RRa 2008, 48 f.).

39    Zum „ausführenden Luftfahrtunternehmen“ siehe Art. 2 VO  Rn. 3 sowie BGH, Beschl. v. 11.03.2008 – X ZR 49/07, RRa 2008, 175 f. = NJW 2008, 2119 f. = DAR 2008, 467 f., Führich, LMK 2008, 266064 (Heft 9/2008); AG Oberhausen, Urt. v. 11.12.2006 − 35 C 2313/06, RRa 2007, 91 f., mAnm. Führich, RRa 2007, 58 f.

39a   Die Tatsache, dass eine bestimmte Fluggesellschaft „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ war, ist eine für den Fluggast günstige, weil anspruchsbegründende Tatsache, für das der Fluggast als Kläger im Zivilprozess die volle Darlegungs- und Beweislast trägt. Etwas anderes gilt nach zutreffender Ansicht des LG Düsseldorf (Urt. v. 13.12.2014 – 22 S 234/12 RRa 2014, 208 = BeckRS 2014, 17370 = juris), wenn sich das beklagte Luftfahrtunternehmen im Nachgang zur gescheiterten Beförderung wie das ausführende Luftfahrtunternehmen verhält, indem es sich mit der Abwehr der vom Fluggast geltend gemachten Ansprüche befasst hat. In diesem Fall muss das in Anspruch genommene Luftfahrtunternehmen beweisen, dass es nicht „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ war.

40    Art. 3 Abs. 3 VO findet nur bei einer Direktbuchung Anwendung. Legt ein Reiseveranstalter einen vom Luftfahrtunternehmen angebotenen, dem Reisenden aber nicht bekannten Flugtarif zugrunde, handelt es sich nicht um einen reduzierten Tarif, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist (LG Darmstadt, Urt. v. 02.03.2011 − 7 S 95/10, RRa 2011, 134 f.).

41   Der Fluggast eines Fluges, aber auch der Reisende einer Flugpauschalreise macht seine Ansprüche nach der Verordnung ausschließlich beim ausführenden Luftfahrtunternehmen geltend, auch wenn keine Vertragsbeziehungen zwischen ihm und dem Luftfahrtunternehmen bestehen. Der Reiseveranstalter einer Flugpauschalreise ist zwar nach dem Montrealer Übereinkommen vertraglicher Luftfrachtführer, jedoch nicht Schuldner im Rahmen der Verordnung (BGH, Beschl. v. 11.03.2008 – X ZR 49/07, RRa 2008, 175 f. = NJW 2008, 2119). Nach Erwägungsgrund 7 der Verordnung obliegen die Verpflichtungen aus der Verordnung nur dem ausführenden Luftfahrtunternehmen. Dieses ist in Art. 2 lit. b VO definiert. Die Reiseunternehmen sind nach Art. 2 lit. d VO ausdrücklich mit dem Zusatz „mit Ausnahme von Luftfahrtunternehmen“ definiert. Der Wortlaut in Art. 3 Abs. 5, Art. 4 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 1 lit. c VO ist klar und eindeutig, so dass auch eine analoge Anwendung der Verordnung auf Reiseveranstalter ausgeschlossen ist, da keine unbeabsichtigte Regelungslücke vorliegt.

42    Schon der Titel der Verordnung „über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen…“ bezeichnet deutlich den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung und damit den Anspruchsberechtigten, nämlich eben den „Fluggast“. Ist der Fluggast aber Arbeitnehmer auf Dienstreise, soll dessen Anspruchsberechtigung fraglich sein. Wenn der betroffene Flug vom Arbeitgeber für die Dienstreise gebucht und bezahlt wurde, soll der Anspruch nur dem Arbeitgeber zustehen (so AG Emden, Urt. v. 27.01.2010 am 10.7.2008 − 5 C 197/06, RRa 2010, 135 mAnm. Schmid RRA 2010, 136). Dem ist das Berufungsgericht jedoch nicht gefolgt: Das LG Aurich hat hierzu in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, der „Fluggast“ sei der zentrale Begriff der Verhandlung. Der Kontext der Verordnung verwendet den Begriff „Fluggast“ an vielen Stellen, so z.B. bezüglich des Schutzes für „Fluggäste, die einen Flug antreten“ (Erwägungsgrund 6), in Bezug auf „Fluggäste, die nicht befördert werden“ (Erwägungsgrund 10) oder in Bezug auf die „Betreuung von Fluggästen“ (Erwägungsgrund 18).

43      In keiner ihrer Regelungen stellt die Verordnung aber als Anspruchsvoraussetzung auf eine Vertragsbeziehung des Fluggastes mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen ab. Eine juristische Person kann weder einen Flug antreten noch von einer Annullierung betroffen sein oder betreut werden. Anspruchsinhaber ist vielmehr derjenige, der den Anspruch auf Beförderung (aufgrund eines Vertrages, den er nicht notwendiger Weise selbst geschlossen haben muss) hat. Dies ist beim Vertrag zugunsten Dritter (zwischen Arbeitgeber und Fluggesellschaft) ausdrücklich der begünstigte „Dritte“, also der dienstreisende Mitarbeiter als Fluggast (Degott, Geschäftsreise effektiv, Ausgabe 6/Juni 2010, S. 1 f.; ders. SR-TOUR, Heft 05/2010, S. 16 f. Siehe dazu auch Brecke, ZLW 2012, 358 ff. und Schmid, RRa 2012, 136 f.).

44   Gegebenenfalls kann das ausführende Luftfahrtunternehmen nach Art. 13 VO wegen geleisteter Unterstützungs- und Ausgleichsleistungen beim Reiseveranstalter Regress nehmen. Jedoch ist Anspruchsgegner  des Fluggastes im Rahmen der Verordnung lediglich das den Flug ausführende Luftfahrtunternehmen und nicht der vertragliche Luftfrachtführer, also weder das den Flugschein ausstellende Luftfahrtunternehmen noch der Reiseveranstalter. Ein Reisender soll somit nach Ansicht des LG Darmstadt (Urt. v. 12.07.2006 – 21 S 20/06, RRa 2006,228).keinen Anspruch auf Ausgleichszahlung wegen Nichtbeförderung haben, wenn nicht das ausführende Luftfahrtunternehmen, sondern der Reiseveranstalter ihn auf einen anderen Flug umbucht (anders noch: AG Rüsselsheim, Urt. v. 06.01.2006 – 3 C 1127/05-33, RRa 2006,93) .

45 

Es ist gleichwohl strittig, ob die Verordnung auch auf eine Umbuchung anzuwenden ist, die nicht durch das ausführende Luftfahrtunternehmen, sondern allein durch das Reiseunternehmen veranlasst worden ist. Diese Frage hat der BGH (Beschl 07.10.2008 – X ZR 96/06, RRa 2009, 89 f., Besprechung Führich LMK 2009, 273370) dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das Verfahren ist beim EuGH als Rechtssache C-525/08 – Bienek ./. Condor) geführt (ABl. EG 2009 C 55, 8), dann aber wieder aus dem Register gestrichen worden. Das AG Rüsselsheim (06.01.2006 – 3 C 1127/05-35, RRa 2006, 92) hatte in der ersten Instanz zutreffend entschieden, dass auch die Umbuchung des Fluggastes auf einen anderen Flug durch den Reiseveranstalter einen Anspruch auf Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechte-Verordnung begründet (ebenso: AG Bremen 14.12. 2010 – 18 C 73/10, NJW-RR 2011, 853 = RRa 2014, 97 = BeckRS 2011, 00768; AG Düsseldorf 10.10.2013 – 23 C 6252/13, NJW-RR 2014, 437 = BeckRS 2014, 01002). (ebenso: AG Düsseldorf, Urt. v. 10.10.2013 – 23 C 6252/13, NJW-RR 2014, 437).

46         Die Verordnung lässt nach Abs. 6 S. 1 die aufgrund der RL 90/314/EWG (jetzt: RL (EU) 2015/2302) und §§ 651a ff. BGB bestehenden Fluggastrechte unberührt. Die Verordnung gilt nicht für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird (Abs. 6 S. 2 VO).

47      Die Verordnung schafft somit keine vertraglichen Rechte des Fluggastes gegen sein vertragliches Luftfahrtunternehmen. Sie gewährt vielmehr gesetzliche Ansprüche als Mindestrechte gegen das den Flug tatsächlich ausführende Luftfahrtunternehmen unabhängig davon, ob den Fluggästen tatsächlich ein Schaden entstanden ist (BGH, Urt. v. 30.04.2009 – Xa ZR 78/08, RRa 2009, 239 = NJW 2009, 2740 = BeckRS 2009, 20181). Die Verordnung enthält also kein umfassendes Regelwerk für sämtliche Fluggastrechte, wenn ein Fluggast nicht oder verspätet befördert wird. Vielmehr werden nur gesetzliche, außervertragliche Mindestrechte bei Nichtbeförderung, Annullierung oder großer Ankunftsverspätung geschaffen (Führich, Reiserecht §38 Rn. 1).

46         Die Verordnung lässt nach Abs. 6 S. 1 die aufgrund der Richtlinie 90/314/EWG (jetzt: Richtlinie (EU) 2015/2302) und §§ 651a ff. BGB bestehenden Fluggastrechte unberührt. Die Verordnung gilt nicht für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird (Abs. 6 S. 2 VO).

48   Gemäß Art. 3 Abs.1 lit. b VO ist die Anwendung der VO ausgeschlossen, wenn der Fluggast an einem in einem sog. Drittstaat gelegenen Abflugsort bereits Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten hat. Insoweit ist erforderlich, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen konkret vorträgt, welche einzelnen Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen dieser Fluggast empfangen hat. Es genügt nicht, pauschal auf „Verpflegung“ und „Hotelunterbringung“ aller Passagiere zu verweisen. Denn die konkret erbrachten Unterstützungsleistungen müssen ihrem Umfang nach mit der dem einzelnen Fluggast zu leistenden Ausgleichsleistung vergleichbar sein, um diese zu ersetzen (AG Bremen, Urt. v. 29.11.2013 – 2 C 0049/13, RRa 2014,207).

Artikel 2 – Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

a) „Luftfahrtunternehmen“ ein Lufttransportunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung;

b) „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen ei-ner anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt;

c) „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ ein Luftfahrtunternehmen mit einer gültigen Betriebsgenehmigung, die von einem Mitglied-staat gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 des Rates vom 23. Juli 1992 über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen erteilt wurde;

d) „Reiseunternehmen“ einen Veranstalter im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen, mit Ausnahme von Luftfahrtunternehmen;

e) „Pauschalreise“ die in Artikel 2 Nummer 1 der Richtlinie 90/314/EWG definierten Leistungen;

f) „Flugschein“ ein gültiges, einen Anspruch auf Beförderungsleistung begründendes Dokument oder eine gleichwertige papierlose, auch elekt-ronisch ausgestellte Berechtigung, das bzw. die von dem Luftfahrtunter-nehmen oder dessen zugelassenem Vermittler ausgegeben oder geneh-migt wurde;

g) „Buchung“ den Umstand, dass der Fluggast über einen Flugschein oder einen anderen Beleg verfügt, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde;

h) „Endziel“ den Zielort auf dem am Abfertigungsschalter vorgelegten Flugschein bzw. bei direkten Anschlussflügen den Zielort des letzten Flu-ges; verfügbare alternative Anschlussflüge bleiben unberücksichtigt, wenn die planmäßige Ankunftszeit eingehalten wird;

i) „Person mit eingeschränkter Mobilität“ eine Person, deren Mobilität bei der Benutzung von Beförderungsmitteln aufgrund einer körperlichen Behinderung (sensorischer oder motorischer Art, dauerhaft oder vorübergehend), einer geistigen Beeinträchtigung, ihres Alters oder auf-grund anderer Behinderungen eingeschränkt ist und deren Zustand besondere Unterstützung und eine Anpassung der allen Fluggästen bereitgestellten Dienstleistungen an die Bedürfnisse dieser Person erfordert;

j) „Nichtbeförderung“ die Weigerung, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Artikel 3 Absatz 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzu-reichenden Reiseunterlagen;

k) „Freiwilliger“ eine Person, die sich unter den in Artikel 3 Absatz 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat und dem Aufruf des Luftfahrtunternehmens nachkommt, gegen eine entsprechende Gegenleistung von ihrer Buchung zurückzutreten;

l) „Annullierung“ die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war.

I. Begriffsdefinitionen

1. Ausführendes Luftfahrtunternehmen

1    Nach Art. 2 lit. a – c VO ist ein „Luftfahrtunternehmen“ nur ein solches, das eine gültige Betriebserlaubnis hat, und im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt. Es ist unerheblich, ob diese andere Person eine natürliche oder juristische Person ist.

2    Ein „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ ist ein Luftfahrtunternehmen, dem von einem Mitgliedstaat eine gültige Betrieb-genehmigung erteilt wurde, die den Anforderungen der Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 des Rates vom 23. Juli 1992 über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen entspricht. Die vorerwähnte Verordnung ist nunmehr Bestandteil der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 24.09.2008 = NJW-RR 2013, 1068 = TranspR 2013, 307); siehe auch die Zusammenfassung bei: Hausmann).

3    Nach der Legaldefinition in Art. 2 lit. b VO ist ein „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen − ju-ristischen oder natürlichen − Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durch-zuführen beabsichtigt; wer Betreiber des eingesetzten Fluggerätes ist, spielt für die Frage, wer den Flug als „ausführendes Luftfahrtunter-nehmen“ durchführt, keine Rolle (AG Frankfurt, Urt. v. 29.03.2012 – 31 C 2809/12-78, RRa 2012, 235; BG Schwechat, Urt. v. 11.02.2014 – 16 C 164/13h).

4    Wahl (RRa 2013, 262 ff.) vertritt die Ansicht, dass die 1. Alter-native („durchführt“) sich nur auf die Fälle der Verspätung beziehe, während die 2. Alternative („durchzuführen beabsichtigt“) nur für die Fälle der Annullierungen eines Fuges gelte und daher nicht bei Flug-verspätungen angewendet werden könne (vgl. auch AG Rüsselsheim, Urt. v. 11.04.2013 – 3 C 3406/12-33). Da Art. 2 lit b VO eine solche Differenzierung aber gerade nicht vornimmt, ist das nicht überzeugend (ebenso BG Schwechat, Urt. v. 11.02.2014 – 16 C 164/13h).

5    Der BGH hat sich für den Fall von Code-share-Flügen mit der Frage auseinandergesetzt, wer als ausführendes Luftfahrtunternehmen anzusehen ist. Im Urteil vom 26.11.2009 (Xa ZR 132/08, RRa 2010, 85 = NJW 2010, 1522 = EuZW 2010, 271 = ZLW 2012, 431) hat er in Rn. 9 ff. ausgeführt:

„[9] Die mit dieser Auslegung einhergehende Differenzierung zwischen den verschiedenen Luftfahrtunternehmen, denen sich der Fluggast bei einem Flug gegenübersehen kann, ist nicht nur der Legaldefinition des „ausführenden Luftfahrtunternehmens“ mit der dort beschriebenen Möglichkeit zu entnehmen, dass der Flugreisevertragspartner des Fluggastes mit dem den Flug tatsächlich durchführenden Luftfahrtunternehmens nicht identisch und dann auch nicht als ein ausführendes Luftfahrtunternehmen einzustufen ist. Die Unterscheidung findet sich darüber hinaus in weiteren Bestimmungen der Verordnung wieder. So sind nach der Regelung in Art. 3 Abs. 5 Satz 2 die Leistungen, mit denen das ausführende Luftfahrtunternehmen seine Verpflichtungen aus der Verordnung gegenüber einem Fluggast erfüllt, mit dem es in keiner Vertragsbeziehung steht, als für das vertraglich verpflichtete Unternehmen erbracht anzusehen. Nach Art. 13 VO kann das ausführende Luftfahrtunternehmen, das Ausgleichszahlungen an Fluggäste leistet oder sonstige sich aus der Verordnung ergebende Pflichten erfüllt, den Vertragspartnern der Fluggäste gegenüber Regress nehmen.

[10] b) Dasselbe Verständnis vom Begriff des ausführenden Luftfahrtunternehmens als des Unternehmens, das die Beförderung tatsächlich bewirkt, liegt auch den internationalen Bestimmungen des Montrealer Übereinkommens vom 28. Mai 1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (ABl. EG Nr. L 194 v. 18.07.2001, S. 39; BGBl. 2004 II, 458) zugrunde. Auf dessen Vorgaben zu den Verpflichtungen des ausführenden Luftfahrt-unternehmens bezieht sich die Verordnung, deren Bestimmungen jene des Montrealer Übereinkommens ergänzen (vgl. EuGH, Urt. v. 10.01.2006 – Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 = RRa 2006, 127= NJW 2006, 351, Tz. 46 – IATA und ELFAA), in Erwägungsgrund 14 ausdrück-lich. In den Regelungen, die das Montrealer Übereinkommen in Kapitel V zur Luftbeförderung durch einen anderen als den vertraglichen Luft-frachtführer vorsieht, wird einleitend mit den Legaldefinitionen in Art. 39 ebenfalls unterschieden zwischen dem vertraglichen Luftfrachtführer, der mit einem Reisenden bzw. Absender einen Beförderungsvertrag ge-schlossen hat, und dem ausführenden Luftfrachtführer, bei dem es sich um „eine andere Person“ handelt, die aufgrund einer Vereinbarung mit dem vertraglichen Luftfrachtführer berechtigt ist, die Beförderung ganz oder teilweise auszuführen. Aus dieser Abgrenzung und Wortwahl des Montrealer Übereinkommens ist in Übereinstimmung mit der hierzu im Schrifttum wohl einhellig vertretenen Auffassung (vgl. Pokrant, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB [2. Aufl.], MÜ Art. 39 Rn. 6 m.w.N.; MünchKomm-BGB/Tonner [5. Aufl.], nach § 651 Rn. 15 m.w.N.; Dett-ling-Ott, in: Giemulla/Schmid, Frankfurter Kommentar zum Luftver-kehrsrecht, Bd. 3, [30. Aufl. 2007], Art. 39 MÜ Rn. 7, 17 f.) für die Auslegung des Begriffs des ausführenden Luftfrachtführers das Erfordernis abzuleiten, dass dieser mit dem von ihm betriebenen Flugzeug die Beförderung tatsächlich durchführt.

[11] c) Gestützt wird die Auslegung des Begriffs des „ausführenden Luftfahrtunternehmens“, für den allein entscheidend ist, dass es den Flug tatsächlich durchführt, auch durch die weitere Verordnung (EG) Nr. 2111/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2005 über die Erstellung einer gemeinschaftlichen Liste der Luftfahrtunternehmen, gegen die in der Gemeinschaft eine Betriebs-untersagung ergangen ist, sowie über die Unterrichtung von Fluggästen über die Identität des ausführenden Luftfahrtunternehmens und zur Aufhebung des Art. 9 der Richtlinie 2004/36/EG (ABl. EG L 344 v. 27.12.2005, S. 15; im Folgenden: VO (EG) Nr. 2111/2005). Die Ver-ordnung (EG) Nr. 2111/2005 verwendet ebenfalls den Begriff des „ausführenden Luftfahrtunternehmens“ mit derselben Legaldefinition in Art. 2 Buchst. e und grenzt ihn ab von dem „Vertragspartner für die Beförderung im Luftverkehr“, der in Art. 2 Buchst. c definiert wird als das Luftfahrtunternehmen, das einen Beförderungsvertrag mit einem Fluggast schließt. In Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 2111/2005 wird der Vertragspartner für die Beförderung im Luftverkehr dazu verpflich-tet, die Fluggäste bei der Buchung über die Identität des ausführenden Luftfahrtunternehmens zu unterrichten. Dass es sich dabei um das den Flug tatsächlich durchführende Unternehmen handelt, wird in den Er-wägungsgründen 11, 13 und 14 zu dieser Vorschrift ausdrücklich er-wähnt. Mit der Regelung des Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 2111/2005 hat der Verordnungsgeber zudem gerade auf die Praxis des Code-Sharing reagiert, wie Erwägungsgrund 13 der Verordnung 2111/2005 belegt. Dort wird unter beispielhaftem Bezug auf das Code-Sharing die Branchenpraxis im Linienflugverkehr dargestellt, dass das Luftfahrtunternehmen, das einen Flug unter seinem Namen verkauft hat, diesen nicht tatsächlich durchführt“. Hierzu wird in Erwä-gungsgrund 13 der Verordnung (EG) Nr. 2111/2005 weiter auf den Missstand hingewiesen, dass der Fluggast bisher keinen Anspruch darauf hatte, über die Identität des Luftfahrtunternehmens, das ihn tat-sächlich befördert, unterrichtet zu werden. Die Vorschrift des Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 2111/2005 ist nunmehr Grundlage dafür, dass in ihrem Geltungsbereich – d.h. bei Verträgen über eine Beförderung, die in der Gemeinschaft begonnen hat (Art. 10 Abs. 1 VO), das Luftfahrt-unternehmen anzugeben ist, das im Rahmen eines Code-Sharing den Flug auf dem betreffenden Streckenabschnitt tatsächlich ausführt. Hierdurch wird dem Fluggast die Wahrnehmung seiner Rechte gegen dieses Unternehmen ermöglicht.“ Vgl. dazu auch LG Linz, Urt. v. 24.02.2011, RRa 2011, 156)

6    Muss ein Luftfahrtunternehmen, das nach der Planung einen Flug durchführen sollte, ein anderes Luftfahrtunternehmen kurzfristig und ungeplant mit der Durchführung beauftragen (z.B. weil sein ei-genes Luftfahrzeug wegen eines technischen Problems oder wegen Besatzungsmangels nicht einsetzt werden kann), so liegt nach Ansicht von Wahl (RRa 2013, 262 ff.) eine „faktische“ Annullierung des geplanten Fluges vor (so auch AG Rüsselsheim, Urt. v. 11.04.2013 – 3 C 3406/12-33). Dem kann aber nur gefolgt werden, wenn der Ersatzflug (Subcharter-Flug) von dem anderen Luftfahrtunternehmen mit einer eigenen Flugnummer und eigenen Zeitfenstern (Slots) durchgeführt wird. In der Regel nutzt aber das Subcharterunternehmen die Flugnummer und die Slots des beauftragenden Luftfahrtunternehmens und ist den operativen Weisungen des Auftraggebers unterworfen. Als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ ist in solchen Fällen das beauftragende Luftfahrtunternehmen anzusehen, weil es den Flug durchzuführen beabsichtigt“ hat (so auch: AG Rüsselsheim, a.a.O.; AG Rüsselsheim, Urt. v. 20.12.2013 – 3 C 3247/13-37; RRa 2014, 258 = BeckRS 2014, 18889; Wahl RRa 2013, 262 ff.). Bei einer anderen Auslegung bestünde die Gefahr der Manipulation, die zur Verschlechterung der Rechte der Fluggäste führen könnte (z.B. wenn bei einem Flug in das Gebiet der Europäischen Union ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ein nicht-europäisches Luftfahrtunternehmen einsetzen würde).

7       Anders verhält es sich, wenn der Fluggast, der einen Flug bei dem Luftfahrtunternehmen A bucht, bereits mit oder kurz nach der Bestätigung des Fluges durch das vertragliche Luftfahrtunternehmen (und damit in der Regel nicht kurzfristig)erfährt, dass er von dem Luftfahrtunternehmen B. befördert werden wird. In der Regel geschieht das durch eine meist mittelfristige sog. wet-lease-Vereinbarung („Nass- Miete“) zwischen dem Luftfahrtunternehmen A dem Unternehmen B, in der festgelegt wird, dass das geleaste (angemietete) Unternehmen mit a) einem eigenem von ihm zu stellenden Flugzeug und b) mit eigener Besatzung (= wet) den Flug unter der Flugnummer des A durchführt, wobei in der Regel der Vermieter zusätzlich auch für Versicherung, Wartung und Betrieb des Flugzeuges verantwortlich bleibt (ACMI-Vertrag) und der Mieter sich nur um die Einsatzplanung und den Verkauf der Sitzplatzkapazitäten kümmern muss (zur Vertiefung siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Flugzeug-Leasing). In einem solchen Fall ist dann das vermietende Luftfahrtunternehmen dasjenige, das „den Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt“ (so auch LG Korneuburg, Urt. v.19.06.2015 – 22 R 51/15b).

8    Das LG Frankfurt hat dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob der Annahme, dass ein ausführendes Luftfahrtun-ternehmen auch ein anderes Luftfahrtunternehmen als der Vertrags-partner des Fluggastes sein kann, die Tatsache entgegenstehe, dass der Vertragspartner entgegen Art. 11 VO (EG) Nr. 2111/2005 den Fluggast nicht über den Wechsel des ausführenden Luftfahrtunternehmen informiert hat, weshalb der Fluggast annehmen durfte, dass der Vertragspartner lediglich ein Flugzeug eines anderen Luftfahrtunternehmens i.S.d. Erwägungsgrundes 7 VO angemietet hat (Beschl. v. 29.11.2012 – 2-24 S 104/12, RRa 2014, 39 = ADAJUR Dok.Nr. 104222). Das Verfahren wurde beim EuGH als Rs. C-116/12 – Langenbächer ./. Condor geführt, wurde aber wieder aus dem Register gestrichen, nachdem das Luftfahrtunternehmen die Berufung zurückgenommen hatte). Das Verfahren wurde beim EuGH als Rs. C-116/12 – Langenbächer ./. Condor geführt, wurde aber wieder aus dem Register gestrichen, nachdem das Luftfahrtunternehmen die Berufung zurückgenommen hatte.

9    Schon im Jahr 2008 hat der BGH (Beschl. v. 11.03.2008 − X ZR 49/07, RRa 2008, 175) klargestellt, dass ein Reiseveranstalter, der zwar „vertraglicher Luftfrachtführer“ i.S.d. Montrealer Übereinkommens sein kann, kein „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ i.S.d. Verordnung ist. Infolgedessen ist ein Reiseveranstalter für Ansprüche aus der Ver-ordnung nicht passiv-legitimiert. Gleichermaßen hat das AG Düsseldorf entschieden (Urt. v. 27. 03. 2007 − 230 C 16700/09, RRa 2008, 142).

10    Ein Tochterunternehmen eines Luftfahrtunternehmens wird jedenfalls dann nicht „zum ausführenden Luftfahrtunternehmen“, wenn es zwar den Flug durchführt, dieser aber ausschließlich unter einer Flugnummer des Mutterunternehmens abgewickelt wird (AG Bremen, Urt. v. 18.01.2013 – 4 C 516/11, RRa 2013, 191). Dies gilt nach Ansicht des AG Hannover (Urt. v. 06.12.2012 – 452 C 5686/12. RRa 2014, 56) jedenfalls dann, wenn bei einer Umsteigeverbindung (z.B. Hannover – Paris – Havanna) auf dem Flugschein als „Luftfahrtunternehmen“ für beide Flüge nur das Mutterunternehmen angegeben wird.

10a    Dass eine bestimmte Fluggesellschaft „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ war, ist eine für den Fluggast günstige, weil anspruchsbegründende Tatsache, für das der Fluggast als Kläger im Zivilprozess voll Darlegungs- und Beweislast trägt. Etwas anderes gilt nach zutreffender Ansicht des LG Düsseldorf (Urt. v. 13.12.2014 – 22 S 234/12, RRa 2014, 208 = BeckRS 2014, 17370 = juris), wenn sich das beklagte Luftfahrtunternehmen im Nachgang zur gescheiterten Beförderung wie das ausführende Luftfahrtunternehmen verhält, indem es sich mit der Abwehr der vom Fluggast geltend gemachten Ansprüche befasst hat. In diesem Fall muss das in Anspruch genommene Luftfahrtunternehmen darlegen und beweisen, dass es nicht „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ war.

10b      Weiteres Tatbestandsmerkmal des Art. 2 lit. b VO ist, dass das „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ den Flug

  • „im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast“ oder
  • „im Namen einer anderen − juristischen oder natürlichen − Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht“,

durchführt oder durchzuführen beabsichtigt. Nach dem Wortlaut muss nicht zwingend ein Vertragsverhältnis zwischen dem befördernden Luftfahrtunternehmen und dem Fluggast bestehen; er muss nur aufgrund eines Vertragsverhältnisses befördert werden. Dazu reicht z.B. ein Flugpauschalreisevertrag mit einem Reiseunternehmen (so auch BG Schwechat, Urt. v. 24.04.2015 – 18 C 374/14g-23) befördert.

11         Dass das verklagte Luftfahrtunternehmen „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ war oder sein sollte, ist eine für den Kläger günstige, weil anspruchsbegründende Tatsache, für die dieser die volle Darlegungs- und Beweislast zu tragen hat (so LG Düsseldorf, Urt. v, 13.12.2013 – 22 S 234/12, RRa 2014, 208 = BeckRS 2014, 17370 = juris). Das beklagte Luftfahrtunternehmen muss dann substantiiert (d.h. unter Angabe des Luftfahrtunternehmens, das den Flug durchgeführt hat oder durchführen sollte) bestreiten, ausführendes Luftfahrtunternehmen gewesen zu sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn es im vorprozessual geführten Schriftverkehr mit dem Fluggast seine Einstandspflicht nicht sogleich mit dem Hinweis darauf abgelehnt hat, nicht ausführendes Luftfahrtunternehmen zu sein. Weil es durch dieses Verhalten den Eindruck erweckt hat, es betrachte sich als das ausführende Luftfahrtunternehmen, obliegt es ihm, das Gegenteil zu beweisen (LG Düsseldorf, a.a.O.). Der Kläger kann das Luftfahrtunternehmen auch auf Ersatz des Schadens verklagen, der bei ihm dadurch eingetreten ist, dass er das Luftfahrtunternehmen aufgrund seines vorgerichtlichen Verhaltes als richtigen Anspruchsgegner für einen Anspruch aus der Fluggastrechte-Verordnung angesehen und dadurch unnütze Kosten verursacht hatte, die nicht entstanden wären, wenn die Beklagte sofort offenbart hätte, dass sie nicht passivlegitimiert ist (LG Düsseldorf, a.a.O.).

2. Reiseunternehmen (lit. d)

12   EinReiseunternehmen“ ist nach Art. 2 lit. d VO ein „Veranstalter“ nach Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13.6.1990 über Pauschalreisen (ABl. EG 1990 L 158, 59). Das ist eine Person, die nicht nur gelegentlich Pauschalreisen organisiert und sie zum Pauschalpreis direkt oder über einen Vermittler verkauft oder zum Verkauf anbietet.

12a    Dass das verklagte Luftfahrtunternehmen „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ war oder sein sollte, ist eine für den Kläger günstige, weil anspruchsbegründende Tatsache, für die dieser die volle Darlegungs- und Beweislast zu tragen hat (so LG Düsseldorf, Urt. v, 13.12.2013 – 22 S 234/12, RRa 2014, 208 = BeckRS 2014, 17370 = juris). Das beklagte Luftfahrtunternehmen muss dann substantiiert (d.h. unter Angabe des Luftfahrtunternehmens, das den Flug durchgeführt hat oder durchführen sollte) bestreiten, ausführendes Luftfahrtunternehmen gewesen zu sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn es im vorprozessual geführten Schriftverkehr mit dem Fluggast seine Einstandspflicht nicht sogleich mit dem Hinweis darauf abgelehnt hat, nicht ausführendes Luftfahrtunternehmen zu sein. Weil es durch dieses Verhalten den Eindruck erweckt hat, es betrachte sich als das ausführende Luftfahrtunternehmen, obliegt es ihm, das Gegenteil zu beweisen (LG Düsseldorf, a.a.O.). Der Kläger kann das Luftfahrtunternehmen auch auf Ersatz des Schadens verklagen, der bei ihm dadurch eingetreten ist, dass er das Luftfahrtunternehmen aufgrund seines vorgerichtlichen Verhaltes als richtigen Anspruchsgegner für einen Anspruch aus der Fluggastrechte-Verordnung angesehen und dadurch unnütze Kosten verursacht hatte, die nicht entstanden wären, wenn die Beklagte sofort offenbart hätte, dass sie nicht passiv-legitimiert ist (LG Düsseldorf, a.a.O.).

3. Pauschalreise (lit. e)

13    Eine „Pauschalreise“ i.S.v. Art. 2 lit. e VO ist nach Art. 2 Nr. 1 der RL 90/314/EWG vom 13.6.1990 über Pauschalreisen (ABl. EG Nr. L 158 vom 23.06.1990, S. 59) eine im voraus festgelegte Verbindung von mindestens zwei touristischen Dienstleistungen, die zu einem Gesamtpreis verkauft oder zum Verkauf angeboten wird, wenn diese Reiseleistungen länger als 24 Stunden dauern und eine Über-nachtung einschließen. Solche Dienstleistungen sind Beförderung, Unterbringung und andere touristische Dienstleistungen, die nicht Nebenleistungen von Beförderung oder Unterbringung sind und einen beträchtlichen Teil der Gesamtleistung ausmachen. Auch bei getrennter Berechnung einzelner Leistungen, die im Rahmen ein und derselben Pauschalreise erbracht werden, bleibt der Veranstalter oder Vermittler den Verpflichtungen nach dieser Richtlinie unterworfen.

4. Flugschein (lit. f)

14    Unter einem „Flugschein“ i.S.v. Art. 2 lit. f VO ist jedes gültige Schriftstück zu verstehen, das gegenüber einem Luftfahrtunternehmen den Anspruch einer darin benannten Person (Fluggast) auf Beförderungsleistung begründet. Das Dokument muss keinen bestimmten Formerfordernissen entsprechen; insbesondere ist nicht erforderlich, dass es in Form, Inhalt und Größe den IATA-Bestimmungen entspricht. Ein Flugschein i.S.d. Verordnung kann auch eine elektronisch ausgestellte oder eine papierlose Berechtigung sein. Voraussetzung ist jedoch in allen Fällen, dass das Dokument oder die sonstigen Berechtigungen von dem Luftfahrtunternehmen oder von einem von ihm zugelassenen Vermittler oder Reiseveranstalter ausgegeben oder genehmigt wurde.

5. Buchung (lit. g)

15    Eine „Buchung“ liegt vor, wenn der Fluggast über einen Flugschein oder einen anderen Beleg verfügt, aus dem hervorgeht, dass die Buchung eines bestimmten Fluges von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde. Hat ein Luftfahrtunternehmen einen Fluggast unstreitig im Rahmen einer Flugpauschalreise befördert, ist vom Bestehen einer entsprechenden Buchung auszugehen (AG Frankfurt, Urt. v. 08.02.2013 – 30 C 2290/12-47, RRa 2013, 190 = BeckRS 2013, 13954 0 = LSK 2013, 341074).

16    Gibt ein Flugreisender aber über eine im Internet zur Verfügung gestellte Buchungsmaske eines Luftfahrtunternehmens in die Felder für Vor- und Zuname des Fluggastes jeweils »noch unbekannt« ein, kommt ein Beförderungsvertrag regelmäßig weder durch die Buchungsbestätigung noch durch die Einziehung des Flugpreises durch das Luftfahrt-unternehmen zustande. Dies gilt jedenfalls dann, wenn dem Buchen-den der Hinweis erteilt wurde, dass eine Namensänderung nach erfolgter Buchung nicht mehr möglich ist und der angegebene Name mit dem Namen im Ausweis übereinstimmen muss (BGH, Urt. v. 16.10.2012 – X ZR 37/12, BGHZ 195, 126 = RRa 2013, 23 = NJW 2013, 598 = ZLW 2013, 520).

6. Endziel (lit. h)

17    Der Begriff „Endziel“ wird in Art. 2 lit. h VO definiert als der Zielort auf dem Flugschein, den der Fluggast am Abfertigungsschalter vorlegt. Schließt sich bei zwei aufeinanderfolgenden Flügen der zweite Flug als »direkter Anschlussflug« unmittelbar an, ist der Zielort des Anschlussfluges das Endziel (AG Hannover, Urt. v. 05.12.2012 – 451 C 987/11, RRa 2012, 132). Dies ist von Bedeutung für die Berechnung der Höhe der Ausgleichsleistung, weil bei direkten Anschlussflügen die Streckenentfernung vom Startflughafen zum Zielflughafen des Anschlussfluges berechnet wird; der Zielflughafen des ersten Fluges ist nur Zwischenlandeort und bleibt dabei unberücksichtigt (siehe dazu EuGH, Urt. v. 26.02.2013, Rs. C-11/11 − Air France ./. Folkerts, RRa 2013, 78 so-wie LG Hannover, Urt. v. 10.10.2012 – 12 S 19/12, RRa 2013, 88= BeckRS, 07399; LG Hannover, Beschl. v. 07.11.2013 – 14 S 1/13). Ob das nur gilt, wenn beide Flüge vom selben Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden, ist noch streitig. Ein Spruchkörper des AG Rüsselsheim hat geurteilt, dass für die Feststellung einer haftungsrelevanten Verspätung nur auf das Endziel des Fluges abzustellen ist, den das beklagte Luftfahrtunternehmen durchgeführt hat, wenn es für den Anschlussfluge nicht das ausführende Luftfahrtunternehmen gewesen ist (Urt. v. 17.09.2014 – 3 C 3786/14-36).

7. „Personen mit eingeschränkter Mobilität“ (lit. i)

18    Der Begriff des „Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität“ ist nahezu deckungsgleich mit der Definition in Art. 2 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 vom 05.07.2006 (ABl. EG 2006 L 204,1). Auch wenn die dort verwendete Definition des „behinderten Menschen“ in der Fluggastrechte-Verordnung nicht ausdrücklich erwähnt wird, ändert das nichts daran, dass auch diese Personengruppe mit umfasst ist.

8. Nichtbeförderung (lit. j)

19    Nach Art. 2 lit. j VO liegt eine „Nichtbeförderung“ vor, wenn sich ein Luftfahrtunternehmen weigert, Fluggäste zu befördern, obwohl diese sich unter den in Art. 3 Abs. 2 VO genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben und keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen. Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Verordnung lediglich die Ausgleichsleistung bei Überbuchung des Fluges regelt (Urt. v. 29.05.2008 – 16 U 39/08, RRa 2008, 179 = NJW 2009, aufgehoben durch BGH, Urt. v. 23.04.2009 – X ZR 78/08, RRa 2009, 239 = NJW 2009, 274; so auch schon: AG Hamburg, Urt. v. 05.12.2006 – 14 C 248/06, RRa 2007, 88 = BeckRS 2007, 08891= juris. Siehe dazu Schmid NJW 2009, 2724).

20    In der Rechtssache Finnair ./. Lassooy (C-22/11, RRa 2012, 281 = NJW 2013, 361 = TranspR 2013, 456) hat der EuGH am 04.10.2012 entschieden, dass der Begriff „Nichtbeförderung“ sich – anders als noch in der (Vorgänger-)Verordnung (EG) Nr. 295/91 – nicht nur auf die Nichtbeförderung wegen Überbuchung bezieht, sondern sich auch auf die Nichtbeförderung aus anderen Gründen (z. B. betrieblichen Gründen wie ein Streik) erstreckt (so auch: LG Korneuburg, Urt. v. 15.04.2016 – 22 R 6/16m).

21    In seinem Urteil vom 04.10.2012 (Rs. C-321/11 – Rodríguez Cachafeiro ./. Iberia, RRa 2012, 279 f. = NJW 2013, 363 = EuZW 2012, 943 = TranspR 2013, 453) hat der EuGH dann klargestellt, dass eine „Nichtbeförderung“ auch dann gegeben ist, wenn ein Luftfahrtunternehmen im Rahmen eines einheitlichen Beförderungsvertrags, der mehrere Buchungen auf unmittelbar aufeinanderfolgenden und gleichzeitig abgefertigten Flügen umfasst, bestimmten Fluggästen die Beförderung verweigert, weil es auf dem ersten in ihrer Buchung ausgewiesenen Flug zu einer von diesem Unternehmen zu vertretenden Verspätung gekommen ist und das Unternehmen irrig angenommen hat, die Fluggäste würden den zweiten Flug nicht rechtzeitig erreichen.

21a    Umstritten und höchstrichterlich noch nicht entschieden ist die Frage, ob bei einer Vorverlegung eines Fluges durch ein Luftfahrtunternehmen von einer Annullierung des ursprünglichen Fluges oder einer Nichtbeförderung des Fluggastes auszugehen ist. Das LG Hannover hat mit Urt. v. 04.06.2014 – 6 S 4/14 (BeckRS 2015, 03100 = juris) angenommen, dass eine Vorverlegung eines Fluges keine Annullierung gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 2 lit. l VO sei und die Voraussetzungen einer analogen Anwendung der Vorschriften wie im Falle der großen Verspätung eines Fluges nicht vorlägen. Im Revisionsverfahren (X ZR 59/14) hat der BGH in einer vorläufigen Bewertung des Sachverhalts während der mündlichen Verhandlung die Ansicht geäußert, dass bei einer „mehr als nur geringfügigen Vorverlegung“ eines geplanten Fluges unter (nicht näher dargelegten) bestimmten Voraussetzungen eine Flugvorverlegung einer Annullierung gleichkommen könne. Daraufhin hat die Beklagte nach Schluss der mündlichen Verhandlung den Anspruch anerkannt, so dass der BGH das nicht näher ausführen konnte. Das AG Hannover (Urt. v. 11.04.2011 – 512 C 15244/10, RRa 2011, 146 = BeckRS 2011, 17050) und das LG Landshut (Urt. v. 18.05.2015 – 12 S 2435) haben zutreffend entschieden, dass eine Vorverlegung eines Fluges um mehr als 10 Stunden wie eine Annullierung zu behandeln ist; das BG Schwechat (Urt. v. 07.12.2015 – 4 C 284/15-14) geht schon bei einer Vorverlegung von 4 Stunden von einer Annullierung aus. Dem ist zuzustimmen, weil der Fluggast auch in diesem Fall ebenso ärgerlich und mit großen Unannehmlichkeiten (frühere Anreise, entsprechende Umplanungen, Buchung einer andernfalls nicht erforderlichen Unterkunft etc.) belastet ist wie bei einer Nichtbeförderung. Ärger und Unannehmlichkeiten zu vermeiden, jedenfalls aber zu verringern ist einer der Hauptzwecke der Verordnung (siehe Erwägungsgrund 12).

21b   Wird aber ein Fluggast von einem Flug auf einen anderen Flug (mit anderer Flugnummer!) umgebucht, kann nicht von einer Annullierung ausgegangen werden – auch dann nicht, wenn die Abflugzeit des anderen Fluges vor der des gebuchten liegt. Vielmehr liegt in diesem Fall, auf den gebuchten Flug bezogen, eine Nichtbeförderung vor, so dass Art. 4 VO analog anzuwenden ist. So hat es auch der BGH (17.03.2015 – X ZR 34/14, RRa 2015, 184 = NJW 2015,2181 mAnm. Tonner) für den Fall der Umbuchung auf einen später abgehenden Flug entschieden. Es ist aber kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum diese Entscheidung nicht grundsätzlich auch auf die Umbuchung eines Fluges anzuwenden ist, wenn der Flug vor dem gebuchten abgeht.

21c    Für eine Annullierung ist kennzeichnend, dass das Luftverkehrsunternehmen seine bisherige Flugplanung endgültig aufgibt. Daraus ergibt sich:
– Wenn ein Fluggast, der auf einem Flug mit einer bestimmten Flug-nummer gebucht war, von einem Luftfahrtunternehmen auf einen anderen, früheren Flug mit einer anderen Flugnummer umgebucht wird, liegt hinsichtlich des ursprünglichen Fluges eine Nichtbeförderung vor (so auch: LG Landshut, Urt. v. 18.05.2015 – 12 S 2435/14, RRa 2015, 235; RRa 2016, 79 = BeckRS 2016, 07188), wenn der ursprüngliche Flug weiter durchführt wird. Wird der ursprüngliche Flug aufgegeben, ist von einer Annullierung auszugehen. Wenn ein Flug aber unter Beibehaltung der geplanten Flugnummer zeitlich nicht unerheblich (z.B. um mehr als drei Stunden) vorverlegt wird, gilt das als Annullierung des Fluges, auch wenn die Planungsänderung langfristig angekündigt wird (so AG Hannover, Urt. v. 11.04.2011 – 512 C 15244/10, RRa 2011, 146 und 195 = BeckRS 2011, 17050 für eine Vorverlegung um 10 Stunden; siehe auch AG Königs Wusterhausen, Urt. v. 15.05.2013 – 4 C 273/13).

21d   Ungeklärt ist, was untere einer „mehr als nur geringfügigen Vorverlegung“ zu verstehen ist. In Anlehnung an die Entscheidung des EuGH in der Rs. Sturgeon ist das jedenfalls bei einer Vorverlegung um drei oder mehr Stunden anzunehmen.

22    Nach Ansicht des BGH (Beschl. v. 16.04.2013 – X ZR 83/12, RRa 2013, 282 = NJW-RR 2013, 1462 = BeckRS 2013, 13359) ist aus den Worten „Weigerung, Fluggäste zu befördern“ abzuleiten, dass der Anspruch des Fluggastes auf dem gebuchten Flug befördert zu werden, durch ein entsprechendes Verhalten oder eine Äußerung eines Mitarbeiters oder Beauftragten des Luftfahrtunternehmens zurückgewiesen wird. Dieses vom BGH kreierte übergesetzliche Tatbestandsmerkmal kann aber jedenfalls nicht stets Bedeutung erlangen: Wenn z.B. ein Fluggast über eine Flugvorverlegung nicht informiert wurde und deswegen zwar in den Buchungsunterlagen „zur vorgegebenen Zeit“, für diesen Flug aber „zu spät“ am (schon geschlossenen) Abfertigungsschalter erscheint und deswegen mit dem vertraglich vereinbarten Flug nicht befördert wird, kann sich ein Luftfahrtunternehmen nicht darauf berufen, sie habe dem Fluggast die Beförderung nicht ausdrücklich verweigert.

23    Der BGH hat in der vorerwähnten Entscheidung auch die Ansicht vertreten, dass der Fluggast, der einen Anspruch wegen Nichtbeförderung geltend machen will, grundsätzlich am Flugsteig anwesend gewesen sein muss und beruft sich dabei auf EuGH in der Rechtssache C-321/11 – Rodriguez Cachafeiro ./. Iberia (4.10.2012, Rn. 19, RRa 2012, 279 = TranspR 2013, 453 = EuZW 2012, 942) und in der Rechtssache C-22/11 Finnair ./. Lassooy (4.10.2012, Rn. 25, 29, RRa 2012, 281 = NJW 2013, 361 = EuZW 2012, 945 = TranspR 2013, 451; siehe dazu auch BGH 30.4.2009 – Xa ZR 78/08, RRa 2009, 239 = NJW 2009, 2740; 28.4.2012 – X ZR 128/11, WM 2012, 2302; Beschl 9.12.2010 – Xa ZR 80/10, RRa 2011, 84 = NJW 2011, 880). Nach der Definition des Art. 2 lit. j VO erscheint diese Ansicht zutreffend. Doch stellt sich die Frage, ob die Beförderungsverweigerung nicht auch schon am Abfertigungsschalter erfolgen kann. Dies hat praktische Bedeutung, wenn ein Fluggast deswegen nicht rechtzeitig am Flugsteig sein kann, weil er trotz rechtzeitigen Erscheinens am Abfertigungsschalter nicht oder nicht rechtzeitig abgefertigt wurde, z.B. weil das Luftfahrtunternehmen zu wenig Personal für die Abfertigung des betreffenden Fluges bereitgestellt hat und somit nur ein Teil der wartenden Passagiere abgefertigt werden kann. Nach der engen Definition des BGH hätten die Fluggäste, denen die Abfertigung in diesem Fall verweigert wird, keine Möglichkeit, überhaupt zum Abflugsteig (Boarding gate) zu gelangen.

24    Die Annahme, dass von einer Beförderungsverweigerung in keinem Fall ausgegangen werden kann, wenn sich der Fluggast nicht am Flugsteig eingefunden hat, hätte zur Folge, dass Fluggäste, die aufgrund einer vom Luftfahrtunternehmen zu vertretenden Verzögerung der Abfertigung nicht rechtzeitig am Flugsteig sein können (z.B. bei einer Vorverlegung der Abflugzeit), völlig schutzlos gestellt wären. Das ist mit dem Ziel der Verordnung, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, nicht vereinbar und rechtfertigt daher eine weite Auslegung des Begriffs der Nichtbeförderung. (Siehe dazu EuGH, Urt. v. 04.10.2012, Rs. C- 321/11 – Rodriguez Cachafeiro ./. Iberia, Rn. 25, RRa 2012, 279, 280 = NJW 2013, 363 = EuTW 2012, 943). In Anbetracht dessen muss auch die Verweigerung der Beförderung am Abfertigungsschalter (Check-in) grundsätzlich vom Begriff »Nichtbeförderung« im Sinne von Art. 2 lit. j VO erfasst sein. Eine Klausel in Allgemeinen Beförderungsbestimmungen eines Luftfahrtunternehmens zum Check-in, die nicht auf das rechtzeitige Einfinden des zu befördernden Passagiers im Abfertigungsbereich des Luftfahrtunternehmens abstellt, sondern auf die rechtzeitige Abfertigung des Fluggastes, ist gemäß § 307 BGB unwirksam (AG Bremen, Urt. v. 26.07.2012 – 9 C 91/12, BeckRS 2012, 16200 = juris).

24a    Der BGH hat dann mit Urteil vom 17.03.2015 (X ZR 34/14, RRa 2015, 184 = NJW 2015, 2181) auch entschieden, dass ein Luftfahrtunternehmen grundsätzlich auch dann zu einer Ausgleichszahlung wegen Nichtbeförderung verpflichtet ist, wenn es einen Fluggast, der über eine bestätigte Buchung für einen Flug verfügt, die Beförderung auf dem gebuchten Flug verweigert, bevor sich dieser zur vorgegebenen Zeit zur Abfertigung für den gebuchten Flug einfinden kann (so auch AG Düsseldorf 14.08.2015 – 37 C 15236/14, RRa 2016, 196).

25    Vertretbare Gründe“, die ein Luftfahrtunternehmen, das die Beförderung eines Fluggastes verweigert hat, entlasten können, sind nur solche, die in der Person des Fluggastes liegen (z. B. ein fehlendes Visum oder Gesundheitspapiere, gesundheitliche Gründe), die den Flugverkehr oder andere Passagiere in ihrer Sicherheit gefährden oder sonstige, öffentliche oder vertragliche Belange berühren; allgemeine oder betriebliche Risiken können nicht berücksichtigt werden (so auch AG Düsseldorf 14.08.2015 – 37 C 15236/14, RRa 2016, 196). Gründe wie die personelle Unterbesetzung eines Abfertigungsschalters oder die Umorganisation des Flugplanes nach dem Eintritt außergewöhnlicher Umstände (Streik des Flughafenpersonals), stammen aus dem betrieblichen Risiko und können daher nicht nicht als „vertretbare Gründe“ angesehen werden (EuGH 04.10.2012, Rs. C 22-11 – Finnair ./. Lassooy, Rn 40, RRa 2012, 281= NJW 2013, 361 = EuZW 2012, 945; so auch Müller-Rostin euvr 2013, 138, (150)). Das LG Frankfurt hat mit Beschluss vom 01.03.2012 – 2-24 S 185/11 (RRa 2012, 122) dem EuGH die Frage vorgelegt, ob auch sonstige Gründe außer in der Person des Fluggastes „vertretbare Gründe“ sein können, wie z.B. Fälle der höheren Gewalt. Das Verfahren wurde beim EuGH als Rs. C-316/12 – Guevara-Kamm ./. TAM geführt; es ist aber mit Beschl. v. 04.12.2012 (→ECLI:EU:C:2012:768) wieder aus dem Register gestrichen worden.

25a    Fraglich ist, ob auch ein vom Luftfahrtunternehmen nicht zu vertretender Grund vorliegt, wenn ein minderjähriger Reisender, der als Fluggast bereits angenommen wurde, den Flug nicht antritt, weil der ihn begleitenden Mutter die Beförderung verweigert wird. Das AG Erding (Urt. v. 05.11.2015 – 8 C 1575/15) hat das bejaht und angenommen, dass nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 30.04.2009 – X ZR 78/08, RRa 2009, 239 = NJW 2009, 2740 = EuZW 2009, 586) keine Beförderungsverweigerung gegen seinen Willen, sondern ein freiwilliger Verzicht auf die Beförderung vorliegt. Dem kann nicht gefolgt werden, weil es jedenfalls für ein minderjähriges Kind in der Regel nicht zumutbar ist, allein zu reisen. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn das Kind noch nicht Jugendlicher (14 – 18 Jahre) ist oder – wie im vom AG Erding zu entscheidenden Fall – die Beförderung mit unzutreffender Begründung (angebliche Listung der bei der Bezahlung des Flugpreises verwendeten Kreditkarte auf einer „black list“) verweigert wird.

25b    Wird einem minderjährigen Familienmitglied zu Unrecht die Beförderung mit der fehlerhaften Begründung verweigert, der Kinderreisepass berechtige nicht zur Einreise in das Zielland, so stellt dies nach ständiger Rechtsprechung des LG Frankfurt a.M. (9.4.2015 – 2-24 S 53/14, RRa 2015, 194, ADAJUR Dok. Nr. 108571= juris) bei einer einheitliche gebuchten Familienreise zugleich eine (faktische) unberechtigte Verweigerung der Beförderung der anderen Familienmitglieder dar, wenn diese zwar gewillt sind, den Flug anzutreten, und es nur deshalb nicht tun, weil sie das minderjährige Familienmitglied nicht allein zurück lassen wollen. Das Gericht hat zutreffend entschieden, dass es den übrigen Familienmitgliedern nicht zuzumuten ist, ein minderjähriges Kind alleine am Flughafen zurückzulassen und ohne dieses das Flug anzutreten (vgl. auch 9.5.2014 – 2-24 S 170/13; 7.3.2014 – 2-24 O 240/13; siehe dazu Sauer, RRa 2014, 166 (270)).

25c    Es besteht keine Verpflichtung des Flugunternehmens gegenüber dem Fluggast, beim Check-in dessen Reisedokumente auf ihre Gültigkeit zu überprüfen. Dass solch eine Überprüfung faktisch erfolgt und auch, dass das Luftfahrtunternehmen gegenüber dem Reisenden berechtigt ist, ihm den Zutritt zum Flugzeug zu verwehren, lässt nicht den Schluss zu, dass eine solche Verpflichtung gegenüber dem Reisenden besteht (so: BG Schwechat, Urt. v. 13.03.2013 – 1 C 655/12b).

26    Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass vertretbare Gründe vorgelegen haben, trifft das Luftfahrtunternehmen.

26a    Ein Luftfahrtunternehmen kann das rechtzeitige Erscheinen eines Fluggastes am Check-in nicht mit Nichtwissen bestreiten, da dieser Umstand nicht außerhalb seiner Sphäre liegt. Dies gilt auch dann, wenn das Luftfahrtunternehmen die Aufgabe des Check-in an einen Dritten delegiert hat, weil es auch dann die Möglichkeit hat, sich entsprechende Informationen zu beschaffen (AG Erding, Urt. v. 05.11.2015 – 8 C 1575/15)

II. Wichtige nicht definierte Begriffe

1. „Fluggast“

27    Auch der wichtige Begriff „Fluggast“ ist in der Verordnung nicht definiert, obwohl er einer der zentralen Begriffe des Regelwerkes ist. Er kann daher nur mittelbar aus der Verordnung unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck bestimmt werden.

28    Fluggast bzw. „Reisender“ i.S.d. Montrealer Übereinkommens ist zunächst derjenige, der aufgrund eines Luftbeförderungsvertrages einen Beförderungsanspruch gegen den vertraglichen oder ausführenden Luftfrachtführer hat (so für das Montrealer Übereinkommen: Giemulla/Schmid, Art. 1 MÜ, Rn. 47; Reuschle, Art. 1 MÜ, Rn. 26, Ruhwedel, Der Luftbeförderungsvertrag [3. Aufl. 1999], Rn. 118). Die Fluggastrechte-Verordnung dagegen stellt nicht auf die vertragliche Beziehung zum befördernden Unternehmen ab, sondern nur auf die zu befördernde Person; wer dieser (aufgrund eines Vertrages) die Luftbeförderung versprochen hat, ist unerheblich(so auch Führich, Reiserecht (7. Aufl. 2015) § 38, Rn. 29). Bucht eine natürliche Person bei einem Luftfahrtunternehmen einen Flug, ist sie Fluggast, wenn das Luftfahrtunternehmen dieser den Flug bestätigt. Wird der Flug bei einem Luftfahrtunternehmen durch eine juristische Person gebucht und bestätigt (Beispiel: ein Unternehmen bucht für einen Mitarbeiter oder einen externen Berater eine Dienstreise; ein Reiseveranstalter bucht vor oder nach Abschluss eines Reisevertrages einen Sitzplatz für einen Reisenden), so wird zwar das Unternehmen oder der Reiseveranstalter Vertragspartner des Luftfahrtunternehmens, „Reisender“ ist aber allein der durch diesen Vertrag begünstigte Dritte (§ 328 BGB). Denn „Fluggast kann nur derjenige sein, dessen Beförderung auf der Grundlage eines mit dem Luftfrachtführer abgeschlossenen (Luftbeförderungs-)Vertrages erfolgt“ (Ruhwedel, a.a.O.). Befördert wird aber z.B. bei einer Dienstreise nicht das Unternehmen, sondern dessen Mitarbeiter. „Fluggast“ kann somit nur derjenige sein, der (aufgrund einer Buchung) tatsächlich auf einem Flug befördert wird (so auch: AG Leipzig, Urt. v. 07.07.2010 – 109 C 7651/09, BeckRS 2010,17165; a. A. AG Emden, Urt. v. 27.01.2010 – 5 C 197/09, RRa 2010, 135; Führich, Reiserecht [7. Aufl. 2015], § 38 Rn. 28; Hausmann, S. 62; a.A. wohl Hausmann S. 62; aA wohl Staudinger/Keiler, HK-FluggR/Staudinger § 3 Rn.2, der davon ausgeht, dass auch ein Unternehmer iSd 13 BGB „Fluggast“ sein kann). Ein blinder Passagier hat aber nicht deswegen keine Ansprüche aus der Fluggastrechte-Verordnung, weil er keinen Vertrag mit dem befördernden Luftfahrtunternehmen geschlossen hat, sondern weil für ihn keine bestätigte Buchung vorliegt.

28a   Dabei ist das Alter des Fluggastes unmaßgeblich. Auch Kleinkinder und Säuglinge sind „Fluggäste“ im Sinne dier Fluggastrechte-Verordnung (so auch Staudinger/Keiler, HK-FluggR/Staudinger § 3 Rn.4).

28b  Auch die Flugbesatzungsmitglieder (Piloten und Flugbegleiter) zählen nicht zu den Flugästen, soweit sie aufgrund ihres arbeitsrechtlichen Anstellungsverhältnisses an dem Flug ihres Arbeitgebers teilnehmen (so auch Ruhwedel aaO, Rn.119; Führich aaO, § 38 Rn.31; Staudinger/Keiler, HK-FluggR/Staudinger § 3 Rn.3). Dem entspricht auch die Regelung in Art. 3 lit. g Verordnung (EG) Nr. 785/2004 über Versicherungsanforderungen an Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber vom 21.4.2004 (ABl. EU 2004 L 138, 1), nach der „Fluggast“ jede Person ist, die sich mit Zustimmung des Luftfahrtunternehmens oder des Luftfahrzeugbetreibers auf einem Flug befindet, mit Ausnahme der diensthabenden Flug- und Kabinenbesatzungsmitglieder.
29    Nichts anderes ergibt die Analyse einzelner Vorschriften der Verordnung. So stellt die Verordnung z.B. im Erwägungsgrund 6 auf den Schutz der „Fluggäste, die einen Flug … antreten“, im Erwägungs- grund 10 auf „Fluggäste, die nicht befördert werden“ und im Erwägungsgrund 18 auf die „Betreuung von Fluggästen“ ab. Eine juristische Person tritt aber einen Flug nicht an, wird nicht befördert und auch nicht betreut. Ihr kann (bei einer Nichtbeförderung) auch nicht die Beförderung und der Zustieg verweigert werden.

30    Der EuGH hat in seinem Urt. v. 23.10.2012 (verb. Rs. C-581/10 – Nelson ./. Lufthansa und C-629/10 – TUI u.a. . /. CAA, RRa 2012, 272 = NJW 2013, 671) darauf abgestellt, dass die Ausgleichsleistung nach Art. 7 VO wegen einer Verspätung eine Kompensation von Unannehmlichkeiten ist. Solche Unannehmlichkeiten erleidet aber eine juristische Person nicht, sondern allein die (natürliche) Person, die verspätet oder gar nicht befördert wird.

31    Damit wird erkennbar, dass nicht entscheidend ist, wer den Flug gebucht und den Luftbeförderungsvertrag geschlossen hat, sondern allein, wer (aufgrund eines Vertrages, den er nicht notwendigerweise selbst geschlossen haben muss!) den Anspruch auf Beförderung hat. Das ist bei einem echten Vertrag zugunsten Dritter aber gerade nicht das Unternehmen, das den Flug gebucht und den Luftbeförde-rungsvertrag mit einem Luftfahrtunternehmen geschlossen hat, sondern der begünstigte „Dritte“. Wenn also ein Unternehmen einen Flug für einen Mitarbeiter oder einen Beauftragten gebucht hat, ist dieser allein der „Fluggast“ im Sinne der Verordnung und demzufolge auch allein berechtigt, die Unterstützungs-, aber auch die Ausgleichsleistungen zu fordern. Gleiches gilt wenn Eltern die Reise für ihr minderjähriges Kind gebucht haben.

32    Fluggast kann somit nur diejenige (natürliche) Person sein, der vom Luftfahrtunternehmen (bei einer Flugpauschalreise: von einem Reiseveranstalter) eine Buchung bestätigt wurde; auf die Reservierung eines Sitzplatzes kommt es insoweit nicht an. Siehe dazu auch Brecke, ZLW 2012, 358).

2. „Flug“

33    Der EuGH hat am 10.07.2008 in der Rechtssache C-173/07 – Schenkel ./. Emirates (RRa 2008, 237 m. Anm. Wukoschitz, RRa 2008, 242 f.) entschieden, dass der Begriff „Flug“ i.S.d. Verordnung dahingehend auszulegen ist, dass er nicht auf den Fall einer als einheitliche Leistung vereinbarten Hin- und Rückreise (also einer „Rundreise“ i.S.d. Art. 1 MÜ) anwendbar ist, bei der die Fluggäste, die ursprünglich auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats einen Flug angetreten haben, zu diesem Flughafen mit einem Flug von einem Flughafen in einem Drittstaat zurückreisen (zu den verschiedenen Flugvarianten: Hausmann, a.a.O.,S.108 ff.).

34    Damit ist aber noch nicht geklärt, ob bei einer Beförderung über mehrere Teilstrecken auch jede Teilstrecke selbst einen „Flug“ darstellt. Der EuGH hatte einen „Rundflug“ (i.S.d. des Art. 1 MÜ) von Düsseldorf über Dubai nach Manila und zurück zu beurteilen und dabei diesen einheitlich gebuchten Rundflug in den Hinflug von Düsseldorf nach Manila und den Rückflug von Manila nach Düsseldorf segmentiert und damit auf das Endziel des Hinfluges bzw. das des Rückfluges abgestellt, die Zwischenlandungen in Dubai aber außer Betracht gelassen.

35    Der BGH hat im Urteil vom 13.11.2012 (X ZR 12/12, RRa 2013,19 = NJW 2013, 682) im Anschluss an die vorerwähnte Schenkel-Entscheidung (dort Rn. 28) die Ansicht vertreten, dass der Begriff des »Fluges« aus dem Sinn und Zweck der Fluggastrechte-Verordnung und insbesondere aus denjenigen Vorschriften der Verordnung zu entwickeln sei, die sich dieses Begriffs bedienen. Da die Verordnung sich auf die Gesamtheit der Fluggäste eines Fluges, der von einem bestimmten Luftverkehrsunternehmen auf einer bestimmten Flugroute ausgeführt wird und mit dem die Fluggäste von einem Flughafen A zu einem Flughafen B befördert werden, beziehe, sei es für die Bestimmung des Begriffs »Flug« nicht ausschlaggebend, dass Erst- und Folgeflug Teil eines Vertrages sind und gemeinsam gebucht wurden (Bestätigung von BGH, Urt. v. 28.05.2009 – Xa ZR 113/08, RRa 2009, 242 = NJW 2009, 2743).

36     Bei einer Flugreise aus zwei oder mehr Flügen, die jeweils von einer Fluggesellschaft unter einer bestimmten Flugnummer für eine bestimmte Route angeboten werden, sei daher die Anwendbarkeit der Fluggastrechte-Verordnung für jeden Flug gesondert zu prüfen (so schon: LG Frankfurt, Urt. v. 05.01.2012 – 2-24 S 145/11, RRa 2012, 87). Dem kann nicht gefolgt werden. Zum einen ist diese Begründung nicht zwingend aus der Schenkel-Entscheidung des EuGH abzuleiten. Zum anderen steht die Ansicht des BGH auch im Widerspruch zu seiner Auffassung, dass bei unmittelbar aufeinanderfolgenden Flügen (direkte Anschlussflüge) für die Bemessung der Höhe der Ausgleichsleistung nicht nur auf die Entfernung zwischen dem Abgangsflughafen und dem Zielort eines Flugabschnittes (Zwischenlandeort), sondern auf die Entfernung zwischen Startflughafen und dem Endziel, also auf den Ort der letzten Landung, abzustellen ist (BGH, Urt. v.14.10.2010 – Xa ZR 15/10, RRa 2011, 33 = NJW-RR 2011, 355 = ZLW 2012, 297). Nach seiner eigenen Logik hätte der BGH konsequenterweise die Aus-gleichsleistung nach der Strecke zwischen dem Startflughafen und dem Zielflughafen des ersten Fluges (richtig: Zwischenlandeort) bemessen müssen.

37    Der BGH vertritt die Ansicht, dass die Betrachtung jeden einzelnen Fluges auch dann gilt, wenn alle Flüge von derselben Fluggesellschaft durchgeführt werden und als Anschlussverbindung gemein-sam gebucht werden können.

38    Das LG Frankfurt (05.01.2012 – 2-24 S 145/11, RRa 2012, 87),  das wie der BGH jeden Flugabschnitt als eigenen Flug betrachtet, hat klargestellt, dass ein Fluggast aber keine Rechte nach der Verordnung hat, wenn eine Störung (Annullierung oder Verspätung) erst bei außereuropäischen Anschlussflügen eintritt.

39    Ein „innergemeinschaftlicher Flug“ ist ein Flug von einem Flughafen der Gemeinschaft bzw. der Union zu einem anderen ohne Zwischenstopp, der weder in einem Nicht-EU-Flughafen seinen Ausgang genommen hat, noch auf einem Nicht-EU-Flughafen endet.

3. „Ausgleichsleistung“, „Entschädigung“ und „Schadensersatz“

40     Die Verordnung selbst verwendet in der deutschen Amtssprache die Begriffe „Ausgleichsleistung“, „Ausgleichsanspruch“ (vgl. Art. 4, 5, 7, 14 VO), definiert aber diese Begriffe nicht. Gleiches gilt für die Begriffe „Schadensersatz“ (Art. 12 VO) und „Entschädigung“ (Art. 13 VO), die nach deutschem Rechtsverständnis unterschiedlich in Bedeutung und Gehalt sind; der Begriff Ausgleichsleistung ist dem deutschen Schadensersatzrecht sogar fremd. Diese Begriffsvielfalt bringt in der Praxis Probleme. So ist in Art. 12 Abs. 1 S. 2 VO bestimmt, dass die nach der Verordnung gewährte „Ausgleichsleistung“ auf einen weiter gehenden „Schadensersatzanspruch“ angerechnet werden kann.

41    Leffers (RRa 2008, 258, 260) weist darauf hin, dass in der englischen Fassung des Textes in den vorgenannten Bestimmungen durchgängig der Begriff „compensation“ verwendet wird, der im engli-schen Rechtssystem weit umfassender verwendet wird als der deutsche Begriff „Schadensersatz“. Sie meint deshalb, dass unter Schadensersatz auch Ansprüche aus dem reiserechtlichen Gewährleistungsrecht (Minderung) zu verstehen seien. Auf den englischen Text kann aber nicht allein abgestellt werden, weil der deutsche Text der Verordnung nicht eine bloße nicht-amtliche Übersetzung ist, sondern in einer Amtssprache der Europäischen Union verfasst und somit zunächst aus sich heraus auszulegen ist. Der Rechtsvergleich mit Texten anderen Amtssprachen, kann allenfalls ergänzend betrachtet werden. Bollweg (RRa 2009, 10, 13) weist daher zutreffend darauf hin, dass eine Auslegung in erster Linie unter dem Blickwinkel der Entstehungsgeschichte und dem vom europäischen Gesetzgeber verfolgte Regelungszweck (Verhinderung einer überkompensatorischen Doppelentschädigung eines Fluggastes) erfolgen muss. Da er als Mitglied der Arbeitsgruppe des Rates für die Bundesregierung maßgeblich an der Verordnung mitgearbeitet hat, kann er anschaulich erläutern, warum die verwirrende Begriffsvielfalt notwendig erschien. Da die Verordnung aber ein Regelwerk nicht nur des Rates, sondern auch des Parlaments ist, an dem auch die Kommission mitgearbeitet hat, kann für eine Begriffsauslegung wohl nur sehr eingeschränkt allein auf das Verständnis nur einiger nationaler Mitglieder des Rates-Arbeitsausschusses abgestellt werden. Nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ist ein Unionsrechtsakt so weit wie möglich in einer Weise auszulegen, die seine Gültigkeit nicht in Frage stellt, und im Einklang mit dem gesamten Primärrecht steht (EuGH, Urt. v. 16.09. 2010, Rs. C 149/10 − Chatzi, Rn 43, Slg. 2010 I‑8489 = EuZW 2011, 62).

42    Bislang hat die deutsche Literatur und Rechtsprechung lange Zeit die Ansicht vertreten, dass die Ausgleichsleistung ein „pauschalierter Schadensersatz“ sei (Schmid, RRa 2004, 198, 202; Staudinger/ Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897, 1899; Weise/Schubert, TranspR 2006, 340, 343; Tonner, NJW 2006, 1854, 1856; Führich, MDR 7/2007, Beilage S. 8). Nun hat aber der EuGH in seinem Urteil vom 23.10.2012 (verb. Rs C-581/10 – Nelson ./. Lufthansa und Rs. C-629/10 – TUI u.a. . /. CAA, Rn. 74, RRa 2012, 272) klargestellt, dass die Ausgleichsleistung dem Ausgleich eines von Fluggästen erlittenen Zeitverlustes dient, also weniger den materiellen Schaden, sondern einen immateriellen Schaden ausgleicht. Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses schiede bei Beurteilung nach deutschem Recht eine Anrechnung aus, wenn der Fluggast auch einen materiellen Schaden (z.B. die Erstattung von zusätzlichen Reisekosten, die wegen Annullierung eines gebuchten Fluges angefallen sind) geltend macht. Der BGH hat beschlossen diese Frage wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der Vorlagebeschlusss vom 30.07.2013 (X ZR 111/12 und X ZR 113/12, RRa 2013, 233 = TranspR 2013, 447) wurde aber nicht ausgeführt, weil das Luftfahrtunternehmen die Forderung jeweils anerkannt hat.

43    Zu berücksichtigen ist auch, dass die Verordnung grundsätzlich nur das Rechtsverhältnis zwischen einem Fluggast und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen regelt; andere Rechtsverhältnisse will es nicht regeln, auch wenn in Art. 2 VO die Begriffe „Reiseunternehmen“ (lit. d) und „Pauschalreise“ (lit. e) erläutert werden. Das geschieht aber nur mit Blick auf Art. 13 VO, der ausdrücklich den Regress des Luftfahrtunternehmens regelt. Hätte der europäische Gesetzgeber gewollt, dass auch Ansprüche des Fluggastes gegen den Reiseveranstalter erfasst werden, wäre es ein Leichtes gewesen, in Art. 12 VO neben den weiter gehenden Schadensersatzansprüchen auch „Ansprüche gegen einen Reiseveranstalter“ aufzunehmen. Da dies nicht geschehen ist, muss im Rahmen der gebotenen engen Auslegung davon ausgegangen werden, dass mit „weiter gehenden Schadensersatzansprüchen“ nur solche Ansprüche gemeint sein sollen, die sich aus dem Rechtsver-hältnis zwischen Fluggast und Luftfahrtunternehmen ergeben. Ansprüche des Fluggastes gegen einen Reiseveranstalter auf Minderung haben daher unberücksichtigt zu bleiben.

4. Flugsteig

44    Mit „Flugsteig“ in Art. 2 j) VO ist der (immer seltener abgegrenzte) Ort gemeint, an dem sich die Fluggäste unmittelbar vor Antritt des Fluges versammeln, bevor diese gegen Vorzeigen ihrer Bordkarten das Flughafengebäude verlassen, um entweder über eine sogenannte Fluggastbrücke („Finger“) das Flugzeug zu betreten oder zu Fuß oder mit einem Bus über das Vorfeld zum Flugzeug zu gelangen. Das AG Hamburg hat zutreffend ausgeführt, dass der Bereich der Sicherheitskontrolle oder der Laden- und Gastronomiebereich (shopping area) nicht dazu zählt (Urt. v. 09.05.2014 – 36a C 462/13RRa 2014, 249 = BeckRS 2014, 18885). Vom „Flugsteig“ zu unterscheiden ist der „Abfertigungsschalter“ (check-in-counter), an dem Fluggäste sich „zur Abfertigung einfinden“, d.h. wo sie ihre Reisedokumente vorlegen, ggf. mitgebrachtes Reisegepäck abgegeben und die Bordkarten erhalten. Das kann in Ausnahmefällen (!) auch am Flugsteig des Anschlussfluges geschehen, z.B. wenn bei Umsteigeverbindungen ein Fluggast im Transitbereich (erneut) eingecheckt werden muss.

Artikel 1 – Geltungsbereich

(1) Durch diese Verordnung werden unter den in ihr genannten Bedingungen Mindestrechte für Fluggäste in folgenden Fällen festgelegt:

a) Nichtbeförderung gegen ihren Willen, b) Annullierung des Flugs, c) Verspätung des Flugs.

(2) Die Anwendung dieser Verordnung auf den Flughafen Gibraltar er-folgt unbeschadet der Rechtsstandpunkte des Königreichs Spanien und des Vereinigten Königreichs in der strittigen Frage der Souveränität über das Gebiet, auf dem sich der Flugplatz befindet.

(3) Die Anwendung dieser Verordnung auf den Flughafen Gibraltar wird bis zum Wirksamwerden der Regelung ausgesetzt, die in der Gemeinsamen Erklärung der Minister für auswärtige Angelegenheiten des Königreichs Spanien und des Vereinigten Königreichs vom 2. Dezember 1987 enthalten ist. Die Regierungen des Königreichs Spanien und des Vereinigten Königreichs unterrichten den Rat über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens.

Vorbemerkungen

I. Allgemeines

1    Am 17.02.2005 ist unter der Bezeichnung Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ein neues Regelwerk in Kraft getreten, das die Rechte von Fluggästen im europäischen – und eingeschränkt auch im internationalen – Luftverkehr verbessern soll. Es hat die bisherige Verordnung (EWG) Nr. 295/91 über Ausgleichszahlungen bei Nichtbeförderungen im Linienflugverkehr vom 04.02.1991 (sog. Überbuchungs-Verordnung) abgelöst. Die neue Verordnung, die in jedem Mitgliedstaat unmittelbar verbindlich ist und unmittelbar gilt (Art. 19 VO), regelt aber nicht nur – wie bisher ihre Vorgängerin – wie bisher ihre Vorgängerin – die Folgen der Nichtbeförderung infolge Überbuchung eines Fluges (BGH, Urt. v. 23.04.2009 – X ZR 78/08, RRa 2009, 239 = NJW 2009, 274), sondern auch die Fälle der Nichtbeförderung aus anderen Gründen sowie die Fälle der Verspätung und der Annullierung eines Fluges. (Zum Vergleich der Rechte von Fluggästen mit denen von Passagieren anderer Beförderungsmittel siehe Bollweg, RRa 2010, 106; Tonner, RRa 2013, 206).

2        Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ist ein Mosaikstein in einem „System von Passagierrechten“, das sich zusammen mit dem Montrealer Übereinkommen, das selbst integraler Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung geworden ist (EuGH, Urt. v. 10.01.2006, Rs. C-344/04 – IATA und ELFAA, Rn. 35 und 36, Slg 2006 I-403 = RRa 2006, 127 = NJW 2006, 351 = EuZW 2006, 112), und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 n.F. gebildet hat. Auch wenn jedes dieser Rechtsinstrumente selbständig neben den anderen steht (anders früher Schmid, ZLW 2005, 373 ff.; NJW 2006, 1841), kann bei der Auslegung eines Begriffs geprüft werden, ob und wie sich andere in dem Bereich einschlägige Rechtsinstrumente auf die Auslegung dieses Begriffs auswirken können (so z.B. zur Auslegung des Begriffs „Flug“: EuGH, a.a.O., Rn. 42).

 2a     Weil die Verordnung selbstständig neben dem Montrealer Übereinkommen steht, schließen die in der Fluggastrechte-Verordnung getroffenen Regelungen als solche nicht aus, dass Fluggäste, denen ein Schaden entsteht, der einen Ausgleichsanspruch auslöst, auch unter den im Montrealer Übereinkommen vorgesehenen Voraussetzungen (Art. 19, 22 MÜ) Klage auf Ersatz dieses Schadens erheben können (EuGH, Urt. v. 10.01.2006, Rs. C-344/04 – IATA u.a. ./. Department of Transport, Slg. I-403 = RRa 2006, 127 = NJW 2006, 351). Es ist einem Gericht daher möglich, ein Luftfahrtunternehmen zum Ersatz des einem Fluggast wegen der Nichterfüllung des Luftbeförderungsvertrages entstandenen Schadens auch auf einer anderen Rechtsgrundlage als der der Fluggastrechte-Verordnung zu verurteilen, so z.B. unter den Voraussetzungen des Montrealer Übereinkommens oder des nationalen Rechts (EuGH, Urt. v. 13.10.2011, Rs. C-83/10 – Sousa Rodríguez ./. Air France, RRa 2011, 282 = NJW 2011, 3776; im Anschluss daran: BGHS 5.1.2016 – 16 C 233/15d, RRa 2016, 98).

3       Die Fluggastrechte-Verordnung ist in jedem Mitgliedsstaat unmittelbar geltendes Recht, aber nicht nur in der Fassung des Verordnungstextes. Da allein der EuGH nach Art. 267 Abs. 1 AEUV das Recht hat, endgültig über die Wirksamkeit und die Frage, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite eine Vorschrift eines Sekundarrechtsakts seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre zu entscheiden, ist die Verordnung in der Fassung anzuwenden, wie sie der EuGH durch seine Rechtsprechung gestaltet hat (so auch LG Düsseldorf, Urt. vom 13.12.2013 – 22 S 232/12, RRa 2014, 208). Die Urteile des EuGH wirken nicht nur inter partes; sie haben über das Ausgangsverfahren hinausgehende (faktische) Bindungswirkung (sog. erga-omnes-Wirkung) für alle Spruchkörper des gesamten Binnenmarktes (so auch: Staudinger, RRa 2010, 10 (11); LG Stuttgart, Urt. v. 20.04.2011 – 13 S 227/10, RRa 2011, 234; Urt. v. 07.11.2012 – 13 S 95/12, RRa 2013, 131). Da die Missachtung durch ein nationales Gericht einen Verstoß gegen Europa- und Verfassungsrecht darstellt, ist ein nationales Gericht an einer abweichenden Entscheidung unter Zugrundelegung einer andere Rechtsauffassung zur Auslegung der Verordnung gehindert (so zutreffend: LG Düsseldorf, a.a.O.).

4       Soweit eine Rechtsfrage im Rahmen der Anwendung von Unionsrecht ungeklärt ist, hat jedes letztinstanzlich entscheidende Gericht im Zweifel die Frage dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsersuchens vorzulegen (Art. 267 AEUV). Das gilt ausnahmsweise nur dann nicht, wenn die Anwendung des Gemeinschaftsrechts und die Antwort des EuGH im Hinblick auf seine bisherige Judikatur derart offensichtlich ist, dass sich die richtige Auslegung der Norm allen Gerichten in allen Mitgliedstaaten praktisch aufdrängen muss, also kein Raum mehr für vernünftige Zweifel besteht. In diesem Fall ist das letztinstanzlich entscheidende nationale Gericht von der Vorlageverpflichtung befreit (sog. acte-clair-Theorie). Davon ist aber nicht auszugehen, wenn unterschiedliche Auffassungen in der Rechtsprechung oder der Literatur vertreten werden.

5       Der EuGH hat mehrfach entschieden, dass die Gerichte die Vorschriften eines Sekundarrechtsakts in der Auslegung des EuGH auch auf Rechtsverhältnisse anwenden können und müssen, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen (EuGH, Urt. v. 03.10.2002, Rs. C‑347/00 – Barreira Pérez, Slg. 2002, I‑8191, Rn. 44; EuGH, Urt. v. 17.02. 2005, Rs. C‑453/02 – Linneweber und Akritidis, und C‑462/02, Slg. 2005, I‑1131, Rn. 41; EuGH; Urt. v. 23.10.2012 – verb. Rs. C‑581/10 – Nelson ./. Lufthansa und C‑629/10 – TUI u.a. ./. CAA, Rn. 88 ff., RRa 2012, 272 = NJW 2013, 671). In Einzelfällen kann sich der EuGH aber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtssicherheit (dazu: EuGH, Urt. v. 06.03.2007, Rs. C‑292/04 – Meilicke u. a., Slg. 2007 I‑1835, Rn. 37) veranlasst sehen, die für jeden Betroffenen bestehende Möglichkeit zu beschränken, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen (EuGH, Urt. v. 23.05.2000, Rs. C‑104/98 – Buchner u. a., Slg. 2000, I‑3625, Rn. 39, EuGH, Urt. v. 17.02. 2005, Rs. C‑453/02 – Linneweber und Akritidis, Slg. 2005, I‑1131, Rn. 42; EuGH; Urt. v. 23.10.2012, verb. Rs. C‑581/10 – Nelson ./. Lufthansa und C‑629/10 – TUI u.a. ./. CAA, Rn. 88, RRa 2012, 272 = NJW 2013, 671). In diesem Fall hat der Gerichtshof jedoch im Urteil selbst einen einheitlichen Zeitpunkt festzulegen, von dem an die von ihm gegebene Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts wirksam werden soll.

6       Die Fluggastrechte-Verordnung legt lediglich Mindestrechte fest, bei denen es sich um gesetzliche Ansprüche handelt; vertragliche Beziehungen zwischen Fluggast und Luftfahrtunternehmen müssen nicht bestehen. Es ist aber kein umfassendes Regelwerk, das Ausgleichszahlungen für alle Fälle vorsieht, in denen der Fluggast nicht befördert wird. Ob ein Luftfahrtunternehmen eine weitere Einstandspflicht trifft, bleibt einer Überprüfung nach dem nationalen Vertragsrecht vorbehalten (BGH, RRa 2009, 239; EuGH, Urt. v. 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 – Nelson ./. Lufthansa und C-629/10 – The Queen ./. Civil Aviation Authority, RRa 2012, 272 = NJW 2013, 671; ebenso Schuster, RRa 2014, 2 ff.)

7    Nichtbeförderungen, Annullierungen sowie große Verspätungen von Flügen sind für Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten. Absicht der Kommission war es, diese Unannehmlichkeiten zu verringern (siehe Erwägungsgrund (12 VO). Die Verordnung zielt darauf ab, nicht nur ein hohes Schutzniveau für Fluggästesicherzustellen, sondern auch, es zu erhöhen. Diese Zielrichtung wurde u.a. in den Erwägungsgründen 1 und 4 VO ausdrücklich verankert und muss bei der Auslegung und Anwendung der Verordnung beachtet werden. Die Interessen der Luftfahrtunternehmen werden dagegen nicht ausdrücklich erwähnt; doch wird in Erwägungsgrund 4 VO deutlich gemacht, dass mit dem Schutz der Fluggäste auch erreicht werden soll, dass die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in einem liberalisierten Markt harmonisierten Bedingungen unterliegt, was letztlich einem fairen Wettbewerb dient. Die weiteren Interessen der Luftfahrtunternehmen haben aber – wenn auch nicht immer auf den ersten Blick sichtbar – in den einzelnen Vorschriften, insbesondere bei den Entlastungsgründen (Art. 5 Abs. 3 VO) erkennbar Berücksichtigung gefunden.

8     Um das hohe Schutzniveau für die Fluggäste sicherzustellen, hat der europäische Gesetzgeber bestimmt, dass die Verpflichtungen gegenüber Fluggästen gemäß dieser Verordnung – und damit umgekehrt die Rechte der Fluggäste – nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden dürfen (Art. 15 Abs. 1 VO). Wird dennoch eine abweichende oder restriktive Bestimmung bei einem Fluggast angewendet oder wird der Fluggast nicht ordnungsgemäß über seine Rechte unterrichtet und hat er aus diesem Grund einer Ausgleichsleistung zugestimmt, die unter der in dieser Verordnung vorgesehenen Leistung liegt, so ist der Fluggast weiterhin berechtigt, die erforderlichen Schritte bei den zuständigen Gerichten oder Stellen zu unternehmen, um eine zusätzliche Ausgleichsleistung zu erhalten (Art. 15 Abs. 2 VO).

9     Dass die Verordnung kein abschließendes Regelwerk ist, ergibt sich schon aus ihrem eigenen Wortlaut (Art. 1 Abs. 1), wonach nur „Mindestrechte für Fluggäste“ festgelegt werden sollen. Das ist aber keine Mindeststandardklausel wie sie in verschiedenen verbraucherrechtlichen EU-Richtlinien zu finden ist. Da die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 in jedem Mitgliedstaat unmittelbar gilt, kann ein Mitgliedsstaat daher den in der Verordnung festgelegten Standard des Verbraucherschutzes durch Änderungen (z.B. die Anhebung der Höhe der Ausgleichsleistungen) zwar erhöhen, nicht aber absenken (so schon Tonner, in: Gebauer/Wiedmann, Kap. 15, Art.1 Rn. 23). So verstanden sind mit dem Begriff „Mindestrechte“ nur die Rechte gemeint, die Luftfahrtunternehmen ihren Passagieren in jedem Fall gewähren müssen; zugunsten des Fluggastes können sie aber weitergehende Rechte einräumen (so auch Tonner, a.a.O.).

10    Es fragt sich aber, ob die Bestimmungen der Verordnung mit Art. 29 S. 2 des Montrealer Übereinkommens kollidieren oder harmonieren. Diese Frage stellt sich zwar nicht, soweit es sich um Ansprüche von Fluggästen annullierter Flüge und um Fluggäste handelt, denen die Beförderung verweigert wurde, weil diese Sachverhalte im Montrealer Übereinkommen nicht geregelt sind. Anders verhält es sich bei der Verspätung: Kritiker der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 sehen einen Konflikt, weil nach ihrer Meinung die Verspätung und ihre Rechtsfolge (Ersatz des materiellen Schadens) bereits in Art. 19 MÜ abschließend geregelt sind (vgl. für viele: Müller-Rostin, NZV 2007, 221, 225; Hobe/Müller Rostin/Recker,ZLW 2010, 152 ff. m.w.N.).). Dies hat der EuGH in der sog. Sturgeon-Entscheidung (19.11.2009, Rs. C-402/0, verb. mit Rs. C-432/07 – Böck u.a. ./. Air France, Slg. 2009 I-10923 = RRa 2009, 262 = NKW 2010, 43 = ZLW 2010, 75) anders gesehen und diese Rechtsansicht im 23.10.2012, verb. Rs. C-581/10 – Nelson ./. Lufthansa und C-629/10 – TUI ./. CAA, RRa 2012, 272 = NJW 2013, 671) bestätigt. Denn die Fluggastrechte-Verordnung will nur die Folgen einer Verlängerung der Reisezeit und die Unannehmlichkeiten regeln, die durch einen verspäteten Abflug oder eine ungeplante Zwischenlandung entstehen und zu einer verspäteten Ankunft am Endziel führen. Eine Konkurrenz mit dem Schadenersatzanspruch aus Art. 19 MÜ ist daher von vorneherein ausgeschlossen (so auch Janköster S. 323; Reuschle Art. 19, Rn. 67).

11   Der Anspruch auf eine Betreuungsleistung nach Art. 6 i.V.m. Art. 9 VO ist kein (pauschalierter) Schadensersatzanspruch; es gibt daher keine Kollision mit Art. 19 MÜ.

12   Die Rechtsnatur des Ausgleichsanspruches ist dagegen nicht eindeutig geklärt.

13   Sieht man darin einen Strafschadensersatzanspruch, wie er im angloamerikanischen Recht als punitive damage bekannt ist (dazu Müller, punitive damages und deutsches Recht [2000]), so stellt sich die Frage, ob er als solcher – da im deutschen Recht ein Fremdkörper – gegen das Grundgesetz verstößt. Als Strafschadensersatzanspruch könnte die Ausgleichsleistung aber nur angesehen werden, wenn die Festsetzung der Höhe des Anspruchs in das Ermessen des Gerichts gestellt und damit ein besonders verwerfliches Verhalten des Luftfahrtunternehmen zur Abschreckung geahndet werden könnte (so zutreffend: Staudinger/Schmidt-Bendun NJW 2004, 1897 (1899)). Die Höhe der Ausgleichsleistung ist aber in Art. 7 VO – nach Flugentfernungen gestaffelt – festgelegt; ein richterliches Ermessen ist somit ausgeschlossen. Es fehlt also schon ein typisches Merkmal des Strafschadensersatzanspruches.

14    Ein Abschreckungsgedanke schlägt sich aber in der Regelung selbst nicht nieder; nur die Höhe der Sanktionen gegen die Luftfahrtunternehmen, die gegen die Verordnung verstoßen, sollen abschreckend sein (siehe Erwägungsgrund 21). Da ihm also die wesentlichen Merkmale eines Strafschadensersatzanspruches fehlen, kann der Ausgleichsanspruch nach Art. 7 VO auch nicht als solcher bewertet werden.

15    Art. 12 Abs. 1 S. 2 VO bestimmt, dass eine gezahlte Ausgleichsleistung auf einen weiter gehenden Schadensersatzanspruch angerechnet werden kann. Somit ist der Anspruch auf Ausgleichsleistung jedenfalls kein Anspruch sui generis, sondern ein Schadensersatzanspruch. Da der europäische Gesetzgeber aber die Höhe des Ausgleichs nicht in ein Verhältnis zu einem konkret entstandenen Schaden setzt, sondern pauschale Beträge festsetzt, wurde der Anspruch in der Literatur lange Zeit als pauschalierter (Mindest-)Schadensersatzanspruch angesehen (vgl. für viele: Führich, Reiserecht, Rn. 1048; ders., MDR 7/2007, Beilage, S. 8; Peterhoff, TranspR 2007, 130, 106; Schmid, RRa 2004, 198, 202, ders., ZLW  2005, 373, 379; Staudinger/Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897, (1899); Tonner, NJW 2006, 1854, (1856); Weise/Schubert, TranspR 2006, 340, 343; LG Frankfurt, Urt. v. 13.10.2006 – 3-2 O 51/06, RRa 2007, 82; AG Erding, Urt. v. 15.11.2006, RRa 2007, 85; AG Dortmund, Urt. v. 04.03.2008, RRa 2008, 188; AG Frankfurt, Urt. v. 07.10.2010, RRa 2011, 140. Wegen anderer Ansichten siehe Hausmann, Europäische Fluggastrechte [2012], S. 358).

16   Der Anspruch gemäß Art. 7 VO i.V.m. Art. 4 und 5 VO wird aber in der deutschen Amtssprache nicht als „Schadensersatz“, sondern (bewusst!) als „Ausgleichsleistung“ bezeichnet: Die Leistung soll etwas ausgleichen. Mit dieser Wortwahl sollte offensichtlich – klarer als in der englischen Sprache – deutlich gemacht werden, dass mit der Zahlung der Ausgleichsleistung etwas anderes ausgeglichen werden soll als ein materieller Schaden. Dieses Verständnis hat der EuGH in seinem Urteil vom 19.11.2009 (verb. Rs. C-402/07 – Sturgeon ./. Condor und C-432 – Böck u.a. ./. Air France, Rn. 44, Slg 2009 I-10923 = RRa 2009, 282 = NJW 2010, 43 = ZLW 2010, 75) bestätigt: Er hat darauf hingewiesen, , „dass die Verordnung Nr. 261/2004 darauf abzielt, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste unabhängig davon sicherzustellen, ob sie von einer Nichtbeförderung oder von einer Annullierung oder großen Verspätung eines Fluges betroffen sind, da sie alle von vergleichbaren Ärgernissen und großen Unannehmlichkeiten in Verbindung mit dem Luftverkehr betroffen sind“.

17   In der Rs. 402/07 – Sturgeon hat der EuGH in Rn. 52 und 61 deutlich gemacht, dass eine Unannehmlichkeit wie ein Zeitverlust nicht als „Schaden …, der durch Verspätung … entsteht“ i.S.d. Art. 19 MÜ qualifiziert werden kann und daher vom Geltungsbereich des Art. 29 MÜ nicht erfasst wird (so auch schon EuGH, Urt. v. 10.01.2006, Rs. C-344/04 – IATA und ELFAA (Slg 2006 I-403 = RRa 2006, 127 NJW 2006, 351 = EuZW 2006, 112).

18    In der Entscheidung vom 23.10.2012 (verb. Rs. C-581/10 – Nelson ./. Lufthansa und C-629/10 – TUI u.a. . /. CAA, RRa 2012, 272 = NJW 2013, 671) hat der Gerichtshof unter Verweis auf sein IATA-Urteil (Rs. C-344/04, → Rn. 17) betont, dass die Ausgleichsleistung wegen einer Verspätung eine Kompensation für den Zeitverlust und Unannehmlichkeiten ist. Ein Zeitverlust ist aber – so der EuGH – kein infolge der Verspätung entstandener Schaden, sondern „stellt – wie andere Begleiterscheinungen der Fälle von Nichtbeförderung, Flugannullierung oder großer Verspätung, zu denen etwa ein Mangel an Komfort oder der Umstand gehört, vorübergehend nicht über normalerweise verfügbare Kommunikationsmittel zu verfügen – eine Unannehmlichkeit dar.“ (Rn. 51). Somit könne der mit der Verspätung eines Fluges verbundene Zeitverlust, der eine Unannehmlichkeit i.S.d. Verordnung (EG) Nr. 261/2004 darstellt, nicht als „Schaden …, der durch Verspätung … entsteht“ i.S.v. Art. 19 MÜ qualifiziert werden, und nicht in den Anwendungsbereich des Art. 29 MÜ fallen. Die Ausgleichsleistung muss daher so angesehen werden, dass mit ihr (wenigstens überwiegend) immaterielle Schäden ausgeglichen werden sollen. Damit stellt sich – jedenfalls bei Anwendung deutschen Rechts – die Frage, ob eine Anrechnung auf einen materiellen Schadensersatzanspruch überhaupt möglich ist. (Siehe dazu den Vorlagebeschluss des BGH vom 30.07.2012 – X ZR 111/12, RRa 2013, 233 = openJur.)

II. Die Grundstruktur der Verordnung

19    Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen hat nicht mehr – wie bisher unter Geltung der Verordnung (EG) Nr. 295/91 – nur für den Fall der Nichtbeförderung wegen Überbuchung (Art. 4 VO), sondern jetzt auch für sonstige Nichtbeförderungen sowie für den Fall der Annullierung eines Fluges (Art. 5 VO) bestimmte Ausgleichs-, Unterstützungs- und Betreuungsleistungen zu erbringen, sofern es sich nicht entlasten kann (Art. 5 Abs. 3 VO). Diese Ansprüche des Fluggastes können weder eingeschränkt noch ausgeschlossen werden (Art. 15 VO).

20    Bei der Verspätung eines Fluges (Art. 6 VO) sind nach dem Wortlaut der Verordnung nur Unterstützungs- und Betreuungsleistungen anzubieten (Art. 9 VO), die nach Entfernungskilometern gestaffelt sind, wenn sich der Abflug um zwei und mehr Stunden verzögert; eine Ausgleichleistung ist in diesen Fällen nach dem Wortlaut der Verordnung nicht vorgesehen. Auf Vorlage des BGH einerseits und des HG Wien andererseits hat der EuGH in seinem bahnbrechenden „Sturgeon-Urteil“ (verb. Rs. C-402/07 – Sturgeon ./. Condor und C-432//07 – Böck u.a. ./. Air France, Slg 2009 I-10923 = RRa 2009, 282) entschieden, dass – entgegen dem Wortlaut der Verordnung – Fluggästen auch bei einer großen Verspätung Ausgleichsansprüche in analoger Anwendung des Art. 7 Abs. 1 VO zustehen, sofern sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden erreichen und somit einen Zeitverlust von mindestens drei Stunden erleiden. Anders als die Generalanwältin, die einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gesehen hat, wurden vom Gerichtshof  die Rechtsfolgen einer Annullierung  primär rechtskonform auf den Tatbestand einer großen Verspätung entsprechend angewendet.

21   Und noch eine wesentliche Neuerung hat die Verordnung gebracht: Sie gilt nun auch für Nicht-Linienflüge, d. h. auch für Flugdienste im sog. Ferienflugverkehr, insbesondere für Luftbeförderungen, die als Teilleistung im Rahmen einer Pauschalreise durchgeführt werden.

 III. Die in der Verordnung nicht geregelten Rechtsprobleme

 1. Die Aktiv- und Passivlegitimation

22    Grundsätzlich ist der Fluggast, der befördert worden ist bzw. oder befördert werden sollte, Inhaber des Ausgleichsanspruchs und damit aktivlegitimiert. Ungeklärt und streitig ist aber, ob das auch gilt, wenn der Fluggast den Flugschein nicht bezahlt hat. Diese Frage stellt sich, wenn der Fluggast als Arbeitnehmer oder Beauftragter im Rahmen einer Dienstreise befördert wurde und der Flugschein von seinem Arbeitgeber oder Auftraggeber für einen Mitarbeiter oder Auftragnehmer gekauft und bezahlt wurde. Das AG Emden hat entschieden, dass Ausgleichsansprüche nach Art. 7 VO und Erstattungsansprüche nur dann dem Fluggast zustünden, wenn dieser selbst Vertragspartner der ausführenden Fluggesellschaft sei. Buche der Arbeitgeber das Ticket, sei der geschäftsreisende Arbeitnehmer lediglich Dritter und nicht anspruchsberechtigt (Urt. v. 27.01.2010 – 5 C 197/09, RRa 2010, 135 mAnm Schmid RRa 2010, 136; siehe dazu auch Brecke ZLW 2012, 358 ff.).

23    Dem kann nicht gefolgt werden, weil es nicht darauf ankommt, dass der Fluggast Vertragspartner des ausführenden Luftfahrtunternehmens ist oder nicht; auf vertragliche Beziehungen stellt die Verordnung nicht ab (so auch LG Köln, Urt. v. 09.04.2013 – 11 S 241/12, RRa 2014, 34). Entscheidend ist, dass er „Fluggast“ ist und die Unannehmlichkeiten der Nichtbeförderung, Verspätung oder Flugannullierung zu erdulden hatte. (Ausführlich dazu Brecke, ZLW 2012, 358 ff. und Schmid, RRa 2012, 136 f sowie LG Köln, a.a.O.).

24    Macht daher ein Mitarbeiter oder Auftragnehmer, der im Rahmen einer Geschäftsreise nicht oder verspätet befördert worden ist, gegenüber dem Luftfahrtunternehmen selbst keine Ansprüche geltend, ist das Unternehmen, das den Flug gebucht und bezahlt hat, gleichwohl nicht berechtigt, diese Ansprüche aus eigenem Recht gegenüber dem Luftfahrtunternehmen geltend zu machen; es bedarf der Abtretung der Ansprüche (so auch Brecke, a.a.O.).

25   Treten Reisende ihre Ansprüchen aus der Verordnung an den Reiseveranstalter ab, und macht dieser die Ansprüche für die Reisenden geltend, ist das als zulässige Nebenleistung i.S.d. § 5 Abs. 1 RDG anzusehen (LG Frankfurt, Urt. v. 8.11.2013 – 2-24 O 117/13).

 2. Die Passivlegitimation

26      Die Ansprüche aus Art. 7 VO richten sich nach dem Wortlaut der Verordnung (Art. 5 und 6 VO) ausschließlich gegen das „ausführende Luftfahrtunternehmen“ (so auch: BGH Beschl 11.3.2008, RRa 2008, 175 = NJW 2008, 2119 ff.; BGH 26.11.2009 – Xa ZR 132, RRa 2010, 85 = NVZ 2010, 137 ff.). Nach der Legaldefinition in Art. 2 lit. b) VO ist „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ ein Luftfahrtunternehmen, „das im Rahmen eines Vertrags oder im Namen einer anderen Person einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt“. Die Auslegung nach Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck ergibt, dass es für die Einordnung eines Unternehmens als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ iSd Verordnung maßgeblich auf den Auftritt vor Ort nach außen gegenüber dem Kunden ankommt.

26a     Nach Erwägungsgrund 7 VO sollen die Verpflichtungen aus der Verordnung dem Unternehmen obliegen, „das einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt, und zwar unabhängig davon, ob der Flug mit einem eigenen Flugzeug oder mit einem mit oder ohne Besatzung gemieteten Luftfahrzeug oder in sonstiger Form durchgeführt wird.“ Nach zutreffender Ansicht des AG Rüsselsheim (30.07.2014 – 3 C 5696/13-33, RRa 2015, 84 = BeckRS 2016, 07165) wird „aus dieser Formulierung das Bestreben des Verordnungsgebers erkennbar, dem aus Sicht der Flug- gäste ausführenden Unternehmen Einwendungen aufgrund interner rechtlicher und für den Fluggast nicht erkennbarer Strukturen und Vereinbarungen von vornherein zu versagen. So sollen sich die gegenüber dem Fluggast auftretenden Unternehmen nicht darauf berufen können, sie hätten Flugzeug und Besatzung tatsächlich lediglich gemietet oder aufgrund interner Vereinbarungen „sonstiger Form“ tatsächlich den Flug gar nicht ausgeführt. Die Unterscheidung zwischen der Durchführung nach außen gegenüber dem Kunden und der Durchführungsabwicklung nach innen ist in Erwägungsgrund 7 VO gut erkennbar angelegt.“

26b    Zu berücksichtigen ist bei der Auslegung auch, dass dem Regelungskonzept der Verordnung von dem Gedanken getragen ist, dass das bei der Flugabwicklung präsente Unternehmen in der Regel am besten in der Lage ist, die Verpflichtungen der Verordnung zu erfüllen. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die von der Verordnung vorgesehenen Unterstützungsleistungen tatsächlich vor Ort effektiv erfüllt werden. Aus diesem Grund werden nach dem Wortlaut allein dem ausführenden Luftfahrtunternehmen die Pflichten auferlegt (so zutreffend: BGH, Beschl. v. 11.03.2008, RRa 2008, 175 = NJW 2008, 2119 ff.; BGH, NVZ 2010, 137 ff.; AG Rüsselsheim, Urt. v. 30.7.2014 – 3 C 5696/13-33; RRa 2015, 84 = BeckRS 2014, 07165). Das ausführende Luftfahrtunternehmen wird aber dadurch nicht einseitig belastet, weil es gemäß Art. 13 VO bei seinen (internen) Vertragspartnern nach Maßgabe der jeweiligen Vereinbarung Rückgriff nehmen und sich schadlos halten kann (BGH, a.a.O.; AG Rüsselsheim, a.a.O.)

26c     Passivlegitimiert ist also nicht das Luftfahrtunternehmen, das den Luftbeförderungsvertrag mit dem Reisenden geschlossen hat (BGH, Beschl. v. 11.03.2008, RRa 2008, 175 = NJW 2008, 2119 ff., sondern allein das Luftfahrtunternehmen, das den Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt hat (Art. 2 lit. b VO). Dieses Unternehmen kann allerdings im Einzelfall identisch sein mit dem vertragsschließenden Luftfahrtunternehmen.

27     Führt ein zu 100% einem Mutterunternehmen gehörendes, aber rechtlich selbstständiges Tochterunternehmen einen Flug durch, ist nach Ansicht des AG Bremen (Urt. v. 10.10.2011 − 16 C 89/11, RRa 2012, 22 mit zust. Anm. Hoffmann/Maurer RRa 2012, 23) das Mutterunternehmen „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ i.S.d. Verordnung, weil es hinsichtlich der Durchführung der übertragenen Flüge unter Berücksichtigung des Innenverhältnisses faktisch Einfluss ausübe. Dies gilt nach Ansicht des AG Hannover (Urt. v. 06.12.2012 – 452 C 5686/12, RRa 2014, 56) jedenfalls dann, wenn bei einer Umsteigeverbindung (z.B. Hannover – Paris – Havanna) auf dem Flugschein als „Luftfahrtunternehmen“ für beide Flüge nur das Mutterunternehmen angegeben wird.

27a    Wenn ein Luftfahrtunternehmen einen unter dem ihm zugewiesenen IATA-Airline-Code (z.B. LH für Lufthansa oder DE für Condor) verkauft und das auch auf der Buchungsbestätigung so (ohne einen aufklärenden Hinweis) angibt, ist es als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ auch dann anzusehen, wenn es den Flug aufgrund einer internen Absprache von einem anderen Luftfahrtunternehmen durchführen lässt. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich dabei um ein selbständiges, aber zum Konzern gehörendes Luftfahrtunternehmen handelt (so auch AG Rüsselsheim, Urt. v. 30.7.2014 – 3 C 5696/13-33, RRa 2015, 84 = BeckRS 2016, 01765 für die Durchführung eines Condor-Fluges durch das zum Thomas-Cook- Konzern gehörende Luftfahrtunternehmen Thomas Cook Airline UK).

28    Im Falle des Code-Sharing-Fluges ist nur dasjenige Luftfahrtunternehmen, das den Flug tatsächlich durchführt oder nach den Angaben in der Buchungsbestätigung oder im Flugschein ausführen sollte, ausführendes Luftfahrtunternehmen im Sinne des Art. 2 lit. b VO und damit im Falle der Annullierung des Fluges zu Unterstützungsleistungen und Ausgleichsleistungen verpflichtet (BGH, Urt. v. 28. 05. 2009 – Xa ZR 113/08, RRa 2009, 242 = NJW 2009, 2743; 26.11.2009 – Xa ZR 132/08, RRa 2010 = NJW 2010, 1522, 85; LG Linz 24.2.2011 – 14 R 120/10f, RRa 2011, 156. Siehe dazu auch Kober-Dehm/Meier-Beck RRa 2010, 250 (251 f.); Schmid NJW 2007, 261 (267)).

29     Ungeklärt ist dagegen, wer passivlegitimiert ist, wenn ein Luftfahrtunternehmen, das planmäßig als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ vorgesehen war, kurzfristig durch ein anderes Luftfahrtunternehmen ersetzt wird. Zum Montrealer Übereinkommen hat das LG Darmstadt (Urt. v. 20. 1. 2010 – 7 S 136/09, ZLW 2010, 319 = TranspR 2010, 194 = BeckRS 2010, 12898) entschieden, dass das ersatzweise befördernde Luftfahrtunternehmen als „ausführender Luftfrachtführer“ anzusehen ist. Ob diese Rechtsansicht auch im Rahmen der sog. Fluggastrechte-Verordnung gelten kann, erscheint allerdings zweifelhaft, denn Art. 2 lit. b VO definiert das ausführende Luftfahrtunternehmen als dasjenige, „das (…) einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt“. Daraus ist abzuleiten, dass nicht das ersatzweise den Flug durchführende Luftfahrtunternehmen als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ angesehen werden muss, sondern nur dasjenige, das den Flug durchführen sollte, aber nicht durchgeführt hat.

30    Bei anderer Auslegung besteht die Gefahr, dass Passagierrechte bei Rückflügen in das Gebiet der Europäischen Union durch Manipulation verkürzt werden könnten. Wenn nämlich ein „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“, das den Flug durchzuführen beabsichtigt hat, ein nicht-europäisches Luftfahrtunternehmen einsetzt, hätte der Passagier plötzlich keine Rechte mehr, weil der Flug jetzt durch ein „Nicht-EU-Luftfahrtunternehmen“ von einem Startflughafen außerhalb des Gebietes der Europäischen Union (z.B. Antalya) in das Gebiet eines Mitgliedstaates durchgeführt würde. Die bloße Möglichkeit einer solchen „Manipulation“ steht nicht im Einklang mit dem Zweck der Verordnung, nämlich der Erhöhung des Schutzes der Passagiere. Wenn also ein Luftfahrtunternehmen A einen Flug durchführen sollte, wegen eines technischen Problems jedoch das Luftfahrtunternehmen B mit der ersatzweisen Durchführung beauftragt (sog. Subcharter), ändert das nichts daran, dass das Luftfahrtunternehmen A. „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ i.S.d. Verordnung ist (AG Frankfurt, Urt. v. 19.04. 2013 – 32 C 1916/12-18, RRa 2014, 104 L).

31    Schon im Jahr 2008 hat der BGH (Beschl. v. 11. 3. 2008 − X Z 49/07, RRa 2008, 175) klargestellt, dass ein Reiseveranstalter, der zwar „vertraglicher Luftfrachtführer“ i.S.d. Montrealer Übereinkommens sein kann, kein „ausführendes Luftfahrtunternehmen“i.S.d. Verordnung ist. Infolgedessen ist ein Reiseveranstalter für Ansprüche aus der Verordnung nicht passiv-legitimiert (so schon AG Düsseldorf, Urt. v. 27.03. 2007 − 230 C 16700/09, RRa 2008, 142 = BeckRS 2008, 13531; AG Oberhausen, Urt. v. 11.12.2006 – 35 c 2313/06, RRa 2007, 91); BGHS Wien, Urt. v. 23.04.2014 – 11 C 413/13k; ebenso: Keiler, ZVR 2011, 138).

32    Die Verordnung macht aber in ihrem Erwägungsgrund 7 klar, dass die durch sie geschaffenen Verpflichtungen, auch dem ausführenden Luftfahrtunternehmen obliegen, das den Flug durchzuführen beabsichtigt (hat) und zwar unabhängig davon , ob der Flug mit einem eigenen oder mit einem (mit oder ohne Besatzung) gemieteten Luftfahrzeug oder in anderer Form durchgeführt wird.

32a     Wenn das in Anspruch genommene Luftfahrtunternehmen im vorprozessual geführten Schriftverkehr mit dem Fluggast seine Einstandspflicht nicht sogleich mit dem Hinweis darauf abgelehnt hat, nicht ausführendes Luftfahrtunternehmen zu sein, erweckt es durch dieses Verhalten den Eindruck, es betrachte sich als das ausführende Luftfahrtunternehmen. Daher obliegt es ihm, das Gegenteil zu beweisen (LG Düsseldorf, Urt. vom 13.12.2013 – 22 S 232/12).

32b     Der Kläger kann das Luftfahrtunternehmen aber auch auf Ersatz des Schadens verklagen, der bei ihm dadurch eingetreten ist, dass er das Luftfahrtunternehmen aufgrund seines vorgerichtlichen Verhaltes als richtigen Anspruchsgegner für einen Anspruch aus der Fluggastrechte-Verordnung angesehen und dadurch unnütze Kosten aufgewendet hatte, die nicht  entstanden wären, wenn die Beklagte sofort offenbart hätte, dass sie nicht passivlegitimiert ist (LG Düsseldorf, a.a.O.)

3. Die Verjährung der Ansprüche

33     Der BGH (Urt. v. 10.12. 2009 − Xa ZR 61/09, RRa 2010, 90 = NJW 2010, 1521; so zuvor schon: Staudinger/Schmidt-Bendun, NJW 2004, NJW 2004, 1897, 200; Staudinger, NJW 2007, 3392 f.ders., RRa 2009, 195; Weise/Schubert, TranspR 2006, 340, 344) hat zutreffend entschieden, dass die Ausschlussfrist des Art. 35 Abs. 1 MÜ weder unmittelbar noch entsprechend für Ausgleichsansprüche nach der sog. Fluggastrechte-Verordnung herangezogen werden kann, weil die beiden Regelwerke inhaltlich unterschiedliche Ansprüche betreffen und nebeneinander stehen (a.A. noch LG Darmstadt, Urt. v. 24.04. 2009 − 7 S 260/08, RRa 2009,193 = BeckRS 2009, 27196 mit krit. Anm. Staudinger RRa 2009, 193).

34     Diese Rechtsauffassung hat der EuGH aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des Audiencia Provincial de Barcelona (Spanien) am 22.11.2012 bestätigt und dahingehend entschieden, dass − im Hinblick auf die Frist für die Geltendmachung von Ansprüchen – nicht Art. 35 MÜ (zweijährige Ausschlussfrist) herangezogen werden kann, sondern das jeweils ergänzend anwendbare nationale Recht gilt(Rs. C-139/11 – Moré ./. KLM, RRa 2013, 17 = NJW 2013, 365 = EuZW 2013, 156 = ZLW 2013, 503).

35     Bei Anwendung deutschen Rechts gilt für Ansprüche aus der Fluggastrechte-Verordnung daher die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB von drei Jahren,wenn ihnen die Annullierung eines durch Luftbeförderungsvertrag mit dem Luftfahrtunternehmen versprochenen Fluges zugrunde liegt (BGH, Urt. v. 10.12.2009 − Xa ZR 61/09, RRa 2010, 90 = NJW 2010, 1526 = ZLW 2009, 42; AG Frankfurt, Urt. v. 24.02.2014 – 29 C 3591/13/44; so schon: Führich, Sonderbeilage zu MDR 7/ 2007, 1 (14); Weise/ Schubert, TranspR 2006, 340, (344); A. Staudinger/ Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897, 1900). Daher ist eine Klausel in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen eines Luftfahrtunternehmens, mit der das Klagerecht des Fluggastes entsprechend Art. 35 Montrealer Übereinkommen auf 2 Jahre verkürzt werden soll, unwirksam (AG Bremen, Urt. v. 22.10.2012 – 9 C 0270/12; Staudinger/Bauer/Rüben, NJW 2013, 3762). Die Verjährungsfrist beginnt a) mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und b) der Gläubiger von den Umständen, die den Anspruch begründen, und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB).

36    Der BGH hat in seinem Urteil vom 10.12.2009 − Xa ZR 61/09, Rn.33, RRa 2010, 90 = NJW 2010, 1521) aber ausdrücklich offen gelassen, ob dies auch bei Annullierung eines Fluges gilt, der im Rahmen einer Pauschalreise durchgeführt wird oder ob dann die Verjährungsfrist aus § 651g Abs. 2 BGB Anwendung findet. In der Literatur wird das angenommen (siehe z.B. Staudinger/Schmidt-Bendun NJW 2004, 1897 (1900); Weise/Schubert TranspR 2006, 340 (344); Hausmann S. 502; aA Schmid/Hopperdietzel NJW 2009, 3085 (3086); AG Rüsselsheim 08.01.2014 – 3 C 3189/13-36, RRa 2014, 182 = BeckRS 2014, 16266). Dem kann nicht gefolgt werden. Zum einen ist die Annahme von Staudinger/Schmidt-Bendun (aaO), die Tatbestände der Annullierung, Nichtbeförderung und Verspätung würden „erst nach Abschluss des Reisevertrages erfüllt“, nicht zutreffend, weil bei einer Flugpauschalreise ein Reisevertrag erst mit Ankunft des Fluges am Zielort erfüllt ist. Zum anderen würden die Fluggäste, die den Flug direkt beim Luftfahrtunternehmen gebucht haben, gegenüber den Fluggästen, die den Flug im Rahmen einer Pauschalreise gebucht haben, privilegiert werden. Für diese Ungleichbehandlung gibt es aber keinen sachlich rechtfertigenden Grund. Der kann – entgegen Hausmann S. 503) auch nicht darin gesehen werden, dass es einen „Verstoß gegen das Reiserechtsregime“ darstellte, würden einzelne Leistungsstörungen im Rahmen der Pauschalreise anderen als den abschließenden Regelungen der §§ 651c ff. BGB unterworfen und „sich für die Beteiligten die Vorhersehbarkeit im Hinblick auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme erhöhte“, wenn sämtliche Rechte aus der Pauschalreise nach Ablauf von zwei Jahren (nach § 651m BGB ggf. schon nach einem Jahr!) ausgeschlossen wären.

37     Der Anwendung des § 651g Abs. 2 BGB steht entgegen, dass diese Bestimmung nur die reisevertraglichen Gewährleistungsansprüche aus „§§ 651c bis § 651f“ BGB, nicht aber sonstige Ansprüche (wie z.B. einen Schadensersatzanspruch wegen Personenschadens oder einen Anspruch aus § 812 BGB) erfasst (so auch Führich Reiserecht [6. Aufl. 2010], Rn. 463 mwN; MüKoBGB/Tonner § 651g, Rn. 38, jeweils mwN). Da der Anspruch auf Ausgleichsleistung nach Art. 7 VO aber fraglos kein reisevertraglicher Gewährleistungsanspruch ist, kann die reisevertragliche Verjährungsfrist darauf nicht erstreckt werden (so auch: AG Rüsselsheim 8.1.2014 – 3 C 3189/13-36, RRa 2014, 16266 = BeckRS 2014, 16266; AG Frankfurt a.M. 24.02.2014 – 29 C 3591/13-44). Das LG Frankfurt a.M. (29.04.1998 – 2-1 S 45/96, NJW-RR 1998, 1589, 1590) hat zutreffend eine Analogie zu § 651g BGB jedenfalls dann verneint, wenn europäisches Sachrecht (und dazu zählt die Fluggastrechte-Verordnung) Anwendung findet.

38     Richtigerweise ist allein darauf abzustellen, welche Hauptpflichten das ausführende Luftfahrtunternehmen gegenüber dem Fluggast hatte. Das ist vor allem die Pflicht zur(sicheren und pünktlichen) Beförderung des Fluggastes. Dabei kann nicht entscheidend sein, ob sich diese Pflicht unmittelbar aus dem Luftbeförderungsvertrag (Werkvertrag i.S.d. § 635 ff. BGB) oder mittelbar aus dem Flugzeugbereitstellungsvertrag (sog. „Chartervertrag“)ergibt, der zwischen dem Luftfahrtunternehmen und dem Reiseveranstalter geschlossen wird und ein Vertrag zugunsten Dritter ist (BGH, Urt. vom 17.01.1985 − VII ZR 63/84, BGHZ 93, 271 = NJW 1985, 1457; BGH, Urt. v. 25.04.2006 − VI ZR 279/05), ergibt. Siehe dazu ausführlich:Gansfort, RRa 1994,2; Schmid, RRa 1994,7; Schwenk, RRa 1997,3 (9).

39     Für dieses Verständnis der tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhänge spricht schon Erwägungsgrund 5 der Verordnung, wonach der Schutz der Verordnung gerade nicht auf die Fluggäste im Linienflug (auf Basis eines Luftbeförderungsvertrages) beschränkt sein soll, sondern ausdrücklich auch die Fluggäste im Bedarfsluftverkehr, einschließlich der Flüge im Rahmen von Pauschalreisen (auf der Grundlage von Chartervertrag und Pauschalreisevertrag) erfasst, da es im Gebiet der Europäischen Union nur noch „Flugdienste“ gibt und die Unterscheidung zwischen Linienflugverkehr und Bedarfsluftverkehr auch in Drittstaaten an Bedeutung verliert. Folgerichtig haben nach Art. 8 VO alle Fluggäste Anspruch auf Unterstützungsleistung, gleich ob sie im Rahmen eines Pauschalreisevertrages oder aufgrund eines Luftbeförderungsvertrages befördert werden bzw. befördert werden sollten.

 4.    Die Gerichtszuständigkeit

40     Nicht geregelt hat die Verordnung, wo der Fluggast seine Rechte gerichtlich durchsetzen kann oder soll. Das war unproblematisch, solange das (höherrangige) Europäische Gerichtsstandsübereinkommen (EuGVÜ) noch in Kraft gewesen ist; dieses ist aber mit Wirkung vom 01.03.2002 in seinem Anwendungsgebiet zusammen mit dem sog. Lugano-Übereinkommen (LGVÜ) durch die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO oder „Brüssel I-VO, ABl. Nr. L 351 vom 20.12.2012, S. 1 – 32 abgekürzt), ersetzt worden, so dass eine eigene Gerichtsstandsregelung in der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 jetzt nicht mehr mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht kollidieren würde.

41     Die Gerichtsstandsregelung des Art. 33 des Montrealer Überein- kommens (MÜ) gilt nur, wenn Ansprüche aus diesem Übereinkommen geltend gemacht werden. Für Ansprüche, die aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 hergeleitet werden, gilt Art. 33 MÜ also nicht, auch nicht analog (so auch OLG München, Urt. v. 16.05.2007 – 20 U 164/07, RRa 2007, 182 = NJW 2007, 3214, LG Lübeck, Urt. v. 23.04.2010 – 14 S 264/09, RRa 2011,46).

42     Auf Ansprüche aus der Verordnung werden bei einer Inlandsbeförderung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland die Gerichtsstandsregelungen der Zivilprozessordnung (ZPO) angewendet, bei solchen innerhalb Österreichs diejenigen der österreichischen Zivilprozeßordnung (öZPO).

43     In anderen Fällen ist zu unterscheiden, ob das beklagte Luftfahrtunternehmen seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Drittstaat (d.h. einem Staat außerhalb der Europäischen Union) hat. Im ersten Falle kommt die Verordnung EuGVVO oder Brüssel I-VO zur Anwendung, im zweiten Falle sind es die Gerichtsstandsregelungen nach der Zivilprozessordnung (ZPO), soweit der Fall in Deutschland anhängig gemacht wird. Das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ) gilt noch im Verhältnis zu Dänemark. Im Verhältnis zur Schweiz und den EWR-Staaten (Norwegen, Island, Liechtenstein) sowie zu Polen ist ein im Wesentlichen inhaltsgleiches Übereinkommen, das Luganer Übereinkommen, anzuwenden.

44     Auf Vorlage des BGH (Beschl. v. 22.04.2008 – X ZR 76/07, RRa 2008, 177 = NJW 2008, 2121) musste sich der Europäische Gerichtshof mit der Frage des Gerichtstands befassen. Er vertrat die Meinung, dass ein Fluggast eines innergemeinschaftlichen Fluges mit einem  Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zur Durchsetzung seines Rechtsanspruchs auf einen Anspruch nach Art. 7 VO Klage entweder am allgemeinen oder am besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 lit. b VO 44/2001 (Brüssel I-VO) erheben kann, und zwar wahlweise beim Gericht des Abflugs- oder des Ankunftsorts (EuGH, Urt. v. 09.07.2009, Rs. C-204/08 − Rehder v. Air Baltic, Slg. 2009, I-6073 = RRa 2009, 234 = EuZW 2009, 569; vgl. auch die Anm. von Kummer, RRa 2009, 267, 268 f. zu den Schlussanträgen der Generalanwaltschaft sowie Mankowski, TranspR 2009, 303; Staudinger, RRa 2009, 219). Dieser Gerichtsstand gilt auch für einen Reiseveranstalter, wenn er zusammen mit dem Luftfahrtunternehmen  wegen eines verspäteten Rückfluges gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird (OLG Frankfurt, Urt. v. 30.07.2012 – 11 AR, 142/12, NJW-RR 2013, 59).

44a     Wenn also ein segmentierter Flug von einem einzigen Luftfahrtunternehmen ausgeführt wird, ist bei der Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit insgesamt auf die zurückgelegte Strecke abzustellen (ebenso: AG Frankfurt a.M., Urt. v. 27.11.2014 – 31 C 3804/13 -23, RRa 2015, 80). A.A. ist dagegen das LG Berlin, das die Ansicht vertritt, dass bei einem Flug von Santo Domingo über Paris nach Berlin, der insgesamt von einem Luftfahrtunternehmen ausgeführt wird, kein (internationaler) Gerichtsstand bei einem Gericht in Berlin gegeben ist, wenn der erste Flug verspätetet wird und der Fluggast den (nicht verspäteten) Anschlussflug von Paris nach Berlin nicht erreicht und deswegen mit großer Verspätung am Endziel ankommt (Urt. v. 02.12.2015 – 84 S 7/15). Das Gericht deutet aber an, dass die Rechtslage aber u.U. anders zu beurteilen wäre, wenn der Anschlussflug auf den Zubringerflug gewartet hätte und der Fluggast deswegen das Endziel Berlin erreicht.

44b     Wird dagegen die Beförderung eines Fluggastes von einem Mitgliedstaat über einen anderen in einen dritten Mitgliedsstaat im Rahmen einer einheitlichen Buchung von zwei Luftfahrtunternehmen durchgeführt, ist nach Ansicht des LG Stuttgart (Urt. v. 10.12.2014 – 13 S 115/14, RRa 2015, 21, Rev. zugel.) bei großer Verspätung des zweiten Fluges für eine Klage auf Ausgleichsleistung nach Wahl des Klägers ausschließlich das Gericht des Abflugortes oder des Ankunftsortes des zweiten Fluges zuständig (ebenso: AG Frankfurt, a.a.O.; LG Bremen, Urt. vom 05.06.2015 – 3 S 315/14, NJW-RR 2015, 1402 = RRa 2016, 72). Der Ansicht des LG Stuttgart folgt auch das LG Frankfurt (Urt. vom 20.08.2015 – 2-24 S 31/15 – RRa 2016, 21) und hält für den Kläger, der das falsche, nämlich die erste Teilstrecke abfliegende Unternehmen verklagt hatte, den Trost bereit, dass es ihm die sog. Small-Claims-Verordnung (Verordnung [EG] Nr. 861/2007) ermögliche, Ansprüche gegen das zweite Unternehmen einfach, kostengünstig und schnell durchzuführen. Im Übrigen sei diese Entscheidung auch interessengerecht, da zum einen der buchende Kunde dann, wenn er keinen Direktflug auswählt, damit rechnen müsse, dass das vertragliche Luftfahrtunternehmen sich für Teilstrecken anderer Unternehmen bediene, während das ausführende Luftfahrtunternehmen lediglich Klagen an den Orten ausgesetzt sehen soll, die einen Bezug zu dem durchgeführten Flug aufwiesen.

45     Im Übrigen ist es herrschende Meinung, dass eine gerichtliche Zuständigkeit sowohl am Ort des Startflughafens als auch am Ort des Endziels gegeben ist, jedenfalls soweit mehrere Flugabschnitte durch dieselbe Fluggesellschaft durchgeführt werden. Blankenburg (RRa 2013, 61, 63) verweist auf die sich daraus ergebende Problematik, dass zwar die Zuständigkeit bejaht wird, jedoch im Anschluss die materielle Anwendbarkeit der Verordnung abgelehnt wird (wie LG Frankfurt, Urt. v. 05.01.2012 – 2-24 S 145/11, RRa 2012, 87, 89, bestätigt durch BGH, Urt. v. 13.11.2012 – X ZR 14/12 – ZLW 2013, 525). Die in diesem Zusammenhang oft zitierte Entscheidung des BGH aus dem November 2012 (Urt. v. 13.11.2012 − X ZR 12/12, Rn. 8, RRa 2013,19) ist nicht einschlägig, da die Zuständigkeit der Vorinstanzen in entsprechender Anwendung von § 39 ZPO bejaht worden ist, da sich das beklagte Unternehmen rügelos zur Sache eingelassen hatte.

46   Werden  Luftfahrtunternehmen mit Sitz außerhalb der Europäischen Union auf eine Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechte-Verordnung in Anspruch genommen, sind bei einem geplanten oder tatsächlichen Abflug von einem in Deutschland gelegenen Flugplatz die deutschen Gerichte zuständig. Die internationale Zuständigkeit ist in diesem Fall nicht nach der Brüssel I-Verordnung zu bestimmen, sondern nach den Zuständigkeitsregeln der Zivilprozessordnung; es gilt somit der Ort des besonderen Gerichtsstands des Erfüllungsortes (§ 29 Abs. 1 ZPO). Da sich der Anspruch auf Ausgleichszahlung aus Gemeinschaftsrecht ableitet und damit unabhängig von der der Beförderung zugrundeliegenden vertraglichen Beziehung besteht, ist die Frage, wo die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist, anhand von gemeinschaftsrechtlichen und nicht nach vertragsrechtlichen Maßstäben zu beantworten. Daher ist zur Bestimmung des Erfüllungsortes Art. 5 Nr. 1 lit. b, 2. – Brüssel I-VO heranzuziehen. Danach kann die Klage auf Ausgleichszahlung sowohl am Ort der vertragsgemäßen Leistungserbringung und damit am Abflugort (BGH, Urt. v. 18.01.2011 – X ZR 71/10, BGHZ 188, 85 = RRa 2011, 79 = NJW 2011, 2056) als auch am Ort der vertragsgemäßen Ankunft des Fluges erhoben werden (OLG Koblenz, Urt. v. 11.01.2008 − 10 U 385/07, RRa 2008, 181; LG Hannover, Urt. v. 18.01.2012 – 14 S 52/11, RRa 2012, 185 m. krit. Anm. Staudinger; Zivilgericht Basel-Stadt, Urt. v. 20.06.2011, RRa 2011, 286, das dementsprechend, da auch der schweizerische Sektor des Flughafens „Basel-Mulhouse-Freiburg“ auf französischem Hoheitsgebiet liegt und sich der Abflugort und damit der Erfüllungsort auf französischem Boden befindet, französisches Recht für anwendbar erklärt und nicht ein schweizerisches, sondern ein französisches Gericht für zuständig erklärt.). Bei einem einheitlich gebuchten Direktflug (z.B. von New York über Amsterdam nach Berlin) ist auch der Zielflughafen (im Beispiel: Berlin) Erfüllungsort der geschuldeten Beförderungsleistung (so auch: AG Wedding, Urt. v. 27.06.2011 – 19 C 84/11). Ausführlich zum Erfüllungsortsgerichtstand: Staudinger, RRa 2009, 219 ff.  Zur internationalen Zuständigkeit und Anwendbarkeit der Fluggastrechte-Verordnung bei Zwischenlandungen siehe Staudinger, RRa 2010, 154, ff.).

47     Aus Sicht des Verbrauchers wäre es wünschenswert, wenn er einen Gerichtsstand bei dem Gericht hätte, in dessen Gerichtsbezirk er seinen ständigen Wohnsitz begründet hat. Ein solcher Gerichtstand würde aber mit der Gerichtsstandsregelung des Art. 33 MÜ, das höherrangiges Recht darstellt, kollidieren, weshalb auch Art. 15 Abs. 1 Brüssel I-VO für Beförderungsverträge nicht gilt (siehe dazu Tonner, Die EU-Flugastrechte-Verordnung und das Montrealer Übereinkommen, VuR 2001, 203, 205).

48     Da aber Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft auch in einem Mitgliedstaat tätig werden können, in dem sie nicht ihren Sitz haben, ist es für einen Fluggast wenig komfortabel, wenn er diese Unternehmen an ihrem Unternehmenssitz verklagen muss. Sicher ist einem deutschen Fluggast auch eine Klage in Dublin, London oder an anderen Orten im europäischen Ausland zumutbar, doch schreckt das viele Verbraucher ab. Angesichts der oft recht niedrigen Streitwerte ist der Aufwand einer Klage im Ausland zu groß, zumal die Klageschrift übersetzt werden muss. Unter dem Gesichtspunkt eines vernünftigen Verbraucherschutzes sollte daher von einem ausländischen Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, das Flugdienste zu, von oder in einem anderen Mitgliedstaat anbietet, verlangt werden, dass es eine Niederlassung in dem Mitgliedsstaat begründet, zu, aus oder in dem es Flugdienste anbietet. Will man das nicht oder hat das Luftfahrtunternehmen eine solche Niederlassung nicht begründet, könnte alternativ oder ersatzweise ein Gerichtsstand am Abgangs- oder Bestimmungsort des Fluges in Betracht gezogen und in der Fluggastrechte-Verordnung festgeschrieben werden.

48a     Auf einer Flugreise von D über E nach F, bei dem die erste Teilstrecke vom Luftfahrtunternehmen A, die zweite vom Luftfahrtunternehmen B durchgeführt wird, ist bei einer Klage gegen das Unternehmen A wegen Verspätung des ersten Fluges am Ankunftsort F der nachfolgenden Teilstrecke ist nach Ansicht des LG Frankfurt (Urt. v. 20.08.2015 – 2-24 S 31/15) kein internationaler Gerichtsstand begründet.

48b     Ebenso haben bei einem vergleichbaren Sachverhalt das AG Nürtingen (Urt. v. 16.06.2014 – 11 C 6/14) und das LG Stuttgart Urt. v. 10.12.2014 – 13 S 115/14, RRa 2015, 21) entschieden. Der Kläger hatte bei der Fluggesellschaft A unter deren Flugnummern eine Flugverbindung von Stuttgart über Paris nach Helsinki gebucht. Die Beförderung von Paris nach Helsinki erfolgte im Wege des Code-Sharing durch F. Der Flug auf dieser zweiten Teilstrecke hatte eine Verspätung von mehr als drei Stunden. Das LG Stuttgart hat in diesem Fall lediglich einen Gerichtsstand am Abflug- oder Ankunftsort des zweiten Fluges bejaht.

48c     Anders als die Vorinstanzen ist der BGH der Ansicht, dass bei diesem Sachverhalt ein Gerichtsstand ebenso am Abflugort der ersten Teilstrecke, also am Flughafen Stuttgart, eröffnet sei. Zum einen dürfte eine Klage auf Ausgleichszahlung auch dann im Gerichtsstand des der Luftbeförderung zugrundeliegenden Vertrags erhoben werden können, wenn das nach der Fluggastrechte-Verordnung verpflichtete ausführende Luftfahrtunternehmen nicht zugleich der Vertragspartner des Fluggastes ist. Dafür spricht bereits, dass die Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung eine vertragliche Grundlage der Beförderungsleistung voraussetzen. Zum anderen dürfe bei einer nach dem Vertrag mehrgliedrigen Flugverbindung ohne nennenswerten Aufenthalt auf den Umsteigeflughäfen der Abflugort der ersten Teilstrecke auch dann als zuständigkeitsbegründender Erfüllungsort anzusehen sein, wenn die Klageansprüche aus Ereignissen auf einer anderen Teilstrecke resultieren. Dies entspräche einer konsequenten Anknüpfung an die vertragliche Grundlage der Beförderungsleistung. Dem ist zuzustimmen. Folgerichtig hat der BGH beschlossen, die Rechtsfrage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen (Beschl. v. 18.08.2015 – X ZR 2/15, RRa 2015, 297).

49     Für ein schweizerisches Luftfahrtunternehmen, das (wie die Swiss International Airlines) im Kanton Basel-Stadt seinen Sitz hat, ist nach Art. 2 Abs. 1 des Lugano-Übereinkommens das Zivilgericht Basel-Stadt zuständig. Wenn aber ein nicht schweizerisches Luftfahrtunternehmen bei einem Flug von oder nach Basel am Erfüllungsort (Ort des Abflugs oder der Ankunft) verklagt werden soll, ist dieses Gericht nicht zuständig, weil sich der Flughafen Basel-Mulhouse-Fribourg samt seinem Schweizer Sektor auf französischem Staatsgebiet befindet. Bei einem Flug von Basel zu einem deutschen Verkehrsflughafen oder umgekehrt wäre eine Klage daher bei dem zuständigen französischen oder deutschen Gericht zu erheben (Zivilgericht Basel-Stadt, Urt. v. 20.06.2011, Baseler Juristische Mitteilungen (BJM) 2012, 98 ff. = ASDA-Bulletin 145/2013, 81 ff; vgl. dazu auch AG Hannover, Urt. v. 28.03.2014 – 562 C 9420). Ausführlich dazu Burckhardt, ASDA-Bulletin 145/2013, S.74 ff. und Kost, ASDA-Bulletin 144/2012, 22 ff. Siehe dazu auch die ausführliche und informativer Begründung des BGH im Vorlagebeschluss vom 09.04.2013 (X ZR 105/12, RRa 2013, 183 = TranspR 2013, 307); siehe auch die Zusammenfassung bei: Hausmann, Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen. Verordnung (EG) Nr. 261/ 2004, 2012).

49a   Nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. vom 19.05.2015 – XI ZR 27/14, NJW 2015, 2667) und des EuGH (Urt. vom 27.02.2014, Rs. C-1/13 – Cartier parfums – lunettes SAS ./. Ziegler u.a., Rn 36 m.w.N.) kann die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte auch nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO durch rügelose Einlassung begründet werden. Dies ist immer dann der Fall, wenn die beklagte Partei es unterlässt, bereits im Klageerwiderungsschriftsatz eine entsprechende Rüge zu erheben. Nachträgliche Rügen, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, genügen nicht, um die so begründete internationale Zuständigkeit zu beseitigen. Etwas anderes gilt, wenn außerhalb des Geltungsbereichs des Art. 26 EuGVVO die rügelose Einlassung auf der Grundlage von § 39 ZPO angenommen werden soll. Hier kann die beklagte Partei die Rüge so lange erheben, als sie noch nicht mündlich zur Hauptsache verhandelt hat.

5.    Schwierigkeiten bei der Klagezustellung

50    Es sollte den Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft auch aufgegeben werden, in jedem Mitgliedsstaat, zu, von oder in dem es Flugdienste anbietet, einen Repräsentanten zu benennen, an den rechtswirksam Klagen zugestellt werden können. Wenn gleichzeitig zur Pflicht gemacht würde, dass dieser Repräsentant entweder Angehöriger des Mitgliedstaates ist, jedenfalls aber dessen Sprache beherrschen muss, wäre die Zustellung einer Klage in der Amtssprache des angerufenen Gerichts sehr viel leichter möglich.

51     Ob ein ausländisches Luftfahrtunternehmen berechtigt ist, nach Art. 8 der EuZustVO (Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten) berechtigt ist, die Annahme zu verweigern, wenn die Klage in deutscher Sprache abgefasst ist, wird teilweise bezweifelt. Das AG Erding hat entschieden, dass ein ausländisches Luftfahrtunternehmen nicht berechtigt sei, die Annahme einer ihm zugestellten Klageschrift, die in deutscher Sprache abgefasst und der keine Übersetzung beigefügt ist, zu verweigern, wenn es ihm aufgrund der im gesamten Unternehmen faktisch vorhandenen Sprachkenntnisse möglich ist, die deutsche Sprache hinreichend zu verstehen (Versäumnisurt. v. 05.12.2013 – 4 C 1702/134, RRa 2014, 183). Ob im Einzelfall tatsächlich von ausreichenden Sprachkenntnissen ausgegangen werden kann, dürfte schwierig darzulegen sein. Die Entscheidung des EuGH (Urt. v. 08.05.2008 – C 14/07 – NJW 2008, 1721), ergangen auf eine Vorlage durch den BGH (Beschl. vom 21.12.2006 – VII ZR 164/05 – NJW 2007, 775) läßt die Frage offen, auf wessen Sprachkenntnisse bei juristischen Personen abzustellen ist. Das OLG Frankfurt (Beschl. v. 1.7.2014 – 6 U 104/14, GRUR-RR 2015, 183) hat die Ansicht vertreten, dass selbst das Vorhalten deutschsprachigen Personals auf einer in Deutschland stattfindenden Messe nicht die Annahme rechtfertigt, dass auch das für die Entgegennahme von Zustellungen im Heimatland eingesetzte Personal der deutschen Sprache mächtig ist. Es kann daher nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass bei einem international tätigen Luftfahrtunternehmen die insoweit erforderlichen Sprachkenntnisse vorhanden sind, weswegen es sich empfiehlt, jeweils eine Übersetzung der Klageschrift in die Landessprache beizufügen.

51a   Nach der zutreffenden Ansicht des AG Erding ist ein ausländisches Luftfahrtunternehmen nicht berechtigt, die Annahme einer ihm zugestellten Klageschrift, die in deutscher Sprache abgefasst und der keine Übersetzung beigefügt ist, zu verweigern, wenn es ihm aufgrund der im gesamten Unternehmen faktisch vorhandenen Sprachkenntnisse möglich ist, die deutsche Sprache hinreichend zu verstehen (Versäumnisurt. v. 05.12.2013 – 4 C 1702/134, RRa 2014, 183).

IV. Die Auslegung der Verordnung

52     Nach einem allgemeinen Auslegungsgrundsatz ist jeder Unionsrechtsakt (und damit auch die Fluggastrechte-Verordnung) so weit wie möglich in einer Weise auszulegen, die seine Gültigkeit nicht in Frage stellt und im Einklang mit dem gesamten Primärrecht steht (EuGH, Urt. v. 16. 09. 2010, Rs. C‑149/10 − Chatzi, Slg. 2010 I‑8489, Rn. 43; Urt. v. 31.01.2013, Rs. C 12/11 – McDonagh ./. Ryanair, RRa 2013, 81 = NJW 2013, 921 = EuZW 2013, 223 ). Dabei sind die Ziele des Rechtsakts, die in den Erwägungsgründen niedergelegt sind (hohes Schutzniveau für die Fluggäste), in den Vordergrund zu stellen.

53    Schließlich darf die Auslegung nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem Diskriminierungsverbot, dem Gleichheitsgrundsatz und den Art. 16 und 17 der Grundrechtscharta zuwiderlaufen (EuGH Urt. v. 31.01.2013, Rs. C 12/11 – McDonagh ./. Ryanair, Rn. 44, RRa 2013, 81 = NJW 2013, 921 = EuZW 2013, 223; EuGH, Urt. v. 10.01.2006, Rs. C‑344/04 − IATA und ELFAA, Slg. 2006, I‑403) 

54    Der deutsche Text der Verordnung ist keine bloße nicht-amtliche Übersetzung, sondern in einer Amtssprache der Europäischen Union verfasst und somit zunächst aus sich heraus auszulegen. Der Rechtsvergleich mit Texten anderer Amtssprachen kann allenfalls ergänzend betrachtet werden.